Philosophisches Taschenwörterbuch:
Tolerance – Toleranz (Inhaltsangabe)

Toleranz und Humanität gehören zusammen. Die einzelnen Religionen müssen hinnehmen, dass es außer ihnen auch andere gibt. Das war in Rom bis Konstantin so, erst mit ihm und dem Christentum begannen die Verfolgungen: Die ganze Welt sollte christlich sein. Also waren sie notwendigerweise Feinde der ganzen Welt, bis zu deren Bekehrung. Auch untereinander bekämpften sich die verschiedenen christlichen Varianten: „Kaum hatte Konstantin der christlichen Religion zur Macht verholfen, zerrissen sich Athanasier und Eusebier auch schon gegenseitig und seither versinkt die Kirche in Blut, bis auf unsere Zeit. Selbst die Juden („das intoleranteste und grausamste Volk des ganzen Altertums“) waren nachgiebiger, wie einige Beispiele aus der Bibel zeigen. „Wir haben es in seinen unsinnigen Gräueln nachgeahmt, jedoch nicht in seinem Großmut“. Religionshass findet man meist im Volk, wird dort geschürt; die Herrschenden nutzen ihn für ihre Zwecke aus, selbst verbünden sie sich, wenn es ihnen Vorteile bringt, mitunter mit feindlichen Religionen.

Voltaire schließt den Artikel mit diesem Rat: „Habt ihr bei euch zwei Religionen, werden sie sich die Kehle durchschneiden, habt ihr dreißig, leben sie miteinander in Frieden. Seht den Großtürken: Er regiert die Parsen, die Banianen, die griechischen Christen, die Nestorianer, die Römer. Der erste, der Unruhe stiftet, wird gepfählt und alle Welt ist friedlich“.

Philosophisches Taschenwörterbuch:
Préjugés – Vorurteile (Inhaltsangabe)

Das Vorurteil ist eine Meinung ohne Urteil. Damit sind nicht Gefühle gemeint. Oft haben wir Autoritäten gegenüber Vorurteile. Man achtet sie, bevor man weiß, ob sie die Achtung verdienen. Voltaire unterscheidet Vorurteile der Sinne, das sind Sinnestäuschungen, die eigentlich keine Vorurteile sind; Physikalische Vorurteile, so meinte man lange, die Sonne drehe sich um die Erde, oder übernahm viele Meinungen über Krankheiten und ihre Ursachen, von Quacksalbern verbreitet; historische Vorurteile: vieles aus der Geschichte wurden ohne Überprüfung geglaubt und der Glaube daran ist ein Vorurteil und schließlich Religiöse Vorurteile: „Wenn Ihnen Ihre Amme erzählt hat,… dass Mohammed oder ein anderer eine Reise zum Himmel gemacht hat, wenn Ihnen dann Ihr Hauslehrer noch einmal ins Gehirn gehämmert hat, was Ihre Amme dort hinterlassen hatte, dann werden Sie Ihr ganzes Leben lang etwas davon nachbehalten. Wer daran zweifelt, wird wegen Gotteslästerung angeklagt und der Kadi wird ihn umbringen lassen, wenn er kann, und zwar, „weil er Dummköpfen befehlen will, und glaubt, dass Dummköpfe besser gehorchen als die anderen. Und das wird so lange dauern, bis Ihre Nachbarn, der Derwisch und der Kadi anfangen zu begreifen, dass die Dummheit zu nichts gut ist und die Verfolgung (Andersdenkender) verabscheuungswürdig“.

Philosophisches Taschenwörterbuch:
Miracles – Wunder (Inhaltsangabe)

Der Artikel beginnt mit einer Begriffsklärung: „Folgt man den überlieferten Ansichten, nennen wir Wunder die Verletzung der göttlichen und ewigen Gesetze“. Wie kann es aber sein, dass ein ewiges Gesetz außer Kraft gesetzt wird? Wenn Gott das zulässt, warum hat er dann die Gesetze überhaupt erst geschaffen? Wenn alle Gesetze von ihm gut eingerichtet sind, warum sollte Gott ein Wunder geschehen lassen? Wäre das nicht das Eingeständnis, etwas Unvollkommenes, Fehlerhaftes geschaffen zu haben? Voltaire folgert abschließend: „Es ist also folgendermaßen: indem man es wagt, Gott Wunder zu unterstellen, beleidigt man ihn in Wirklichkeit (wenn Menschen Gott beleidigen können): es ist, als sagte man ihm: ‚Sie sind ein schwaches und inkonsequentes Wesen’“.

