Voltaire hat selbst über sein Leben nur einen kurzen Text hinterlassen (die Mémoires) – er handelt vor allem von seiner Zeit in Berlin und ist erst nach seinem Tod erschienen. Zu Theophile Duvernet, seinem ersten Biographen, hatte er wohl persönlichen Kontakt, stand aber dessen Projekt eher ablehnend gegenüber, so erschien diese erste Biographie erst nach Voltaires Tod. Lange Zeit war die mehrbändige Biographie Desnoiresterres das Standardwerk schlechthin, heute gilt als maßgebliches Werk die Biographie von Réné Pomeau (1985) in zwei Bänden. Auf Deutsch ist der verbreiteten Biographie Orieux die des Voltaireforschers Theodore Bestermann vorzuziehen, die wir allen Lesern auch als Einführung in das Werk Voltaires empfehlen.
Inhaltsverzeichnis
Deutsch
Zabuesnig, Joh. Chr. v. Historische und kritische Nachrichten von dem Leben und den Schriften des Herrn Voltaire und anderer Neuphilosophen unserer Zeiten, Augsburg: Veith, 1777, 2.Bd, 352 u. 453 S.
Zabuesnig, ein Geschäftsmann, Literat und Theologe aus Augsburg, schrieb die erste Voltaire Biographie überhaupt. Sie ist verfasst, um dem deutschen Publikum zu zeigen, welch schlechten Charakter Voltaire hat und dass somit seine Schriften nicht viel besser sein können. Insofern gehört ihm das zweifelhafte Verdienst zu, der Gründervater der vereinigsten ‚Voltairefresser‘ in Deutschland zu sein. Von G. Stenger aus Nantes stammt ein Artikel in der Revue Voltaire no. 20, 2021 in dem er diese Biographie und ihre Quellen einordnet (S.119 ff, in frz. Sprache).
Anonymus, Leben des Herrn von Voltaire, Marquis zu Fernei, nebst einer Anzeige seiner vornehmsten Schriften, o.O. [Halle], 1778, 122 S.
Diese Biographie will dem deutschen Publikum Voltaires Leben und Werk nahebringen. Der Autor übersetzt zahlreiche Textstellen, auch aus Gedichten Voltaires. Das kleine Werk ist noch heute lesenswert und kann digital online in der Dresdener digitalen Bibliothek SLUB gelesen werden.
Voltaire, Mémoires
sind zuerst 1784 unter dem Titel: Das Privatleben des Königs von Preußen, oder Nachrichten vom Leben des Herrn von Voltaire, von ihm selbst geschrieben in Leipzig, Kummer Verlag (Fromm 270739), erschienen. Neuere, antiquarisch noch erhältliche Ausgaben sind:
– Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Herrn de Voltaire, aufgezeichnet von ihm selbst, Berlin: Das neue Berlin 1958, 129 S. übersetzt von Hans Balzer mit einem Nachwort von Hans Lothar Teweleit. Eher spärliche Anmerkungen, das Nachwort ist klar auf der Seite Voltaires.
– Voltaire, Über den König von Preußen, Memoiren, herausgegeben und übersetzt von Annelise Botond, Frankfurt/Main: Insel 1967, 149 S. Guter Anmerkungsapparat, das Nachwort sehr freundlich zu Friedrich und meint, die Memoiren würden nicht zur Ehre Voltaires gereichen…
Duvernet, Th. Im., Lebensbeschreibung Voltaire’s von M*** Nürnberg: Stiebner 1787 346 S. .
Erste Biographie Voltaires in französischer Sprache. Duvernet hatte mit Voltaire Kontakt aufgenommen, wurde aber von diesem nicht unterstützt (s.u. im frz. Teil)
[Condorcet, Nicolas], Leben Voltaires von dem Marquis de Condorcet mit den Autobiographischen Nachrichten Voltaires und Rechtfertigungsstücken Berlin: Unger 1791, 540 S.
