Philosophisches Taschenwörterbuch: Beau, Beauté – Schön, Schönheit (Inhaltsangabe)

Was ist Schönheit?

Was ‚schön’ ist, kann nicht allgemeingültig definiert werden. Auch die Annahme einer Idee des absolut Schönen, die hinter unserem Schönheitsempfinden steht und es leitet (Platon, Aristoteles), hilft da nicht weiter.
Eine Tragödie, die wir als Franzosen schön finden, da sie „Bewunderung und Vergnügen hervorruft“, bringt die Zuschauer in England zum Gähnen.
Es ist wie mit den ‚guten Sitten’: was in Japan als anständig gilt , erscheint in Rom als unanständig.

Philosophisches Taschenwörterbuch:
Apis – der Stier (Inhaltsangabe)

Dieser Artikel fällt scheinbar aus dem Rahmen. Voltaire rechnet mit der ägyptischen Welt und ihrer Religion ab und mit der kritiklosen Wertschätzung von ‚Kulturdenkmälern’. Die Anbetung eines Stiers als Gott ist schon seltsam genug, ihre Pyramiden aber sind Symbole einer Despotie, konnten sie doch nur durch eine beispiellose Menschenschinderei errichtet werden, – Monumente, um „in einem kleinen Gemach die Mumie irgendeines Fürsten, eines Herrschers, eines Verwalters zu konservieren, damit sie von ihrer Seele nach Ablauf von tausend Jahren wiederbelebt würde. Aber wenn sie die Wiederauferstehung der Körper erhofften: warum entfernten sie vor der Einbalsamierung das Gehirn ? Sollten denn die Ägypter ohne Gehirn auferstehen?“ Zwar hatten die Ägypter früher die Weltherrschaft inne, seither haben sie aber nicht mehr viel zustandegebracht und wurden ständig von Nachbarvölkern unterworfen. Das erinnert verblüffend an das, was Voltaire an verschiedenen Stellen über die Juden in alter Zeit, der Zeit des Alten Testaments, sagt.

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Ânge – Engel (Inhaltsangabe)

Den Glauben an Engel, Genien als Vermittler zwischen den Göttern und den Menschen hat es schon in Persien gegeben.
Die alte jüdische Tradition kannte zehn Stufen von Engeln (Cherubim). In der christlichen Religion ist aus dem Sturz der Engel die Hölle gebaut. Papst Gregor II. hat die zehn von den Juden anerkannten auf neun Stufen verringert. Die Engel und die Erzengel malen wir in Gestalt junger Leute mit zwei Flügeln am Rücken. Duns Scotus hat tausend Millionen Engel gezählt.

Voltaire listet noch etliche einfältige Engelsgeschichten aus der Bibel und aus der christlichen Exegese auf. Mit Spott hält er sich bei diesem lustigen Thema auffällig zurück, läßt lieber den Wahnsinn selbst zu Wort kommen, seine Kutte ablegen und ins Licht treten – so kann ihm niemand vorwerfen, er habe die Kirche oder die christlich-jüdische Religion angegriffen. Er schließt:
„Ziehen Sie zu dieser Frage die Summa des heiligen Thomas heran. Man weiß nicht genau, wo die Engel sich aufhalten, ob in der Luft, im Leeren oder auf den Sternen. Gott wollte nicht, dass wir davon wissen.“

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Amour nommé socratique – Homosexualität (Inhaltsangabe)

