Moyland

Voltaire in Schloß Moyland

zusammengestellt von Monika Gockel, Mitglied des Fördervereins Museum Schloß Moyland e. V.

Schloß Moyland, Photo: Monika Gockel

Am 11. September 1740 reist Voltaire aus den Haag an, um sich nach der langjährigen Brieffreundschaft mit Friedrich II. zu treffen.

Schloss Moyland liegt am Niederrhein in unmittelbarer Nähe von Kleve, ungefähr 23 km entfernt von der niederländischen Universitätsstadt Nimwegen. Die heute noch gültige Grundgestalt des Schlosses - ein enger, von vier Flügeln und wuchtigen Ecktürmen umschlossener Innenhof - entstand im 15. Jahrhundert. Im 17. Jahrhundert erhielten die Zinnentürme barocke Hauben und an die Stelle der Schiessscharten wurden hohe Fenster gebaut.

Die Burg wandelte sich zu einem Landschloss und war von 1695 bis 1767 im Besitz des preussischen Königshauses. 1766 wird Friedrich II Schloss Moyland verkaufen -Voltaires Idee, dort eine Art Gelehrtenrepublik zu errichten, hatte sich zerschlagen.

Der niederländische Adeligen und Unternehmer Jonkheer Adriaan Steengracht Herr van Souburg auf Zeeland kaufte das das durch Geldmangel und Schäden im Siebenjährigen Krieg heruntergekommene Schloss. Es blieb im Besitz der Familie Steengracht bis 1990. Der Kölner Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner wurde 1854 mit dem Umbau des Schlosses im neugotischen Tudorstil beauftragt. Danach diente Moyland der Familie Steengracht ununterbrochen als Wohnsitz.

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges war das Schloss Sitz des britischen Armeestabs, der sich im Keller einquartiert hatte, 1945 kam sogar Winston Churchill zu Besuch. Der letzte Steengracht auf Moyland war Gustav Adolf Graf Steengracht von Moyland, Stellvertreter Ribbentrops während der Nazizeit und führender SA-Mann. Er war sehr wahrscheinlich im Anschluß an die Wannseekonferenz an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung beteilgt. Man hat ihn 1949 zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt, aber schon 1950 entlassen. Er lebte bis 1969 auf Schloß Moyland.

Anschließend verfiel das Schloß immer mehr und erst 1987 hat die Siftung Schloß Moyland das Gebäude restauriert und zum Museum umgebaut.

Moyland - erste Begegnung mit Friedrich

Skizze von 1731 (C.Pronk)

1736
Am 8.August: Erster Brief Friedrichs an Voltaire, anschließend rege Korrespondenz, in denen sich die beiden gegenseitig mit Komplimenten überhäufen.

1740
Kurz nach seiner Krönung zum König im Herbst 1740 tritt Friedrich eine Reise durch die preussischen Rheinprovinzen an mit dem Ziel, Voltaire in Brüssel zu treffen. Eine fiebrige Erkrankung hindert ihn am Weiterreisen, er bittet Voltaire, nach Schloss Moyland zu kommen und vermeidet damit auch ein Zusammentreffen mit Emilie du Chatelet in Brüssel. Am 11. September trifft Voltaire, von Den Haag kommend, wo er den “Antimachiavell” Friedrichs korrigierte (dessen Druck er eigentlich verhindern sollte), in Schloss Moyland ein. Er liest Friedrich aus seiner religionskritischen Tragödie “Le Fanatisme ou Mahomet le prophète vor, an der er noch auf der Fahrt nach Moyland gearbeitet hatte.
Friedrich berichtet:

Ich habe Voltaire gesehen, auf dessen Bekanntschaft ich so neugierig war. Aber ich sah ihn, als ich Fieber hatte (..). Er besitzt die Beredsamkeit Ciceros, die Liebenswürdigkeit des Plinius, die Weisheit Agrippas. Sein Geist arbeitet unaufhörlich. Er hat uns Mahomet vorgetragen, eine bewunderungswürdige Tragödie; wir waren vor Entzücken außer uns, ich  kann nur bewundern und schweigen
.

Während seines Aufenthaltes auf Schloss Moyland  wird Voltaire in eine der ersten aussenpolitischen militärischen Handlungen Friedrichs verwickelt: die Bürger von Herstall bei Lüttich, seit Friedrich Wilhelm im Widerstand gegen die preussische Vorherrschaft, werden vom Bischoff von Lüttich unterstützt (aufgewiegelt?) und weigern sich, die vom neuen König geforderte Summe von 20.000 Taler zu zahlen und ihm den Treueeid zu leisten. Voltaire nimmt Partei für Friedrich und schreibt eine Stellungnahme (in der Gazette d'Amsterdam erschienen), in der er die Rechte Preussens gegenüber der katholischen Partei nachweist. Herstall wird belagert und  zur Unterwerfung gezwungen, der Bischof muß nachgeben (sehr schön nachzulesen in: Thomas Carlyle, Friedrich der Große)

14. September 1740
Voltaire verlässt Moyland und kehrt nach Den Haag zurück, mit der Absicht, eine umfangreich korrigierte Version von Friedrichs Anti-Machiavell zu veröffentlichen.
Bis zum ersten Treffen der beiden hatte Voltaire in seiner Berichterstattung  ausdrücklich die menschlichen Eigenschaften Friedrichs und seine literarischen Qualitäten hervorgehoben:

Je l’appelle notre souverain, parce qu’il aime, qu’il cultive, qu’il encourage les arts que nous aimons …. Sa passion dominante est de rendre les hommes heureux, et de faire fleurir chez lui les belles lettres.” (Brief an Cideville 28.6.1740)

In den unter dem frischen Eindruck der Zusammenkunft geschriebenen Briefen Voltaires deutet sich in der Gegenüberstellung des kunstfreudigen Mäzens  (charme de la société) und des Beherrschers eines von den gewaltigsten militärischen Machtmitteln getragenen Staates (armée de cent mille hommes) bereits die Möglichkeit einer Entfremdung an.

1766
Voltaire fasst kurze Zeit den Plan, im Rheinland unter der Obhut des preussischen Königs eine Art "Philosophenkolonie" zu gründen, aber die in Frage kommenden Zeitgenossen reizt eine Übersiedlung von Paris an den Niederrhein nicht. Friedrich II. kommentiert Voltaires Idee so:

Ich sehe, dass Ihnen die Gründung der kleinen Kolonie, von der sie mir erzählt haben, am Herzen liegt (…) Dieses Haus Moyland bei Kleve, von dem Sie mir erzählen, wurde von den Franzosen verwüstet und soweit ich mich erinnere, wurde es irgendwem übereignet, der sich daran gemacht hat, es wieder seinem alten Zwecke zuzuführen.”

Moyland heute (2010)

Schloss Moyland 1988 (nach Brues, Schloß Moyland)

Die Ruine verfiel immer mehr bis 1987 der Förderverein "Museum Schloss Moyland" gegründet wurde mit dem Ziel, das Schloss wieder aufzubauen und dort ein Museum der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts einzurichten Am 11. Juli 1990 erfolgte die Gründung der "Stiftung Schloss Moyland", Baron Adrian von Steengracht brachte das Schloss, die Nebengebäude und den Park ein und die Brüder Hans und Franz Joseph van der Grinten ihre in 50 Jahren zusammengetragene Kunstsammlung, die aus etwa 60.000 Stücken besteht (Skulpturen, Plastiken, Malerei, Grafik, Zeichnungen, Fotografien, Objektkunst und Kunsthandwerk), Schwerpunkt der Sammlung sind ca. 4000 Werke des in Kleve-Rindern aufgewachsenen Joseph Beuys. Dritter Bestandteil der Stiftung ist das Joseph-Beuys-Archiv mit nahezu 100.000 Archivalien.