Philosophisches Taschenwörterbuch:
Fanatisme – Fanatismus (Inhaltsangabe)

 

Fanatismus entsteht aus der Religion. Viele bekannte Attentäter und Pogromisten begingen ihre Taten aus religiösem Hass. Jedoch gibt es nicht nur den Fanatismus der Tat, es gibt auch den Fanatismus des Juristen, „die jene zum Tode verurteilen, die kein anderes Verbrechen begangen haben, als nicht so zu denken wie sie.“ Sie gehören aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen. Nur Aufklärung hilft gegen den Fanatismus, Gesetze helfen nichts. Die Religion, weit davon entfernt, ein Heilmittel zu sein, wandelt sich in einem infizierten Gehirn zu Gift. „Diese Leute sind davon überzeugt, dass der heilige Geist, der sie heimsucht, über den Gesetzen steht, dass ihr Enthusiasmus das einzige Gesetz ist, dem sie zu folgen hätten. Was soll man einem Menschen antworten, der einem sagt, dass er lieber Gott gehorche als Menschen und der sich folglich sicher ist, sich den Himmel zu verdienen, wenn er einen erwürgt“.

Philosophisches Taschenwörterbuch: Beau, Beauté – Schön, Schönheit (Inhaltsangabe)

Was ist Schönheit?

Was ‚schön’ ist, kann nicht allgemeingültig definiert werden. Auch die Annahme einer Idee des absolut Schönen, die hinter unserem Schönheitsempfinden steht und es leitet (Platon, Aristoteles), hilft da nicht weiter.
Eine Tragödie, die wir als Franzosen schön finden, da sie „Bewunderung und Vergnügen hervorruft“, bringt die Zuschauer in England zum Gähnen.
Es ist wie mit den ‚guten Sitten’: was in Japan als anständig gilt , erscheint in Rom als unanständig.

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Apis – der Stier (Inhaltsangabe)

Dieser Artikel fällt scheinbar aus dem Rahmen. Voltaire rechnet mit der ägyptischen Welt und ihrer Religion ab und mit der kritiklosen Wertschätzung von ‚Kulturdenkmälern’. Die Anbetung eines Stiers als Gott ist schon seltsam genug, ihre Pyramiden aber sind Symbole einer Despotie, konnten sie doch nur durch eine beispiellose Menschenschinderei errichtet werden, – Monumente, um „in einem kleinen Gemach die Mumie irgendeines Fürsten, eines Herrschers, eines Verwalters zu konservieren, damit sie von ihrer Seele nach Ablauf von tausend Jahren wiederbelebt würde. Aber wenn sie die Wiederauferstehung der Körper erhofften: warum entfernten sie vor der Einbalsamierung das Gehirn ? Sollten denn die Ägypter ohne Gehirn auferstehen?“ Zwar hatten die Ägypter früher die Weltherrschaft inne, seither haben sie aber nicht mehr viel zustandegebracht und wurden ständig von Nachbarvölkern unterworfen. Das erinnert verblüffend an das, was Voltaire an verschiedenen Stellen über die Juden in alter Zeit, der Zeit des Alten Testaments, sagt.

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Ânge – Engel (Inhaltsangabe)

Den Glauben an Engel, Genien als Vermittler zwischen den Göttern und den Menschen hat es schon in Persien gegeben.
Die alte jüdische Tradition kannte zehn Stufen von Engeln (Cherubim). In der christlichen Religion ist aus dem Sturz der Engel die Hölle gebaut. Papst Gregor II. hat die zehn von den Juden anerkannten auf neun Stufen verringert. Die Engel und die Erzengel malen wir in Gestalt junger Leute mit zwei Flügeln am Rücken. Duns Scotus hat tausend Millionen Engel gezählt.