Condorcet teilt wie Duvernet die antiklerikale Position Voltaires.. Die Biographie beschließt als 70. Band die Kehler Gesamtausgabe, an der Condorcet, vor allem beim Verfassen der Anmerkungen, mitgearbeitet hat.
„Voltaire“, in: Wörterbuch der Liebe, Leipzig: Im Industrie-Comptoir, 1824, S.334-338 [übers. aus: Mouchet,J.P., Dictionnaire contenant les anecdotes historiques de l’amour depuis le commencement du monde jusqu’a ce jour, 2. éd., revue, corrigée et augmentée par l’auteur, Troyes: Gobelet, 1811, 5 vols].
Diese frühe, Voltaire durchaus wohlgesonnene Lebensskizze ist in dem sog. Wörterbuch der Liebe‘, das wohl eher erotische Interessen der deutschen Leser bedient, enthalten und konzentriert sich ‚auf das Herz‘ Voltaires. Erzählt wird die Liebschaft mit Pimpette und eine Anekdote aus der Beziehung mit Emilie du Châtelet. Gleichwohl enthält der Text diese schöne Einleitung: „..dass es sehr selten ist, einen Kopf zu finden, der … die Albernheiten der Welt so sehr geißelte, dass es ihm noch heutzutage von den sogenannten Frommen nicht vergeben und darum noch immer mit – ohnmächtigem Feuer gegen ihn gewütet wird, wo die Dummheit und das Pfaffenwesen für einen Augenblick die Oberhand behält“.
[Groß-Hoffinger, Anton Johann], Geist aus Voltaire’s Schriften, sein Leben und Werk, Stuttgart: Friedrich Brodhag, 1837, 472 S. .
Groß-Hoffinger (1808-1875) war ein östereicherischer Journalist des Vormärz. Er hinterließ ein – heute weitgehend vergessenes – umfangreiches Werk. Zu seiner Voltaire-Biographie, die sich mit Voltaire vor allem aus einer philosophischen Perspektive beschäftigt, heißt es im Biographischen Lexikon des Kaiserthums Österreich (1859): „Geist aus Voltaire’s Schriften, sein Leben und Wirken“ (Stuttgart 1835, Brodhag); erschien auch als: „Gallerie der berühmtesten Denker aller Zeiten und Länder“, I. Bd. Die übrigen Bände sollten Rousseau, Bayle, Diderot, d’Alembert, d’Argens, Mirabeau, Helvetius umfassen: aber nur Voltaire allein wurde und in 2. Titelaufl. (Ebenda 1837, mit Voltaire’s Bildniß) ausgegeben“.
Das Werk enthält nicht nur die Biographie (bis S.119), sondern auch, vom Verfasser neu übersetzt, die Romane Candide, Zaire, Memnon und diverse Aufsätze über Religion, Politik und Philosophie.
Strauss, D. Fr., Voltaire . Sechs Vorträge. Bonn 1877. 316 S.
Der kritische Theologe und Historiker Strauss (1808-1874), dessen Werk “Leben Jesu” die christliche Theologie erschütterte, setzt sich mit Voltaire in historisch-biographischer Absicht auseinander. Jedoch was den Konflikt zwischen Voltaire und Friedrich betrifft, mit Vorsicht gegenüber der preußischen Obrigkeit und am Ende seiner Vorträge mit einem kleinlich-moralisierenden Nachwort.
Mahrenholtz, Richard*), Voltaire’s Leben und Werke. Oppeln, Franck 1885.
2 Teile, 255 S. und 208 S..
Teil: Voltaire in seinem Vaterlande (1697 – 1750). 2. Teil:Voltaire im Auslande (1750 – 1778). Zu dem Werk existiert eine Online Ressource (archive).