Der Gesamtkomplex umfasst außer Schlossgebäude und dem Park noch zwei Vorburgbauten, die ehemals als Pferdestallungen, Kutschenremisen und Wohnungen dienten. Zur Geschichte von Schloss Moyland  gibt es in einem Turm im Erdgeschoss einen kurzen Überblick in Texten und Bildern, u.a. auch der Stich von Pierre Charles  Baquoy nach einem Gemälde von Nicolas André Monsiaux, das Voltaire am Tisch sitzend mit einer Feder und Schriften zeigt, neben ihm steht Friedrich II in Uniform.

Informationen:

Museum Schloss Moyland
Am Schloss 4
D-47551 Bedburg-Hau
Tel.: ++49(0)2824 / 9510-60 Fax: ++49(0)2824 / 9510-94
Öffnungszeiten ganzjährig geöffnet
Sommer (1. April bis 31. Oktober) Di bis Fr 10 bis 18 Uhr Sa und So 10 bis 19 Uhr
Winter (1. November bis 31. März) Di bis So 10 bis 17 Uhr
Montags geschlossen !
Weitere Informationen auf den sehr schönen Internetseiten  http://www.moyland.de

Literatur

"Dort bin ich ohne Sorgen" Krankheit und Sterben Friedrichs des Großen, aufgeschrieben von seinem Leibarzt Christian Gottlieb Selle Herausgegeben und mit kommentierenden Texten versehen von Detlef Rüster Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin, 1993 (man sollte sich für Friedrich und seine Zeit interessieren)

"Museum Schloss Moyland" hrsg. vom Förderverein Museum Schloss Moyland e.V. Du Mont Buchverlag, Köln, 1997 (sehr ausführliche Dokumentation)

Dr. Heinz Will, Voltaire am Niederrhein, Kleve 1974 (kompetente, quellenkritische Arbeit über Voltaires Aufenthalte am Niederrhein).

Otto Brües "Schloss Moyland: von Voltaire bis Beuys" Mervator-Verlag, Duisburg, 1988 (etwas blumige Berichte über das Leben im Schloss)

Carlyle, Thomas: Friedrich der Große. Übersetzung von Neuber, J. u. Althaus, F., Berlin Decker's Verlag., 1925. 434S (zur Herstall-Affaire)

Maisons-Laffitte

Voltaire in Maisons-Laffitte

Aufnahme von http://montjoye.net/chateau-maisons-laffitte

Das Schloß Maisons-Laffitte, erbaut um 1640 von René de Longueil, heute im Besitz des französischen Staates, liegt, obwohl man mit dem Bus Linie 262 ab Paris La Défense fast direkt vor das Schloss  (Haltestelle Château) fahren kann, etwas abseits der touristischen Hauptrouten. Es ist deshalb zumeist wenig besucht, ein Geheimtipp also für alle, die dem hektischen Paris für ein paar Stunden entkommen möchten.

Die prächtigen, weiten und großzügigen Räume des Erdgeschosses und des ersten Stockwerkes, die alleine dem Besucher offenstehen, und die über beide Ebenen offene Treppenanlage überwältigen und geben einen Eindruck von Pracht und Eleganz, dem das ausgesuchte Mobiliar nicht nur entspricht, sondern noch einen gesteigerten Eindruck von Großzügigkeit gibt, der dem Ausblick in die weite, liebliche Landschaft des Seinetales- soweit sie heute noch gegeben ist- entspricht. Es ist einfach schön.
Man kann sich ungefähr vorstellen, wie die Räume, die sonst nur dem höheren Adel zugänglich waren, auf Voltaire als einen jungen Schriftsteller und Poeten gewirkt haben, der, selbst in einer Dachstube des Hauses untergebracht, den Vorteil geniessen durfte, in einem dieser Räume speisen und sich unterhalten zu können - zu dürfen.

Die Arbeit des Architekten François Mansart (1598-1666, nach ihm bezeichnet man alle Dachwohnungen als Mansarde) hatte wegweisende Bedeutung für die Architektur in Frankreich.

Voltaire: "François Mansard war einer der besten Architekten Europas. Das Schloss de Maisons,- oder besser das Palais de Maisons bei Saint-Germain, ist ein Meisterwerk, weil er hier sein Genie in völliger Freiheit entfalten konnte." (Siècle de Louis XIV), 

Zu Voltaires Zeit gehörte das Schloss dem Marquis Jean René de Longueil (1699 -1731). Er war der Aufklärung zugetan und mit dem etwa gleichaltrigen Voltaire befreundet.

Correspondance-Voltaire dankt dem 'Voltaire-Korrespondenten' Rainer Fischer aus Kempen, der hier seine Eindrücke über Maisons-Laffitte nach einem Besuch im Jahr 2017 zur Verfügung gestellt hat.

Voltaire in Maisons-Laffitte

Um 1720 macht der junge, hochbegabte und gebildete Jean René de Longeuil, Marquis de Maisons, aus dem Schloß ein Zentrum der Aufklärung. Wissenschaftler, Philosophen und Schriftsteller aus ganz Frankreich versammeln sich in Les Maisons. Im Park läßt er einen botanischen Garten anlegen, im Schloß unternimmt der Marquis chemische Experimente und in seinem physikalischen Kabinett überpüft er die Optik Newtons. Zu seinen Gästen zählt oft auch Voltaire, der dort an den Experimenten teilnimmt und die zweite Auflage seines Epos 'La Henriade' vorbereitet.
Die Architektur des Schlosses beeindruckt Voltaire sehr, sie inspirierte ihn später zu der Idee, in dem sehr viel kleineren Cirey einen Seitenflügel  à la Maisons anbauen zu lassen - in dem natürlich ein physikalisches Kabinett eingerichtet wird!
November 1723. Während eines Aufenthaltes in Schloß Maisons erkrankt Voltaire an den weissen Pocken, einer zwar weniger gefährlichen Variante der echten Pocken, die aber trotzdem Mitte 1723 in Paris zahlreiche Todesfälle verursacht hatte. Pocken-Schutzimpfungen waren in Europa, anders als z.B. in der Türkei, noch fast unbekannt. Lady Montague berichtete zwar schon 1720 in London vom Erfolg einer Pocken-Schutzimpfung in Istanbul, musste sich aber gegen die gesamte Londoner Ärzteschaft durchsetzten, was schliesslich nur durch die Unterstützung des Königs gelang. Voltaire hat Lady Montagu und der Pockenschutzimpfung in seinen Philosophischen Briefen aus England ein Kapitel gewidmet (vgl. auch die sehr informative Internetseite über die Pockenimpfung in Istanbul und Lady Montagu : href="http://www.istanbulpark.de/news.php?extend.72.1 - leider im Juni 2020 nicht erreichbar)

Vier Wochen bleibt Voltaire in Les Maisons. Er erhält die zu seiner Zeit bestmögliche Pflege, die Behandlung besteht im Aderlassen, Brechmitteln und vermehrter Flüssigkeitszufuhr, was, wie wir heute wissen, bei allen Fieberkrankheiten eine gute Idee ist. Ohnehin liegt laut (heutiger) Statistik die Sterblichkeitsrate bei den weissen Pocken ohnehin deutlich unter 5%, wenn nicht eine weitere Infektion den ohnehin schon geschwächten Körper befällt.

