Philosophisches Taschenwörterbuch: Égalité – Gleichheit (Kommentare)

Dieser Kommentar gibt Hintergrundinformationen zu dem Artikel Égalité aus dem Philosophischen Wörterbuch (1764) von Voltaire, das wir 2020 erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt und im reclam Verlag herausgegeben haben. Zu jedem der 73 Artikel wird es eine Kommentarseite geben, die die Vorteile des Internets mit der soliden Basis eines gedruckten Buches verbindet (ungefähr die Hälfte der Artikel haben wir bisher kommentiert, siehe dazu unsere Übersichtsseite) , außerdem eine kurze Inhaltsgabe und zu jedem Artikel den französischen Originaltext. Das Buch gibt es gebunden und seit 2023 auch als Taschenbuch. Die exklusive Vorzugsausgabe in 300 Exemplaren ist ausverkauft.

A. Gleichheit als Naturrecht – Ungleichheit als Schicksal?

Um die Gleichheit in einer Gesellschaft zu messen, verfügen wir heute über verschiedene statistische Verfahren. Sie zeigen, dass in vielen Staaten die Vermögen mehr noch als die Einkommen sehr ungleich verteilt sind, dass die Chance, in der sozialen Stufenleiter aufzusteigen, meist nicht all zu hoch ist und dass die höheren Bildungseinrichtungen dem ärmeren Teil der Bevölkerung nahezu verschlossen bleiben . Wenn also die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass die Kinder der ärmeren Bevölkerung ebenso arm bleiben wie ihre Eltern, sie ihrer Lage nur äußerst selten entkommen können, fragt es sich, ob es etwa an ihren defizitären Erbanlagen liegt, oder aber an der Art und Weise wie die Gesellschaft organisiert ist, in der sie leben. Die Antwort ist einfach. Wenn die DDR auch der Vergangenheit angehört, so hat sie doch lange genug existiert, um  eines zu beweisen: Dass Kinder aus den sogenannten unteren Gesellschaftsschichten ebenso „bildsam“ sind wie die der oberen.

Seit der Aufklärung hängen wir ohnehin der Vorstellung an, dass alle Menschen von Natur aus gleich sind und zumindest bei der Geburt die gleichen Erbanlagen und theoretischen Fähigkeiten besitzen (das versteht man unter naturrechtliche Gleichheit), und wir wissen, dass die spätere Ungleichheit, also ob man Erntehelfer oder Professor, selbständiger Unternehmer wird, stark von der Art und Weise abhängt, wie eine Gesellschaft organisiert ist: ob ihre Verfassung verhindert, dass enorme Vermögen auf Kosten der Mehrheit entstehen, ob Bildungseinrichtungen so organisiert sind, dass sie es jedem ermöglichen, seine Fähigkeiten – unabhängig vom Einkommen der Eltern – zu entfalten u.v.a. mehr.

Die Beziehungen, die zwischen den beiden Polen Gleichheit von Natur aus und materieller, sozialer Gleichheit bestehen, versuchte Christoph Menke, ein Professor für Philosophie, in Spiegelungen der Gleichheit (2014) herauszudestillieren. Das Werk ist leider äußerst spitzfindig, doch sein Kapitel über Babeuf „Die Verschwörung für die Gleichheit“ ist wirklich lesenswert und auch für Nichtphilosophen verständlich. Um was es dabei geht, kann man an einem einfachen Beispiel aufzeigen: Wenn in einer Gesellschaft allen Bürgern Diebstahl per Gesetz verboten ist (Gleichheit vor dem Gesetz) so macht es doch einen Unterschied, ob sich ein Besitzloser an fremdem Eigentum vergreift, oder aber ein wohlsituierter Bürger, der – zumindest, was einfache Diebstähle angeht – es nie nötig hätte, solche zu begehen. Ein Urteil über den Dieb kann somit niemals gerecht sein, wenn es die materielle Situation des Diebes unberücksichtigt lässt. Wenn er aus extremer Armut stiehlt, hat sich eine Gesellschaft, die ihm keine bessere Perspektive bot, mitschuldig gemacht.

