David Bodanis ist Autor diverser Werke über bedeutende Entdeckungen der Wissenschaft. Bodanis Verdienst ist es, dem durchschnittlich Informierten physikalische Zusammenhänge, die üblicherweise – mit dem Namen einer berühmten Person etikettiert – unverstanden im Wissensspeicher der Halbbildung abgelegt werden, verständlich zu machen, indem er sie in ihrem historischen Zusammenhang zeigt und beleuchtet. Während er sich mit der Relativitätstheorie Einsteins beschäftigte, entdeckte er Émilie du Châtelet, deren Geschichte ihn so faszinierte, dass er beschloss, ihrem Leben und Schaffen mit ‚Passionate Minds‚ – so lautet der Titel seines Buches in der englischen Originalausgabe – ein eigenes Werk zu widmen.
Hier zeichnet er ihre Lebensgeschichte nach und würdigt die große intellektuelle Leistung Emilie du Châtelets, die ihr als erster Frau in Europa breite Anerkennung als Wissenschaftlerin verschaffte. Bodanis erzählt das Leben einer Ausnahmepersönlichkeit. Emilie du Châtelet wurde in eine zur Zeit Ludwig des XIV. sehr einflussreiche Adelsfamilie hinein geboren und folgte dennoch nicht dem einer Adligen des 18. Jahrhundert vorgezeichneten Weg. Sie lernte Sprachen, Naturwissenschaften, übersetzte Texte und wurde eine hochbegabte Mathematikerin, die vor keiner noch so komplizierten Gleichung zurückschreckte. König, Maupertuis, Bernoulli waren ihre Lehrer und gemeinsam mit Voltaire, der großen Liebe ihres Lebens, übersetzte und veröffentlichte sie die wichtigsten wissenschaftlichen Texte Newtons. In deutscher Sprache ist wenig von ihr erschienen, jedoch entschädigt für diesen Mangel ihre bezaubernde kleine Schrift ‚Rede vom Glück’ (übersetzt von Iris Röbling, Berlin, Friedenauer Presse, 1999) – hier zeigt sich uns Emilie du Châtelet in ihrer ganzen Größe und Menschlichkeit. Sie war nicht nur eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der theoretischen Physik des 18.Jahrhunderts, sondern ist auch eine der bewundernswertesten Frauen der Weltgeschichte.
Das birgt für jeden Biographen Gefahren, denen auch David Bodanis nicht entgeht. Die erste besteht darin, dass sich der Biograph, ob des großen Abstands zwischen seinem kärglichen und dem reichen Leben seiner Hauptperson zu kleinlicher Kritik bemüßigt fühlt – eine Gefahr, der Bodanis glücklicherweise nicht erliegt. Im Gegenteil scheint er genügend Genussmensch zu sein, um das Leben einer Genießerin bewundern zu können. Doch führt ihn diese seine Bewunderung zu einer unangenehmen Verteidigungshaltung, mit der er sich für Emilie und gegen ihre Umgebung einzusetzen verpflichtet zu fühlen scheint, was sie gar nicht nötig hat und sein Buch an den Rand des Scheiterns bringt. Es häufen sich im Verlauf der Lektüre die Fehltritte vor allem gegenüber Voltaire, wenn es sich nicht gar um gezielte Fußtritte handelt. Kommt es etwa zwischen Emilie und Voltaire zum Streit, meint Bodanis, Voltaire einen Angeber nennen zu müssen, ein Anwurf, der einem populärwissenschaftlichen Schriftsteller des 21. Jahrhunderts, der zeitlebens kaum ein Risiko einging, schlecht ansteht. Oder meint er, die Größe Emilies nur durch die Herabsetzung ihres geliebten Voltaire zeigen zu können? Das hieße ihr einen sehr schlechten Dienst erweisen. Aus der nämlichen Quelle scheint auch seine befremdliche Unterschätzung religiöser Verfolgung im 18. Jahrhundert zu stammen. So konstruiert Bodanis des Öfteren Ersatzerklärungen für Verfolgungsaktionen staatlicher Behörden gegen Voltaire. Wurde Voltaire wegen des antireligiösen Inhalts seines Gedichtes ‚Le Mondain’ (über Adam und Eva im erdigen Paradies sagt er dort: „Ohne Sauberkeit ist die glücklichste Liebe keine Liebe mehr, sondern ein schändliches Bedürfnis“) per Strafbefehl gesucht, steckt laut Bodanis in Wirklichkeit ein habgieriger Cousin Emilies hinter der Sache. An anderer Stelle meint er die Verfolgungskampagne mit einer ganz pfiffigen, aber an dieser Stelle unangebrachten ‚Vakuumtheorie’ der Macht erklären zu müssen, die die Herrschenden der Zeit zwangsläufig gegen Voltaire an seinem Zufluchtsort in Cirey aufgebracht habe. Damit verfolgt er eine reichlich perfide Strategie, die darin besteht, die antireligiöse Sprengkraft der Werke Voltaires zu verschleiern und ihn andererseits durch Geschichten kleinlicher Familienintrigen langweilig zu machen. Das ist eine Fährte, die bereits Orieux in seiner Voltairebiographie legte und es wundert daher kaum, dass Bodanis gerade diese vor allen anderen Biographien Voltaires bevorzugt (obwohl er – dies sei zu seinen Gunsten angemerkt – die bedeutendste in deutscher Sprache erhältliche von Theodore Besterman lobend hervorhebt). Schade ist auch, dass in dem sonst sehr genauen Werk der Anmerkungsteil nicht frei von Fehlern ist, da wird aus Ludwig XIV. schon einmal Ludwig der XVI., was allerdings weniger dem Autor, als dem Übersetzer anzulasten ist. Die Literaturempfehlungen am Ende des Buches sind nützlich, wenn auch stark auf den angelsächsischen Sprachraum bezogen.
Insgesamt ist Bodanis Buch zu begrüßen, denn schon lange war in deutscher Sprache kein biographisches Werk über Emilie du Châtelet mehr erschienen. Es ist interessant und spannend geschrieben und hat das Potential, das öffentliche Interesse an Emilie und Voltaire und an der Aufklärung neu zu beleben. Was kann man – trotz aller Kritik im Detail – mehr von einem Werk des 21. Jahrhunderts erwarten?