Dezember 1723
Voltaire, von seiner Krankheit geheilt, verlässt das Schloß Maisons. Noch im Moment seiner Abreise fängt das Zimmer, das er bewohnt hatte, Feuer und der Brand zerstört einen Teil des Gebäudes.
Und, schlimmer noch, im Jahr 1731 erkrankt der Marquis de Longeuil selbst an den Pocken - er war immer schon von schwächlicher Konstitution - und stirbt an dieser heute - Lady Montagu sei dank! - fast besiegten Krankheit.

Hier Voltaires Brief an den Baron de Breteuil von seinem Aufenthalt in Maisons-Laffitte (Brief vom 5.12.1723, Übersetzung von Rainer Fischer):

 
Monsieur
ich werde Ihrem Wunsch folgen und gebe Ihnen einen getreuen Bericht meiner Erkrankung an den weissen Pocken, die ich überwunden habe, von der erstaunlichen Behandlung, die mir verabreicht wurde und schließlich von dem Unfall von Maisons, der mir die Freude an dem Glück verübelte, wieder ins Leben zurückgekehrt zu sein.

Herr Präsident Maisons und ich fühlten uns am 4. November unpäßlich, aber glücklicherweise wandte sich die Gefahr nur mir zu. Wir wurden am gleichen Tage zur Ader gelassen - ihm ging es danach besser - und ich hatte die weissen Pocken. Diese Krankheit brach nach 2 Tagen mit Fieber durch und kündigte sich durch einen leichten Ausschlag an. Man ließ mich noch ein zweites Mal zur Ader, auf meinen eigenen Wunsch, ungeachtet des gewöhnlichen Vorurteils dagegen.

Herr Maisons hatte die Güte, mir am nächsten Tag Herrn von Gervasi zu senden, den Arzt von Kardinal Rohan, der nur mit Widerwillen kam. Er befürchtete wohl, vergeblich die weissen Pocken an einem zarten und schwachen Körper zu behandeln, die schon vor 2 Tagen ausgebrochen waren und deren Symptomen nur mit 2 leichten Aderlässen begegnet worden war, ohne irgend ein Abführmittel. Er kam dennoch und fand mich mit einem bösen Fieber vor. Meine Krankheit erschien ihm zunächst ziemlich schlimm; die Bediensteten, die um mich versammelt waren, nahmen dies wahr und verbargen es nicht vor mir. Gleichzeitig teilte man mir mit, daß der Pfarrer von Maisons sich für meinen Gesundheitszustand interessiere. Er habe keine Furcht vor den weissen Pocken und frage, ob er mich besuchen könne, er wolle mich aber nicht stören; ich ließ ihn alsbald eintreten, ich beichtete und machte mein Testament, welches, wie Sie gerne glauben werden, nicht sehr lang war. Nach alledem erwartete ich den Tod mit großer Gelassenheit, jedoch nicht ohne zu bedauern, nicht noch letzte Hand an mein Vers-Epos (die Henriade) und das Theaterstück "Marianne" gelegt zu haben und nicht ohne ein wenig böse darüber zu sein, meine Freunde so früh verlassen zu müssen. Herr de Gervasi hingegen gab mich nicht einen Augenblick auf: er studierte an meinem Körper aufmerksam alle Regungen der Natur, er verabreichte mir keine Medizin, ohne mich vorher über den Grund aufzuklären; er gab mir eine Ahnung von dem, was drohte und zeigte mir klar das dagegen notwendige Heilmittel; seine Überlegungen weckten in mir Überzeugung und Vertrauen, schließlich ist ja die Hoffnung geheilt zu werden, schon die halbe Heilung. Er war gezwungen, mich achtmal ein Brechmittel einnehmen zu lassen und an Stelle der herzstärkenden Mittel, die man üblicherweise bei dieser Krankheit gibt, ließ er mich 200 Schoppen Limonade trinken. Diese Behandlung, die Ihnen außergewöhnlich erscheinen mag, war die einzige, die mir das Leben retten konnte, jede andere hätte unweigerlich zu meinem Ende geführt, und ich bin überzeugt, daß die Mehrzahl derjenigen, die an dieser gefährlichen Krankheit gestorben sind, noch leben würden, wenn ihnen die gleiche Behandlung zuteil geworden wäre.
[...]
Aber jetzt ist's genug mit der Medizin: ich ähnele den Leuten, die, mit der Hilfe eines geschickten Anwaltes einen bedeutsamen Prozeß gewonnen haben und noch für einige Zeit die Redewendungen der Anwaltschaft beibehalten. Indessen, mein Herr, das, was mich in meiner Krankheit am meisten kurierte, war das Interesse das ihr an meiner Gesundung hattet, die Zuwendung meiner Freunde und die unbeschreiblichen Wohltaten, mit denen mich Madame und Monsieur de Maisons ehrten. Ich erfreute mich übrigens der Annehmlichkeit, einen Freund um mich zu haben, ich möchte sagen, einen Mann, der unter die sehr kleine Zahl tugendhafter Männer zu zählen ist, die alleine um den Wert der Freundschaft wissen, von der der Rest der Welt nicht mehr als das Wort kennt; es ist Herr Thiériot, der. als er von meine Krankheit erfuhr, mit dem Postwagen 40 Meilen weit angereist kam und mich seither nicht einen einzigen Moment verlassen hat. Am 15. November war ich ganz außer Gefahr und am 16. machte ich wieder Verse, trotz der extremen Schwäche, die durch die Krankheit und die Medikamente auf mir lastete. Ich erwartete mit Ungeduld den Zeitpunkt, an dem ich mich der Fürsorge entziehen könnte, die man mir aus Güte zuwandte, und umsomehr eilte ich mich, sie nicht zu lange auszunutzen. Schließlich war ich am 1. Dezember in dem Zustand, daß man mich nach Paris bringen konnte. [...]"

 

Zu  dem Brand im Schloß Maisons bei seiner Abreise schreibt Voltaire :