B. Hintergrund: Die Diskussion um die Frage nach der sozialen Gleichheit im 18. Jahrhundert

Hobbes, Locke, Bayle, Montesquieu, Hume, Condillac, Rousseau und schließlich auch Voltaire: Sie alle stimmen darin überein, dass die Menschen von Natur aus gleich sind. Was die materielle Ungleichheit betrifft, lehnen sie zumindest die kirchliche Lehre ab, dass die Stellung, die jeder Einzelne in der Gesellschaft einnimmt, eine göttliche Fügung sei. Eine Lehre, nach der jeder, der für sich mehr einfordert, als ihm nach seiner Klassenzugehörigkeit – ein ebenso wie „Gleichheit“ unbeliebter Begriff – gesetzlich zusteht, oder sich gar gegen die herrschenden Zustände (damals gegen die Adelsherrschaft) wehrt, ein blasphemischer Aufrührer ist, weil er sich in seinem Verlangen nach Glück nicht mit dem Jenseitsversprechen der Religion begnügte.

In Voltaires 1738 erschienenem Gedicht De l’égalité des conditions heißt es:

Les mortels sont égaux ; leur masque est différent.
Nos cinq sens imparfaits, donnés par la nature,
De nos biens, de nos maux sont la seule mesure.
Les rois en ont-ils six ? Et leur âme et leur corps
Sont-ils d’une autre espèce, ont-ils d’autres ressorts ?
C’est du même limon que tous ont pris naissance ;
Dans la même faiblesse ils traînent leur enfance ;
Et le riche et le pauvre, et le faible et le fort,
Vont tous également des douleurs à la mort.
[Die Sterblichen sind gleich; ihre Masken sind verschieden./Unsere fünf unvollkommenen Sinne, von der Natur gegeben,/sind das einzige Maß für das, was gut ist und was von Übel./Haben Könige sechs davon? Und ihre Seele und ihr Körper/Sind sie von anderer Art, haben sie andere Quellen?/Aus demselben Lehm sind sie alle geboren;/In derselben Schwäche verbringen sie ihre Kindheit;/Der Reiche und der Arme, der Schwache und der Starke,/Gleichermaßen durchleben sie Schmerzen bis zum Tod.]

Wenn aber alle Menschen von Natur aus gleich und frei sind, warum „leben sie dann überall in Sklaverei“ (Rousseau, 1762 in seinem Contrat social)?

Rousseaus Antwort in seiner bereits 1755 erschienen Preisschrift Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, die Voltaire als „Schrift gegen die Menschheit“ titulierte, ist, dass in dem Augenblick, wo jemand eines anderen Hilfe bedarf, die Ungleichheit entsteht, denn er wird nun von dessen Hilfe abhängig. „l’égalité disparut, la propriété s’introduisit, le travail devint nécessaire et les vastes forêts se changèrent en des campagnes riantes qu’il fallut arroser de la sueur des hommes, et dans lesquelles on vit bientôt l’esclavage et la misère germer et croître avec les moissons“ (p. 118)
[„Die Gleichheit verschwand, das Eigentum stellte sich ein, die Arbeit wurde etwas notwendiges, die dichten Waldungen verwandelten sich in lachende Felder, die mit dem Schweiße der Menschen getränkt werden mussten und bald sah man Sklaverei und Elend zugleich mit den Ernten hervorkeimen und groß werden“. (S. 66)]
Je weiter sich die Menschen von der Natur entfernen, desto größer wird ihre Ungleichheit.

Voltaire antwortete auf diese kulturskeptische Position Rousseaus in seinem Brief vom 30.8.1755 und meinte:
„Man hat noch nie so viel Geist aufgewendet, um uns zurück zu den Tieren zu schicken, man bekommt Lust, auf allen Vieren zu laufen, wenn man Ihr Werk liest“ (Zur Rolle von Rousseau siehe Rousseau und Voltaire – Ein Verräter im inneren Kreis der Aufklärer).