Voltaire überlegt, wie es zu einer der Fortpflanzung widersprechenden Veranlagung kommen kann. Es ist keine geistige Störung. Die homosexuelle Veranlagung zeigt sich schon früh, eher beim Mann als bei der Frau. Vielleicht ist es fehlgeleiteter Instinkt, der einen Mann verleitet, ein männliches Kind für ein weiblichen Wesen, das das eigentliche Ziel wäre, zu halten? „Man huldigt dem Sex, in dem man sich an das bindet, was die Merkmale der Schönheit besitzt und wenn das Alter die Ähnlichkeit zum Verschwinden bringt, besteht der Irrtum fort“. Ob die Griechen die homosexuelle Liebe förderten oder zumindest tolerierten? Dass sie ein Heer, das aus homosexuellen Paaren bestand, unterhielten, spricht dafür. Ein Gesetz, das aber die Knabenliebe empfiehlt, hat es nicht gegeben. Allein aus der Tatsache, dass etwas geschieht, gemacht wird, kann man nicht, wie Sextus Empiricus es tut, darauf schließen, dass es gesetzlich erlaubt war. Wenn Sextus Empiricus unserer Tage lebte und zwei oder drei Jesuiten einige ihrer Schüler missbrauchen sähe, hätte er deshalb das Recht zu sagen, dass dieses Spiel durch die Regeln Ignatius von Loyolas erlaubt sei? Gewiss nicht. Voltaire weist darauf hin, dass, obwohl die Knabenliebe in Rom weit verbreit war, sie nicht von Gesetzes wegen erlaubt gewesen ist, eher im Gegenteil. Unter Philipp wurde sie endgültig verboten und alle kleinen Jungen, die als Lustknaben ihr Geld verdienten, wurden aus Rom hinausgejagt.

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Amour propre – Eigenliebe (Inhaltsangabe)

Den Inhalt dieses kurzen Artikels hat Voltaire selbst zusammengefasst: „Die Eigenliebe ist das Instrument zu unserer Selbsterhaltung und dem Instrument zu unserer Fortpflanzung ähnlich: sie ist uns unentbehrlich, sie ist uns teuer, sie bereitet uns Vergnügen und – man muss sie verstecken“.

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Amour – Liebe (Inhaltsangabe)

Der Artikel beginnt mit einer bemerkenswerten Feststellung: „Hier muss man über Körperliches sprechen, denn Liebe ist ein Stoff aus der Natur, den die Phantasie bestickt hat“. Voltaire zeigt an einigen Beispielen, wie stark der Trieb bei den Tieren ist, wie beeindruckend deren Kraft, Schönheit, Zwanglosigkeit, Schnelligkeit sind: zum neidisch werden, gewissermaßen! Aber die Vorteile der menschlichen Gattung entschädigen in der Liebe für alles, was die Natur den Tieren mehr gab: Während diese meist nur mit einem einzigen Sinn lieben, ist bei den Menschen der ganze Leib empfindsam; wir genießen eine Wollust, die um nichts ermüdet, wir können uns jederzeit der Liebe hingeben, während die Tiere nur einen begrenzten Zeitraum haben. Wenn leider durch der Syphilis gerade die Organe unserer Lust befallen werden, ist das ein Grund, „die Natur anklagen, ihr eigenes Werk zu verderben, ihrem eigenen Plan zu widersprechen, gegen ihre Absichten zu handeln“. Ist dies die beste aller Welten? Voltaire: „Man sagt, die Dinge wurden so zum Besten eingerichtet: ich möchte es glauben, aber es fällt schwer“.

Luxus (Originaltext)

Wir geben hier den Artikel Luxe aus der ersten Ausgabe des Philosophischen Wörterbuchs von 1764 wieder.




On a déclamé contre le luxe depuis deux mille ans, en vers et en prose, et on l’a toujours aimé.