"Hier nun , mein Herr, ein verhängnisvoller Augenblick: Kaum war ich 200 Schritte vom Schloß entfernt, als ein Teil des Fußbodens in dem Zimmer, in dem ich gewesen war, völlig entflammte; benachbarte Zimmer, die Räumlichkeiten, die darunter lagen, die kostbaren Möbel, mit denen sie verziert waren, alles wurde verzehrt vom Feuer; der Verlust beläuft sich auf  nahezu 100 Tausend Pfund, und ohne die Hilfe der Feuerpumpen, die man in Pris suchen ließ, wäre eines der schönsten Gebäude des Königreiches vollständig zerstört worden. Man verschwieg mir die seltsame Neuigkeit bei meiner Ankunft, ich erfuhr sie am nächsten Morgen beim Aufwachen und Sie können sich nicht vorstellen, wie niedergeschlagen ich war; Sie wissen um die großzügige Pflege, die Herr Maisons mir zu teil werden ließ; ich wurde bei ihm behandelt wie sein eigner Bruder und das Ergebnis so vieler Wohltaten war der Brand seines Schlosses. Ich konnte nicht begreifen, wie das Feuer mein Zimmer so plötzlich erfassen konnte, wo ich lediglich ein fast erloschenes glimmendes Holzstück hinterlassen hatte; ich erfuhr, daß die Ursache dieser Feuersbrunst ein Balken war, der unter dem Kamin verlief. Das ist ein Fehler, den man beim Aufbau heutiger Gebäude vermeidet und selbst die häufigen Feuersbrünste, die daher rührten, müssen dem König angezeigt werden, um diese fatale Art zu bauen zu bekämpfen. Der Balken, von dem ich spreche, hat sich nach und nach entzündet durch die Hitze der Feuerstelle, die sich unmittelbar auf ihn übertrug und, durch ein eigentümliches Schicksal, das auszukosten ich gewiß das Glück hatte, ist das Feuer, das seit 2 Tagen brütete, nicht früher ausgebrochen als einen Moment nach meiner Abreise. Ich war nicht die Ursache dieses Unfalles, aber ich war der unglückliche Anlaß; es schmerzte mich aber genauso, als ob ich dafür verantwortlich gewesen wäre. Das Fieber befiel mich sofort wieder und ich kann Ihnen versichern, daß ich in diesem Augenblick Herrn Gervasi nur wenig dankbar war, mir das Leben gerettet zu haben. Frau und Herr Maisons nahmen die Neuigkeit viel gelassener auf als ich, ihre Großzügigkeit war ebenso groß wie ihr Verlust und mein Schmerz. Herr Maisons setzte seiner Güte noch die Spitze auf, indem er mir zuvorkam und Briefe sandte, die sehr deutlich machten, daß er sich sowohl durch sein Herz wie auch durch seinen Geist auszeichnet: er nahm die Sorge auf sich, mich wiederherzustellen und es sah beinahe so aus, als wenn er mir das Schloß abgebrannt hätte; aber seine Großzügigkeit führte erst recht dazu, mich noch um so lebhafter empfinden zu lassen, welchen Verlust ich ihm verursacht hatte und ich werde mein ganzes Leben lang meinen Schmerz ebenso wie meine Bewunderung für ihn

Maisons-Laffitte heute (2017)

Aufnahme von http://montjoye.net/chateau-maisons-laffitte

Reisebericht von Rainer Fischer (September 2017): 

Wenn man, wie ich, den von mir beschriebenen Weg durch den Ort geht, ist man, das Schloß von Abbildungen her kennend, recht enttäuscht, wenn man in die letzte, auf das Schloß zuführende Straße einbiegt und - ein von Baugerüsten verhängtes Schloß sieht. Dieser Anblick wird noch bis in das Jahr 2018 hinein den Besuchern nicht erspart bleiben. Wer sich aber davon nicht abhalten läßt und die Eintrittskarte für 7 Euro gelöst hat, der wird mit einem famosen architektonischen Werk belohnt, das sich den Augen und dem ästhetischen Wohlbefinden zuträglich darbietet. Nach Ende der Fassadenarbeiten, die sich im Inneren nicht auswirken, wird der Besuch natürlich noch lohnender sein..

Das Schloß Maisons liegt heute im Ort Maisons-Lafitte, im Westen von Paris, nördlich von Saint Germain en Laye und nur ca. 10 km von Nanterre entfernt.

Anreise

o mit dem Auto:
Von Paris La Défense nehmen Sie die Unterführung in Richtung Cergy-Pontoise, A86, dort die Ausfahrt 2 b Bezons in Richtung Poissy über die N192 und die N308

o mit dem RER A z.B. ab Chatelet, Richtung POISSY zur Haltestelle "Maisons-Lafitte"

o mit dem Zug (Transilien) ab Gare Saint Lazare, Abfahrt ab 1.Geschoß (über Straßenniveau), Züge nach Maisons-Lafitte sind auf den Anzeigetafeln "Ile de France" leicht zu finden. 

o mit dem Bus ab La Défense, Linie 262 bis zur Haltestelle "Chateau".

Sind Sie mit dem Zug oder RER A angereist, so verlassen Sie den Bahnhof und stehen direkt am Beginn der Avenue de Longeuil, wo sich links das Rathaus und gegenüber rechts in einem kleinen Pavillon das Office du tourisme befinden. Folgen Sie der Avenue de Longeuil, zunächst als Hauptgeschäftsstraße, dann als Grünanlage im Villenviertel gestaltet, bis zur "Place du Chateau", wo Sie rechts in die Avenue Général Léclerc  einbiegen und schon das Schloß in seiner ganzen Schönheit vor sich sehen. 

Links

Sehr schöne, offizielle Seite (auf Französisch) über das Schloss mit allen wichtigen Informationen: www.maisonslaffitte.net

Lunéville

Lunéville

Ansicht Schloss Lunéville 2001

Lunéville in Lothringen liegt bei Nancy, heute 2 Autostunden von Cirey entfernt, damals, im 18. Jhdt. eine halbe Tagesreise mit der Kutsche. Hier hielt der 1736 endgültig abgedankte polnische König Stanislas Leszczynski* Hof, für Voltaire eine kleine Entschädigung für Versailles, Paris überhaupt, das ihm seine Gegner versperrt hielten. Zudem war Stanislas Vater der französischen Königin und Zeitzeuge der Kriege des schwedischen Königs Karls XII.in Polen, also eine erstklassige Informationsquelle. Stanislas hatte Karl XII., dessen Mann er im polnischen Thronfolgekrieg gewesen war, persönlich gekannt. Jetzt, nach dem französischen Einigungsvertrag mit Habsburg, war August III. (der Sachse) König von Polen und er in Lothringen Fürst von Frankreichs Gnaden. Sein Hof war eine Art Altenteil, das ihm seine Tochter, die fromme französische Königin Maria, auf Kosten der Krone eingerichtet hatte. Ein Refugium mit scheinbar unbegrenzten Geldmitteln, die es ihm erlaubten, eine Hofhaltung zu betreiben, eine Bautätigkeit zu entfalten, die sich mit Versailles messen konnte. Dieses Sandkasten-Fürstentum mit allem , was dazu gehörte: Schlösser, Untertanen, Feste, ging mit seinem Tod unter. In Lothringen ist Stanislas bis heute in guter Erinnerung, waren doch die Geldmittel und sein Prunk für das Land eine Zeit des relativen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwungs und bis heute sind seine Bauten rund um Nancy Anziehungspunkte für Touristen (Besonders sehenswert: Place Stanislas in Nancy). Das Reiterstandbild vor dem Schloss ehrt übrigens den Lothringer Général Lasalle, der sich unter Napoléon im Ägyptenfeldzug verdient gemacht hatte und 1809 in der Schlacht von Wagram fiel. 

* über Stanislas Leszczynski informiert recht gut die ihm gewidmete Wikipediaseite

Lunéville - im Reich Stanislas'

1735

  • 12.Mai: Voltaire reist mit der Gräfin von Richelieu in die jetzt von Elisabeth von Orléans regierte Grafschaft Lorraine. Am Hofe von Lunéville baut man die Experimente Newtons nach, Voltaire ist begeistert und genießt die freie und besonders die theaterfreundliche Atmosphäre, die er auch 13 Jahre später noch, zur Zeit von Stanislas, wiederfindet.
    Auszug aus seinem Bericht an seinen Freund M.de Formont vom 25.6.1735:

Eh bien! mon cher philosophe, il y a bien du temps que je ne me suis entretenu avec vous. J’ai été à la cour de Lorraine, mais vous vous doutez bien que je n’y ai point fait le courtisan. Il y a là un établissement admirable pour les sciences, peu connu et encore moins cultivé. C’est une grande salle toute meublée des expériences nouvelles de physique, et particulièrement de tout ce qui confirme le système newtonien. Il y a pour environ dix mille écus de machines de toute espèce. Un simple serrurierdevenu philosophe, et envoyé en Angleterre par le feu duc Léopold, a fait, de sa main, la plupart de ces machines, et les démontre avec beaucoup de netteté. Il n’y a en France rien de pareil à cet établissement, et tout ce qu’il a de commun avec tout ce qui se fait en France, c’est la négligence avec laquelle il est regardé par la petite cour de Lorraine.

