Warum Voltaire den Artikel Ange – Engel in sein Philosophisches Taschenwörterbuch aufgenommen hat, ist einleuchtend: die inspirierenden Engel, Engelsboten, Schutzengel, sind ein zentrales Konzept der Kirche zur Verankerung ihrer Religion im kindlichen Volksglauben. D’Holbach in seinem nur 4 Jahre nach Voltaires Dictionnaire – und durchaus in Anspielung auf Voltaire – erschienenen Büchlein Theologie portative sagt es so: „Engel. Briefträger des himmlischen Kabinetts, die Gott zu seinen Lieblingen schickt. Ohne die Engel wäre Gott gezwungen, seine Besorgungen selbst zu erledigen“ und zum Thema Schutzengel: „Jeder Christ hat den Vorteil, einen Schutzengel zu haben, der ihn daran hindert, größere Dummheiten zu machen, auch wenn dies dem freien Willen abträglich ist “. Immerhin ein komplett phantastisches Modell, das auszugestalten besonderes die Kirchenväter und die Scholastik erhebliche Energie aufgewendet haben und an dem die Kirche andauernd weitergebaut hat. Zu Voltaires Zeit beschäftigte das kirchliche Engelskonzept u.a. den Benediktiner Dom Calmet (Dictionnaire historique…de la Bible 1730 1.Bd. S.202-207, in englischer Übersetzung 1830) und in mehreren Artikel das einflussreiche Wörterbuch „Dictionnaire de Trévoux“ der Jesuiten.
Die folgenden Kommentare zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020):
Anmerkung 1 (Seite 38 „Der heilige Augustinus hat in seinem 109. Brief…“.): Der Brief über die körperliche Natur der Engel ist nicht der 109. Brief, sondern der 95. an Paulinus und Therasia, online in der „Bibliothek der Kirchenväter“ erschienen.
Anmerkung 2 (S. 38 unten, Papst Gregor II): es war Gregor I. Seine vierzig Predigten (Homiliae in evangelia, 592) wurden auf Deutsch übersetzt: Des Hl. Papstes Gregor des Grossen 40 Homilien über die Evangelien, aus dem Lateinischen übertragen von der Abtei St. Gabriel zu Bertholdstein: Volksliturgisches Apostolat: 1931. (nicht digital verfügbar)
Anmerkung 3 (S. 39, Thomas von Aquin): Sein Hauptwerk, die Summa theologica, ist um 1265 erschienen. Seine Grübeleien über die guten und die bösen Engel kann man in der 113. und die über die Schutzengel in der 114. Frage nachlesen: in der Bibliothek der Kirchenväter“ auf deutsch online erschienen.
Anmerkung 4 (S. 39 Schlußsatz: „Man weiß nicht genau, wo sich die Engel aufhalten […] Gott wollte nicht, dass wir darüber etwas wissen“). Der Benediktinermönch Chaudon in seinem Dictionnaire anti-philosophique, Pour servir de Commentaire et de Correctif au Dictionnaire Philosophique et aux autres Livres, qui ont paru de nos jours contre le Christianisme, Avignon, 1767, antwortet darauf in exemplarischer Weise folgendermaßen (S.17-19): „Auch wenn einige Theologen Fragen über die Zahl, die Ordnung, das Wesen, die Fähigkeiten der Engel oder über deren Aufenthaltort auf lächerliche Weise beantwortet haben, […] dürfen das die Ungläubigen trotzdem nicht zum Anlass nehmen, die Religion zu verunglimpfen, denn sie ist immer im Recht, auch wenn einige Wenige sie manchmal mit falschen Ideen unterrichten.“