Que n’a-t-on pas dit des premiers Romains? Quand ces brigands rangèrent et pillèrent les moissons; quand, pour augmenter leur pauvre village, ils détruisirent les pauvres villages des Volsques et des Samnites, c’étaient des hommes désintéressés et vertueux: ils n’avaient pu encore voler ni or, ni argent, ni pierreries, parce qu’il n’y en avait point dans les bourgs qu’ils saccagèrent. Leurs bois ni leurs marais ne produisaient ni perdrix, ni faisans, et on loue leur tempérance.
Quand de proche en proche ils eurent tout pillé, tout volé du fond du golfe Adriatique à l’Euphrate, et qu’ils eurent assez d’esprit pour jouir du fruit de leurs rapines; quand ils cultivèrent les arts, qu’ils goûtèrent tous les plaisirs, et qu’ils les firent même goûter aux vaincus, ils cessèrent alors, dit-on, d’être sages et gens de bien.
Toutes ces déclamations se réduisent à prouver qu’un voleur ne doit jamais ni manger le dîner qu’il a pris, ni porter l’habit qu’il a dérobé, ni se parer de la bague qu’il a volée. Il fallait, dit-on, jeter tout cela dans la rivière, pour vivre en honnêtes gens; dites plutôt qu’il ne fallait pas voler. Condamnez les brigands quand ils pillent; mais ne les traitez pas d’insensés quand ils jouissent. De bonne foi, lorsqu’un grand nombre de marins anglais se sont enrichis à la prise de Pondichéri et de la Havane, ont-ils eu tort d’avoir ensuite du plaisir à Londres, pour prix de la peine qu’ils avaient eue au fond de l’Asie et de l’Amérique?
Les déclamateurs voudraient qu’on enfouît les richesses qu’on aurait amassées par le sort des armes, par l’agriculture, par le commerce, et par l’industrie. Ils citent Lacédémone; que ne citent-ils aussi la république de Saint-Marin? Quel bien Sparte fit-elle à la Grèce? Eut-elle jamais des Démosthène, des Sophocle, des Apelle, et des Phidias? Le luxe d’Athènes a fait des grands hommes en tout genre; Sparte a eu quelques capitaines, et encore en moins grand nombre que les autres villes. Mais à la bonne heure qu’une aussi petite république que Lacédémone conserve sa pauvreté. On arrive à la mort aussi bien en manquant de tout qu’en jouissant de ce qui peut rendre la vie agréable. Le sauvage du Canada subsiste et atteint la vieillesse comme le citoyen d’Angleterre qui a cinquante mille guinées de revenu. Mais qui comparera jamais le pays des Iroquois à l’Angleterre?
Que la république de Raguse et le canton de Zug fassent des lois somptuaires, ils ont raison, il faut que le pauvre ne dépense point au delà de ses forces; mais j’ai lu quelque part.

Sachez surtout que le luxe enrichit
Un grand État, s’il en perd un petit.

Si par le luxe vous entendez l’excès, on sait que l’excès est pernicieux en tout genre, dans l’abstinence comme dans la gourmandise; dans l’économie comme dans la libéralité. Je ne sais comment il est arrivé que dans mes villages où la terre est ingrate, les impôts lourds, la défense d’exporter le blé qu’on a semé intolérable, il n’y a guère pourtant de colon qui n’ait un bon habit de drap, et qui ne soit bien chaussé et bien nourri. Si ce colon laboure avec son bel habit, avec du linge blanc, les cheveux frisés et poudrés, voilà certainement le plus grand luxe, et le plus impertinent; mais qu’un bourgeois de Paris ou de Londres paraisse au spectacle vêtu comme ce paysan, voilà la lésine la plus grossière et la plus ridicule.

Est modus in rebus, sunt certi denique fines,
Quos ultra citraque nequit consistere rectum.

Lorsqu’on inventa les ciseaux, qui ne sont certainement pas de l’antiquité la plus haute, que ne dit-on pas contre les premiers qui se rognèrent les ongles et qui coupèrent une partie des cheveux qui leur tombaient sur le nez? On les traita sans doute de petits-maîtres et de prodigues qui achetaient chèrement un instrument de la vanité, pour gâter l’ouvrage du Créateur. Quel péché énorme d’accourcir la corne que Dieu fait naître au bout de nos doigts! C’était un outrage à la Divinité. Ce fut bien pis quand on inventa les chemises et les chaussons. On sait avec quelle fureur les conseillers, qui n’en avaient jamais porté, crièrent contre les jeunes magistrats qui donnèrent dans ce luxe funeste.