In seinem Gedicht Le Mondain (1736) hob Voltaire ganz im Gegenteil die Fortschritte der Zivilisation hervor: Zur Zeit von Adam und Eva lebte man noch im Dreck, während in späteren Zeiten das Leben deutlich angenehmer wurde. Wenn dieses Angenehme auch nicht allen zugute kommt, trägt es doch, zum Beispiel, was den Luxus betrifft, zur Höherentwicklung der ganzen Gesellschaft bei (Siehe dazu Was die Kirchen ärgert – Die Verteidigung des Luxus bei Voltaire) .

Zuviel Gleichheit schien den meisten Aufklärern des 18. Jhdts. wohl eher gefährlich und verderblich. Zum Beispiel meinte Montesquieu in seinem Geist der Gesetze (Ésprit des Lois, Kap. 8):
„Le principe de la démocratie se corrompt, non seulement lorsqu’on perd l’esprit d’égalité, mais encore quand on prend l’esprit d’égalité extrême, et que chacun veut être égal à ceux qu’il choisit pour lui commander ».
[Das Prinzip der Demokratie kann nicht nur zugrunde gehen, wenn der Geist zur Gleichheit schwindet, sondern auch, wenn man ihn aufs Äußerste treibt, und jeder gleich sein will mit denen, die er ausgewählt hat, um über sich zu regieren.“]

Zu der ausgebildeten Adelsgesellschaft seiner Zeit meinte 1755 Louis de Jaucourt, von dem viele der Artikel in der berühmten Enzyklopädie (ab 1768 war er als Diderots Nachfolger deren Herausgeber) stammen: „Ich möchte nur noch bemerken, dass gerade die Verletzung dieses Prinzips [der natürlichen Gleichheit] zur politischen & bürgerlichen Sklaverei geführt hat. Daher kommt es, dass in den der Willkürherrschaft unterworfenen Ländern, die Fürsten, die Höflinge, die ersten Minister & die, welche die Finanzen verwalten, alle Reichtümer der Nation besitzen, während die übrigen Bürger nur das Notwendige haben & der größte Teil des Volkes in der Armut verkümmert“ (Artikel „Ègalité naturelle“). Im Anschluss beeilte er sich aber zu verkünden, dass dies nicht als Aufruf zum Umsturz zu verstehen sei.

Was sagten aber Mesliers, Diderot, d’Holbach und Hélvétius, de La Mettrie, also die Atheisten unter den französischen Aufklärern, zu der Forderung nach sozialer Gleichheit?
Deutlich erhob sie der Abbé Mesliers, der die Armut seiner Gemeindemitglieder hautnah erlebte, in seinem sogenannten Testament, das ab 1729 nur als Manuskript zirkulieren durfte (Die Ausgabe von Voltaire war eine deistisch entschärfte Kurzfassung). Diderot stellte für seine Gönnerin Katherina II. ein Programm für die allgemeine Schulbildung zusammen, ein Konzept, dem Hélvétius folgte. d’Holbach ging die Ungleichheit in seinem Buch Système social (1773) an, in dem er versuchte, gesellschaftliche Pflichten und Eigeninteresse ins Gleichgewicht zu bringen.

De La Mettrie (Philosophie und Politik) nimmt eine Sonderstellung unter den Atheisten ein, er scheint die Gesellschaft als das Reich der Interessen anzusehen, das sie zweifellos auch ist und die Hoffnung, dass sie durch vernünftige Regelungen für mehr Gleichheit oder Gerechtigkeit besser würde, hält er für eine Illusion. Die Mächtigen haben die Gesellschaft für ihre Interessen aufgebaut und die Religion benutzt, um ihrem System eine höhere Weihe zu verleihen, sie werden es nicht freiwillig aufgeben. La Mettrie setzt auf die Zerstörung der Religion, damit sich die Erkenntnis durchsetzt, dass es kein prinzipielles gut und böse, keine absolute Moral gibt, sondern nur die eingefärbte ihrer jeweiligen Profiteure. Setzte sich diese Erkenntnis nämlich durch, würde sich die Herrschaft der Wenigen über die Vielen nicht mehr mit lügenhaften Jenseitsgespinsten rechtfertigen lassen, sie müsste ihren Nutzen für die Allgemeinheit darlegen, um weiterhin anerkannt zu werden. Es ist erstaunlich, wie nahe Voltaire dieser Position ist.