*) Richard Mahrenholtz (1849 – 1909) war promovierter Historiker, Romanist und Gymnasiallehrer in Halle. Ab 1886 lebte er als Literaturhistoriker in Dresden. Zu Voltaire schrieb er außerdem: Voltaire im Urteile der Zeitgenossen, Oppeln 1883;
Schirmacher*), Dr. Käthe, Voltaire, Leipzig: O. R. Reisland 1898, 556 S.
Eine sehr lesenswerte Biographie der Romanistin und Frauenrechtlerin Käthe Schirmacher, leider nur noch antiquarisch und zu hohen Preisen erhältlich. Dies ist eine kritische Biographie, die es an der Anerkennung, der Achtung vor Voltaires Lebenswerk an keiner Stelle fehlen lässt. Sie vermittelt einen guten Überblick über das Werk, das Leben und die Kämpfe Voltaires und wird auch seiner Forderung gerecht, dass eine Biographie die äußeren gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht unberücksichtigt lassen darf. Deshalb beginnt ihr Werk mit einem Überblick über die maßgeblichen Gesellschaftsklassen des 18. Jahrhunderts.
*)Dr. Käthe Schirmacher (1858-1930) war eine der ersten deutschen Frauen, die promovierten, hat 1899 den Bund fortschrittlicher Frauenvereine, 1904 den Weltbund für Frauenstimmrecht mitbegründet. Sie ist leider während des ersten Weltkrieges zur deutschen Nationalistin geworden.
Korff, Hermann August*), Voltaire im literarischen Deutschland des XVIII. Jahrhunderts, Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes von Gottsched zbis Goethe, Heidelberg: Carl Winters, 1918, 834 S.
Das Werk ist eine umfangreiche Geschichte der Wirkung, die Voltaire auf das geistige Leben in Deutschland ausgeübt hat. Die Reaktionen der deutschen Schriftsteller, Philosophen, Literaten und weiterer Gesellschaftskreise zu schildern, stellt sozusagen eine gespiegelte Biographie Voltaires dar, in der sein Leben oft besser als in den Erzählungen der vielen „direkten“ Biographien zum Ausdruck kommt. Zudem ist das Werk, aus der Habilitation Korffs hervorgegangen, in einem sehr unterhaltsamen, beeindruckenden Stil geschrieben. Dieses Werk kann als die informativste unter allen deutschsprachigen Biographien Voltaires gelten, die je geschrieben wurden.
*)Hermann August Korff (1882-1963) war von 1925 bis 1956 Professor für Germanistik in Leipzig. Über sein Leben gibt es keine ausführlichere biographische Schrift. Eine Internetseite der Univ. Frankfurt berichtet über sein Leben und vermerkt, dass er ab 1910 konfessionslos war. Siehe auch Neue Deutsche Biographie.
Brandes*), Georg, Voltaire, Berlin: Reiss, 1923, 2 Bd. 376 S., 470 S.
Eine engagierte Voltairebiographie des großen dänischen Literaturwissenschaftlers Georg Brandes (1842-1927). Sie gehört zu den Werken, die nicht nur durch ihre emotionale Nähe zur Person des Beschriebenen gefallen, sondern darüber hinaus durch ihre eigene literarische Qualität bestechen. Wie Brandes schreibt, wie er dem Leser Voltaires Leben und Bedeutung nahebringt, wie er die Spannung in seiner Biographie von Anfang bis Ende aufrechterhält, fast lebt, ist unerreicht und begeistert.
*) Georg Brandes (1842-1927) ist einer der bedeutendste Literaturwissenschaftler und -kritiker Europas um 1900. In seinem Werk „Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrhunderts“ (1872 – 1890) fordert er von der Literatur die Abkehr vom abstrakten Idealismus und die Hinwendung zu progressiven Ideen mit dem Ziel, eine moderne, humane Gesellschaft aufzubauen. Er wurde zum wichtigsten Protagonisten des Naturalismus und förderte Ibsen, Strindberg und unterstützte später Nietzsche. Seine antiklerikale Haltung, seine libertäre Lebensführung und seine jüdische Herkunft standen einer universitären Karriere in Deutschland und auch in Dänemark zeitlebens entgegen.