Voltaire listet noch etliche einfältige Engelsgeschichten aus der Bibel und aus der christlichen Exegese auf. Mit Spott hält er sich bei diesem lustigen Thema auffällig zurück, läßt lieber den Wahnsinn selbst zu Wort kommen, seine Kutte ablegen und ins Licht treten – so kann ihm niemand vorwerfen, er habe die Kirche oder die christlich-jüdische Religion angegriffen. Er schließt:
„Ziehen Sie zu dieser Frage die Summa des heiligen Thomas heran. Man weiß nicht genau, wo die Engel sich aufhalten, ob in der Luft, im Leeren oder auf den Sternen. Gott wollte nicht, dass wir davon wissen.“

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Amour nommé socratique – Homosexualität (Inhaltsangabe)

Voltaire überlegt, wie es zu einer der Fortpflanzung widersprechenden Veranlagung kommen kann. Es ist keine geistige Störung. Die homosexuelle Veranlagung zeigt sich schon früh, eher beim Mann als bei der Frau. Vielleicht ist es fehlgeleiteter Instinkt, der einen Mann verleitet, ein männliches Kind für ein weiblichen Wesen, das das eigentliche Ziel wäre, zu halten? „Man huldigt dem Sex, in dem man sich an das bindet, was die Merkmale der Schönheit besitzt und wenn das Alter die Ähnlichkeit zum Verschwinden bringt, besteht der Irrtum fort“. Ob die Griechen die homosexuelle Liebe förderten oder zumindest tolerierten? Dass sie ein Heer, das aus homosexuellen Paaren bestand, unterhielten, spricht dafür. Ein Gesetz, das aber die Knabenliebe empfiehlt, hat es nicht gegeben. Allein aus der Tatsache, dass etwas geschieht, gemacht wird, kann man nicht, wie Sextus Empiricus es tut, darauf schließen, dass es gesetzlich erlaubt war. Wenn Sextus Empiricus unserer Tage lebte und zwei oder drei Jesuiten einige ihrer Schüler missbrauchen sähe, hätte er deshalb das Recht zu sagen, dass dieses Spiel durch die Regeln Ignatius von Loyolas erlaubt sei? Gewiss nicht. Voltaire weist darauf hin, dass, obwohl die Knabenliebe in Rom weit verbreit war, sie nicht von Gesetzes wegen erlaubt gewesen ist, eher im Gegenteil. Unter Philipp wurde sie endgültig verboten und alle kleinen Jungen, die als Lustknaben ihr Geld verdienten, wurden aus Rom hinausgejagt.

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Amour propre – Eigenliebe (Inhaltsangabe)

Den Inhalt dieses kurzen Artikels hat Voltaire selbst zusammengefasst: „Die Eigenliebe ist das Instrument zu unserer Selbsterhaltung und dem Instrument zu unserer Fortpflanzung ähnlich: sie ist uns unentbehrlich, sie ist uns teuer, sie bereitet uns Vergnügen und – man muss sie verstecken“.

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Amour – Liebe (Inhaltsangabe)

Der Artikel beginnt mit einer bemerkenswerten Feststellung: „Hier muss man über Körperliches sprechen, denn Liebe ist ein Stoff aus der Natur, den die Phantasie bestickt hat“. Voltaire zeigt an einigen Beispielen, wie stark der Trieb bei den Tieren ist, wie beeindruckend deren Kraft, Schönheit, Zwanglosigkeit, Schnelligkeit sind: zum neidisch werden, gewissermaßen! Aber die Vorteile der menschlichen Gattung entschädigen in der Liebe für alles, was die Natur den Tieren mehr gab: Während diese meist nur mit einem einzigen Sinn lieben, ist bei den Menschen der ganze Leib empfindsam; wir genießen eine Wollust, die um nichts ermüdet, wir können uns jederzeit der Liebe hingeben, während die Tiere nur einen begrenzten Zeitraum haben. Wenn leider durch der Syphilis gerade die Organe unserer Lust befallen werden, ist das ein Grund, „die Natur anklagen, ihr eigenes Werk zu verderben, ihrem eigenen Plan zu widersprechen, gegen ihre Absichten zu handeln“. Ist dies die beste aller Welten? Voltaire: „Man sagt, die Dinge wurden so zum Besten eingerichtet: ich möchte es glauben, aber es fällt schwer“.