Von einiger Bedeutung für die revolutionäre Entwicklung in Frankreich war die 1755 erschienene, heute nur wenigen bekannte Schrift, der Code de la Nature von Étienne-Gabriel Morelly (1717-1778), die man lange Diderot zuschrieb und die für das Denken von Gracchus Babeuf außerordentlich wichtig war. In diesem Grundgesetz der Natur, so heißt der Titel in der deutschen Übersetzung von Ernst Moritz Arndt (1846), leitet Morelly aus der naturrechtlichen Gleichheit aller Menschen das Gemeineigentum als Voraussetzung für die materielle, soziale Gleichheit in der Gesellschaft ab.

Schließlich sollte man die Maxime von Jeremy Bentham „the greatest happiness for the greatest number“ [Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl] erwähnen, sein Werk kann als aufrichtiger Versuch angesehen werden, die ungerechte Eigentumsverteilung einer rationalen Lösung zuzuführen.
Und selbstverständlich traten die französischen Revolutionäre in ihren Schriften für die soziale, materielle Gleichheit ein, herausragend sicherlich Marat, Hébert und mit Einschränkung auch Robespierre.

Die Gleichheit litt nach 1789 in Europa unter einem sehr schlechten Ruf. Unzählige Schriften und Bücher versuchten zu beweisen, dass die Forderung nach Gleichheit, würde sie umgesetzt, in ihr Gegenteil umschlagen und geradewegs in der schlimmsten Tyrannei enden müsse. Eine Auffassung, die im Übrigen auch schon Pierre Bayle in seinem Artikel Perikles vertrat und Voltaire in seinem Artikel Démocratie seiner Questions sur l’Encyclopédie diskutierte und bestritt.

Mit seinem Todesurteil gegen Gracchus Babeuf und Augustin Alexandre Darthé reagierte 1797 das Direktorium auf das letzte Aufflackern der revolutionären Forderung nach sozialer Gleichheit, die Babeuf mit seinen Verschwörern für die Gleichheit vehement vertrat, um sie ein für allemal niederzuschlagen. Babeufs Verteidigungsrede vor Gericht ist gleichermaßen ein bestürzendes Dokument und ein beeindruckendes Denkmal der Menschheitsgeschichte.

C. Quellen
– Buonarotti, Phillipp, Histoire de la Conspiration pour l’Égalité dite de Babeuf (1828), dt.: Babeuf und die Verschwörung für die Gleichheit, übers. v. Anna u. Wilhelm Blos, Stuttgart: Dietz Nachf. 1909
– Bentham, Jeremy , Fragment on Government (1776) [pdf digitalisat]
– Jaucourt, Louis de, Égalité Naturelle, Encyclopédie, 1755 , dt : Natürliche Gleichheit, in Die Welt der Enzyklopädie, Frankfurt: Eichborn, 2001, S.273-274
– Mesliers, Jean, Testament, (1864), dt.: Das Testament des Abbé Meslier, übers. v. Angelika Oppenheimer, Frankfurt: Suhrkamp, 1976
– Montesquieu, l’Ésprit des Lois, 1758, dt. : Vom Geist der Gesetze, 1760
– Rousseau, Jean Jacques, Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, 1755, dt.: Abhandlung über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, übers. v. H. G. Heusinger 1829
– Rousseau, Jean Jacques, Du Contrat social ou Principes du Droit politique,  Amsterdam: Rey, 1762. , dt.: Über den Gesellschaftsvertrag, Leipzig: Wigand, übers. v. A. Marx, 1843
– Voltaire, De l’égalité des conditions, erschien erstmals 1738 in den Epîtres sur le bonheur [Rede über das Glück]
– Voltaire, Le Mondain, 1736 (dt.: Die Verteidigung des Luxus)
– Voltaire, Brief an Rousseau vom 30.8.1755 (D6451), dt.: An Jean Jacques Rousseau in: Voltaire in seinen schönsten Briefen, übers., hrsg. v. H. Missenharter, Stuttgart: Port, 1958, 400 S.