Philosophisches Taschenwörterbuch:
Luxe – Luxus (Inhaltsangabe)

Der Artikel ist ersichtlich gegen die christliche Enthaltsamkeitslehre und ihren Hass auf alles, was Spaß und Freude bereitet, gerichtet. Voltaire meint, dass sie damit die menschliche Natur selbst bekämpft: „All diese Predigten reduzieren sich darauf, zu zeigen, dass ein Dieb niemals das Abendessen, das er nahm, essen dürfe, noch die geraubte Kleidung tragen, noch sich mit dem gestohlenen Ring schmücken dürfe. Man soll – sagt man – alles in den Fluss werfen, wenn man als ehrlicher Mensch leben will – sagt doch lieber, dass man nicht stehlen soll! Verurteilt die Straßenräuber, wenn sie rauben, aber behandelt sie nicht als Dummköpfe, wenn sie genießen.“ Luxus ist für Voltaire das, was jenseits der Mühen des Alltags unser Leben lebenswert macht und ist Voraussetzung einer humanen Gesellschaft. Um davon richtig viel zu bekommen, muss eine Gesellschaft groß genug sein (sonst reicht der ‚Überschuß’ nicht aus, so der Gedanke, um große Philosophen, Künstler Schriftsteller oder auch Wissenschaftler hervorzubringen). Er schließt seinen Artikel mit einer vollen Breitseite gegen die christlichen Philister und ihre Würdenträger: „Als man die Schere erfand, und das war gewiss nicht im finstersten Altertum, was sagte man da nicht alles gegen die ersten, die sich die Nägel schnitten und den Teil der Haare, der ihnen bis über die Nase hingen? Man behandelte sie zweifellos als Angeber und Aufschneider, die sich für viel Geld einen Gegenstand der Sünde kauften, um das Werk des Schöpfers herabzusetzen. Welch ungeheure Sünde, die Nägel zu kürzen, die Gott am Ende der Finger wachsen lässt. Das war Gotteslästerung. Noch schlimmer war es, als man Hemden und Socken erfand. Man weiß, mit welchem Hass die Räte, die solches nie getragen hatten, gegen junge Magistrate hetzten, die sich in diesem verderblichen Luxus zeigten.“

Philosophisches Taschenwörterbuch:
Âme-Seele (Inhaltsangabe)

Natürlich steht der Luftikus der ‚Seele‘, als zentrales Konzept des Christentums am Anfang des Philosophischen Wörterbuchs, direkt nach dem Artikel über Abraham, den Gründervater, dessen Geschichte Voltaire genüßlich zerpflückt.

Voltaire, seiner Devise folgend, fragt erst einmal nach dem, was wir selbst wissen können, wenn wir über die Seele sprechen und findet, daß dieser Begriff äußerst inhaltsleer ist, oft nur ein anderes Wort für Leben oder Geist.

Was wissen wir also über die Seele, was bedeutet der Begriff?:

Könnte man in die eigene Seele blicken, wäre dies eine gute Sache. ‚Erkenne Dich Selbst“ ist eine vortreffliche Verhaltensregel, aber nur Gott vermag sie anzuwenden, denn wer außer ihm wäre in der Lage, sein eigenes Wesen zu erkennen? ‚Seele’ nennen wir, was mit Leben erfüllt. Mehr wissen wir, weil unser Verstand beschränkt ist, leider nicht. Drei Viertel der Menschheit geht darüber nicht hinaus und hat an der Seele kein Interesse, das andere Viertel sucht und findet nichts, noch wird jemals irgend jemand etwas finden.

Voltaire lässt auf diesen Hinweis eine harsche Kritik an den Philosophen folgen: sie erfinden immerzu Begriffe, die mehr verdecken als erklären, so wie ‚Wachstum‘, ‚Kraft‘,  oder ‚Instinkt‘. Und da zur Seele nicht das Geringste bekannt ist, haben sie den Begriff zergliedert (nach der Regel: ‚Man muss das differenziert sehen‘), aber dabei nicht mehr herausgefunden, im Gegenteil. Wenn man aber nichts über die Seele weiß, wie konnten dann die Alten an einem solchen Begriff festhalten? Und erst die Kirchenväter! Auch die Juden des Alten Testaments haben die Seele, das zeigen die fünf Bücher Mose, nicht gekannt.