Brailsford, Henry Noel , Voltaire, London: Henry Hold, 1935; deutsch: Voltaire, Reihe Weltbücher, Übersetzung v. Dr. Oda von Gal, Nürnberg: Nest, 1948, 175 S.
H.N. Brailsford (1873-1958) war ein einflussreicher englischer Journalist, der diese Voltaire Biographie schrieb, um sich in der Zeit des Faschismus am Beispiel Voltaires zu orientieren: „Die Welt, in der ich groß geworden war, geriet um mich ins Wanken. Alle Werte, Grundsätze, auf die sich ihre Kultur gründete, wurden durch dieses neue Barbarentum [er spricht natürlich vom Faschismus] herausgefordert. Der Ehrenkodex, die Regeln der Toleranz, die Achtung vor der Wissenschaft und dem objektiven Denken… dies alles wurde angegriffen, und wir hatten die Aufgabe, es zu verteidigen und wiederzugewinnen. Von wem sollten wir uns inspirieren lassen, wenn nicht von Voltaire?“.
In unserer Zeit, in der die Furie des Krieges Europa erneut heimsucht, ist das Buch von bemerkenswerter Aktualität.
Noyes, Alfred, Voltaire, London: Sheed & Ward, 1936; deutsch: Voltaire, Übersetzung v. Wolfgang Rüttenauer, München: Callwey 1958, TB-Ausgabe Augsburg 1976 (Heyne), 446 S.
Deutsche Übersetzung nach der Orginalausgabe in englischer Sprache 1936. Eine interessante Voltairebiographie des berühmten englischen Lyrikers Alfred Noyes (1880 -1957). Noyes beschreibt Voltaires Leben eingebettet in seine Zeit, die Zeit der sich ankündigenden bürgerlichen Revolution. Er tut dies brilliant, mit Elan und sehr beredt – nur seine Interpretation von Voltaires‘ antiklerikaler Haltung als Suche nach Gott liegt voll daneben. Sie ist ihrerseits Reflex von Noyes eigener Suche, die ihn aus der anglikanischen in den Schoß der katholischen Kirche führte. Trotzdem hat der Vatikan seine Voltairebiographie in Bann geschlagen – zu recht, denn sie ist – Religion hin oder her – voltairefreundlich und lesenswert.
Girnus, Wilhelm, Voltaire, Berlin/Leipzig: Volk und Wissen 1949, 88 S.
In der Reihe ‚Biographien‘ des renommierten DDR-Verlages erschienen. Wilhelm Girnus (1906 – 1985), verfolgt unter dem Naziregime, trat 1945 in die Leitung des Berliner Rundfunks ein, 1949 wechselte er als stellvertretender Chefredakteur zum Neuen Deutschland und übernahm von 1964 bis 1981 die Leitung der bedeutenden Literaturzeitschrift Sinn und Form. Seine Kurzbiographie ist vielleicht etwas schablonenhaft, jedoch flüssig geschrieben und wurde später durch die sehr viel materialreichere Schrift von T.Bergner ersetzt. Auf alle Fälle ist das kleine Büchlein ein interessantes Zeitdokument, denn Voltaire wird hier vor dem Hintergrund der Nazizeit gelesen – und verstanden.
Leithäuser, Joachim G, Er nannte sich Voltaire, Stuttgart: Cotta 1961, 375 S.
Spätere Neuauflage bei Phaidon, Essen o. J. diese nie langweilig geschriebene Biographie wird Voltaires fast unglaublicher Lebensleistung gerecht. Die bei Schirmacher so gute Darstellung der Gesellschaftsverhältnisse im 18. Jhdt. kommt etwas zu kurz, dadurch erscheinen manchmal Konflikte persönlich, wo sie es nicht sind. Ein Querschnitt durch die Briefe seines Lebens rundet das Buch ab. Derzeit antiquarisch noch recht gut erhältlich.
