Lettres à S. A. MGR Le Prince de ***** sur Rabelais et sur d’autres Auteurs accusés d’avoir mal parlé de la Religion chrétienne
Die Lettres sur Rabelais erschienen 1767. Der Prinz, an den sie gerichtet sind, war Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg (1735-1806).
Unsere Übersetzung ist eine vorläufige Arbeitsdatei, zunächst ohne die Briefe I., II., VIII., IX., X., für die bereits eine Übersetzung (Voltaire, Kritische und Satirische Schriften, München: Winkler 1970) vorliegt.
(Stand 23.3.2024)
III. Brief: Über Vanini
Mein Herr,
um Ihre Bitte zu erfüllen, Ihnen etwas über Vanini zu berichten, kann ich nichts Besseres tun, als Sie auf den dritten Abschnitt des Artikels Atheismus im Philosophischen Wörterbuch zu verweisen; ich will zu den angemessenen Gedanken, die Sie dort finden werden, hinzufügen, dass eine Biographie Vaninis im Jahre 1717 in London gedruckt wurde. Sie ist Milord North und Crey gewidmet1. Ein französischer Flüchtling, sein Kaplan, hat sie geschrieben2. Um den Charakter dieser Person zu verstehen, genügt es zu wissen, dass er sich in seiner Geschichte auf das Zeugnis des Jesuiten Garasse3 stützt, des absurdesten und unverschämtesten Verleumders und zugleich des lächerlichsten Schriftstellers, den es je unter den Jesuiten gegeben hat. Hier sind die Worte Garasses, wie sie der Kaplan zitiert hat und wie sie wirklich in der merkwürdigen Doctrine4 dieses Jesuiten (S. 144), zu finden sind:
„Was Lucile Vanini betrifft, so war er ein Neapolitaner, ein Mann aus dem Nichts, der ganz Italien und als Pedell auch einen guten Teil Frankreichs auf der Suche nach freigiebigen Ernährern durchstreift hatte. Dieser böse Schuft, der im Jahre 1617 in die Gascogne gekommen war, begann sein Unkraut dort auszusäen. In der Annahme, Köpfe gefunden zu haben, die für seine Vorschläge empfänglich waren, beabsichtigte er, eine reiche Ernte der Gottlosigkeit einzufahren. Er schlich sich unverschämt in die Adelshäuser ein, um es sich dort so bequem zu machen, als wäre er ein Hausangestellter und als wäre er seit langem mit den Eigenheiten des Landes bekannt; aber er traf auf Gemüter, die stärker und entschlossener in der Verteidigung der Wahrheit waren, als er es sich vorgestellt hatte“.
Was kann man von einer Biographie halten, mein Herr, die auf solchen Erzählungen aufgebaut ist? Was Sie noch mehr überraschen wird, ist, dass man bei der Verurteilung dieses unglücklichen Vanini keines seiner Bücher vorlegte, in denen der angebliche Atheismus, aufgrund dessen er verurteilt wurde, enthalten gewesen wäre. Alle Bücher dieses armen Neapolitaners waren Bücher über Theologie und Philosophie, mit behördlicher Erlaubnis gedruckt und von Doktoren der Pariser Fakultät abgesegnet. Selbst seine Dialoge, die man ihm heute zum Vorwurf macht, denen man im Übrigen bloß vorhalten kann, langweilig zu sein, wurden in französischer, lateinischer und selbst griechischer Übersetzung mit dem höchsten Lob geehrt. Unter diesen Lobreden finden wir vor allem diese Verse eines berühmten Pariser Arztes:
Vaninus, vir mente potens, sophiaeque magister, Maximus, Italiae decuss, et nova gloria gentis.
(Vaninus, ein Mann mit starkem Geist und Meister der Philosophie, der Schmuck Italiens und der neue Ruhm der Nation)
Diese beiden Verse wurden auch auf Französisch wiedergegeben:
Ehre Italiens, Nachahmer Griechenlands, Vanini macht Weisheit bekannt und geschätzt.
Aber all dieses Lob ist vergessen, und man erinnert sich nur daran, dass er bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. Man muss zugeben, dass man die Menschen manchmal ein wenig zu leicht verbrennt, wie Jean Hus, Hieronymus von Prag, die Ratsherrin Anne Dubourg, Servetus, Antoine, Urbain Grandier, der Maréchale d’Ancre, Morin und Jean Calas; Zeugen jener zahllosen Schar von Unglücklichen, die fast alle christlichen Sekten reihenweise in den Flammen umkommen ließen: ein Schrecken, den die Perser, die Türken, die Tataren, die Inder, die Chinesen, die römische Republik und alle Völker des Altertums nicht kannten; ein Schrecken, der unter uns noch kaum beseitigt ist und unsere Kinder erröten lassen wird, weil sie von solch abscheulichen Vorfahren abstammen.
IV. Brief: Über englische Autoren
Mein Herr,
Eure Hoheit fragt, wer diejenigen sind, die die Kühnheit besaßen, sich nicht nur gegen die römische Kirche, sondern auch gegen die christliche Kirchen überhaupt auszusprechen; die Zahl ist erstaunlich, besonders in England. Einer der ersten ist Lord Herbert von Cherbury, der 1648 starb und durch seine Abhandlungen über die Religion des Laizismus und die der Heiden bekannt wurde5.
Hobbes erkannte keine andere Religion an als diejenige, der die Regierung ihre Zustimmung gab. Er wollte keine zwei Herren: Der wahre Papst sind die Gerichtshöfe. Diese Lehre erregte den ganzen Klerus. Man verschrie sie als Skandal, nach etwas Nie-Dagewesenem. Für den Skandal, das heißt, für das, was zu Fall bringt, gab es Anhaltspunkte; aber nicht für etwas Nie-Dagewesenes, denn in England war der König lange Zeit das Haupt der Kirche gewesen. Die Kaiserin von Russland war ihr Oberhaupt in einem Land, das größer war als das Römische Reich. In der römischen Republik war der Senat das Oberhaupt der Religion, und jeder römische Kaiser ein souveräner Papst.
Lord Shaftesbury6 übertraf Herbert und Hobbes an Kühnheit und Stil bei weitem. Seine Verachtung für die christliche Religion sticht allzu offensichtlich hervor.
Wollastons Natural Religion ist mit größerer Sorgfalt geschrieben; da er aber nicht die Stellung eines Lord Shaftesbury hatte, so ist dieses Buch kaum gelesen worden, außer von Philosophen7.
Von Toland
Toland8 teilte heftigere Schläge aus. Er war eine stolze, unabhängige Seele; in Armut geboren, wäre er vielleicht zu Reichtum aufgestiegen, wenn er gemäßigter gewesen wäre. Die Verfolgung irritierte ihn; er schrieb gegen die christliche Religion aus Hass und Rache.
Sein erstes Buch das den Titel Christentum ohne Geheimnis trägt, hatte er selbst etwas geheimnisvoll geschrieben, seine Kühnheit war unter einem Schleier verborgen. Er wurde verurteilt; er wurde bis nach Irland verfolgt, und alsbald war der Schleier zerrissen. Seine Werke Origines Judaicae9, Nazarenus10, sein Pantheisticon11 waren Ausdruck der Kämpfe, die er offen gegen das Christentum führte. Das Merkwürdige ist, dass, nachdem er in Irland wegen des vorsichtigsten seiner Werke unterdrückt worden war, er in England nie, auch nicht wegen der kühnsten seiner Bücher belästigt wurde.
Man warf ihm vor, sein Pantheisticon mit einem gotteslästerlichen Gebet beendet zu haben, das in der Tat in einigen Ausgaben zu finden ist: „Omnipotens et sempiterne Bacche, qui hominum corda donis tuis recreas, concede propitius ut qui hesternis poculis aegroti facti sunt, hodiernis curentur, per pocula poculorum. Amen!“12
Da es sich bei dieser Profanation aber um eine Parodie auf ein Gebet der katholischen Kirche handelte, waren die Engländer davon nicht schockiert. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass dieses profane Gebet gar nicht von Toland stammt; es wurde zweihundert Jahre zuvor in Frankreich von einer Gesellschaft von Trinkern erstellt und findet sich in der 1563 gedruckten Carême allégorisé. Dieser Narr von einem Jesuiten Garasse spricht davon in seiner Doctrine curieuse, Buch II, Seite 201.
Toland starb 1721 mit großem Mut. Seine letzten Worte waren: „Ich gehe schlafen.“ Es gibt noch ein paar Verse zu Ehren seines Andenkens; sie wurden nicht von Priestern der anglikanischen Kirche verfassst.
Von Locke
Der große Philosoph Locke ist zu Unrecht zu den Feinden der christlichen Religion gezählt worden. Es ist wahr, dass sein Buch Die Vernünftigkeit des Christentums13 ziemlich weit vom gewöhnlichen Glauben abweicht; aber die Religion der Primitiven, die man Zitterer nennt, die in Pennsylvanien eine so große Figur macht, ist dem gewöhnlichen Christentum noch weiter entfernt; und doch stehen sie im Ruf, Christen zu sein.
Man hat ihn beschuldigt, nicht an die Unsterblichkeit der Seele zu glauben, weil er überzeugt war, dass Gott, der absolute Herr aller Dinge, der Materie Gefühle und Gedanken geben konnte (wenn gewollt hätte). Herr von Voltaire hat ihn gegen diesen Vorwurf verteidigt. Er (Locke) bewies, dass Gott das Atom, die Monade, die er mit der Gabe des Denkens zu begünstigen geruhte, ewig bewahren kann14. Das war die Auffassung des berühmten und heiligen Priesters Gassendi15 frommer Verteidiger des Guten, das in der Lehre des Epikur stecken mag. Lesen Sie seinen berühmten Brief an Descartes16:
„Von woher kommt dieser Begriff zu Ihnen? Kommt er vom Körper her, können sie selbst nicht ohne Ausdehnung sein. Lehren Sie uns, wie es möglich ist, dass das Wesen oder die Idee eines Körpers, der ausgedehnt ist, von Ihnen aufgenommen werden kann, d.h. von einer Substanz, die nicht ausgedehnt ist. Es ist wahr, Sie sind sich dessen bewusst, dass Sie denken, aber Sie wissen nicht, was für eine Art Substanz Sie als denkendes Wesen sind, obwohl Ihnen die Funktionsweise des Denkens bekannt ist. Der Hauptteil Ihres Wesens ist vor Ihnen verborgen, und Sie wissen nicht, was die Natur dieser Substanz ist, zu deren Operationen das Denken gehört, usw..“
Locke starb in Frieden und sagte zu Mrs. Masham17 und ihren Freunden um ihn herum: „Das Leben ist reine Eitelkeit.“
Von Bischof Taylor und von Tindal
Taylor, Bischof von Connor, ist vielleicht wegen seines Buches The Guide of the Doubters zu Unrecht zu den Ungläubigen gezählt worden.18
Aber für Dr. Tindal, den Verfasser von Das Christentum, so alt wie die Welt19, war er immer der unerschrockenste Anhänger der Naturreligion sowie des Königshauses von Hannover. Er war einer der gelehrtesten Männer in der Geschichte Englands. Er wurde für den Rest seines Lebens mit einer Pension von zweihundert Pfund Sterling geehrt. Da er die Bücher von Pope nicht schätzte, die er absolut ohne Genie und Phantasie fand und er ihm nur das Talent zugestand, Verse zu schmieden und Gedanken anderer ins Werk zu setzen, war Pope sein unerbittlicher Feind. Tindal war überdies ein glühender Whig und Pope ein Jakobit20. Es ist kein Wunder, dass ihn Pope in seiner Dunciade21 zerriss, einem Werk, das Dryden nachahmt und voller Niedertracht und ekelhafter Bilder ist.