D. Literaturhinweise
– Babeuf, Die Verschwörung für die Gleichheit, Rede über die Legitimät des Widerstands, mit Essays von H. Marcuse und A. Soboul, Hamburg: Junius, 1988, 168 S.
– Menant, Sylvain, Voltaire-Rousseau : deux conceptions modernes de l’égalité, Vortrag aus d. Jahr 2010
– Christoph Menke, Spiegelungen der Gleichheit, Beck, 2014. Menke versucht das Spannungsverhältnis zwischen natürlicher und materieller Gleichheit auszuloten. Am Beispiel Babeufs Verteidigungsrede vor Gericht zeigt er, dass es dabei um eine der wesentlichen Fragen der Menschheitsgeschichte geht.
– Gregor Ritschel, Bentham und Marx, Bielefeld: transcript, 2018 [pdf-digitalisat]

Die folgenden Anmerkungen zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020):

Anmerkung 1 (S.194, 1. Absatz): In seinen Questions sur l’Encyclopédie (1770-1772), eine Art Kompendium interessanter Artikel zu den verschiedensten Themen, nahm Voltaire auch den Artikel Égalité auf, veränderte aber den ersten Absatz, wohl wegen der Ähnlichkeit mit Rousseaus Contrat Social, folgendermaßen:
«Il est clair que les hommes jouissant des facultés attachées à leur nature, sont égaux; ils le sont quand ils s’acquittent des fonctions animales, et quand ils exercent leur entendement. Le roi de la Chine, le Grand Mogol, le padicha de Turquie, ne peut dire au dernier des hommes, Je te défends de digérer, d’aller à la garde-robe et de penser. Tous les animaux de chaque espèce sont égaux entre eux».
[dt.: Es ist offensichtlich, dass die Menschen, wenn sie die ihrer naturbedingten Fähigkeiten ausüben, gleich sind; sie sind es, wenn sie ihre animalischen Fähigkeiten ausüben und wenn sie von ihrer Vernunft Gebrauch machen.
Kein König von China, kein Großmogul, kein Padischah kann dem Geringsten seiner Untertanen verbieten, zu verdauen, auf die Toilette zu gehen und zu denken. Alle Tiere, ganz gleich welcher Art, sind untereinander gleich].

Anmerkung 2 (S. 195, 2. Absatz: „Nicht die Ungleichheit ist das wirkliche Übel, sondern die Abhängigkeit… Es ist hart, dem einem oder anderen dienen zu müssen.“):
In den Questions sur l’Encyclopédie führt Voltaire diesen Punkt weiter aus und erklärt, dass die Ungleichheit eine Folge der sozialen Veranlagung des Menschen und der daraus entstehenden Bedürfnisse sei. Ganz anders hier, wo er an dem Beispiel der türkischen Herrscher zeigt, dass sie dem Machthunger des Menschen entspringt.

Anmerkung 3 (S.195, 3. Absatz: „Aus der Familie…gehen die Knechte hervor“): Das ist ein weiterer Hinweis auf die Gewalt als Quelle der Ungleichheit, so wie auch im darauf folgenden Absatz.

Anmerkung 4 (S.195, unten: „Nicht alle Armen sind ganz und gar unglücklich“): Zu diesem Satz gibt es bei verschiedenen Übersetzern interessante Alternativen. Siehe dazu unsere Themenseite
Égalité – Gleichheit Übersetzungsvarianten im Diskussionsform „Traumdenken“.