Übersetzung:
Ja nun, mein lieber Philosoph, es ist eine ganze Weile her, seit ich mich mit Ihnen unterhalten habe. Ich bin am Hofe von Lothringen gewesen, aber Sie vermuten richtig, wenn Sie meinen, daß ich nicht dort war, um den Höfling abzugeben. Dort gibt es ein bewundernswertes Wissenschaftskabinett, wenig bekannt und noch weniger gepfleg. Es handelt sich um einen großen Saal voll mit Einrichtungen die man braucht, um die neuen Experimente Newtons durchzuführen und zu überprüfen. Hier stehen für ungefähr zentausend Ecus Geräte aller Art. Ein einfacher Schlosser, der zum Philosoph wurde, war vom verstorbenen Herzog Leopold nach England geschickt worden, er hat mit eigener Hand die meisten dieser Geräte hergestellt und bedient sie mit viel Geschick. In ganz Frankreich gibt es zu dieser Einrchtung nichts Vergleichbares und das einzig Gemeinsame mit dem, was sich in Frankreich tut, ist die Geringschätzung, mit der der kleine lothringische Hof das alles betrachtet.

  • Ende Juni Voltaire reist nach Cirey, um dort mit Madame du Châtelet zusammenzutreffen.

1748

  • Januar: Ankunft Voltaires mit Madame du Châtelet in Lunéville, das jetzt von Stanislas 'regiert' und prachtvoll ausgebaut wird. An seinem Hof schließen sie enge Freundschaft mit Madame de Boufflers, Stanislas Lebensgefährtin, die auch 'Madame volupté' (etwa: Frau Wollust) genannt wird. Voltaires Stücke Zaire und Mérope und die neu verfasste Komödie La femme qui a raison  werden aufgeführt. Voltaire und Emilie führen ein ziemlich unstetes Leben, sie sind abwechselnd in Paris, Plombières, Lunéville. Auch der lothringische Hof wechselt seinen Standort häufig zwischen Commercy, La Malgrange, Nancy und Lunéville. Ein Fest gibt das andere. Im Dezember reisen Voltaire und Emilie von Lunéville aus nach Cirey, denn Emilie ist schwanger - von ihrem Liebhaber Saint Lambert.

1749

  • Juni: Rückkehr von Voltaire und Madame du Châtelet. Emilie du Chatelet schreibt an ihrem Buch Principes de la philosophie naturelle de Newton.
    Von Voltaire stammen aus dieser Zeit die Stücke Catalina und Electra
  • September Am 10.9. stirbt Emilie du Châtelet, am sechsten Tag nach der Geburt ihrer Tochter Stanislas Adélaide am Kindbettfieber. Sie wird in der Kirche Saint Rémy (heute:Saint Jacques) beigesetzt. Zwei Tage später reist Voltaire in Begleitung von Emilies Ehemann ab nach Cirey.

Lunéville heute (2014)

 

2001: Schloß Lunéville ist ein Schloß im Niedergang, überall macht sich das Fehlen von finanziellen Mitteln bemerkbar, die aber dringend zur Renovierung benötigt würden, damit das einst so prächtige Schloß ein Anziehungspunkt für Touristen sein könnte. Ähnlich spärlich sind auch die Äußerungen zu Voltaire und Emilie du Châtelet beschaffen: sporadisch, amateurhaft, liebevoll von einem Liebhaber der Aufklärung selbst mit Schreibmaschine geschrieben und fotokopiert. Der offizielle Prospekt verliert kein Wort über die beiden, nicht einmal der Gründer Stanislas wird angemessen porträtiert.

2010: Das Schloß - es ist wie ein Schlußpunkt unter die Geschichte seines Niedergangs, wird von einer verheerenden Feuersbrunst vernichtet, insbesondere der Südflügel mit den Sammlungen historischen Porzellans und einer kleinen Gemäldegalerie ist unwiderruflich verloren. Eine ziemlich breite Unterstützerkampagne zum Wiederaufbau des Schloßes setzt ein.

London

Voltaire in London

1726, als Voltaire in England ankam, war London bereits die größte Stadt der westlichen Welt und zählte über 500.000 Einwohner. Sie war aber auch eine Stadt großer sozialer Gegensätze: am Vorabend der industriellen Revolution hatte zwar das Bürgertum dem Adel die Macht entrissen (1689 wird dies in der Bill of Rights festgeschrieben), das normale Volk hatte davon aber nicht viel, es lebte in bitterer Armut.

Trotzdem war es eine Zeit religiöser Toleranz, die Voltaire sehr begrüßte und bewunderte. Auch eine weitere Folge der Teilentmachtung des Adels wertete er positiv: Bürger konnten jetzt - aufgrund außerordentlicher Leistung ('Sir' Isaac Newton) oder als Folge ihres klug erreichten Reichtums - in den Adelsstand erhoben werden. Eigentlich ein Zeichen dafür, daß der Adel noch immer den Ton angab, Voltaire aber sah es so, daß hier Bürger durch Leistung an die Spitze der Gesellschaft kommen konnten und nicht allein durch Zugehörigkeit zu einer noblen Familie - damals im absolutistischen Frankreich undenkbar. In diesem Klima blühte die Kultur: die Musik Purcells und Händels, am Theater spielte man die Stücke Shakespeares und John Gays, man las die Romane Jonathan Swifts und Newton legte die wissenschaftlichen Grundlagen der Physik. Das war genau das geistige Klima, das Voltaire brauchte. 

Etwas mehr als zwei Jahre in London genügten, um aus dem französischen Höfling und Libertin vollends einen aufgeklärten Bürger zu machen. Seit der Aufhebung des Ediktes von Nantes 1685 waren viele Hugenotten nach London geflohen, in ihren Kreisen fand Voltaire Anschluß. Einflußreiche Freunde wie Lord Bolingbroke und A. Fawkener führten ihn in die führenden englischen Gesellschaftskreise ein.

Voltaire im Londoner Exil - Hinwendung zur Aufklärung

10.5.1726 Ankunft Voltaires in London.

Stadtansicht von London um 1710 - im Vordergrund die damals bebaute London Bridge und sehr deutlich die Gedenksäule (Monument) die an das große Feuer von 1666 erinnert (photo: wikipedia:'London Bridge').