Von Collins
Einer der furchtbarsten Feinde der christlichen Religion war Anthony Collins22, Großschatzmeister der Grafschaft Essex, ein guter Metaphysiker und von großer Gelehrsamkeit. Es ist traurig, dass er seine tiefgründige Dialektik nur gegen das Christentum einsetzte. Dr. Clarke, ein berühmter Socinianer, Autor eines sehr guten Buches23, in dem er die Existenz Gottes beweist, gelang es nie, auf Collins‘ Bücher zufriedenstellend zu antworten und verfing sich stattdessen in Beleidigungen.
Seine philosophischen Forschungen über die Freiheit des Menschen, über die Grundlagen der christlichen Religion, über die Prophezeiungen der Bibel, über die Freiheit des Denkens sind bedauerlicherweise siegreiche Werke geblieben.
Von Woolston
Der allzu berühmte Thomas Woolston24, Magister Artium in Cambridge, zeichnete sich um das Jahr 1726 durch seine Reden gegen die Wunder Jesu Christi25 aus und erhob sein Banner so hoch, dass er seine Werke in London in seinem eigenen Hause verkaufen ließ. Drei Auflagen wurden in rascher Folge von je zehntausend Exemplaren hergestellt.
Niemand hatte sich bisher in Sachen Kühnheit und Skandal so weit vorgewagt. Er behandelt die Wunder und die Auferstehung unseres Erlösers als kindische und extravagante Geschichten. Er sagt, dass Jesus Christus, als er für seine Jünger Wasser in Wein verwandelte, dies anscheinend geschah, um ihn; da sie bereits betrunken waren, zu Punsch zu verdünnen. Die Geschichte von Gott, den der Teufel auf die Zinne des Tempels und auf einen Berg entführt hatte von dem aus alle Reiche der Erde zu sehen waren, erschien ihm als eine ungeheuerliche Gotteslästerung. Der Teufel, der in eine Herde von zweitausend Schweinen geschickt wurde, vom Feigenbaum, der vertrocknete, weil er keine Feigen getragen hatte, obwohl es nicht Feigenzeit war, die Transfiguration Jesu, und seine Kleider, die ganz weiß wurden, sein Gespräch mit Moses und Elias, kurz, seine ganze heilige Geschichte wird in einen lächerlichen Roman verwandelt. Woolston sparte nicht mit beleidigendsten und verächtlichsten Ausdrücken. Unseren Herrn Jesus Christus nennt er oft: ein Bursche, dieser Kerl; ein Wanderer, ein Vagabund, ein Bettelmönch, ein Quacksalber.
Er rettet sich jedoch mit dem Hinweis auf den mythischen Sinn, indem er sagt, dass diese Wunder fromme Allegorien sind. Alle guten Christen haben jedoch einen Schrecken vor seinem Buch gehabt.
Eines Tages ereignete es sich, dass ihn eine Betschwester, als sie ihn auf der Straße vorbeigehen sah, ins Gesicht spuckte. Er wischte sich in aller Ruhe ab und sprach zu ihr: „Genau so haben die Juden deinen Gott behandelt“. Er starb in Frieden und sprach: „This is a pass every man must come to“ [dt.: dies ist ein Endpunkt, der jeden Mensch erwartet].
Sie werden im Dictionaire portatif des Abbé Ladvocat26und in einem Nouveau Dictionnaire portatif, in dem man denselben Fehler kopiert hat, finden, dass Woolston im Jahre 1733 im Gefängnis gestorben sei. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein; mehrere meiner Freunde haben ihn in seinem Haus angetroffen: er starb in Freiheit und bei sich zuhause.
Von Warburton
Warburton, den Bischof von Glocester27, hat man als einen der kühnsten Ungläubigen, die je geschrieben haben angesehen, weil er Legation of Moses behauptete, nachdem er Shakespeare kommentiert hatte, dessen Komödien und manchmal sogar Tragödien von zügellosem Spott wimmeln, Gott habe sein geliebtes Volk nicht die Unsterblichkeit der Seele gelehrt. Es mag sein, dass dieser Bischof zu hart beurteilt wurde, und dass der Stolz und der satirische Geist, den man ihm vorwarf, die ganze Nation gegen ihn aufbrachte. Es ist viel gegen ihn geschrieben worden. Die ersten beiden Bände seines Werkes erscheinen nur als ein eitles Wirrwarr von falscher Gelehrsamkeit, in denen er sein Thema nicht einmal behandelt, und die überdies seinem Gegenstande widersprechen, da sie nur darauf abzielen, zu beweisen, dass alle Gesetzgeber die Unsterblichkeit der Seele zu einem Grundsatz ihrer Religionen gemacht haben, worin selbst Warburton irrt. Denn weder Sanchoniathon der Phönizier, noch das chinesische Buch der Fünf Könige, noch Konfuzius nehmen diesen Grundsatz an.
Aber an keiner Stelle seiner vielen Ausflüchte antwortet Warburton auf die bedeutenden Beweisführungen, mit denen man ihn konfrontiert hatte. Er behauptete, alle Weisen hätten die Unsterblichkeit der Seele, die Strafen und Belohnungen nach dem Tode als Grundlage der Religion festgelegt; doch Moses spricht weder in seinem Dekalog noch in irgendeinem seiner Gesetze davon; daher war Moses nach ihrer Ansicht kein weiser Mann. Entweder wurde ihm dieses große Dogma erläutert, oder er kannte es nicht: wenn er darin unterwiesen wurde, so ist er schuldig, es nicht gelehrt zu haben; Wenn er es nicht kannte, war er unwürdig, Gesetzgeber zu sein.
Entweder Mose war von Gott inspiriert, oder er war nur ein Scharlatan: wenn Gott Mose inspirierte, konnte er ihm die Unsterblichkeit der Seele nicht verheimlichen, und wenn er ihn nicht lehrte, was alle Ägypter wussten, so hat Gott ihn und sein ganzes Volk getäuscht; wenn Sie, Herr Warburton, annehmen, dass Moses nur ein Scharlatan war, zerstören Sie das ganze mosaische Gesetz und untergraben damit die christliche Religion, die auf der mosaischen aufgebaut ist, von Grund auf. Und schließlich, wenn Sie annehmen, Gott habe Mose getäuscht, machen Sie das unendlich vollkommene Wesen zu einem Betrüger und Schurken. Wohin Sie sich auch drehen und wenden, Sie lästern.
Wenn Sie glauben, Sie könnten sich aus der Affäre ziehen, indem Sie sagen, Gott habe sein Volk direkt entgolten, indem er es sogleich für seine Abweichungen bestrafte und mit irdischen Gütern belohnte, wenn es treu war. Diese Ausflucht ist erbärmlich, denn wie viele Übertreter haben ihre Tage so wie Salomon in Wonne verbracht! Muss man nicht den gesunden Menschenverstand oder die Scham verloren haben, um zu sagen, dass bei den Juden kein Schurke der irdischen Strafe entging? Ist nicht in der Heiligen Schrift hundertmal von der Glückseligkeit der Gottlosen die Rede?
Wir wussten schon vor Ihnen, Herr Warburton, dass weder der Dekalog noch der Levitikus die Unsterblichkeit der Seele oder ihre Spiritualität erwähnen; noch Strafen und Belohnungen in einem anderen Leben; aber von Ihnen hörte man das nicht. Was für einen Laien verzeihlich ist, ist für einen Priester nicht verzeihlich; und vor allem hätten Sie es nicht in vier langweiligen Bänden sagen sollen.
Das ist, was gegen Warburton vorgebracht wurde. Er antwortete mit abscheulichen Beleidigungen und endlich glaubte er, Recht zu haben, weil ihm sein Bistum zweitausendfünfhundert Guineen Rente einbrachte. Ganz England erklärte sich trotz seiner Guineen gegen ihn. Er hat sich durch die Bösartigkeit seines unverschämten Charakters viel mehr verhasst gemacht als durch die Absurdität seines Systems.
Von Bolingbroke
Mylord Bolingbroke28 war kühner als Warburton und von besserem Glauben. In seinen Philosophischen Werken sagt er stets, dass Atheisten viel weniger gefährlich sind als Theologen. Er argumentierte als Staatsminister, der wusste, wie viel Blut theologische Auseinandersetzungen England gekostet hatten; aber er sollte sich darauf beschränken, die Theologie zu verbieten, und nicht die christliche Religion, aus der jeder Staatsmann sehr große Vorteile für das Menschengeschlecht ziehen kann, indem er sie in ihren Schranken weist, wenn sie diese überschritten hat. Nach dem Tode des Lord Bolingbroke wurden einige seiner Werke veröffentlicht, die noch heftiger sind als seine Philosophische Sammlung; er entfaltet darin eine verhängnisvolle Beredsamkeit. Niemand hat je etwas Stärkeres geschrieben: wir sehen, dass er einen Abscheu vor der christlichen Religion hatte. Es ist traurig, dass ein so erhabenes Genie einen Baum an der Wurzel fällen wollte, den er durch Beschneiden der Zweige und Säubern seines Mooses sehr nützlich hätte machen können.
Man kann die Religion reinigen. Dieses große Werk wurde vor fast zweihundertfünfzig Jahren begonnen29; aber die Menschen werden nur nach und nach aufgeklärter. Wer hätte damals vorausgesehen, dass wir die Strahlen der Sonne analysieren, mit Donner elektrisieren und das Gesetz der universellen Gravitation entdecken würden, das dem Universum zugrunde liegt? Es ist an der Zeit, so Bolingbroke30, dass die Theologie verbannt wird, so wie die Astrologie bei Gericht, die Hexerei, die Besessenheit vom Teufel, die Wünschelrute, das universelle Allheilmittel und die Jesuiten verbannt werden. Die Theologie hat immer nur dazu gedient, Gesetze ins Gegenteil umzustoßen und die Herzen zu verderben: sie allein macht Atheisten, denn die große Zahl der Theologen, die Vernunft genug haben, um die Lächerlichkeit dieser Hirngespinste zu erkennen, wissen nicht genug, um sie durch eine gesunde Philosophie zu ersetzen. Die Theologie, sagen sie, ist nach der Bedeutung des Wortes die Wissenschaft von Gott. Nur haben die Schurken, die diese Wissenschaft entweiht haben, absurde Vorstellungen von Gott verbreitet, und daraus schließen sie, dass Gott selbt ein Hirngespinst ist, weil die Theologie eine Hirngespinst ist. Das ist genau das gleiche, wie wenn man sagt, dass man nicht Chinarinde gegen Fieber einnehmen sollte, bei Übergewicht keine Diät halten, noch bei Schlaganfall zu Ader lassen sollte, weil es schlechte Ärzte gegeben hat; es bedeutet, das man das Wissen über den Lauf der Sterne leugnen soll, weil es Astrologen gegeben hat; es sollen die offensichtlichen Wirkungen der Chemie geleugnet werden, weil Quacksalber vorgetäuscht haben, Gold herzustellen. Die Leute von Welt, die noch unwissender sind als diese kleinlichen Theologen, sagen: „Hier sind Bakkalaureaten und Lizentiaten, die nicht an Gott glauben; Warum sollten wir an ihn glauben? Das ist die verhängnisvolle Folge des theologischen Geistes. Falsche Wissenschaft macht Atheisten; wahre Wissenschaft wirft den Menschen vor Gott nieder und macht denjenigen gerecht und weise, der durch den Missbrauch der Theologie ungerecht und töricht geworden ist.