Orieux, Jean, Das Leben des Voltaire, aus dem Französischen von Julia Kirchner, Frankfurt/Main: Insel 1968, 991 S.
Das an Desnoiresterres angelehnte Buch leidet an seiner unerträglichen Erzählhaltung. Orieux meint andauernd, sich über Voltaire erheben zu müssen und ihm fehlt jegliches Verständnis für die Lage Voltaires in der Klassengesellschaft des 18. Jahrhunderts. Es ist ärgerlich, wie er Voltaire, der beim Kauf der Grafschaft Tournay endlich Sicherheit sucht und sie für einen stark überhöhten Preis erkaufen muss, einen Streithansel schilt, weil er sich vom Adligen Herrn de Brosses nicht alles gefallen lässt (So weit entfernt sind wir davon heute nicht, man denke an die überhöhten Kaufpreise, die Mitglieder der Scientologygemeinschaft zahlen mussten, um hinterher von Gerichtsprozessen überzogen zu werden, die ihnen das erworbene Gut, wenn nicht abspenstig, doch zumindest madig machen sollten, etwa durch Aufwiegelung der Mieter, so geschehen in Berlin). Orieux setzt den zwar reichen, jedoch verfolgten Voltaire mit den Herrschenden in eins – ein grober und beim Lesen unausstehlicher Mangel dieser Biographie. Hier ein Beleg für diese Behauptung: “Die Unehrlichkeit, Zanksucht dieser beiden kleinen, vom Teufel besessenen Männer, die – der eine vergraben in seiner Perücke, der andere unter seiner Pelzmütze – wütend ihre bösartigen Klagen hinkritzeln, ist ein bestürzendes Schauspiel” (668). Dass Orieux die Verfolgung Voltaires übersehen habe, kann nicht zu seiner Entlastung angeführt werden, wenige Seiten vorher berichtet er ausführlich über die für Voltaire schwierige Lage bei seiner Suche nach einem geeigneten Domizil im Elsass, verfällt aber später wieder dem aus der Voltairebiographie bekannten Muster, das einem schwierigen Charakter, einem streitsüchtigen Voltaire den Voltaire des Geistes gegenüberstellt und vertritt damit den Standpunkt des liberalen Hochadels des 18. Jahrhunderts. Leider ist Orieux außerdem an zahlreichen Stellen religiös voreingenommen, etwa wenn er das einmalige Werk Jean Mesliers als “schreckliches Manuskript” bezeichnet und Jean Meslier selbst einen “schlechten Priester” nennt, einen “Unglücklichen”, der seinen Glauben verloren habe (S.699). Oder wenn er über den zum Tode verurteilten Chevalier de la Barre (S.753) meint, dieser sei durch frühreife Lektüre verdorben, zu früh sich selbst überlassen worden und hätte nicht nächtelang auf der Straße und in Kneipen“ verkehren sollen, er hätte „zweifellos die Rute und eine Arbeitskur“ verdient – und sich damit voll und ganz auf die Seite der Mörder stellt.
Orieux ist auch Biograph von Talleyrand, La Fontaine, K.v.Medici. Seine Voltairebiographie ist bezeichnenderweise im Buchhandel leicht erhältlich, aber aus den genannten Gründen nicht zu empfehlen.
Bestermann, Theodore, Voltaire, München: Winkler 1971, übersetzt nach der Originalausgabe von 1969 von Siegfried Schmitz, 603 S.