Sein erstes Ziel ist das Bankhaus da Costa, wo er seinen Wechsel einlösen will. Er erfährt, daß die Bank bankrott, da Costa auf der Flucht und seine Baranweisung verloren ist. Voltaire hält sich an den 71 jährigen Vater des Bankiers, der ihm erklärt, daß:

"sein Sohn nichts dafür könne, ihm sei Unglück widerfahren, er wäre immer bestrebt, nach Gottes Wille zu leben, das heißt, er sei ein ehrlicher Mann und guter Israelit. Er bestürzte mich, ich umarmte ihn, wir lobten gemeinsam Gott und ich hatte achtzig Prozent verloren."*

Er erhält nur einen kleinen Teil seines Geldes und in der großen Stadt ist dieses Geld schnell verbraucht. Voltaire braucht Hilfe.
Everard Fawkener (1684-1758)*, ein Tuch-grosskaufmann, den Voltaire aus Paris kennt, lädt ihn ein, bei ihm zu wohnen. Der Landsitz befindet sich in Wandsworth, (Putney Bridge Road, -wo heute eine Polizeistation steht) einem belebten Vorort von London, wo sich die Hugenotten nach der Vertreibung aus. Frankreich angesiedelt haben, es blüht das Manufakturwesen. Hier wird später die erste Lok der Welt auf die Schiene gesetzt.
* Noamy Perry, Sir Everad Fawkener, friend and correspondent of Voltaire London, 1975


Wandsworth

Heute ist Wandsworth eher ein ruhigerer Stadtteil Londons, einige kleine Häuschen erinnern noch an die industrielle Vergangenheit. Wo hier einst Arbeiter wohnten, hat längst der Mittelstand Einzug gehalten, der sich nach sozialem Aufstieg sehnt. An die hugenottische Vergangenheit erinnert sich kaum noch jemand. Der kleine Hugenottenfriedhof liegt versteckt hinter einer Backsteinkirche, nur in der Stadtbibliothek kennt eine ältere Mitarbeiterin den Ort.


Und ob an der Stelle, wo heute der hässliche Polizeibau steht, früher einmal das Haus Fawkeners stand, wissen nicht einmal gestandene Historiker. London ist schnelllebig und - ausgenommen die großen und berühmten Gebäude, scheint es sich wenig um die eigene Vergangenheit zu kümmern. So lösen sich die 250 Jahre alten Grabsteine des Hugenotten-Friedhofs langsam unter dem Einfluß von Witterung und Vandalismus auf und wer weiß, wie lange die schöne Trauernde (oben zu sehen) den Versuchen, sie von ihrem Grabstein abzulösen, noch standhalten wird ?


Juli 1726 

Voltaire reist heimlich nach Paris, wahrscheinlich, um dort für die finanzielle Absicherung seines Londonaufenthaltes zu sorgen.

Am 10. August 1726 stirbt Voltaires ältere Schwester

Marguerite-Cathérine Mignot, sie hinterlässt 3 Kinder, die späteren Madame Denis, Madame Fontaine und Abbé Mignot. Voltaire stand ihr sehr nahe, denn Marguerite-Cathérine war es, die sich nach dem frühen Tod ihrer Mutter um ihn gekümmert hatte. Voltaire konzentriert sich jetzt darauf, seine Lage in London zu stabilisieren. Dazu gehört vor allem, daß er  die englische Sprache erlernt.
Um die englische Sprache zu erlernen, besucht Voltaire - was liegt für ihn als Dramatiker näher -die Theater Drury Lane und Lincolns Inn Fields, wo man die Stücke Shakespeares spielt. Er mietet sich in der Nähe ein kleines Zimmer' und setzt sich bei der Aufführung neben den Souffleur, denn bei ihm kann er den geschriebenen mit dem gesprochen Text vergleichen.


Theatre Drury Lane

Das Theatre Royal Drury Lane wurde 1663 eröffnet und war die wichtigste Shakespearebühne Londons. Das Gebäude brannte mehrmals ab. Das heutige Theatergebäude wird seit 1812 bespielt und bietet für mehr als 2000 Zuschauer Platz und ist das Theater mit der ältesten, forlaufenden Spieltradition Londons. Dieses Theater spielte zu Voltaires Lebzeiten viele seiner Stücke in englischer Sprache:
1735 Junius Brutus. T. (William Duncombe),
1736. The Tragedy of Zara. [Zaire, Adaption v. Aaron Hill.],
1744. Mahomet the Imposter. T.  [Le Fanatisme, ou Mahomet le Prophète, Adaption v. James Miller und (?) John Hoadly, ein 5.Akt ist von ihm],
1749. Meropé [sic]. T.[Mérope, Adaption v. Aaron Hill.],
1759. The Orphan of China. T.  [Orphelin de la Chine, Adaption v. Arthur Murphy.],
1760. The English Merchant. C. [L'Écossaise, Adaption v. George Colman, the elder.],
1765. Mahomet the Impostor. T. [James Miller’s 1744 version, verändert durch (?) Garrick.],
1771. Almida. T. By a Lady. [Tancrède, Adaption v. Dorothea (Mallet) Celesia],
1776. Semiramis. T. [Sémiramis, Adaption v. George Edward Ayscough.
Quelle:Bartleby 10.IV


Lincoln Inn Fields

The Lincoln Inn Fields Theatre lag an der Südseite des gleichnamigen Platzes und bestand von 1661 bis 1848. Hier wurde 1728 John Gays Beggar's Opera aufgeführt, die Voltaire dort wohl gesehen haben dürfte. Heute steht an der Stelle das sehr sehenswerte paläontologische und anatomische Museum der Sammlung Hunter, eine der weltweit ältesten paläontologischen Sammlungen.

Lincoln Inn Fields Park

1735 spielte das Theater Voltaires Alzire in einer Adaption von Aaron Hill

 

 

 

 

 


Ende des Jahres 1726

besucht er Lord Bolingbroke in dessen Landhaus Dawley, lernt bei ihm den Dichter, Schriftsteller und Homer Übersetzer Alexander Pope kennen, besucht ihn mehrmals in Twickenham (heute Stadtteil von London). Nach einer glaubhaften Anekdote kam es dabei zu einem Zwischenfall. Voltaire antwortet nämlich auf die Frage, warum er denn bei so schlechter Gesundheit sei, daß ihn "die verdammten Jesuiten, als er noch ein Kind war, so mißbraucht hätten, daß er sich davon Zeit seines Lebens nicht mehr erholen würde". Diese Äußerung ist bei dem katholischen Pope nicht gut aufgenommen und die Beziehung der beiden war seitdem angespannt.

Ende Januar 1727

Voltaire hat in der englischen Gesellschaft Anschluß gefunden, er unterhält Kontakt zu den höchsten Gesellschaftskreisen, er wird von König Georg I empfangen und die königliche Familie unterstützt ihn sogar bei der Herausgabe seiner exklusiven und kostspieligen 'Henriade'.

Am 20.3.1727 

stirbt Issac Newton, wird in Westminster Abbey beigesetzt, auch dies für Voltaire ein Zeichen der Fortschrittlichkeit Englands: in Frankreich verweigert man manchem Wissenschaftler Anerkennung und ein ordentliches Begräbnis, während England ihnen höchste Ehren zukommen lässt.

Mai 1727

Voltaire lernt John Gay kennen, den Autor der 'Beggar's Opera' (die Brecht zur Dreigroschenoper umarbeitete) und Johnathan Swift, dessen Gulliver ihn begeistert. Er wohnt wieder in Wandsworth, jetzt aber bei einem Färber, trifft in dessen Nachbarschaft Quäker , über das Zusammentreffen berichtet Voltaire im ersten seiner philosophischen Briefe.