Von Thomas Chubb
Thomas Chubb31ist ein von der Natur geformter Philosoph. Die Feinheit seines Genies, die er missbrauchte, führte ihn dazu, nicht nur der Partei der Socinianer anzuhängen, die Jesus Christus nur als einen Menschen betrachten, sondern auch jener der starrsinnigen Deisten, die einen Gott anerkennen und kein Mysterium zulassen. Seine Fehler sind methodischer Natur: Er möchte alle Menschen in einer Religion vereinen, von der er glaubt, dass sie geläutert sei, weil sie einfach ist. Das Wort Christentum steht in seinen verschiedenen Werken auf jeder Seite, aber es selbst ist nicht darin enthalten. Er wagt zu glauben, dass Jesus Christus der Religion von Thomas Chubb angehöre, aber er selbst gehört nicht der Religion von Jesus Christus an. Ein fortwährender Missbrauch der Worte ist die Grundlage seiner Überzeugungskraft. Jesus Christus sagte: „Liebe Gott und deinen Nächsten“, das ist das ganze Gesetz, das ist der ganze Mensch. Chubb hält sich an diese Worte und lässt alles andere beiseite. Er hält unseren Erlöser für einen Philosophen wie Sokrates, der wie dieser getötet wurde, weil er den Aberglauben und die Priester seines Landes bekämpfte. Im Übrigen schrieb er zurückhaltend und verhüllte sich stets mit einem Schleier. Die Undeutlichkeiten, in die er sich hüllte, brachten ihm mehr Ansehen als Leser ein.
V. Brief: Über Swift
Es ist wahr, Monsieur, dass ich nicht von Swift gesprochen habe32; er verdient einen eigenen Artikel. Er ist der einzige englische Schriftsteller dieser Kategorie, der humorvoll war. Es ist eine sehr merkwürdige Sache, dass die beiden Männer, denen man am meisten vorwerfen kann, dass sie es gewagt haben, die christliche Religion lächerlich zu machen, zwei für die Seelen zuständige Priester gewesen sind. Rabelais war Pfarrer von Meudon, und Swift Dekan der Kathedrale von Dublin: beide schleuderten mehr Sarkasmen gegen das Christentum als Molière sie der Medizin verpasste, und beide lebten und starben friedlich, während andere Männer wegen einiger zweideutiger Worte verfolgt, vor Gericht gestellt und umgebracht wurden.
Manchmal zerbricht einer, wo der andere sich rettet,
Und woran der eine zugrunde geht, schützt den andren.
(Cinna, Akt II, Szene I.)33
Die Erzählung vom Fass des Dekan Swift34ist eine Imitation der Drei Ringe35 Die Fabel von diesen drei Ringen ist sehr alt: Sie stammt aus der Zeit der Kreuzzüge. Es war ein alter Mann, der, als er starb, jedem seiner drei Kinder einen Ring hinterließ; sie stritten sich, wer den Schönsten hätte; schließlich, nach langer Debatte, einigte man sich darauf, dass die drei Ringe genau gleich seien. Der gute alte Mann ist der Deismus, die drei Kinder sind die jüdische, die christliche und die muslimische Religion.
Der Autor vergaß die Religionen der Magier, der Brahmanen und viele andere; da er ein Araber war, kannte er nur diese drei Sekten. Diese Fabel führt zu jener Indifferenz, die man dem Kaiser Friedrich II. sehr vorwarf und auch seinem Kanzler de Vineis36, den man beschuldige, das Buch De Tribus Impostoribus verfasst zu haben, das, wie Sie wissen, nie existiert hat.37
Die Geschichte von den drei Ringen findet sich in einigen alten Sammlungen, der Doktor Swift hat sie durch drei Gewänder ersetzt. Die Einleitung zu diesem gottlosen Spott ist des ganzen Werkes würdig; sie zeigt einen Holzschnitt, der drei Varianten öffentlichen Sprechens darstellt: erstens das Theater von Harlekin und Gilles, dem Narren; zweitens einen Prediger, dem eine halbes Fass als Kanzel dient; drittens eine Leiter, von deren Ende aus ein Mann, der gehängt werden soll, zum Volk spricht. Ein Prediger zwischen Gilles, dem Narren, und einem Gehenkten macht keine gute Figur.
Der Hauptteil des Buches ist eine allegorische Geschichte der drei Hauptsekten, die Südeuropa trennen, die römische, die lutherische und die calvinistische; denn er spricht nicht von der griechischen Kirche, die sechsmal so viel Boden besitzt wie jede der drei anderen, und er übergeht den Mohammedanismus, der viel verbreiteter ist, als die griechische Kirche.
Die drei Brüder, denen der alte Vater drei gleichfarbige Gewänder vermachte, sind Peter, Martin und Johannes, das heißt der Papst, Luther und Calvin. Der Autor lässt seine drei Helden mehr extravagante Streiche vollbringen, als Cervantes seinen Don Quijote und Ariost seinen Roland; Dabei ist Peter der von den drei Brüdern am meisten misshandelte38. Das Buch ist sehr schlecht ins Französische übersetzt; es gelang nicht, seinen Witz, mit dem es gewürzt ist, wiederzugeben. Dieser Witz bezieht sich oft auf Zwistigkeiten zwischen der anglikanischen Kirche und den Presbyterianern, auf Bräuche, auf Vorfälle, die in Frankreich unbekannt sind, und auf Wortspiele, die der englischen Sprache eigen sind. Zum Beispiel bedeutet das Wort, das auf Französisch eine päpstliche Bulle bedeutet, auf Englisch auch einen Bullen. Es ist eine Quelle der Zweideutigkeit und der Witze, die einem französischen Leser zwangsläufig entgehen.
Swift war weit weniger gelehrt als Rabelais; aber sein Geist ist feiner und geschmeidiger, er ist der Rabelais der guten Gesellschaft. Die Lords Oxford und Bolingbroke gaben demjenigen, der die christliche Religion verspottet hatte, die nach dem Erzbistum Dublin beste Pfründe von Irland, während Abbadie, der ein Buch zu Gunsten dieser Religion geschrieben hatte und sie mit Lob überhäufte, nur eine unglückliche kleine Dorfpfründe bekam; aber es ist zu beachten, dass beide geisteskrank gestorben sind39.
VI. Brief: Über die Deutschen
Mein Herr,
Auch in Ihrem Deutschland sind viele große Herren und Philosophen der Irreligiosität bezichtigt worden. Euer berühmter Cornelius Agrippa wurde im sechzehnten Jahrhundert nicht nur als Hexenmeister, sondern auch als Ungläubiger angesehen40. Das ist widersprüchlich: denn ein Hexenmeister glaubt an Gott, weil er es wagt, den Namen Gottes in alle seine Beschwörungen einzubauen; ein Hexenmeister glaubt an den Teufel, da er sich dem Teufel hingibt. Mit diesen beiden Verleumdungen belastet wie Apuleius41, hatte Agrippa das große Glück, nur ins Gefängnis zu kommen und an keinem anderen Ort als im Krankenhaus zu sterben. Er war es, der als erster sagte, dass die verbotene Frucht, von der Adam und Eva gegessen hatten, der Genuss der Liebe war, der sie sich, noch bevor sie den Hochzeitssegen von Gott empfangen hatten, hingegeben hatten42. Er war es auch, der, nachdem er die Wissenschaften gepflegt hatte, der erste war, der gegen sie schrieb. Er schimpfte über die Milch, die ihn ernährt hatte, weil er sie sehr schlecht verdaut hatte. Er starb 1535 im Krankenhaus von Grenoble.
Euren berühmten Doktor Faustus43kenne ich nur als Held in der Komödie, die man in allen Provinzen bei euch im Reich aufführt. Euer Dr. Faustus ist darin laufend in Kontakt mit dem Teufel. Er schreibt ihm Briefe, die er mittels eines Fadens durch die Luft versendet: er erhält von ihm Antworten. In jedem Akt sind Wunder zu sehen, und am Ende des Stücks wird Faustus vom Teufel geholt. Man sagt, er sei in Schwaben geboren und habe unter Maximilian I.44 gelebt. Ich glaube nicht, dass er mit Maximilian mehr Glück gehabt hat als mit seinem anderen Herrn, dem Teufel.
Auch der berühmte Erasmus wurde von den Katholiken und von den Protestanten der Irreligiosität verdächtigt, weil er sich angesichts der Übertreibungen, in die alle beide verfielen, über sie lustig machte. Wenn zwei Parteien unrecht haben, wird, wer neutral bleibt und daher Recht hat, von beiden beleidigt. Die Statue, die ihm auf dem Platz seiner Heimatstadt Rotterdam errichtet wurde, hat ihn an Luther und an der Inquisition gerächt.45
Melanchthon, Schwarze Erde46, war ungefähr wie Erasmus. Es heißt, er habe seine Ansichten über die Erbsünde und die Prädestination vierzehnmal geändert. Wie man sagt, wurde er der Proteus Deutschlands genannt. Er wäre gerne Neptun gewesen, der die verheerenden Stürme zurückhält47.
Jam coelum terramque meo sine numine, venti,
Miscere, et tantas audetis tollere moles!
(Virg., Aeneis., I, 137.48
Er war gemäßigt und tolerant. Er galt als gleichgültig. Obwohl er Protestant geworden war, riet er seiner Mutter, katholisch zu bleiben. Daher urteilte man, dass er weder das eine noch das andere gewesen sei.
Ich lasse, wenn Sie mir erlauben, die Menge der Sektierer aus, denen man vorwirft, sie schlössen sich Gruppierungen nicht deshalb an, weil sie Meinungen anhängen, sondern weil sie an Ehrgeiz oder Habgier statt an Luther und den Papst glauben. Ich will nicht von den Philosophen sprechen, denen man vorwirft, als einziges Evangelium die Natur gehabt zu haben49.
