Voltaire begann schon früh in Reimen und in verschiedenen Versmaßen zu schreiben und brachte es darin zu beachtlicher Meisterschaft. Er verfasste unzählige Gedichte, die er einzeln veröffentlichte oder in seine Korrespondenz einschloss. Jenseits seiner lyrischen Kunstwerke war er jederzeit in der Lage, frei in Reimen zu sprechen und zu schreiben.
Die Gedichte Voltaires sind sehr selten ins Deutsche übersetzt worden. Es gibt nur eine einzige Sammlung mit Übersetzungen der Gedichte:
Gedichte Voltaires, Deutsch von Hermann Burte [d.i. Hermann Strübe]
München Berlin 1935 (Oldenbourg) 69 S. (enthält unter anderem Übersetzungen der Gedichte: Adieux à la Vie; Au M. le Cardinal Querini; Des Vous et des Tu; A madame la duchesse de Choiseul, sur la fondation de Versoy; Stances irrégulières. A Son Altesse Royale la princesse de Suède, Ulrique de Prusse, soeur de Frédéric le Grand).
Im Übrigen sei an dieser Stelle die Voltaire-Biographie von Theodore Besterman empfohlen, die zahlreiche Auszüge aus den Gedichten in deutscher und französischer Sprache enthält. Wir stellen im Folgenden einige der wichtigen Gedichte Voltaires vor.
Inhaltsverzeichnis
A. Einige antiklerikale Gedichte Voltaires
Le pour et le contre ‚Epitres à Uranie‘ 1722.
Erstmals gedruckt um 1733, von Voltaire zuerst selbst veröffentlicht in der Werkausgabe von 1772.
Mit diesem Gedicht zeigt Voltaire seiner damaligen Geliebten, der Madame de Rupelmonde, die Absurdität des Christentums und versucht sie von der Überlegenheit einer religionsunabhängigen, humanistischen Morallehre zu überzeugen. Das Gedicht Das Für und das Wider in unserer deutschen Übertragung
dt.: Das Für und das Wider
Das Für und das Wider in: Ein Lesebuch, herausgegeben von Martin Fontius, Berlin und Weimar:Aufbau, 1989 Band 1: S.3 – 7
L’Ode sur la mort de Mlle Lecouvreur 1730.
Voltaires bewegende Anklage an die Pariser gute Gesellschaft und an die Kirche, die es zu verantworten hatten, dass die zu Lebzeiten gefeierte Schauspielerin Adriane Lecouvreur, mit der Voltaire eng befreundet war, nicht einmal ein ordentliches Begräbnis erhielt und ihr Leichnam nahe der Seine auf einem Acker verscharrt wurde.
dt.: Ode über den Tod Adrienne Lecouvreurs
– hier erstmals vollständig übersetzt (2005): die Ode über den Tod von Adriane Lecouvreur– auszugsweise, in: Theodore Besterman, Voltaire, München: Winkler 1969, S130f
Le Mondain ou l’apologie du luxe, 1736.
Erstmals erschienen in Oeuvres, Amsterdam 1745. Voltaire verteidigt in diesem Gedicht die Vorzüge der Moderne, des Luxus, von Seife und Körperhygiene, die die Sexualität angenehmer machen und zieht sich den Hass der Kirche zu, weil er den Luxus dem Naturzustand Adam und Evas vorzieht. Er flieht vor der Staatspolizei nach Holland.
dt.: Die Verteidigung des Luxus
– auszugsweise übersetzung hier: Adam und Eva– eine ausführliche Besprechung: Was die Kirchen ärgert – die Verteidigung des Luxus bei Voltaire
– Das Weltkind, in: Voltaire’s Werke in zeitgemäßer Auswahl. 12 Theile in drei Bänden, Deutsch von A. Elissen, Leipzig: Wigand, 1844 – 1845, Band 3, S. 295-305, sowie: Vertheidigung des Weltkindes S.308-313
– Das Weltkind, in: Ein Lesebuch, herausgegeben von Martin Fontius, Berlin und Weimar: Aufbau 1989, Band 1, S.7 – 12
Poeme sur le desastre de Lissabonne, 1755.
Das Gedicht ist Voltaires Reaktion auf das Erdbeben von Lissabon vom 1. November 1755, das die Stadt zerstörte und Tausende das Leben kostete. Voltaire nimmt das Erdbeben zum Anlass, Leibnitz‘ Lehre von der besten aller Welten sowie den Optimismus mit seinem „Alles ist gut“ (Pope) als Lebenseinstellung ad absurdum zu führen. Er greift außerdem die Anhänger der göttlichen Vorsehung an – sollen sie angesichts der Leiden und des Todes so vieler Unschuldiger doch erklären, wie ein göttlicher Wille beschaffen sein müsste, der solches nicht verhindert. Natürlich wurde das Gedicht verboten und 1759 öffentlich verbrannt. Auf Voltaires Gedicht antwortete J.J.Rousseau mit seinem unsäglichen „Discours sur l’origine de l’inégalité parmi des hommes“.