Anmerkung 5 (S.196: Wenn die Armen ihre Lage erkennen, „kommt es zu Kriegen“):
– so wie in Rom dem der Volkspartei gegen die Senatspartei:
Am Ende des 2. Jahrhunderts v.u.Z. wollten die Gracchen eine Bodenreform einführen, um den Graben, der sich zwischen den „Optimaten“, den Adligen und den „Popularen“, dem Volk aufgetan hatte, zu verringern. Es kam zu Aufständen, in denen Tiberius Gracchus 133 v.u.Z. von Handlangern des Senats ermordet wurde. Er wollte, dass ein Gesetz erlassen wird, das den Adligen die Aneignung des sogenannten Publicus, also der von Allen gemeinsam benutzen Anbauflächen untersagt. Zehn Jahre später wurde auch sein Bruder Gaius umgebracht.  Erst Marius ab 107 v.u.Z gelang es, indem er die Proletarier in das Heer integrierte, dem Ziel näherzukommen.
– oder die Bauernkriege in Deutschland, England und Frankreich:
In seinem Essai sur les moeurs erwähnt Voltaire (chap. 76) die  sogenannten Jacqueries unter Jean le Bon um 1360, die Bauernaufstände in England unter Richard II um 1381 (chap 78) und die Bauernkriege um 1525 in Deutschland (chap 131). Diese seien durch die Anabaptisten, die Wiedertäufer, zum Aufstand gebracht worden, indem sie ihnen die gefährliche Wahrheit in die Herzen eingepflanzt hätten, dass „zwar alle Menschen von Geburt an gleich sind, aber wenn der Papst die Adligen wie Untertanen behandelt, so behandeln diese die Bauern wie Tiere“ [„Ils développèrent cette vérité dangereuse qui est dans tous les cœurs, c’est que les hommes sont nés égaux, et que si les papes avaient traité les princes en sujets, les seigneurs traitaient les paysans en bêtes“]…

Anmerkung 6 (S. 196, 3.Absatz: „Die Gleichheit ist also zugleich die natürlichste Sache von der Welt und zugleich die illusorischste):
Auch hier: Die Ungleichheit ist nicht gottgegegeben, sie ist Ergebnis ungleicher Macht- und Eigentumsverteilung, die menschlich, aber nicht unabänderlich ist. Rousseau sah die Gleichheit als ein machbares Ziel einer durch die Vernunft regierten Gesellschaft. Voltaires glaubte daran ganz offensichtlich nicht. 

Anmerkung 7 (S.196 unten: ..dass es einem Bürger nicht erlaubt sei, das Land zu verlassen):
In seinem Essai sur les moeurs (chap. 196) erwähnt Voltaire, dass es in Japan unter dem Herrscher Jemitz einen Erlass, gab,  nachdem „kein Japaner bei Todesstrafe das Land verlassen durfte“.
Aber auch jeder Normalbürger in den Fürstentümern des 18. Jahrhunderts benötigte eine Erlaubnis des Herrschers, wenn er das Land verlassen wollte.

Anmerkung 8 (S.197, 2. Absatz: „Wenn sich die Türken Roms bemächtigten…“): Obwohl also der Koch und der Kardinal in ganz verschieden Klassen leben, sind sie doch als Menschen gleich, so gleich, dass sie, änderten sich die Gesellschaftsverhältnisse, jederzeit herrschen, Gehorsam fordern und ihren Nächsten unterjochen würden.  

Anmerkung 9 (S.197 unten: Ein Privatmann,..der sich darüber ärgert, „dass er überall mit gönnerhafter oder verächtlicher Miene empfangen wird“,…)
Voltaire spricht hier ganz aus seiner eigen Erfahrung am Hofe von Versailles, aber auch bei Friedrich II in Berlin. Und er fasste selbst genau den Entschluss und hat getan, was er hier empfiehlt: nämlich wegzugehen.

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