Ich komme zu Ihrem berühmten Leibniz. Fontenelle, der ihn in Paris vor der versammelten Akademie lobte50, äußert sich über seine Religion folgendermaßen: „Man wirft ihm vor, nur ein großer und starrer Anhänger des Naturrechts gewesen zu sein: seine Pastoren haben ihm dafür öffentliche und überflüssige Verweise erteilt.“
Sie werden bald sehen, Monsieur, dass Fontenelle, der so sprach, nicht minder schweren Anschuldigungen ausgesetzt war.51
Wolff, Schüler von Leibniz, war einer größeren Gefahr ausgesetzt52: Er lehrte Mathematik an der Universität Halle mit erstaunlichem Erfolg. Der Theologieprofessor Lange, der in der Einsamkeit seines Hörsaals vor Kälte erstarrte, während Wolff fünfhundert Hörer hatte, rächte sich, indem er Wolff als Atheisten denunzierte. Der verstorbene König von Preußen, Friedrich Wilhelm, der seine Truppen besser verstand als die Streitigkeiten der Gelehrten, glaubte Lange zu leicht: er stellte Wolff vor die Wahl, entweder sein Herrschaftsgebiet in vierundzwanzig Stunden zu verlassen oder gehängt zu werden. Der Philosoph löste das Problem auf der Stelle, indem er sich nach Marburg zurückzog, wohin ihm seine Schüler folgten und wo sein Ruhm und sein Vermögen wuchsen. Die Stadt Halle verlor damals jährlich mehr als vierhunderttausend Goldtaler, die Wolff durch den Zustrom seiner Schüler eingebracht hatte. Die Einkünfte des Königs litten, und das Unrecht, das dem Philosophen angetan wurde, fiel so auf den Monarchen selbst zurück. Ihr wisst, Monsieur, mit welcher Billigkeit und Großmut der Nachfolger dieses Fürsten den Irrtum wieder gutmachte, in den man seinen Vater hineingezogen hatte53.
In dem Artikel Wolff heißt es in einem Wörterbuch, dass Karl Friedrich, der gekrönte Philosoph und Freund Wolffs, ihn zum Vizekanzler der Universität des Kurfürsten von Bayern und zum Reichsfreiherrn erhoben habe. Der König, von dem der Artikel spricht, ist in der Tat ein Philosoph, ein Gelehrter, ein sehr großes Genie und ein sehr großer Heerführer auf dem Thron; aber er heißt weder Karl, noch gibt es in seinem Herrschaftsgebiet eine Universität, die dem Kurfürsten von Bayern gehört und die Reichsfreiherrn ernennt nur der Kaiser allein. Diese kleinen Fehler, die in allen Wörterbüchern allzu häufig vorkommen, lassen sich leicht korrigieren54.
Seit dieser Zeit hat die Gedankenfreiheit in ganz Norddeutschland erstaunliche Fortschritte gemacht. Diese Freiheit ist so weit vorangetrieben worden, dass im Jahre 1766 ein Abriss der Kirchengeschichte von Fleury mit einem beredten Vorwort gedruckt werden konnte, das mit folgenden Worten beginnt:
„Die Errichtung der christlichen Religion hatte, wie alle Reiche, schwache Anfänge. Ein Jude aus der Hefe des Volkes von zweifelhafter Geburt, der die Absurditäten alter Prophezeiungen mit moralischen Anweisungen vermischt, dem Wunder zugeschrieben werden, ist der Held dieser Sekte. Zwölf Fanatiker verbreiten sie vom Osten bis nach Italien“ usw.55
Es ist betrüblich, dass der Verfasser dieses übrigens tiefgründigen und erhabenen Stückes sich von einer Kühnheit hat mitreißen lassen, die für unsere heilige Religion so verhängnisvoll ist. Nichts könnte verderblicher sein. Diese erstaunliche Druckerlaubnis hat jedoch kaum Lärm verursacht. Es bleibt zu hoffen, dass das Buch keine große Verbreitung findet. Man hat davon, nehme ich an, nur eine kleine Anzahl von Exemplaren gedruckt.
Die Rede des Kaisers Julian gegen das Christentum, die der Marquis d’Argens, Kammerherr des Königs von Preußen, in Berlin übersetzt und dem Prinzen Ferdinand von Braunschweig gewidmet hat56, wäre ein nicht minder verhängnisvoller Schlag für unsere Religion gewesen, wenn der Verfasser sich nicht bemüht hätte, die aufgestörten Geister durch gelehrte Anmerkungen zu beschwichtigen. Dem Werke ist eine weise und lehrreiche Vorrede vorangestellt, in der er (das muss man zugestehen) den großen Eigenschaften und Tugenden Julians ebenso Gerechtigkeit widerfahren lässt, wie er die verhängnisvollen Irrtümer jenes Kaisers benennt. Ich glaube, Monsieur, dass Ihnen dieses Buch nicht unbekannt ist, und dass Ihr Christentum dadurch nicht erschüttert worden ist.
VII. Brief: Über die Franzosen
Sie haben, glaube ich, sehr wohl erraten, Mylord, dass es in Frankreich mehr Menschen gibt, die der Gottlosigkeit beschuldigt werden, als wahrhaft Gottlose; so wie es viel mehr Verdachtsfälle von Vergiftungen als Giftmischer gegeben hat. Die Unruhe, die Lebhaftigkeit, die Schwatzlust, das Ungestüm der Franzosen ließen sie immer mehr Verbrechen vermuten, als begangen wurden. Das ist der Grund, warum bei Mézerai selten ein Adliger stirbt, ohne vergiftet worden zu sein57.
Der Jesuit Garasse und der Jesuit Hardouin58 vermuten überall Atheisten. Viele Mönche oder Menschen, die schlimmer als Mönche sind, sind aus Furcht vor der Schmälerung ihrer Glaubwürdigkeit Wächter gewesen, die immerzu riefen: „Wer da? Der Feind steht vor den Toren“. Dank sei Gott, dass wir viel weniger Menschen haben, die Gott leugnen, als gesagt wird.
Von Bonaventure Des-Periers
Eines der frühesten Beispiele für eine Verfolgung durch Verbreitung von Angst und Schrecken in Frankreich war der merkwürdige Aufruhr, der fortwährend um das Cymbalum mundi gemacht wurde, ein kleines Büchlein von höchstens fünfzig Seiten59. Der Verfasser, Bonaventure Des-Periers60, lebte zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Dieser Des-Periers war Diener von Marguerite de Valois, der Schwester von Franz I. Damals erlebte die Literatur eine Renaissance. Des-Periers wollte einige lateinische Dialoge im Stil Lukians schreiben: er verfasste vier sehr fade Dialoge61 über Prophezeiungen, über den Stein der Weisen, über ein sprechendes Pferd und über die Hunde des Aktäon. Gewiss kommt in diesem ganzen Durcheinander eines Schuljungen nicht ein einziges Wort vor, das zu den Dingen, die wir verehren sollten, auch nur die geringste oder entfernteste Beziehung hat.
Einige Ärzte ließen sich davon überzeugen, dass mit den Hunden und Pferden sie gemeint seien. Was die Pferde anbelangt, so waren sie an diese Ehre nicht gewöhnt. Die Ärzte bellten; das Werk wurde sofort nachgefragt, in die Vulgärsprache übersetzt und gedruckt; und jeder Müßiggänger fand Anspielungen darin; und die Ärzte schrien „Ketzer, Gottloser, Atheist“. Das Büchlein wurde dem Richter vorgelegt, der Buchhändler Morin ins Gefängnis geworfen, und den Verfasser versetzte man in große Angst.
Die ungerechtfertigte Verfolgung erschütterte Bonaventuras geistige Verfassung so stark, dass er sich in Margaretes Palast mit dem Schwert tötete. Alle Zungen der Prediger, alle Federn der Theologen haben sich an diesem verhängnisvollen Tod abgearbeitet. Er hat sich selbst umgebracht: darum war er schuldig; darum glaubte er nicht an Gott; folglich war sein kleines Buch, das zu lesen niemand die Geduld hatte, der Katechismus der Atheisten. Jedermann hat es gesagt, jeder hat es geglaubt: Credidi propter quod locutus sum, „Ich glaubte, weil ich sprach“62, ist das Motto der Menschen. Man wiederholt etwas Törichtes, und kraft der Wiederholung ist man davon überzeugt.
Das Buch wurde zu einer extremen Seltenheit: ein neuer Grund, es für infernalisch zu halten. Alle Verfasser literarischer Anekdoten und Wörterbücher haben es nicht versäumt, zu behaupten, dass das Cymbalum mundi ein Vorläufer Spinozas sei.
Wir haben auch ein Werk eines Ratsherrn von Bourges, namens Catherinot, das des Wappens von Bourges sehr würdig ist63. Dieser große Richter sagte: „Wir haben zwei gottlose Bücher, die ich noch nie gesehen habe: das eine, De tribus Impostoribus; das andere ist das Cymbalum mundi. Aha! Mein Freund, wenn du sie nicht gesehen hast, warum sprichst du dann über sie?
Der Minime Mersenne, jener Briefträger von Descartes, derselbe, der Vanini zwölf Apostel andichtet, sagt über Bonaventura Des-Periers: „Er ist ein Ungeheuer und ein Schuft von vollendeter Gottlosigkeit.64“ Sie werden feststellen, dass auch er das Buch nicht gelesen hat. Nur zwei Exemplare waren in Europa vorhanden, als Prosper Marchand es 1711 in Amsterdam nachdruckte. Da wurde der Schleier gelüftet: Man verschrie es nicht mehr der Gotteslästerung, des Atheismus; man verschrie es als langweilig und sprach nicht mehr darüber.
Von Theophile
So war es auch mit Theophile, der zu seiner Zeit sehr berühmt war65: er war ein junger Mann aus guter Gesellschaft, dem es leicht fiel, mittelmäßige Verse zu schreiben, die aber einen guten Ruf hatten; sehr gebildet in Belletristik, rein lateinisch schreibend; ein Mann der Tafel wie des Kabinetts, willkommen bei den jungen Herren, die sich mit Geist schmückten, und vor allem bei dem berühmten und unglücklichen Herzog von Montmorency, der, nachdem er Schlachten gewonnen hatte, auf dem Schafott starb66.
Als er sich eines Tages mit zwei Jesuiten traf und das Gespräch auf einige Punkte der unglücklichen Philosophie seiner Zeit kam, wurde der Streit erbittert. An die Stelle von Begründungen setzten die Jesuiten Beleidigungen. Theophile war ein Dichter und ein Gascogner, genus irritabile vatum et Vasconum67. Er verfasste ein kleines Gedicht, in dem er die Jesuiten nicht allzu gut behandelt. Hier sind drei Verse, die in ganz Frankreich umliefen:
Diese Maschine, groß und schwarz,
Mit ihrem geschmeidigen, riesigen Körper
Streckt ihre Tentakeln aus bis nach China.
Theophile selbst erinnert an sie in einem Brief in Versen, den er aus seinem Gefängnis an König Ludwig XIII. richtete. Alle Jesuiten wüteten gegen ihn. Die beiden wütendsten, Garasse und Guérin68, entehrten die Kanzel und verstießen gegen das Gesetz, indem sie ihn in ihren Predigten namentlich nannten, ihn als Atheisten und abscheulichen Menschen bezeichneten und alle ihre Frömmler gegen ihn aufhetzten.