dt.: Das Erdbeben von Lissabon
– Das Erdbeben von Lissabon (auszugsweise), in: Voltaire’s Werke in zeitgemäßer Auswahl. 12 Theile in drei Bänden, Deutsch von A. Elissen, Leipzig 1844 – 1845 (Wigand ). Band 1.1: S.204-227
Aufgrund vieler Nachfragen stellen wir nachfolgend das Gedicht in der Übersetzung von A.Ellisen zur Verfügung:
– (auszugsweise) in: Dieter Hildebrandt,: Voltaire, Candide, Dichtung und Wirklichkeit, Frankfurt a. M. 1963 (Ullstein), S. 140 – 143
B. Andere Gedichte
Le Temple du Goût 1733.
bei Jore in Rouen erschienen. Es handelt sich um eine Literatur- und Kunstkritik vieler Werke der Zeit. Voltaire erzählt, wie er einmal die Gelegenheit bekam, in das Heiligtum der Gottheit des guten Geschmacks zu gelangen, wer unter denen war, die an der Tür kratzten, aber nicht hinein durften und wen er dort im Allerheiligsten antraf. Die kleine Schrift, halb in Prosa, halb in Versen, ist sehr launig geschrieben und hat Voltaire zahlreiche Feinde eingetragen.
dt.: Tempel des guten Geschmacks
– Tempel des guten Geschmacks und der Freundschaft, Gotha: Mervius 1750, S. 64 – 122
– in: Kritische und satirische Schriften, übertragen von Karl August Horst, Joachim Thimm und Liselotte Ronte und einem Nachwort von Fritz Schalk, München 1970 (Winkler), S. 5 – 29
Discours en vers sur l’homme, 1734.
Erstmals erschienen in Oeuvres, Amsterdam 1745. Versdichtung in 7 Teilen, die die großen Fragen der Gleichheit der Menschen, des Glücks und der besten Gesellschaftsform behandeln. Allen, die Voltaire übergroße Sympathie für die Monarchie unterstellen, sollten sich den Beginn der 3. Abhandlung zu Gemüte führen: „Wenn der Mensch geschaffen ist, frei zu sein, muss er sich selbst regieren, wenn der Mensch Tyrannen hat, muss er sie stürzen“. Diese beiden Verse werden auf dem Karren stehen, der 1791 Voltaires sterbliche Überreste von Sellières nach Paris ins Panthéon bringen wird.
dt.: Rede in Versen über den Menschen
– Abhandlungen in Versen über den Menschen, In Prosa übersetzt von A. R., Leipzig 1771
À Madame du Châtelet, 1741.
Aus einem Brief an Cideville (Voltaires Klassenkamerad und Freund) vom 11.7.1741. In dem Gedicht betrauert Voltaire, dass das Feuer seiner jugendlichen Leidenschaft zu Émilie du Châtelet erloschen ist, als Trost aber verspricht er ihr andauernde Freundschaft.
dt.: An Madame du Châtelet
– An Madame du Châtelet, in: Wladimir von Hartlieb, Französische Lyrik, Dichtung der Zeit, Salzburg: Stifterbibliothek 1954 – ist eine sehr schöne Übertragung des Gedichts in Reimen.
Poème de Fontenoy, 1745.
Erstmals erschienen in zahlreichen Varianten 1745. Das Gedicht handelt vom französischen Sieg in der Schlacht bei Fontenoy (Belgien), der unter Moritz von Sachsen am 11.Mai 1745 und im Beisein von Ludwig XV errungen wurde. Es wurde vielfach aufgelegt, kopiert und markiert den der Höhepunkt der höfischen Karriere Voltaires.
dt.: Gedicht auf Fontenoy
– Gedicht auf den bei Fontenoi erfochtenen Sieg, aus dem Französischen übersetzt, o.O., 1745
C. Libretti
Samson, Opéra en cinq actes, 1733.
Erschien erstmals in der Werkausgabe, Bd 6, Ètienne Ledet. [digitalisat]
Voltaire bearbeitete im Auftrag Rameaus den bekannten und gruseligen Samson-Text aus der Bibel (Richter, 16). Er nutzte die Gelegenheit, um den religiösen Fanatismus und die Verlogenheit, die keine Gemeinheit scheut, bloßzustellen. Sehr viel ändern brauchte er dafür an dem Text nicht. Die Geschichte endet mit einem Inferno, das als Blaupause für den Einsturz der Twintowers am 11. September in New York gedient haben könnte. Selbstverständlich wurde das Werk als gotteslästerlich verboten. (Siehe auch wikipedia, Samson von Voltaire). Durch das Verbot der königlichen Zensurbehörde kam das Werk nie zur Aufführung, Rameau baute allerdings seine Samson-Komposition in einigen anderen seiner Werke ein.
Erst 2024 rekonstruierten Raphaél Pichon und Otto Guth auf dem Festival von Aix en Provence (17.3.-23.3.2024) die Oper unter Verwendung der möglichen musikalischen Versatzstücke von Rameau (Samson and the Aix festival).
Eine weitere Auferstehung feierte die Oper am 7.9.2024 in Mainz, wo der deutsche Komponist Anselm Breuer das Libretto von Voltaire verwendete, um eine eigene, in barocker Manier komponierte Oper aufzuführen.