Philosophisches Taschenwörterbuch: Tout est bien – Alles ist gut. (Kommentare)

Hintergrund:
Folgt man der christlichen Lehre, ist der Mensch seit der Erbsünde (die Sache mit Adam und Eva) auf ewig verdammt, sein Erdenleben eine Bestrafung und der Tod eine unsichere Erlösung. Wo einer lebte, arbeitete, wann einer starb, war von der Vorsehung bestimmt und es gab keine individuelle Freiheit. Dass das Erdenleben eine Bestrafung ist, werden Viele als übereinstimmend mit ihren Lebensverhältnissen empfunden haben, nicht aber ein selbstbewußter Bürger des 18. Jahrhunderts. Wie es mit dem Glauben an einen allmächtigen Gott vereinbar ist, dass wir schwere Krankheiten erleiden, dass Kriege geführt werden, dass ersichtlich rücksichtslose und ungehobelte Menschen in Reichtum leben, während gutgesinnte, gebildete an der Existenzgrenze dahinvegetieren – dieses Thema, unter dem Begriff der „Theodizee“ bekannt, beschäftigte im 18. Jahrhundert die größten Geister und enthielt erhebliche Sprengkraft: Entweder war das Böse/Üble gottgewollt (etwa als Strafe für den Sündenfall), dann war er nicht liebenswert, oder es kam ohne seinen Willen hinzu, dann war er nicht allmächtig, oder es war eben nicht besser möglich, so dass, wie Leibniz meinte, was wir haben, die beste aller möglichen Welten wäre. In jedem der drei Fälle schneidet Gott nicht wirklich gut ab. Im 18. Jahrhundert genügte jedoch der Autoritätsbeweis (Der Papst hat gesagt…) nicht länger und die wichtigsten Denker fühlten sich aufgerufen, den Glauben an den einen gerechten und allmächtigen Gott zu retten. Folgendes waren in Kurzform ihre Positionen:

  • Gottfried Wilhelm Leibniz, (Essais de théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal, 1710; dt.: Die Theodizee) prägte hier und an vielen anderen Stellen seines Werkes die Formel von der besten aller möglichen Welten: Gott hat gewissermaßen das Optimum herausgeholt, besser ging es nicht.
  • Alexander Pope, (in seinem Lehrgedicht Essay on Man, 1734; dt.: Versuch über den Menschen) prägte den Spruch: „Whatever is, is right“, der schnell in den Kreisen der Aufklärung diskutiert wurde. Pope versteht es so, dass sich alles, was ist, in einen Gesamtzusammenhang einordnet, so dass, was einerseits als schlecht erscheint, aus anderer Perspektive gut sein kann.
  • „Systemtheoretisch“ sah es Anthony Earl of Shaftesbury (Characteristics of men, manners, opinions, times, 1711) : Nur in Beziehung auf das Gesamtsystem kann beurteilt werden, ob etwas übel ist. Erst wenn es auf kein einziges Subsystem bezogen etwas Gutes darstellt könnte etwas als ‚Übel‘ bezeichnet werden. Daraus folgt, wenn sich alles in die Gesamtordnung einfügt und in dieser in irgendeiner Weise nützlich ist, kann es kein Übel geben.
  • Wie wichtig die Frage, wie das Übel in die Welt kommt, für die damalige Zeit war, lässt sich auch daran ermessen, dass 1753 die Berliner Akademie der Wissenschaften den Entschluss fasste, ihre Preisfrage genau diesem Thema zu widmen. Schon einige Jahre zuvor hatte sich Maupertuis, der Präsident der Akademie, gegen Pope gewandt. In seinem Essai de Cosmologie (1746) identifiziert er das „Alles was ist, ist gut“ als reinen Glaubenssatz, der zudem alles einer unbedingten Notwendigkeit unterwerfe. Die Preisfrage von 1753 lautete folgendermaßen:
    „Die Aufgabe besteht darin, das in der Aussage Popes (All whatever is, is right) enthaltene System zu untersuchen, insbesondere:
    1. Zu bestimmen, was diese Aussage im Sinne des Autors bedeutet.
    2. Sie zu vergleichen mit dem System des Optimismus, bzw. der bestmöglichen Welt, um genau die Unterschiede und die Beziehungen festzustellen.
    3. Schließlich die Gründe anzuführen, von denen man glaubt, dass sie das System stützen oder aber vernichten.“
    Voltaire wird von der Preisfrage gewusst haben (er lebte bis März 1753 in Potsdam/Berlin) und sein Artikel im Philosophischen Taschenwörterbuch gibt darauf eine klare Antwort, dass nämlich der Glaube an einen allmächtigen und gerechten Gott nicht zu retten ist, schon gar nicht mit den Mitteln der Vernunft. Bereits in früheren Schriften hatte er sich mit diesem Thema auseinandergesetzt: In den Philosophischen Briefen von 1728 geht es im 22. Kapitel um Pope; die Erzählung Micromégas mit dem schönen Satz „Wenn das Übel aus der Materie entspringt, besitzen wir mehr Materie als wir brauchen, um sehr viel Übles zu bewirken, und zuviel Geist, sollte das Übel aus dem Geist entspringen“ enthält eine Debatte der Erdbewohner zu dem Thema. In seinem Discours en vers sur l’homme (1736) bezieht Voltaire das „Alles ist gut“ auf das Erleben des Individuums, das gegen die christlichen Finsterlinge sein Recht auf ein glückliches Leben einfordert und die Erbsünde als Märchen ablehnt. Schließlich ist sein Gedicht über das Erdbeben von Lissabon (1755) ein klarer Abgesang auf die Formel Popes und auf die Behauptung Leibniz‘, die er auf eine ferne Zukunft verschiebt, in der es den Menschen vielleicht gelingt, nicht eine gute, aber eine immerhin annehmbare Welt zu schaffen.