Ein gefährlicherer Jesuit, namens Voisin, der weder schrieb noch predigte, aber bei dem Kardinal de la Rochefoucauld großes Ansehen genoss, erhob eine Strafanklage gegen Théophile und hetzte einen jungen, ausschweifenden Mann namens Sajeot gegen ihn auf, der sein Schüler gewesen war und angeblich seinen schändlichen Vergnügungen gedient hatte, was er dem Angeklagten bei der Gegenüberstellung vorwarf. Endlich erwirkte der Jesuit Voisin durch die Gunst des Jesuiten Caussin, des Beichtvaters des Königs, einen Verhaftungsbefehl gegen Theophile wegen Gottlosigkeit und Atheismus. Der Unglückliche floh, man machte ihm in Abwesenheit den Prozess und verbrannte ihn 1621 in effigie. Weit gefehlt zu glauben, der Zorn der Jesuiten wäre damit erloschen gewesen. Voisin bezahlte einen Konnetablen-Leutnant namens Le Blanc, um ihn an seinem Rückzugsort in der Picardie zu verhaften. Unter dem Jubel des Pöbels, dem Le Blanc zurief: „Das ist ein Atheist, den wir verbrennen werden“, wurde er in Eisen gelegt und in einen Käfig gesperrt. Von dort wurde er nach Paris in die Conciergerie gebracht, wo er in den gleichen Kerker wie Ravaillac69 gesteckt wurde. Er blieb dort ein ganzes Jahr, während die Jesuiten seinen Prozess verzögerten, um Beweise gegen ihn zusammenzutragen.
Während er in Eisen lag, veröffentlichte Garasse seine Doctrine curieuse70, in der er sagt, dass Pasquier, Kardinal Wolsey, Scaliger, Luther, Calvin, Beza, der König von England, der Landgraf von Hessen und Theophile gotteslästerliche Atheisten und Karpokratiker sind71. Garasse schrieb das zu seiner Zeit, wie es der elende Ex-Jesuit Nonotte zu seiner Zeit geschrieben hat: Der Unterschied besteht darin, dass die Unverschämtheit von Garasse auf dem Ansehen beruhte, das die Jesuiten damals hatten, wohingegen die Wut des lächerlichen Nonotte die Frucht des Entsetzens und der Verachtung ist, in welche die Jesuiten in Europa verfallen sind; es ist die Schlange, die noch immer beißen will, auch wenn man sie in Stücke geschnitten hat72. Theophile wurde besonders über den Parnass satyrique befragt, eine Sammlung von Unsittlichkeiten im Stile von Petronius, Martial, Catull, Ausonius, dem Erzbischof von Benevent, La Casa, dem Bischof von Angoulême, Octavian de Saint-Gelais und Melin de Saint-Gelais, seinem Sohn, dem Aretin, Chorier, Marot, Verville, den Epigrammen Rousseaus und hundert anderen zügellosen Torheiten73. Dieses Werk stammt nicht von Theophile. Der Buchhändler hatte alles, was er konnte, von Maynard, Colletet, Frénicle, einem Magistrat, später von der Akademie der Wissenschaften und von einigen Herren des Hofes gesammelt. Es wurde nachgewiesen, dass Theophile an dieser Ausgabe, gegen die er selbst eine Beschwerde eingereicht hatte, keinen Anteil hatte. Kurz, die Jesuiten, so mächtig sie damals auch waren, konnten sich nicht damit trösten, ihn verbrennen zu lassen, und sie hatten sogar große Mühe, seine Verbannung aus Paris zu erreichen. Trotz ihrer Gegnerschaft kehrte er unter dem Schutz des Herzogs von Montmorency zurück, der ihn in seinem Palast unterbrachte. Dort starb er 1626 an dem Kummer, dem er schließlich durch eine so grausame Verfolgung erlag.
Von Des Barreaux
Der Parlamentsrat Des Barreaux74, der in seiner Jugend mit Theophile befreundet war und ihn nicht im Stich ließ, als er in Ungnade fiel, galt beständig als Atheist. Und zwar aus welchem Grund? Wegen einer Geschichte, das Abenteuer mit dem Speck-Omelett, die man über ihn erzählt. Ein junger Mann mit freizügigen Neigungen kann sehr wohl an einem Samstag in einer Kneipe etwas Fettiges essen und während es gewittert und donnert, eine Schüssel aus dem Fenster werfen und sagen: „Oha, so ein Getöse – und alles nur wegen einem Speck-Omelett!“, ohne deswegen den abscheulichen Vorwurf des Atheismus zu verdienen. Es handelt sich zweifellos um eine sehr große Respektlosigkeit, um eine Beleidigung der Kirche, in die er hineingeboren wurde; es ist ein Spott über die Institution der mageren Tage; aber es bedeutet nicht, die Existenz Gottes zu leugnen.
Was ihm diesen Ruf eintrug, war hauptsächlich die indiskrete Kühnheit Boileaus75, der in seiner Satire des femmes, die nicht seine beste ist, sagt, er habe mehr als einen Capaneus76 gesehen:
Du tonnerre dans l’air bravant les vains carreaux,
Et nous parlant de Dieu du ton de Des Barreaux.
[etwa: Vom Donner in der Luft, dem eitle Fensterscheiben trotzen,
Und spricht zu uns von Gott im Ton Des Barreaux].
Dieser Richter77 schrieb nie etwas gegen Gott. Es ist nicht statthaft, einen verdienstvollen Mann, gegen den es keine Beweise gibt, mit dem Namen eines Atheisten zu belegen: das ist unwürdig. Man hat Des Barreaux jenes berühmte Sonett untergeschoben, das wie folgt endet:
Tonne, frappe, il est temps; rends-moi guerre pour guerre.
J’adore en périssant la raison qui t’aigrit;
Mais dessus quel endroit tombera ton tonnerre,
Qui ne soit tout couvert du sang de Jésus-Christ?
[etwa : Donner, schlag, es ist Zeit; gib mir Krieg für Krieg.
Ich bete die Vernunft an, während ich zugrunde gehe, sie, die dich verbittert,
Aber auf welche Stelle wird dein Donner fallen,
Die nicht ganz von Jesu Christi Blut bedeckt wäre?]78
Es war derselbe Abt von Lavau, der dieses abscheuliche Epigramm auf das Mausoleum schrieb, das in Saint-Eustache zu Ehren Lullis errichtet worden war: Das Sonett ist nichts wert. Jesus Christus in Versen ist nicht tolerierbar; „rends-moi guerre“ ist nicht französisch; „guerre pour guerre“ ist sehr flach, und „dessus quel endroit“ ist verabscheuungswürdig. Diese Verse stammen von Abbé de Lavau79, und Des Barreaux war immer sehr ärgerlich, dass sie ihm zugeschrieben wurden.
Von La Mothe Le Vayer
Der weise La Mothe Le Vayer80, Staatsrat, Erzieher von Monsieur, des Bruders von Ludwigs XIV., und fast ein Jahr lang Hauslehrer von Ludwigs XIV. selbst, hat nicht weniger Verdächtigungen auf sich gezogen, als der wollüstige Des Barreaux. In Frankreich gab es noch wenig Philosophie. Die Abhandlung Über die Tugend der Heiden (De la vertu des païens81) und die Dialogues d’Oracius Tubero82 machten ihm Feinde. Besonders die Jansenisten, die wie der heilige Augustinus die Tugenden der großen Männer des Altertums nur für grandiose Sünden hielten, wüteten gegen ihn.
Der Gipfel der fanatischen Unverschämtheit besteht darin, zu sagen: „Niemand ist tugenhaft außer uns und unseren Freunden; Sokrates, Konfuzius, Marc Aurel, Epiktet waren Schurken, weil sie nicht unserer Religion angehörten“.
Von dieser Extravaganz sind wir heute abgekommen, aber damals war sie noch vorherrschend. In einem kuriosen Buch wird erzählt, dass eines Tages einer dieser Verrückten, als er La Mothe Le Vayer durch die Galerie des Louvre gehen sah, laut sagte: „Das dort ist ein Mann ohne Religion.“ Anstatt ihn bestrafen zu lassen, drehte sich Le Vayer zu dem Mann um und sagte: „Mein Freund, ich habe so viel Religion, dass ich nicht der deinen angehöre“.
Von Saint-Évremond
Einige Werke gegen das Christentum sind unter dem Namen Saint-Évremond83 erschienen, aber keines stammt von ihm. Nach seinem Tode glaubte man, diese gefährlichen Bücher schützen zu können, indem man sie mit seinem guten Namen verband, auch weil sich in der Tat in seinen wirklichen Werken mehrere Züge finden, die von einem von den Vorurteilen der Kindheit befreiten Geist zeugen. Andererseits dienen sein epikureisches Leben und sein philosophischer Tod all jenen als Vorwand, die seinen Namen gebrauchen, um ihren eigenen Ansichten Gewicht zu verleihen.
Wir besitzen vor allem eine Analyse der christlichen Religion84, die ihm zugeschrieben wird. Es ist ein Werk, das es darauf anlegt, die gesamte Chronologie und fast alle Fakten der Heiligen Schrift umzuwerfen. Niemand ist tiefer als der Autor der Ansicht mancher Theologen auf den Grund gegangen, dass der Astronom Phlegon von einer Finsternis gesprochen habe85, die beim Tode unseres Herrn Jesus Christus die ganze Erde bedeckt habe. Ich gebe zu, der Verfasser ist völlig im Recht gegen diejenigen, die sich auf das Zeugnis dieses Astronomen stützen wollen; aber er hat großes Unrecht, wenn er das ganze christliche System bekämpfen will, nur weil man es schlecht vertreten hat.
Im Übrigen war Saint-Évremond zu derart gelehrten Untersuchungen gar nicht in der Lage. Er war ein angenehmer und rechtschaffener Geist; aber er besaß wenig Wissen, kein Genie, und keinen sicheren Geschmack: seine Abhandlungen über die Römer86 verschafften ihm einen Ruf, den er missbrauchte, um die flachsten Komödien und die schlechtesten Verse zu schreiben, mit denen man jemals Leser ermüdet hat; heute ermüden sie nicht mehr, weil sie sie nicht mehr gelesen werden. Man kann ihn in die Reihe der liebenswürdigen und geistreichen Menschen stellen, die in der glänzenden Zeit Ludwigs XIV. erblüht sind, aber nicht in die Reihe der herausragenden. Im Übrigen sind diejenigen, die ihn als Atheisten bezeichneten, schändliche Verleumder.
Von Fontenelle
Bernard de Fontenelle87, der spätere Sekretär der Akademie der Wissenschaften, hatte eine kräftigere Erschütterung auszuhalten. Im Jahre 1686 ließ er in Bayles République des lettres einen sehr einfallsreichen Reisebericht von der Insel Borneo erscheinen: Es war eine Allegorie auf Rom und Genf mit zwei Schwestern, die Mero und Enègue hießen. Mero war eine tyrannische Zauberin; die verlangte, dass ihre Untertanen zu ihr kommen, ihre geheimsten Gedanken mitteilen und anschließend ihr ganzes Geld bei ihr abliefern sollten. Man musste Totengebeine anbeten, bevor man ihre Füße küssen durfte, und oft, wenn man zu Mittag essen wollte, ließ sie das Brot verschwinden. Endlich brachten ihre Zauberkünste und Wutausbrüche eine Menge Leute gegen sie auf, und ihre Schwester Enègue entriss ihr die Hälfte des Reiches.