Die Voltairebiographie des bedeutendsten Voltaireforschers des 20. Jahrhunderts besticht durch ihre Präsentation der Zusammenhänge und ist eine der wenigen Biographien, die der Bedeutung des antiklerikalen Kampfes Voltaires Rechnung trägt.Außerdem geht Bestermann ausführlich auf das Werk Voltaires ein, bringt zahlreiche Auszüge, berichtet über die Aufnahme der Stücke Voltaires durch das Publikum und die Zensur – dies macht diese Biographie zu einer der lesenswertesten aus der neueren Zeit überhaupt. Sie ist der Biographie Orieux‘, gerade für diejenigen, die sich mit Voltaire zum ersten Mal beschäftigen, unbedingt vorzuziehen.
Holmsten, Georg, Voltaire, Reinbek: Rowohlt rororo Bildmonographien 1971,188 S.
Enthält eine hilfreiche Bibliographie , die 1991 von Brigitte Haertel überarbeitet wurde. Ansonsten krankt diese Schrift an einem zwanghaften Objektivismus, der die gar nicht so schwer zu erkennende Parteinahme des Autors verbergen soll (z.B. wenn er von “Mißgriffen der Justiz” spricht – S. 121, wenn es um Inqusitionsurteile geht) und stattdessen Langeweile verbreitet.
Edwards, Samuel, Die göttliche Geliebte Voltaires, Das Leben der Emilie du Châtelet, Stuttgart: DVA 1971, 262 S.
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Anne Uhde ( The Divine Mistress, Samuel Edwards 1970) Ist ein spannend und mit Respekt vor den beiden größten Köpfen ihrer Zeit geschriebenes Buch. Leider enthält die deutsche Version keine Literaturangaben und kein Werkverzeichnis. Sehr lesenswert.
Bergner, Tilly, Voltaire – Leben und Werk eines streitbaren Denkers. Berlin: Neues Leben 1978, 334 S.
Sehr reich bebildertes Werk aus der DDR. Steht klar auf der Seite Voltaires und enthält sich der kleinlich-moralisierenden Kommentare von Orieux, auf dessen Biographie das Werk ansonsten aufgebaut ist. Sie reflektiert Voltaires Stellung in der Klassengesellschaft des 18. Jahrhunderts, übernimmt jedoch von Orieux die Mär vom “schwierigen Charakter” Voltaires – dadurch bleibt der Bezug auf die Gesellschaftsstruktur isoliert . Trotzdem lesenswert und antiquarisch noch gut erhältlich.
Bitter, Rudolf von, Voltaire Leben und Werk in Daten und Bildern, Frankfurt am Main: Insel Verlag 1978, 293 S.
Das Buch enthält zahlreiche interessante schwarz-weiß Fotografien zu Voltaires Leben und Werk und ist dadurch eine gute Ergänzung zu den richtigen Biographien. Das bösartige Vorwort, in dem von Bitter auf 26 Seiten alles zusammenträgt, was jemals Schlechtes über Voltaire gesagt wurde, wirft viele Fragen nach der Motivation des Autors zur Herausgabe dieses Bandes auf.
Ayer, Alfred J, Voltaire. Eine intellektuelle Biographie. Franfurt/Main: Athenäum 1987, 215 S.
Der britische Philosoph Ayer setzt sich mit Voltaire von Gleich zu Gleich auseinander. Es entsteht ein manchmal seltsamer Eindruck der Besserwisserei. Trotzdem anregend.
Pierre Lepape: Voltaire, le conquérant, Seuil: Paris, 1994, deutsch: Voltaire oder die Geburt des Intellektuellen im Zeitalter der Aufklärung, aus dem Französischen von Gabriele Krüger-Wirrer, Campus: Frankfurt/M, 1996, 376 S.. .
Pierre Lepape legt hier eine äußerst interessante kultursoziologisch orientierte Arbeit vor, mit der er nachzeichnet, wie stark Voltaire an der Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit beteiligt war, welche Strategie er verfolgte und wie er – ganz im Gegensatz zu den anderen Aufklärern – seine taktischen Winkelzüge meisterhaft anwendete, um den Erfolg zu sichern. Äußerst lesenswert. Mehr in unserer Rezension zu diesem Werk.