Weiterführende Literatur:
Marion Hellwig, Alles ist gut: Untersuchungen zur Geschichte einer Theodizee-Formel im 18. Jahrhundert in Deutschland, England und Frankreich. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008, 384 S. Hellwig gibt einen hervorragenden Überblick über die Debatte im 18.Jahrhundert und die Positionen Voltaires, Rousseaus, Resnels, Bolingbrokes und u.v.a. zum Theorem „Alles was ist, ist gut“ sowie über die eingereichten Arbeiten zur Preisfrage der Preußischen Akademie von 1753.

Die folgenden Kommentare zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020):

Anmerkung 1 (S.69, Platons fünf Welten): Platon nennt fünf mögliche Welten, jeder soll eine geometrische Figur entsprechen: Feuer (Tetraeder), Luft (Oktaeder), Wasser (Ikosaeder), Erde (Hexaeder), Himmel (Dodekaeder). Platon aber sagt, dass Gott seiner Meinung nach doch nur eine einzige, alles umfassende Welt erschaffen habe (Timaois, 33).

Anmerkung 2 (S.72, zweiter Abschnitt: Basilides): Basilides (85 – 145) war ein Philosoph der Gnosis, dessen Leben und Werk wir nur von ungefähr kennen, durch seine christlichen Gegner, die ihn als Häretiker denunzieren, überliefert.

Anmerkung 3 (S.73, dritter Absatz: Bolingbroke als Quelle für Pope): Popes Essay Vom Menschen richtet sich an Bolingbroke. Lord Bolingbroke wohnte in unmittelbarer Nachbarschaft Popes und war mit ihm befreundet. Ob er aber als Quelle für Pope in Frage kommt, ist ungewiss. B. war ein entschiedener Gegner des deduktiven Vorgehens, bei dem man von Axiomen und Grundsätzen ausgeht und daraus Aussagen über die Natur oder auch Gott ableitet. Wissen entsteht nur durch Experimente und durch Beobachtung der Natur. Trotzdem versucht er (Letters or Essays adressed to Alexander Pope, 4. Brief), im Widerspruch zu seiner Maxime, den Grundsatz Popes zu verteidigen.

Anmerkung 4 (S.73/74, Shaftesbury als Quelle für Pope): Voltaire bemerkte bereits 1756 im Vorwort zu seinem Poème sur le désastre de Lisbonne, dass Pope Shaftesburys Caracteristics sehr viel verdankt. Die Textstelle übersetzte Voltaire aus den Caracteristics (1790 Basil, vol. 2) The Moralists, A Philosophical Rhapsody, Sect.3

Anmerkung 5 (S.74,“Ein Chirurg, der die Kunst … perfektionierte“): Die von Voltaire beschriebene chirurgische Methode zur Entfernung der Blasensteine war die sog. Lithotomie, die sogar einen eigenen Beruf hervorgebracht hatte, den Lithotomus. Die Behandlung verlief oft tödlich und – man glaubt es kaum – war von 1500 bis ins 20. Jahrhundert hinein die übliche Verfahrensweise.
Das Verfahren wird auch in der Enzyklopädie im Artikel „Taille“ beschrieben.

Anmerkung 6 (S.75,“Der Sündenfall ist die Salbe…..“): Voltaire bringt hier ironisch die „Argumente“ der christlichen Gegenseite, die Pope kritisierte, weil er den Sündenfall „vergaß“. Demnach ist die Menschheit durch den Apfel-Vorfall im Paradies für alle Zeiten verdammt- und kann erst durch Gottes Gnade erlöste werden. Ein „Alles ist gut“ kann es da natürlich nicht geben, zumindest nicht zu Lebzeiten. Zur Argumentation der Kirche siehe beispielhaft Pierre de Crouzas : Examen de l’Essay de Monsieur Pope sur l’homme, 1737 (engl.: An examination of Mr. Pope’s Essay on man London 1789).