Bayle hörte zunächst nichts von dem Streich, aber als der Abbé Terrasson ihn kommentierte, erregte das viel Aufsehen. Es war die Zeit, in der das Edikts von Nantes widerrufen wurde. Fontenelle lief Gefahr, in die Bastille geworfen zu werden. Er hatte die Schwäche, zu Gunsten dieses Widerrufs und für die Jesuiten eine Reihe ziemlich schlechter Verse zu schreiben. Sie wurden in eine üble Sammlung mit dem Titel Le Triomphe de la religion sous Louis le Grand aufgenommen, die 1687 bei Langlois in Paris gedruckt wurde.
Seitdem er aber mit großem Erfolg Van Dales Gelehrte Geschichte der Orakel88 auf Französisch herausgegeben hatte, verfolgten ihn die Jesuiten. Le Tellier, der Beichtvater Ludwigs XIV., brachte die Allegorie Mero und Enègue in Erinnerung und hätte ihn gern so behandelt, wie der Jesuit Voisin es mit Théophile gemacht hatte. Er verlangte einen Haftbefehl gegen ihn. Der berühmte garde des sceaux d’Argenson89, damals Polizeileutnant, rettete Fontenelle vor dem Zorn Le Telliers. Hätte man zu wählen gehabt, ob Fontenelle oder Le Tellier ein Atheist sei, so hätte der Verdacht auf den Verleumder Le Tellier fallen müssen.
Diese Anekdote wiegt schwerer als all die literarischen Bagatellen, die Abbé Trublet in einem dicken Band über Fontenelle zusammengestellt hat 90. Sie verdeutlicht, wie gefährlich die Philosophie ist, wenn ein Fanatiker oder ein Schurke oder ein Mönch, der beides zugleich ist, unglücklicherweise das Ohr eines Prinzen hat. Das ist eine Gefahr, mein Herr, der man bei Ihnen nie ausgesetzt sein wird.
Über den Abbé De Saint-Pierre
Die Mohammed-Allegorie des Abbé de Saint-Pierre91 war viel spektakulärer als die von Mero. Alle Werke dieses Abbés, von denen viele als Träumereien gelten, sind das Werk eines ehrbaren Mannes und eines engagierten Bürgers; aber alles darin ist reinster Deismus. Er wurde jedoch nicht verfolgt, denn er schrieb so, dass niemand neidisch werden konnte. Sein Stil ist nicht ansprechend; er wurde wenig gelesen. Er machte niemandem etwas vor; die ihn lasen, lachten ihn aus und schimpften ihn einen Biedermann. er wäre verloren gewesen, wenn er wie Fontenelle geschrieben hätte, besonders, als die Jesuiten noch herrschten.
Über Bayle
Doch damals stand für mehrere Jahre der unsterbliche Bayle92 auf, der erste der Dialektiker und der skeptischen Philosophen. Er hatte bereits seine Gedanken über den Kometen93, seine Antworten auf die Fragen eines Provinzialen und schließlich sein Dictionnaire de raisonnement vorgelegt94. Seine größten Feinde müssen zugeben, dass es in seinen Werken keine einzige Zeile gibt, die eine offensichtliche Blasphemie gegen die christliche Religion darstellt; aber sogar seine größten Fürsprecher geben zu, dass es in den streitbaren Artikeln zu Glaubensfragen keine einzige Seite gibt, die den Leser nicht zum Zweifel und oft zum Unglauben hinführt. Man konnte ihn nicht der Gottlosigkeit überführen, aber er machte Gottlose, indem er die Einwände gegen unsere Dogmen in ein so helles Licht stellte, dass es einem mittelmäßigen Glauben nicht möglich war, davon nicht erschüttert zu werden; und leider hat der größte Teil der Leser nur einen sehr mittelmäßigen Glauben.
In einem jener historischen Wörterbücher, in denen die Wahrheit so oft mit der Lüge vermischt ist, wird erzählt, dass der Kardinal de Polignac Bayle auf der Durchreise in Rotterdam fragte, ob er Anglikaner, Lutheraner oder Calvinist sei, und dieser darauf geantwortet habe: „Ich bin Protestant, weil ich gegen alle Religionen protestiere.“
Erstens kam der Kardinal de Polignac nie durch Rotterdam, außer als er 1713 nach Bayles Tod den Frieden von Utrecht95 schloss. Zweitens war diesem gelehrten Prälaten nicht unbekannt, dass Bayle, in Foix als Calvinist geboren, nie in England oder Deutschland gewesen und weder Anglikaner noch Lutheraner war. Drittens war er zu höflich, um einen Mann zu fragen, welcher Religion er angehöre. Es ist wahr, dass Bayle zuweilen das gesagt hat, was man ihm als Ausspruch zuschreibt; er fügte hinzu, er sei wie Jupiter, der bei Homer die Wolken zusammenschiebt96. Er war außerdem ein Mann von geregelter und einfacher Lebensweise, ein wahrer Philosoph im vollsten Sinne des Wortes. Er starb plötzlich, nachdem er die Worte geschrieben hatte: „Das also ist sie, die Wahrheit“.
Er hatte sie sein ganzes Leben lang gesucht und überall nur Irrtümer gefunden.
Nach ihm ist man noch viel weiter gegangen. Maillet, Boulainvillier, Boulanger, Meslier, der gelehrte Fréret, der Dialektiker Dumarsais, der ungestüme La Méttrie und viele andere griffen die christliche Religion ebenso heftig an wie Porphyrios, Celsus oder Julian97.
Ich habe oft danach gefragt, was so viele moderne Schriftsteller veranlassen konnte, derartigen Hass auf das Christentum zu entfalten. Einige erwiderten, die Schriften der neuen Apologeten unserer Religion hätten sie empört; dass man nicht daran gedacht hätte, sich gegen diese Apologeten zu erheben, wenn sie mit der Mäßigung geschrieben hätten, die ihnen ihre Sache hätte einflößen müssen,; dass aber ihre Galle Galle erzeugte; dass ihr Zorn zu Zorn führte; dass die Verachtung, die sie für die Philosophen hegten, Verachtung hervorrief; so dass endlich zwischen den Verteidigern und den Feinden des Christentums das eingetreten ist, was man in allen Glaubensgemeinschaften gesehen hat: Man schrieb auf beiden Seiten mit Hitzigkeit; man vermischte Beleidigungen mit Argumenten.
Von Mademoiselle Huber
Mademoiselle Huber98 war eine Frau von großem Geist und Schwester des Abbé Huber99, der Ihrem Vater, Monsieur100, wohlbekannt war. Sie tat sich mit einem großen Metaphysiker zusammen, um 1740 das Buch Religion essentielle à l’homme zu schreiben. Man muss zugeben, dass diese Wesentliche Religion leider der reine Deismus ist, wie ihn die Noachiden101 praktizierten, bevor Gott sich herabgelassen hatte, sich in den Wüsten Sinai und Horeb ein geliebtes Volk zu schaffen und ihm besondere Gesetze zu geben. Nach Mademoiselle Huber und ihrem Freund muss die dem Menschen wesentliche Religion zeitlos sein, für alle Orte und Köpfe gelten. Alles, was ein Mysterium ist, übersteigt den Menschen und ist nicht für ihn bestimmt; das tugendhafte Handeln darf nicht mit religiösen Lehrsätzen verknüpft werden. Die für den Menschen wesentliche Religion liegt in dem, was man tun soll, und nicht in dem, was man nicht verstehen kann. Intoleranz ist für die wesentliche Religion das, was die Barbarei für die Menschheit ist, die Grausamkeit für die Sanftmut. Das ist die Kernaussage des gesamten Buches. Die Autorin ist sehr abstrakt: Sie liefert eine Abfolge von Maximen und Theoremen, die manchmal mehr Dunkelheit als Licht verbreiten. Es fällt schwer, diesem Ablauf zu folgen. Dass eine Frau wie ein Landvermesser über ein so interessantes Thema scheibt, ist erstaunlich; vielleicht wollte sie Leser abstoßen, die sie verfolgt hätten, wenn sie sie verstanden und mit Vergnügen gelesen hätten.
Weil sie Protestantin war, wurde das Buch nur von Protestanten gelesen. Ein Prediger namens Desroches102 widersprach ihm, und zwar für einen Prediger sogar recht höflich. Die protestantischen Prediger, Monsieur, müßten gegen die Deisten gemäßigter sein als die katholischen Bischöfe und Kardinäle; denn nehmen wir einen Augenblick an, Gott bewahre, dass der Deismus die Oberhand behielte, dass es nur einen einfachen Gottesdienst unter der Autorität der Gesetze und Obrigkeit gäbe, dass alles auf die Anbetung des höchsten Wesens reduziert sei, die belohnt und rächt; so würden die protestantischen Pastoren nichts verlieren; sie würden weiterhin beauftragt sein, den öffentlichen Gebeten zum höchsten Wesen vorzustehen, und sie würden immer noch Lehrer der Moral sein; ihre Pensionen würden ihnen erhalten bleiben, oder, wenn sie sie verlieren, wird dieser Verlust sehr gering sein. Ihre Widersacher dagegen haben reiche Prälaturen; sie sind Grafen, Herzöge, Fürsten; sie haben Souveränität; und obwohl so viel Größe und Reichtum vielleicht nicht gut zu Nachfolgern der Apostel passen, werden sie es niemals dulden, dass man sie ihrer beraubt: Selbst die weltlichen Rechte, die sie erworben haben, sind heute so eng mit der Verfassung der katholischen Staaten verbunden, dass man sie ihnen nur durch heftige Erschütterungen nehmen kann..
Nun ist der Deismus eine Religion ohne Leidenschaft, die von sich aus niemals eine Revolution auslösen wird. Er ist falsch, aber er ist friedlich. Alles, was zu befürchten wäre, ist, dass der Deismus, der so allgemein verbreitet ist, unmerklich alle Gemüter dazu bringt, das Joch der Päpste zu verachten, und dass die Obrigkeit ihn bei der ersten Gelegenheit auf die Funktion reduzieren wird, für das Volk zu Gott zu beten. Aber solange er gemäßigt ist, wird er respektiert: Es ist stets nur der Missbrauch der Macht, der die Macht erschüttert. Bedenken wir, Monsieur, dass zwei- oder dreihundert Bände des Deismus niemals die Einkünfte der römisch-katholischen Päpste um einen Ecu geschmälert haben, dass aber zwei oder drei Schriften Luthers und Calvins sie um etwa fünfzig Millionen Einkünfte gebracht haben. Vor zweihundert Jahren hätte ein theologischer Streit Europa erschüttern können; der Deismus hat nie auch nur vier Menschen zusammengebracht. Man kann sogar sagen, dass diese Religion, indem sie die Geister verwirrt, die Gemüter beruhigt und die Streitigkeiten besänftigt, die eine falsch verstandene Wahrheit hervorgerufen hat. Wie dem auch sei, ich beschränke mich darauf, Eurer Hoheit einen getreuen Bericht zu geben. Es liegt an Ihnen, darüber zu urteilen.