Juni 1727

Voltaire wohnt in Parson's Green, bei Lord Peterborough, neben Bolingbroke sein wichtigster Förderer in England. Voltaire kommt in Kontakt zu Lady Mary Wortley Montagu, der großen englischen Propagandistin der Pockenschutzimpfung. Er besucht George Bubb Dodington, Lord Melcombe, in Eastbury, der durch seine posthum erschienen Memoiren berühmt wurde.
Die Subskriptionsliste der Neuausgabe von Henry IV. wird ausgelegt. Voltaire lernt Andrew Pitt, den Führer der Quäker kennen, besucht ihn in Hamstead, wird von ihm zu einer Quäkerversammlung in die Grace Church Street mitgenommen. Heute ist die Gracechurchstreet in London eine Geschäftsstrasse mit netten Hinterhöfen. Von dem früheren Zentrum der Quäker ist nichts mehr geblieben, 1821 ist es einem Brand zum Opfer gefallen. In dieser Strasse wurde 1670 William Penn verhafet, weil er öffentlich predigte - denn innerhalb des Hauses zu predigen, hatte man ihm verboten.

Grace Church Street in London

 

 

 

 


Quaker

Die 'religiöse Gesellschaft der Freunde', wie sich die Religionsgemeinschaft auch nennt, war durch George Fox, einem Handwerker im 17 Jahrhundert, der sich für erleuchtet hielt, gegründet worden. Sie waren der Ansicht, daß in jedem Menschen etwas vom Licht Gottes leuchte, deshalb bezeichneten sie sich auch selbst als Kinder des Lichts. Ihr Führer William Penn war der Namensgeber und Gründer von Pennsylvania.
Für Voltaire waren die Quäker in mehrerer Hinsicht interessant :
o sie lehnten, ganz im Gegensatz zur katholischen Kirche,  Priester als Vermittler zwischen Gott und den Menschen ab. Jeder war selbst in der Lage, mit Gott zu kommunizieren .
o sie hatten sich gegen schlimme Verfolgung behauptet
o sie bildeten eine Gemeinschaft von Gleichen
o in ihrem Land Pennsylvania galt als oberstes Gesetz, daß niemand wegen seines Glaubens verfolgt werden dürfe.
Zu Voltaires Zeit war die religiöse Verfolgung in England abgeschafft: "Dies hier ist das Land der Sekten. Als freier Mann kommt der Engländer auf dem Weg, der ihm paßt, in den Himmel".


 

Am 29. Juni 1727

erhält er die Erlaubnis für 3 Monate nach Frankreich zu reisen. Voltaire bleibt in England, da sich durch den Tod Georg I. neue Perspektiven am englischen Königshof ergeben. Im Herbst wohnt er bei John Brinsdon, Sekretär von Lord Bolingbroke in der Durham Yard (Parallelstraße zur Strand). Er erkrankt, wird von seinen Gastgebern und Vermietern gesund gepflegt. Im Dezember zieht er in die Maiden Lane, ins Haus der 'White Peruke', heute auf der Rückseite des Vaudeville Theaters gelegen (hier gibt es dank Noamy Petty eine Gedenktafel), wohnt dort bis Juni 1728.

Am 6.12.1728

erscheinen 2 Essays von Voltaire, geschrieben in englischer Sprache: Essay upon civil wars und Essay upon the epick poetry.

1728 März

die Henriade erscheint, und zwar zuerst im Buchformat 4°, dann in 8°. Im Juni wohnt Voltaire wieder in Wandsworth.

Im Oktober 1728

Rückkehr nach Frankreich - Dieppe. Voltaire wohnt bei M. Fréret, einem Apotheker, Rue de la Barre - dann erst, 1729 im März Rückkehr nach Paris.

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Werke Voltaires - in London entstanden

    • Lettres philosophiques. In 25 Briefen vergleicht Voltaire die Zustände in England mit denen in Frankreich. Der Vergleich fällt eindeutig zugunsten Englands aus und macht ihm in Frankreich viele Feinde. Die 'Philosophischen Briefe' erschienen 1733 zuerst in englischer Sprache als: 'Letters concerning the English Nation by M. de Voltaire',erst ein Jahr später auf Französisch, und zwar in Amsterdam (Lettres philosophiques, par M. de V.... Amsterdam: E. Lucas, 1734, 387 S. (in-12°), denn in Frankreich durften die 'Briefe' nicht erscheinen....mehr
    • La Henriade Mit seiner Henriade setzt Voltaire Henri IV., dem großen Versöhner der Religionen in Frankreich ein Denkmal. Die Henriade war schon 1723 in Frankreich erschienen, machte ihn berühmt und zum Idol aller freiheitsliebenden Menschen, und zum Feind aller katholischen Finsterlinge. In London bringt Voltaire das Werk in einer sehr exklusiven Ausstattung im Format 4° neu heraus.

 

  • Essay upon civil wars of France extracted from curious manuscripts; London: Jallasson, 1727, 35 S. (8°) Es handelt sich um den Abriss der Lebensgeschichte Henri IV bis zu seiner Thronbesteigung. Die kleine Schrift konnte auf französisch erst 2 Jahre später in Holland erscheinen, weil sie in Frankreich von der Zensur verboten wurde.
  • Essay upon the epick poetry Der Versuch über die epische Poesie war als Einleitung zur Henriade gedacht und erschien 1728 unter dem Titel Essai sur la poésie épique, traduit de l’anglais de M. de Voltaire, par M. *** Paris, Chaubert, 1728, 170 S. ( in-12°). Die Abhandlung ist eine Art Selbsvergewisserung Voltaires gegenüber den Größen der epischen Literatur wie Homer, Vergil, Lukian, Tasso, Milton. Eine deutsche Übersetzung ist bis heute nicht erschienen.

 

Lausanne

Voltaire in Lausanne

Stadtansicht Lausanne um 1700, Museum d. Geschichte, Lausanne

Lausanne zählte 9000 Einwohner, als Voltaire 1755 hierher kam. Er miete ein Haus - 2 km unterhalb von der links im Stadtmodell noch zu sehenden Kirche, also außerhalb der Stadtmauer gelegen.

Lausanne stand irgendwie immer in Opposition: zur großen Stadt Genf und natürlich zur bis 1798 dauernden Herrschaft der Stadt Bern, die hier seit 1536 (Einführung der Reformation und Entmachtung der Kirche) das Sagen hatte. Das förderte Kultur und Geistesleben, weshalb Lausanne auch einige Jahre, mehr als Genf, Voltaires 'Lieblingsstadt' war. Hier fand er viele Bewunderer und Freunde der Aufklärung und viele von Ihnen teilten seine Leidenschaft: das Theater. 

Noch heute wird sein Andenken in Lausanne bewahrt. Schon in der Liste mit den berühmten Besuchern der Stadt im offiziellen Stadtführer steht sein Name ganz oben und an den Plätzen und Strassen seines Lebens und Wirkens - ganz anders als zum Beispiel in Potsdam oder Berlin - ist in Lausanne immer ein Hinweis auf Voltaire zu finden.

Voltaire in Lausanne: Mon Repos

Blick auf den Genfersee unweit vom früheren Theater

Aus Sicherheitsgründen baute sich Voltaire in Lausanne neben Genf einen zweiten Standort auf. Lausanne war damals nicht selbständig, die Stadt gehörte zum Herrschaftsgebiet des deutschsprachigen Bern, was im Notfall vorteilhaft sein konnte.
Außerdem war Lausanne damals eine ausgesprochene Hochburg der Aufklärung. Die eigene Wohnung in dieser Stadt sollte die Position Voltaires in seiner neuen Heimat, wo er ein geduldeter Fremder war, stärken. Was Voltaire aber in Lausanne nach seiner kräftezehrenden Irrfahrt auf der Flucht aus Berlin jetzt vor allem suchte, war Ruhe und Entspannung, un peu de repos.