Ist die Seele materiell oder immateriell? Wie wirkt die Seele (als eine unbekannte Kraft, zu fühlen und zu denken) auf den Körper ein? Offenbar findet sie an den inneren Organen wie dem Magen ihre Grenze, ihnen vermag sie nichts zu befehlen („doch befiehlt sie ihrem Herzen nicht, zu schlagen…“).

Der Artikel schließt:

Erst seit 1700 Jahren ist man sich der Existenz der Seele und der Unsterblichkeit gewiss. Cicero hatte nur Vermutungen, seine Enkel konnten die Wahrheit von den ersten Galiläern, die nach Rom kamen, erfahren. Aber vor dieser Zeit und auch danach sagte jedermann auf der ganzen übrigen Welt dort, wo die Apostel nicht hinkamen, zu seiner Seele: „Wer bist du, woher kommst du, was tust du, wohin gehst du?“ Du hast etwas an dir, das denkt und fühlt, aber auch wenn du hunderttausend Millionen Jahre fühlst und denkst, wirst du doch niemals aus eigener Erkenntnis, ohne die Hilfe eines Gottes, mehr darüber wissen können. Oh Mensch, dieser Gott hat dir den Verstand gegeben, damit er dich gut leite, aber nicht, damit du in das Wesen der Dinge vordringst, die er geschaffen hat.

Wenn Voltaire uns rät, dass man nicht „in das Wesen der Dinge eindringen soll“, nachdem er gezeigt hat, dass dem Luftikus ‚Seele‘ in der Realität nichts entspricht, was über die Begriffe ‚Denken‘ und ‚Fühlen‘ hinausgeht, ist die Ironie in seinem Ratschlag unverkerkennbar. Warum hält man an dem Begriff so eisern fest? Voltaires Schlußsatz identifiziert den Begriff vollends als kirchliche Erfindung, an die man nur glauben kann, wenn man den Verstand abschaltet. Das ist seine Funktion, seine raison d’être.

Philosophisches Taschenwörterbuch:
Âme-Seele (Kommentare)

Hintergrund:
Mit dem Thema ‚Âme (Seele)‘ hat sich Voltaire immer wieder befasst; in seinen ‚Mélanges‚ (1751) findet sich ein Abschnitt zur Seele, 1759 publizierte er in Grimms Corréspondance litteraire einen Artikel mit dem Titel ‚De l’antiquité du dogme de l’immortalité de l’âme‚, den er 1765 in seine Nouveaux mélanges Bd 3 einfügte . 6 Jahre später, in seinem 9 bändigen Werk ‚Questions sur l’Encyclopédie‘ (1770) hatte er den Artikel beträchtlich erweitert, und zwar um die Abschnitte über die Seele bei John Locke, die Seele der Tiere, die Unsterblichkeit, die Auferstehung, die Seele der Geisteskranken; Themen, die zwar bereits in unserem Artikel von 1764 anklingen, jedoch, dem Charakter eines Taschenwörterbuchs entsprechend, nur kurz und knapp. Es geht um das Unsterblichkeitsdogma des Christentums, das Weiterleben nach dem Tod und um das Thema des Leib-Seele Dualismus, wie sie zu seiner Zeit in der Nachfolge von René Descartes Meditationes de prima philosophia (1641) diskutiert wurden. Voltaire bestreitet die unabhängige Existenz einer Seele. Er identifiziert das, was in zahlreichen Schriften über sie gesagt wurde (und heute noch wird – siehe etwa die nicht enden wollende Auflistung in Eislers Philosophischem Wörterbuch oder den lindwurmartigen Artikel bei wikipedia) mit dem Denken und Fühlen, beides nicht nur menschliche, sondern auch tierische Fähigkeiten, die nicht unabhängig von der Materie, dem Körper sind und mit ihm in die unendliche materielle Welt eingehen.

Die Voltaire Foundation erwähnt folgende Autoren, auf deren Werke sich Voltaire bezog: Jean Lévèsque de Buriny (Théologie payenne..1754), Claude Yvon (Art. Âme i.d. Enzyklopädie, 1752), Isaac de Beausobre (Histoire de Manichée, 1734-1739), La Mettrie (Histoire naturelle de l’Âme), Dom Calmet (Dissertations sur la nature de l’Âme) und das Dictionnaire de Trévoux (Art. Âme) sowie diverse materialistischen Schriften verbotener französischer Autoren seiner Zeit.