Bodanis, David, Emilie und Voltaire. Eine Liebe in Zeiten der Aufklärung, Deutsch von Hubert Mania, Reinbek 2007, 443 S.
David Bodanis, Autor diverser Werke über bedeutende Entdeckungen der Wissenschaft, zeichnet hier die Lebensgeschichte Emilie du Châtelets nach und würdigt ihre große intellektuelle Leistung als erster Frau in Europa, die sich als Naturwissenschaftlerin Anerkennung verschaffte. Ihre Liebesbeziehung zu Voltaire erzählt Bodanis aus der vermeintlichen Sicht Emilies und wird deshalb der Bedeutung Voltaires nicht gerecht. Trotzdem lesenswert. mehr in der ausführlichen Rezension zu diesem Werk…
Stackelberg, Jürgen von, Voltaire, München: Beck, 2006, 128 S.
Das kleine Buch ist eine Einführung in Leben und Werk Voltaires des renommierten Professors für Romanistik, der sich große Verdienste um die Etablierung der Literatur und Philosophie der Aufklärung in der deutschen Romanistik erworben hat. Er versteht sich in der Nachfolge Victor Klemperers und ist insofern ein Garant für eine engagierte Voltaire-Darstellung, die wissenschaftlichen Kriterien absolut genügt, jedoch zumindest einige französische Sprechkenntnisse voraussetzt.
Jung, Mathias, Voltaire, Die Waffe des Geistes, Lahnstein: emu, 2007, 211.S.
Der Psychotherapeut und Philosoph Mathias Jung, Herausgeber zahlreicher Bücher, ist einer der Wenigen seines Fachs, den die Psychologie-Therapie nicht zur Mystik, sondern zur Aufklärung hingezogen hat. Sein kleines Büchlein (12°) zeugt davon: Wer immer eine pointierte Charakterisierung der Leistung Voltaires, eingebettet in die wichtigsten Lebensstationen, benötigt, greife zu diesem Text. Er enthält alles, was man wissen muss und ist zugleich ein engagiertes Plädoyer für Voltaire, sein Werk, sein Kampf gegen die allmächtige Kirche und erklärt, warum Voltaire bis heute aktuell ist.
Reinhardt, Volker, Voltaire: Die Abenteuer der Freiheit, München: C.H.Beck, 2022, 607 S.
Seit der Übersetzung von Theodore Bestermans Voltairebiographie im Jahr 1971 hat es in diesem Umfang keine weitere Biographie in deutscher Sprache mehr gegeben. Das mehrbändige Werk von René Pomeau, 1985-1995 in Frankreich erschienen, wurde dort zur verbindlichen Voltaire Biographie, ohne die Reinhardts Publikation wohl nicht möglich gewesen wäre. Er verdankt ihr sehr viel, orientiert sich stark an den dort vorgegebenen Schwerpunkten und steht somit fest auf dem Boden der französischen Voltaireforschung der letzten vierzig Jahre. Trotzdem ist sein Werk nicht nur eine Nacherzählung von Pomeau, insbesondere die ausführlichen Inhaltsangaben zu den wichtigsten Werken Voltaires für sein deutschsprachiges Publikum stellen einen ganz eigenen Beitrag dar. Warum wir das Werk trotzdem kritisch sehen, haben wir in unserer kapitelweisen, zehnteiligen Rezension erläutert.
Französisch
1. Zeitzeugen
Mémoires pour servir à la vie de M. de Voltaire (Memoiren über das Lebens des Herrn Voltaire) 1760.
Autobiographische Schrift Voltaires. Hier gibt sich Voltaire Rechenschaft über seine Beziehung zu Friedrich II., wobei er unter anderem dessen traurige und unglaubliche Jugend-Leidensgeschichte enthüllt. Friedrich hat sich nie dazu geäußert.
Duvernet, Theophile Im., La Vie de Voltaire. o.O. 1787, 280 S.