Von Barbeyrac
Barbeyrac103 ist der einzige Kommentator, der mehr Ansehen genießt als sein Autor selbst. Er übersetzte und kommentierte Pufendorfs Sammelsurium, aber er bereicherte es mit einem Vorwort104, das allein das Buch in Schwung brachte. In dieser Vorrede geht er auf die Quellen der Moral zurück; und er hat die kühne Offenheit, zu zeigen, dass die Kirchenväter diese reine Moral nicht immer gekannt haben und sie durch seltsame Allegorien verunstalteten. So zum Beispiel, wenn sie sagen, dass der Fetzen roten Tuches, den die Schankwirtin Rahab am Fenster ausbreitet105 offensichtlich das Blut Jesu Christi sei; dass Mose, wenn er im Kampf gegen die Amalekiter seine Arme ausbreitet, das Kreuz meint106, an dem Jesus stirbt; dass die Küsse der Sulamith die Hochzeit Jesu Christi mit seiner Kirche bedeuten107; dass die große Tür der Arche Noah den menschlichen Körper bezeichnet, die kleine Tür den Anus usw. usw.
Barbeyrac konnte es aus moralischen Gründen nicht dulden, dass Augustinus zum Verfolger wurde, nachdem er Toleranz gepredigt hatte108. Er verurteilt aufs schärfste die groben Beleidigungen, die Hieronymus gegen seine Widersacher, insbesondere gegen Rufinus und Vigilantius ausstieß109. Er weist auf die Widersprüche hin, die er in der Moral der Kirchenväter bemerkt; er ist empört darüber, dass sie manchmal Hass auf das Vaterland geschürt haben, wie Tertullian, der den Christen ausdrücklich verbietet, Waffen zur Rettung des Reiches zu tragen110.
Barbeyrac hatte heftige Gegner, die ihm vorwarfen, er wolle die christliche Religion vernichten, indem er diejenigen, die sie durch unermüdliche Arbeit unterstützt hatten, lächerlich machte. Er verteidigte sich; aber er zeigt in seiner Verteidigung eine so tiefe Verachtung für die Kirchenväter; er zeigt so viel Verachtung für ihre falsche Beredsamkeit und Dialektik; er bevorzugt Konfuzius, Sokrates, Zaleukos, Cicero, den Kaiser Antoninus und Epiktet so sehr, dass es offenbar ist, dass Barbeyrac mehr der eifrige Verfechter der ewigen Gerechtigkeit und des Naturgesetzes, das Gott den Menschen gegeben hat, als der Anbeter der heiligen Mysterien des Christentums ist. Wenn er sich geirrt hat, als er glaubte, Gott sei der Vater aller Menschen, wenn er das Unglück hatte, nicht zu sehen, dass Gott nur Christen lieben kann die in Herz und Verstand unterwürfig sind, so ist sein Irrtum wenigstens ein Irrtum einer schönen Seele; und da er die Menschen liebte, ist es nicht Sache der Menschen, ihn zu beleidigen, sondern es ist an Gott, ihn zu richten. Gewiss ist er nicht zu den Atheisten zu zählen.
Von Fréret
Der berühmte und tiefgründige Fréret111 war ständiger Sekretär der Académie des Belles-Lettres in Paris. Er hatte in den orientalischen Sprachen und in der Finsternis des Altertums so viele Fortschritte gemacht, wie es nur möglich war. Indem ich seiner ungeheuren Gelehrsamkeit und Redlichkeit gerecht werde, maße ich es mir nicht an, seine Heterodoxie zu entschuldigen112. Er war nicht nur mit dem heiligen Irenäus überzeugt, dass Jesus mehr als fünfzig Jahre alt war, als er die letzte Marter erlitt, sondern er glaubte auch mit dem Targum, dass Jesus nicht zur Zeit des Herodes geboren wurde und dass seine Geburt auf die Zeit des kleinen Königs Jannaeus, des Sohnes des Hircan, datiert werden muss113. Die Juden sind die einzigen, die diese eigentümliche Meinung vertreten haben; Herr Fréret versuchte, sie zu stützen, indem er behauptete, unsere Evangelien seien erst mehr als vierzig Jahre nach dem Jahr geschrieben worden, in das wir den Tod Jesu legen; dass sie nur in fremden Sprachen und in weit von Jerusalem entfernten Städten verfasst wurden, wie Alexandria, Korinth, Ephesus, Antiochia, Ankara, Thessaloniki: alles Städte von großem Handel, voll von Therapeuten, Jüngern des Johannes, Juden, Galiläern, die in mehrere Sekten aufgeteilt waren. Daher komme es, sagt er, dass es eine sehr große Anzahl von Evangelien gebe, die sehr verschieden voneinander seien, denn jede besondere und verborgene Gruppierung wollte ihre eigenen haben. Fréret behauptet, dass die vier, die kanonisch geblieben sind, zuletzt geschrieben wurden. Er glaubt unwiderlegbare Beweise dafür zu haben, nämlich, dass die ersten Kirchenväter sehr oft Worte zitieren, die nur im Evangelium der Ägypter oder im Evangelium der Nazarener oder im Jakobusevangelium zu finden sind, und dass Justin der erste ist, der die empfangenen Evangelien ausdrücklich zitiert114.
Wenn dieses gefährliche System anerkannt würde, würde daraus offenbar folgen, dass die Bücher mit den Titeln Matthäus, Johannes, Markus und Lukas erst zur Zeit von Justins Kindheit115 geschrieben wurden, etwa hundert Jahre nach der uns gemeinen Zeitrechnung. Das allein würde unsere Religion von oben bis unten umstürzen116. Die Mohammedaner, die sahen, wie ihr falscher Prophet die Blätter seines Korans ausschnitt, und die sahen, wie sie nach seinem Tode vom Kalifen Abubeker feierlich aufgesetzt wurden, würden über uns triumphieren; sie sagten zu uns: „Wir haben nur einen Alcoran, und ihr habt fünfzig Evangelien; wir haben das Original sorgfältig aufbewahrt, und nach einigen Jahrhunderten habt ihr vier Evangelien ausgewählt, deren Daten ihr nie erfahren habt. Du hast deine Religion Stück für Stück geschaffen; Unsere wurde in einem Rutsch hergestellt, wie eine Schöpfung. Ihr habt hundertmal gewechselt, und wir haben uns nie verändert.“117
Gott sei Dank werden wir nicht auf diese fatalen Begriffe reduziert. Wo wären wir, wenn das, was Fréret behauptet, wahr wäre? Wir haben hinreichende Beweise für das Alter der vier Evangelien: der heilige Irenäus sagt ausdrücklich, dass nur vier notwendig sind.
Ich gestehe, dass Fréret Abbadies118 klägliche Argumentation pulverisiert. Dieser Abbadie behauptet, dass die ersten Christen in der Annahme, für die Wahrheit zu sterben, für die Evangelien gestorben seien. Aber dieser Abbadie erkennt an, dass die ersten Christen falsche Evangelien erfunden haben: Deshalb, so Abbadie selbst, starben die ersten Christen für die Lüge. Abbadie hätte zwei wesentliche Dinge berücksichtigen müssen: erstens, dass nirgends geschrieben steht, dass die ersten Märtyrer von Staatsbeamten über die Evangelien befragt wurden; zweitens, dass es in allen Gemeinschaften Märtyrer gibt. Wenn aber Fréret Abbadie niederschmettert, so wird er selbst durch die Wunder zu Fall gebracht, die unsere vier heiligen wahren Evangelien vollbracht haben. Er leugnet die Wunder, also stellt ihm einen Schwarm von Zeugen entgegen; er leugnet die Zeugen, da bleibt uns schließlich nur, ihn zu bemitleiden.
Ich stimme mit ihm darin überein, dass fromme Betrügereien oft angewandt worden sind; ich stimme zu, dass es im Anhang zum Ersten Konzil von Nicäa heißt, dass alle kanonischen Bücher auf einen großen Tisch gelegt wurden, um sie von den Fälschungen zu unterscheiden, und dass der Heilige Geist gebeten wurde, alle Apokryphen herunterzubringen; sofort fielen sie, und nur die wirklichen blieben übrig. Schließlich gestehe ich, dass die Kirche mit falschen Legenden überschwemmt worden ist. Aber folgt daraus die Tatsache, dass es Lügen und Bösgläubigkeit gegeben hat, dass es weder Wahrheit noch Offenheit gegeben hat? Gewiss ist Fréret zu weit gegangen: Er hat das ganze Gebäude umgestürzt, anstatt es zu reparieren; er führt, wie so viele andere, den Leser zur Anbetung des einen Gottes, ohne die Vermittlung Christi. Aber immerhin atmet sein Buch eine Mäßigung, die einen fast dazu bringen würde, seine Fehler zu verzeihen; er predigt nur Nachsicht und Toleranz; er beleidigt Christen nicht grausam wie Lord Bolingbroke; er lacht sie nicht aus wie Pfarrer Rabelais und Pfarrer Swift. Er ist ein Philosoph, der umso gefährlicher ist, als er hochgebildet, sehr konsequent und sehr bescheiden ist. Es ist zu hoffen, dass es Gelehrte geben wird, die ihn besser widerlegen werden, als es bisher der Fall war.
Sein schrecklichstes Argument ist, dass, wenn Gott sich herabgelassen hätte, Mensch und Jude zu werden und in Palästina durch eine schändliche Folter zu sterben, um die Verbrechen des Menschengeschlechts zu sühnen und die Sünde von der Erde zu verbannen, es keine Sünde und kein Verbrechen mehr gegeben haben dürfte; und doch, sagt er, sind die Christen hundertmal abscheulicher gewesen als alle Anhänger anderer Religionen zusammen119. Er führt als klaren Beweis dafür die Massaker, die Räder, die Galgen und die Scheiterhaufen der Cevennen und fast hunderttausend Männer an, die in dieser Provinz vor unseren Augen abgeschlachtet wurden; die Massaker in den Tälern des Piemonts; die Massaker des Veltlin zur Zeit Karls Borromäus; die Massaker an den in Deutschland massakrierenden und massakrierten Wiedertäufern120; die Massaker an Lutheranern und Papisten vom Rhein bis in die Tiefen des Nordens; die Massaker in Irland, England und Schottland zur Zeit Karls I., der selbst massakriert wurde121; die von Maria und Heinrich VIII., ihrem Vater, angeordneten Massaker122; die Massaker am Bartholomäustag in Frankreich und vierzig Jahre anderer Massaker von Franz II. bis zum Einzug Heinrichs IV. in Paris; die Massaker der Inquisition, die vielleicht noch abscheulicher sind, weil sie legal durchgeführt wurden; schließlich die Massaker an zwölf Millionen Bewohnern der Neuen Welt, die mit Kruzifixen in der Hand hingerichtet wurden, ganz zu schweigen von all den Massakern, die seit der Zeit Konstantins im Namen Jesu Christi begangen wurden, und ganz zu schweigen von mehr als zwanzig Schismen und zwanzig Kriegen von Päpsten gegen Päpste und von Bischöfen gegen Bischöfe, von den Vergiftungen, den Morden, den Vergewaltigungen der Päpste Johannes XI. Johannes XII., Johannes XVIII., Gregor VII., Bonifaz VIII., Alexander VI. und einiger anderen Päpste, die Nero und Caligula, was ihre Schurkereien betrifft, weit hinter sich gelassen haben. Endlich bemerkt er, dass es diese furchtbare, fast ununterbrochene Kette von Religionskriegen seit vierzehnhundert Jahren nur bei den Christen gab; dass außer ihnen kein Volk auch nur einen Tropfen Blut für theologische Argumente vergossen hat. Wir müssen Herrn Fréret zustimmen, dies ist alles wahr. Aber wenn er die geschehenen Verbrechen aufzählt, vergisst er die Tugenden, die verborgen geblieben sind; vor allem vergisst er, dass die höllischen Schrecken, die er so ungeheuer zur Schau stellt, der Missbrauch der christlichen Religion sind und nicht ihr Geist. Was beweist es, dass Jesus Christus die Sünde auf Erden nicht vernichtet hat? Daraus könnte man allenfalls mit den Jansenisten schließen, dass Jesus Christus nicht für alle, sondern für viele gekommen ist: pro vobis und pro multis123. Aber wenn wir die hohen Geheimnisse nicht verstehen, sollten wir uns damit begnügen, sie anzubeten, und vor allem wollen wir diesen berühmten Mann nicht beschuldigen, ein Atheist gewesen zu sein.