Die folgenden Kommentare zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020): :

Anmerkung 1 (Seite 19: „…et tu dis esprit – und du sagst Geist“): die vegetative, fühlende, die denkende Seele sind die Kategorien der klassischen und scholastischen Philosophie -> Aristoteles (De anima – Von der Seele) , Th. v. Aquin (Summa theologica).

Anmerkung 2 („…Lehrmeister Alexander des Großen“): nach Diogenes Laertus (Leben Aristoteles) war Aristoteles der Lehrer Alexanders.

Anmerkung 3 ( S.20, 1. Absatz: „Epikur sagte, dass es Atome sind, die in uns denken“): Dies bezieht sich auf Lukrez, Von der Natur, III.183

Anmerkung 4 (S.20 unten: das Argument, dass die Seele immateriell sei, weil sie nicht teilbar ist): Nach Voltaire hat Materie auch immaterielle Eigenschaften, etwa die Schwerkraft, die ebenfalls nicht teilbar ist. Daher trägt das Argument der Unteilbarkeit nichts zur Klärung der Natur der Seele bei. Dieses Argument brachte Voltaire bereits in seinem Brief vom Juni 1735 an Tournemine, einem Jesuiten. Dort führt Voltaire auch aus, dass er die Seele als materiell ansehe, was nicht bedeute, dass er der Meinung sei, dass sie mit dem Tod untergehe. Im Gegenteil stehe für ihn fest, dass Materie niemals untergehe, also auch nicht die als materiell aufgefasste Seele.

Anmerkung 5 (S.21, 1. Absatz: „Die Kraft, die Körper bewegt..“): Voltaire befasste sich mit diesem Thema in seinem Artikel Doutes sur la mésure des forces motrices et sur la nature, die er 1741 der Akademie der Wissenschaften vortrug. Außerdem in seinem Enzyklopädie-Artikel ‚Mouvement‘, wo in Dialogform diskutiert wird, ob die Bewegung eine wesentliche Eigenschaft der Materie ist (warum kann Materie dann ruhen?), welche Kraft die Bewegung verursacht, ob auf der Erde die Summe aller bewegenden Kräfte immer gleich ist.

Anmerkung 6 (S.22, letzter Absatz: Dass die Seele seit eh und jeh erschaffen ist, immer gleich und ewig): Dies meint, wie Platon, auch Leibniz (Theodizee 1.Abschnitt,91): „Ich glaube deshalb, dass alle Seelen, die einmal menschliche Seelen werden, wie auch die der andern Arten von Geschöpfen, in dem Samen und in den Vorfahren bis zu Adam schon bestanden und daher seit Anfang der Dinge immer in der Weise eines organischen Körpers bestanden haben. In diesem Punkte scheinen Herr Swammerdam, der Pater Malebranche, Herr Bayle, Herr Pitcarne, Herr Hartsocker und viele andere gelehrte Männer meine Ansicht zu theilen; auch ist diese Lehre durch die mikroskopischen Beobachtungen des Herrn Leuwenhoek und anderer guter Beobachter genügend bestätigt worden“. 

Anmerkung 8 (S.25 „Esst keine unreinen Vögel, wie den Adler, den Greif, den Ixion“): Das Essen des Greifen und des Ixion, Vögel, die es gewiss nicht gibt, zu verbieten, erregt Voltaires Heiterkeit. Allerdings geht der Name Ixion – erklärt die Voltaire Foundation (Oeuvres 35, S.313) – auf einen Übersetzungsfehler vom Hebräischen ins Griechische zurück und bedeutete ursprünglich ‚Milan‘ (gr. Ixtios). Wie aber der Greif hineinkommt, erklärt sie nicht. In der deutschen Lutherbibel von 1912 stehen nach dem Adler eine ganze Reihe unreiner Vögel, darunter kein Greif und kein Ixion.