Mit erstaunlicher Detailgenauigkeit geht Jörg Kreutz zu Werke, um der Biographie Collinis auf die Spur zu kommen. Dabei zieht er alles heran, was vor allem die französische Voltaireforschung in den letzten Jahrzehnten in akribischer Kleinarbeit zu Tage gefördert hat. Das Buch ist daher äußerst materialschwer, von 650 Seiten nimmt allein das Quellen und Literaturverzeichnis schon ein Drittel ein, die Anmerkungen besetzen fast ein weiteres Drittel, so daß der eigentlich interessante und flüssig geschriebene Text leider in einem Wald von Querverweisen unterzugehen droht.
Das liegt natürlich daran, daß es sich hier um eine ernste Inauguraldissertation handelt, was nicht negativ gemeint sein soll, denn das Werk ist eine wertvolle Fundgrube wichtiger Quellenangaben. Trotzdem hätte es einer Veröffentlichung mit Interesse an Collini – und dieses ist bei Kreutz unzweifelhaft vorhanden – besser getan, den Text mit weniger Anmerkungen und etwas gestrafft für eine breitere Leserschaft herauszubringen.
Inhaltlich interessiert uns hier vor allem, wie der Autor Collinis Anteil am Kampf um die Aufklärung, also gegen Dummheit und Unvernunft, würdigt. Leider können wir gerade hier unsere Enttäuschung nicht verhehlen, Kreutz reiht sich ein in die Vielzahl derer, die mit der Aufklärung eigentlich nicht viel anzufangen wissen und sie sich eher zufällig als Forschungsgebiet wählen. Sicher hat er damit seinen Professoren und Vorgesetzten keine geringe Freude bereitet, trotzdem müssen wir das Werk deshalb als eine verpasste Chance kritisieren.
Mehr noch haben wir den Verdacht, daß Kreutz vor allem Voltaire insgeheim feindlich gegenübersteht. Zur Illustration sei als Beispiel angeführt , daß er von Voltaire in Berlin ständig als dem ‚preußischen Kammerherrn‘, spricht – etwa so, als würde man, wenn von Kafka die Rede wäre, ständig von “dem Versicherungsangestellten‘ sprechen und ihn damit noch nachträglich auf seinem Prokrustesbett festschrauben. Kreutz übernimmt damit die Perspektive der herrschenden Kreise, der Monarchie, denen ein Voltaire kaum mehr als ein gewöhnlicher Diener war. Wenn er auf Voltaires Befreiungsversuche in Frankfurt zu sprechen kommt, versteigt er sich sogar dazu, dies als Diffamierung der preußischen Amtsträger zu bezeichnen.
Kein Wunder, daß er deshalb auch nicht verstehen kann, daß Collini Voltaire aufrichtig und freundschaftlich verbunden war. Stattdessen unterstellt er ihm dauernd taktisches Verhalten: er hätte die Anstellung bei Voltaire gesucht, weil er nichts besseres hatte, weil er weitgehend mittellos war, weil er an dessen Ruf partizipieren wollte, die Reihe liesse sich fortsetzen.
Kreutz fühlt sich so sehr in das höfische Leben des 18. Jahrhunderts ein, daß er die Geburt eines neuen Menschentyps komplett verpasst. Das subjektive Leiden seines Protagonisten unter unmenschlichen und erniedrigenden Umständen bleibt ihm erstaunlich unverständlich. Was wir mit einem anderen bekannten Aufklärer darauf zurückführen, daß, allem Anschein nach, auch in diesem Falle das Sein des Autors das Bewußtsein bedauerlich beschränkte.