Von Boulanger
Schwieriger wäre es für uns, Herrn Boulanger124, den Direktor für Straßen und Brücken, zu rechtfertigen. Sein Christianisme dévoilé [dt.: Das entschleierte Christentum]125 ist nicht mit der Methode und Tiefe der Gelehrsamkeit und Kritik geschrieben, die den gelehrten Fréret auszeichnen. Boulanger ist ein kühner Philosoph, der zu den Quellen zurückkehrt, ohne sich dazu herabzulassen, den Wasserläufen nachzugehen. Dieser Philosoph ist ebenso betroffen wie unerschrocken. Die Schrecken, mit denen sich so viele christliche Kirchen seit ihrer Geburt befleckt haben; die feigen Barbareien der Staatsbeamten, die so viele ehrliche Bürger den Priestern geopfert haben; Fürsten, die, um ihnen zu gefallen, schändliche Verfolger gewesen sind; so viele Torheiten in kirchlichen Streitigkeiten, so viele Gräuel in diesen Streitigkeiten; die Menschen, die abgeschlachtet oder ruiniert wurden; die Throne so vieler Priester, die aus der Beute zusammengesetzt und mit dem Blut der Menschen gekittet sind; jene furchtbaren Religionskriege, mit denen allein das Christentum die Erde überschwemmt hat; dieses ungeheure Chaos von Absurditäten und Verbrechen rüttelt die Vorstellungskraft des Herrn Boulanger mit solcher Macht auf, dass er an einigen Stellen seines Buches so weit geht, an der göttlichen Vorsehung zu zweifeln. Ein verhängnisvoller Irrtum, den die Einsätze der Inquisition und unsere Religionskriege vielleicht entschuldigen würden, wenn er entschuldbar wäre; aber kein Vorwand kann den Atheismus rechtfertigen. Wenn alle Christen sich gegenseitig die Kehle durchgeschnitten; wenn sie die Eingeweide ihrer wegen bloßer Argumente ermordeten Brüder verschlungen haben werden; wenn nur noch ein Christ auf Erden übrig ist, dann müsste er, wenn er in die Sonne schaut, das ewige Wesen erkennen und anbeten. Er könnte in seinem Schmerz sagen: „Meine Väter und meine Brüder waren Ungeheuer, aber Gott ist Gott“.
Von Montesquieu
Der moderateste und klügste aller Philosophen war der Präsident de Montesquieu126. In seinen Persischen Briefen127 war er nur amüsant; in seinem Geist der Gesetze128 war er vielseitig und tiefgründig. Dieses Werk, voll von Vortrefflichem und Fehlern129, scheint auf das Gesetz der Natur und auf die Gleichrangigkeit der Religionen gegründet zu sein: gerade das hat ihm so viele Anhänger und Feinde eingebracht; aber diesmal wurden die Feinde von den Philosophen besiegt. Ein lange unterdrückter Schrei erhob sich von allen Seiten. Endlich wurde der Deismus, der schon lange tief verwurzelt war, als fortschrittlich entdeckt130. Die Sorbonne wollte den Geist der Gesetze zensieren; aber sie fühlte, dass sie von der Öffentlichkeit getadelt werden würde und schwieg. Es gab nur wenige elende, unbedeutender Schriftsteller, wie einen Abbé Guyon und einen Jesuiten, die den Präsidenten Montesquieus beleidigten; und sie wurden noch unbedeutender, trotz des Ruhmes des Mannes, den sie angriffen131. Sie hätten unserer Religion mehr gedient, wenn sie mit Vernunft gekämpft hätten; doch sie waren schlechte Verfechter einer guten Sache.
Von La Mettrie
Seit dieser Zeit gab es eine Flut von Schriften gegen das Christentum. Der Arzt La Mettrie132, der beste Kommentator Boerhaaves133, gab die Medizin des Körpers auf, um sich, wie er sagte, der Medizin der Seele134 zu widmen; aber sein Homme machine135 zeigte den Theologen, dass er nichts als Gift verabreichte. Er war Vorleser des Königs von Preußen und Mitglied seiner Berliner Akademie. Der Monarch, der mit seinen Manieren und seinen Diensten zufrieden war, verschwendete keinen Gedanken darüber, ob La Mettrie in der Theologie irrige Ansichten vertreten hatte: er dachte nur an den Arzt, an das Mitglied der Akademie, und in dieser Eigenschaft wurde La Mettrie die Ehre zuteil, dass dieser philosophische Heros seinen Nachruf zu verfassen geruhte136. Der Nachruf wurde in der Akademie auf seine Anweisung hin von einem Sekretär verlesen. Ein König, den ein Jesuit regiert, hätte La Mettrie und das Andenken an ihn verfemen lassen können; ein König, den nur die Vernunft regiert, unterschied den Philosophen vom Gottlosen und überließ es Gott, die Gottlosigkeit zu bestrafen, während er das Verdienstvolle lobte und bewahrte.
Von Abbé Mesliers
Der Abbé Meslier137 ist die bemerkenswerteste Erscheinung, die man unter all diesen für die christliche Religion verhängnisvollen Meteoriten gesehen hat. Er war Pfarrer des Dorfes Étrepigny in der Champagne in der Nähe von Rocroi und diente auch einer kleinen Nebenpfarrei namens But. Sein Vater war ein Arbeiter in der Wollherstellung aus dem Dorf Mazerny, das vom Herzogtum Rethel-Mazarin abhängig ist.
Dieser Mann, von tadelloser Lebensweise und eifrig in allen seinen Pflichten, spendete jedes Jahr den Armen seiner Pfarreien, was von seinem Einkommen übrig blieb. Er starb 1733 im Alter von fünfundfünfzig Jahren. Man war sehr erstaunt, in seinem Hause drei große Manuskripte von je dreihundertsechsundsechzig Blättern zu finden, alle drei eigenhändig und von ihm unterschrieben, mit dem Titel „Mein Testament“138. Er hatte auf ein graues Papier, das eines der drei Exemplare umhüllte, die an seine Pfarrkinder gerichtet waren, folgende bemerkenswerte Worte geschrieben:
„Ich habe die Irrtümer, die Missbräuche, die Eitelkeiten, die Torheiten, die Bosheit der Menschen gesehen und erkannt. Ich hasse und verabscheue sie: Ich habe es in meinem Leben nicht gewagt, es zu sagen; aber ich will es wenigstens sagen, bevor ich sterbe, und damit man es weiß, schreibe ich diese Denkschrift, damit sie allen, die sie sehen und lesen werden, wenn es ihnen beliebt, als Zeugnis der Wahrheit diene. »
Der Hauptteil des Werkes ist eine naive und grobe Widerlegung aller unserer Dogmen, ohne ein einziges auszulassen. Der Stil ist, wie man es von einem Dorfpfarrer erwarten muss, sehr abschreckend. Er hatte bei der Abfassung dieses seltsamen Werkes gegen die Bibel und gegen die Kirche keine andere Hilfe als die Bibel selbst und einige der Kirchenväter. Von den drei Exemplaren behielt eines der Generalvikar von Reims, ein anderes wurde an Herrn Siegelbewahrer Chauvelin geschickt, das dritte verblieb in der Kanzlei des Ortes. Der Graf von Caylus besaß eine Zeit lang eines dieser drei Exemplare; und bald darauf gab es in Paris mehr als hundert davon, die für zehn Louis das Stück verkauft wurden. Viele Neugierige bewahren dieses traurige und gefährliche Denkmal noch immer auf. Ein Priester, der sich im Sterben beschuldigt, die christliche Religion vertreten und gelehrt zu haben, hat einen stärkeren Eindruck auf die Gemüter der Menschen gemacht als die Pensées von Pascal139.
Mir scheint, wir sollten vielmehr über die Geistesverfassung dieses melancholischen Priesters nachdenken, der seine Pfarrkinder vom Joch einer Religion befreien wollte, die er selbst zwanzig Jahre lang gepredigt hatte. Warum richtete er dieses Testament an Männer vom Land, die nicht lesen konnten? Und wenn sie lesen konnten, warum sollte man ihnen dann das heilsame Joch nehmen, eine notwendige Furcht, die allein geheime Verbrechen verhindern kann? Der Glaube an Strafen und Belohnungen nach dem Tod ist ein Bremse, den das Volk braucht. Die Religion, richtig geläutert, wäre das wichtigste Bindeglied der Gesellschaft.
Dieser Priester wollte alle Religionen vernichten, sogar die natürliche. Wäre sein Buch gut gemacht gewesen, so hätte die Einstellung des Autors seine Leser zu sehr beeindruckt. Es sind mehrere kleine Auszüge davon gemacht worden, von denen einige gedruckt wurden: sie sind glücklicherweise vom Gift des Atheismus gereinigt140.
Noch erstaunlicher ist, dass es zur gleichen Zeit einen Pfarrer von Bonne-Nouvelle in der Nähe von Paris gab, der es zu seinen Lebzeiten wagte, gegen die Religion zu schreiben, die er lehren sollte: Er wurde von der Regierung still und leise ins Exil geschickt. Sein Manuskript ist äußerst selten141.
Lange vor dieser Zeit hatte der Bischof von Le Mans, Lavardin142, bei seinem Tode ein nicht minder merkwürdiges Beispiel gegeben: Er hinterließ zwar kein Testament gegen die Religion, die ihm ein Bistum verschafft hatte; aber er erklärte, dass er sie hasse; er lehnte die Sakramente der Kirche ab und schwor, dass er niemals Brot und Wein in der Messe geweiht habe, noch habe er die Absicht gehabt, Kinder zu taufen und Weihen zu erteilen, wenn er Christen getauft und Diakone und Priester geweiht habe. Dieser Bischof machte sich ein böses Vergnügen daraus, alle, die von ihm die Sakramente der Kirche empfangen hatten, in Verlegenheit zu bringen: er lachte, als er starb, über die Skrupel, die sie haben mochten, und er freute sich über ihre Ängste. Es wurde beschlossen, dass niemand wiedergetauft oder neu ordiniert werden sollte; aber einige gewissenhafte Priester wurden ein zweites Mal geweiht. Jedenfalls hinterließ Bischof Lavardin keine Denkmäler gegen die christliche Religion: Er war ein wollüstiger Mann, der über alles lachte; während der Pfarrer Meslier ein düsterer und enthusiastischer Mann war, von einer starren Tugend zwar, aber gerade durch diese Tugend gefährlicher.