Wer kennt seine wichtigsten Gedanken, wer sein Leben und seine bedeutendsten Werke? Wem ist Voltaire als entschiedener Kirchengegner und Kritiker des Christentums bekannt? Wer weiß in Deutschland, was es mit dem Justizmord an Jean Calas oder am Chevalier de la Barre auf sich hat, wo er sich ganz allein gegen die mächtige katholische Kirche stellte? Wer weiß, dass er fünfzehn Jahre mit der großen Liebe seines Lebens, Émilie du Châtelet zusammenlebte, obwohl sie verheiratet war und beide in aller Öffentlichkeit zusammen auftraten?
Die Voltaire-Stiftung als Herausgeberin dieser Internetseiten wurde im Jahr 2008 gegründet, um solche Fragen zu beantworten, um das Wissen über Voltaire im deutschsprachigen Raum zu fördern und mit dem Ziel, die Kräfte der Aufklärung, die in seiner Tradition stehen, wenn möglich zu stärken.
Wer war Voltaire ?
Nach seinem Namen nennt man das 18. Jahrhundert auch das „Jahrhundert Voltaires“. Am 21.11.1694 geboren, war er mit 32 Jahren bereits ein bekannter Schriftsteller. Sein Drama „Ödipus“ und seine Versdichtung, die „Henriade“, machten ihn berühmt. Aus seinem Exil – er wurde zwei Jahre nach England verbannt – berichtete er in seinen „Philosophischen Briefen“ über die dortigen freieren Verhältnisse; zum ersten Mal vernahm man in Frankreich die Stimme der Aufklärung. Zurückgekehrt, wurde er zum Wegbereiter von Diderot und D`Alembert, d’Holbach und von Hélvetius, den Enzyklopädisten. Er reiste 1750 an den Hof Friedrichs II nach Berlin, denn er hoffte, dort Verbündete zu finden. 3 Jahre später floh er über Gotha, Mannheim, Colmar nach Genf. Sein Roman Candide spiegelt seine Ernüchterung über aufgeklärte Monarchen à la Friedrich.
Im letzten Drittel seines Lebens führte Voltaire einen zähen Kampf gegen die katholische Kirche. Er erreichte die Rehabilitation des am 18.11.1761 zum Tode durch Rädern verurteilten Jean Calas. Er mobilisierte halb Europa gegen das Todesurteil gegen den Chevalier de la Barre, dessen Verbrechen darin bestand, eine katholische Prozession nicht gegrüßt zu haben. Ihm ist es zu verdanken, dass sich die Kirche weitere Terrorprozesse nicht mehr erlauben konnte.
Ein bis heute sehr lesenswertes Werk aus dieser Zeit ist sein 1764 erschienenes philosophisches Taschenwörterbuch, gewissermaßen die Mao-Bibel der Aufklärung. 256 Jahre später, im Jahr 2020, haben wir das Philosophische Wörterbuch in neuer Übersetzung und erstmals vollständig in deutscher Sprache bei Reclam herausgegeben.
Voltaire war der Wegbereiter der großen französischen Revolution, die seine Forderungen: Entmachtung der Kirche, Rechtsstaatlichkeit und Verwendung der Abgaben/Steuern zum allgemeinen gesellschaftlichen Nutzen, in die Tat umsetzte. Er starb am 30. Mai 1778 im Alter von 84 Jahren in Paris.
Weiterführende Texte zu verschiedenen Themen lesen:
- Die Bibliothek Voltaires und Russland
- Zadig, Geschichte vom bedrohten Individuum
- Peter Hacks Blick auf Voltaire
- Rousseau und Voltaire – Ein Verräter im inneren Kreis der Aufklärer – Entwurf 2011
- 250 Jahre Candide – Erste Kritik am autoritären Optimismus – 21.6.2010
- Der Antimachiavel Friedrichs II. oder wie sich ein kleiner Verleger gegen den preußischen König durchsetzte
- Was die Kirchen ärgert – Die Verteidigung des Luxus bei Voltaire
- Voltaire – ein Antisemit?
- Voltaire vernebelt: Voltaires Fanatismuskritik in Zürich entschärft
- Voltaire verhunzt: Die Prinzessin von Babylon im Freitag-Blog
Kirche, Gott und Religion
Mit Voltaire sein, heißt antiislamistisch sein, denn er war gegen alle monotheistischen Offenbarungsreligionen, die christliche, die islamische und die jüdische. Die Religion an sich lehnte er nicht ab, fand sie sogar nützlich bei der Eindämmung von Kriminalität (die potentiellen Täter, so hoffte er, wären im Diesseits aus Angst vor einer Bestrafung im Jenseits zurückhaltender).
Ob er selbst an einen ‚Schöpfer‘ (im Sinne eines Uhrmachergottes) glaubte, ist schwierig zu klären, viele seiner dahingehenden Äußerungen waren reine Schutzmaßnahmen gegen die immer drohende Verfolgung durch die Kirche. Formulierungen wie diese (aus dem Artikel Religion des Philosophischen Taschenwörterbuchs), sind für ihn absolut typisch: „..die heidnische Religion hat sehr wenig Blut verspritzt und die unsere hat damit die Erde bedeckt. Die unsere ist zweifellos die einzige gute, die einzige wahre; aber wir haben vermittels ihrer so viel Schlechtes getan, so dass wir, wenn wir von den anderen reden, bescheiden sein müssen“.
Ebenso gut ist es daher möglich, dass er ein sich tarnender Atheist war oder aber ein Agnostiker (einer der bedeutendsten Voltairespezialisten, Theodore Besterman neigte zu dieser Ansicht). Tatsächlich versteckte er seine Kritik am Christentum, das war der Hauptfeind, immer wieder hinter seiner Kritik am Judentum (was ihm den Vorwurf des Antisemitismus eingetragen hat) und auch am Islam (weshalb man ihn zuletzt auch noch als islamophob titulierte). Sicher ist, dass er die Kirchen aller Offenbarungsreligionen noch stärker als diese selbst ablehnte und den Fanatismus, den sie hervorbringen, wenn sie können, klar benannte. Daher sein Schlachtruf: Ecrasez l’Infâme! – Vernichtet die Niederträchtige! Und er sagte: Besser, man hat in einem Land dreißig verschiedene Religionen als eine allein.