Abbé Duvernet (1720-1796) stand Voltaire nahe und gehörte zum Kreis der Enzyklopädisten. Er wurde mehrmals zu Haftstrafen in der Bastille verurteilt. Seine Voltaire-Biographie war richtungsweisend und stand neben der Condorcets (1789) lange Zeit alleine da, bis dann beide durch die sehr viel umfangreichere Desnoiresterres abgelöst wurden. Duvernets Biographie ist deshalb so wertvoll, weil er als Zeitgenosse die Bedeutung Voltaires im Kampf um fundamentale Menschenrechte und Religionsfreiheit ganz anders zu schätzen weiß als die meisten nachfolgenden Biographen. Duvernet bewundert Voltaires Mut, denn er kennt selbst die tödliche Gefahr, Opfer der Inquisition zu werden und berichtet ausführlich von all den Fällen, in denen sich Voltaire für unschuldig Verfolgte eingesetzt hat. Interessant ist auch, daß Duvernet zu etwa gleichen Teilen Werk und Leben Voltaires behandelt, was sich bei den meisten Folgebiographien zum Nachteil des Werkes und der inhaltlichen Positionen Voltaires verändert hat (exemplarisch dafür aus unserer Zeit: Orieux, positive Ausnahme: Bestermann). Neuerdings kann man Duvernet – google sei Dank – wieder im Original lesen.
Condorcet, Nicolas de, La Vie de Voltaire , Kehl: De l’imprimerie de la Societe litteraire-typographique 1789 , 70. Bd.
Condorcet teilt wie Duvernet die antiklerikale Position Voltaires.. Die Biographie beschließt als 70. Band die Kehler Gesamtausgabe, an der Condorcet, vor allem beim Verfassen der Anmerkungen, mitgearbeitet hat.
Collini, Cosimo Alessandro, Mon séjour auprès de Voltaire, Paris 1807.
Collini war Voltaires Sekretär in der Berliner Zeit und begleitete ihn auf seiner Flucht aus Berlin.
Longchamp, Sébastien G et Wagnières, Jean-Louis, Mémoires sur Voltaire Paris 1826.
Beide waren Sekretäre Voltaires und berichten in diesem Werk über ihre Zeit bei Voltaire.
2. Biographien (Auswahl)
Desnoiresterres, Gustave, Voltaire et la société française au XVIIIe siècle, 1871- 1876, 8 Bände, Neuauflage Slatkine 1967.
Lange Zeit war dies der verbindliche, etwas romanhafte Klassiker unter den Voltaire Biographien, bis sie dann durch die Arbeiten von Bestermann und Pomeau abgelöst wurde.
Bestermann, Theodore Voltaire. London: Longman, Green and Co., 1969.
Die Voltairebiographie des bedeutendsten Voltaireforschers des 20. Jahrhunderts besticht durch ihre Präsentation der Zusammenhänge und ist eine der wenigen Biographien, die der Bedeutung des antiklerikalen Kampfes Voltaires Rechnung trägt. Sie ist der Biographie Orieux‘ unbedingt vorzuziehen.
Pomeau, René (sous la direction de), Voltaire en son temps
1985 I. D’Arouet à Voltaire, 1694-1734
1988 II. Avec Mme du Châtelet, 1734-1749
1991 III. De la cour au jardin, 1750-1759
1994 IV. Ecraser l’Infâme, 1759- 1770
V. On a voulu l’enterrer
Bibliographie am Ende jedes Bandes. Diese monumentale Biographie ersetzt alle früheren Vorläufer, die das meiste ihres Materials der Arbeit von Gustave Desnoiresterres entnahmen.
André Magnon, Dossier Voltaire en Prusse
Annexe Chronologie du séjour en Prusse in: Studies on Voltaire in the eighteenth Bd. 244, Oxford 1986, S.399-421 minutiöse Aufstellung der Ereignisse bei Voltaires Aufenthalt in Preußen.