1755
Voltaire mietet das Haus Grand Montriond.
Das Landhaus lag außerhalb der Stadtmauer am Fusse der Stadt, auf halbem Weg zum Genfer See (Lac Leman), mit herrlichem Blick auf See und Alpen, inmitten von Feldern und Weinbergen. Voltaire beschreibt das Haus als stattliches Anwesen von 40 m Breite mit 2 Seitenflügeln. Das Haus gehört einem Bankier namens Le Giez, mit dem er sich anfreundet. Voltaire beabsichtigt, hier jeweils den Winter zu verbringen, was am milderen Klima und am Theater liegt, denn es gibt in Lausanne - anders als im erzcalvinistischen Genf - einen Theatersaal und Freunde, die mit ihm seine Stücke einstudieren, die sie dann vor den interessierten Bürgern aufführen.

 An der Stelle des früheren Grand Montriond befindet sich heute ein Mietshaus. Die Architektur mit einem Haupthaus und zwei Seitenflügel um einen großen Innenhof herum mag sich erhalten haben.

Er schreibt am 16. Dezember 1755 an seine Nichte Mme de Fontaine:

Ich unterziehe mich derzeit einer Behandlung durch Ruhe, aber ich befürchte, dass mir das nichts bringt und ich gezwungen sein werde, sie abzubrechen. Mme Denis wirft sich derzeit ins Getümmel, um unseren Ruhesitz Monrion einzurichten. Heute war praktisch ganz Lausanne bei uns. Ich hoffe die nächsten Tage etwas mehr Zeit für mich zu haben, denn ich bin ja nicht hierhergekommen, um Leute zu treffen.

Doch Lausanne will ihn treffen: Ein Zeitgenosse berichtet:

Ich habe endlich den Gott Voltaire getroffen, dessen Heiligkeit wenigstens über die Hälfte der Lausanner gekommen ist....der Stadtvogt Tscharner hat ihn mit dem ganzen Schloss besucht, Mme. Denis, eine sympathische Frau, geht mit Mme Tscharner schon so vertraut um wie mit einer Busenfreundin".

Also nichts mit Ruhe! Voltaire fügt sich und tut das, was er am liebsten tut: er veranstaltet Theaterabende. Doch die Freude bleibt nicht ungetrübt, Voltaire hat Feinde, meist Parteigänger der Kirche, aber auch Gelehrte, wie von Haller. Sie werfen ihm unchristliche Passagen seines Versepos Das Erdbeben von Lissabon vor, das er als Reaktion auf die schwere Katastrophe vom 1. November 1755 (zehntausende von Toten) geschrieben hat.
Dabei geht es natürlich um die Frage, wie ein guter Gott solches zulassen könnte, würde er existieren.

Voltaire ändert einige Formulierungen, hält mit seinen Anhängern dagegen - und kann die Angreifer mit ziemlicher Mühe zurückdrängen.

1756 - 1757 Erste Voltaire-Theatersaison in Villa Monrepos

In Paris hat man aus der Hinrichtung des Attentäters Damiens ein grausames Theater gemacht, in Lausanne studiert man die Werke der Toleranz, Zaire und Zulime, ein und zeigt sie allabendlich, zusammen mit der komischen Oper La Serva Padrone im Theater Monrepos. Das Theater gehört dem mit Voltaire verbundenen Marquis de Langallerie (1710 - 1773). Es bietet immerhin 200 Personen Platz und ist immer ausverkauft ist. Der Weg zurück nach Montriond ist beschwerlich, trotzdem wandeln Voltaire und seine Theatertruppe nach der Vorstellung auf schmalen, vereisten Pfaden den Hang hinunter - die festlichen Gelage im Hause Voltaire will sich niemand entgehen lassen.

1758
Voltaire mietet ein Haus innerhalb der Stadt. Es liegt ziemlich exponiert am steilen Abhang etwas oberhalb der Stadtmauern, mit einem imposanten Blick auf den See. So muss die ganze Theatergesellschaft zu Voltaire nicht mehr zwei Kilometer den Berg hinunterklettern. Die Stelle des Maison du Grand Chène nimmt heute das Lausanne Palace ein, ein mondänes 5 Sternehotel unter amerikanischer Leitung. Am 21/22. August 1758 ist Voltaire noch einmal in Lausanne, um mit der Gräfin von Bentinck zusammenzutreffen, die sich hier als Gast Voltaires einige Zeit in Montriond aufhält. Damit endet Voltaires Zeit in Lausanne - er verkauft sein Haus in Genf und erwirbt die Grafschaft Tournay und das Schloss Ferney, denen er von da an seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit widmet.

Werke Voltaires - in Lausanne entstanden

  • L'Orphelin de la Chine, Paris: Lambert 1755, trotz eines verhängten Theaterverbots der Genfer Behörden führt Voltaire das Stück in Les Délices auf.

  • Essai sur les moeurs Genève: Cramer 1756, in seiner Universalgeschichte kritisiert Voltaire Calvin wegen der barbarischen Ermordung Servers. Die Genfer Theologen blasen daraufhin zum Angriff gegen den, wie sie finden, undankbaren Voltaire.

  • Poème sur la loi naturelle (begonnen in Potsdam 1752) dies ist ein Lehrgedicht, gegen den Materialismus, wie ihn La Mettrie vertritt (Der Mensch als Maschine), für den es keine an- oder eingeborenen, also universellen ethischen Grundprinzipien (wie etwa Gerechtigkeit oder Mitleid) geben kann.

  • Poème sur le désastre de Lisbonne 1756, auch in diesem Gedicht entdeckten die Calvinisten in Lausanne und Genf viel Störendes, denn Voltaire äußert Zweifel an ihrem eingreifenden Gott und an der für Calvinisten wichtigen Vorsehung.

  • mehrere Artikel für die Enzyklopädie Diderots, der im Voltaire zugeschriebenen Artikel Genf das Theaterverbot kritisiert, was Voltaire sehr viel Ärger und die endgültige Gegnerschaft Rousseaus eingebracht hat.

  • Gesänge für La Pucelle, 1755 bei Louvain in Paris erschienen, ein Stück, das die Genfer am allermeisten erboste und die Lage für Voltaire in Genf bedrohlich werden ließ.

  • L'Histoire de la guerre de 1755, Paris: Le Prieur 1756 über den Verlauf des siebenjährigen Krieges

und an anderen Werken, die wir auf der Seite zu Genf aufgelistet haben. 

Ein Besuch in Lausanne (2010)

Blick von Grand Chene auf den Lac Leman

Noch heute wird Voltaires Andenken in Lausanne wie in kaum einer zweiten Stadt bewahrt. Schon in der Liste mit den berühmten Besuchern der Stadt im offiziellen Stadtführer steht sein Name ganz oben und an den Plätzen und Strassen seines Lebens und Wirkens - ganz anders als zum Beispiel in Potsdam oder Berlin - ist in Lausanne immer ein Hinweis auf Voltaire zu finden.

Lausanne beherbergt und pflegt im übrigen einen der authentischsten Voltaire-Orte, es ist der Park Mon Repos (Avenue de Mon-Repos, Bushaltestelle direkt davor) mit seiner schönen Villa, der Stätte vieler Theateraufführungen unter Voltaires persönlicher Leitung. Heute beherbergt sie das Bundesgericht von Lausanne. Dort ist folgende Erinnerungstafel angebracht: 

Übersetzung: Dieses Gebäude gehörte früher dem Marquis de Langallerie.
Voltaire hat hier Theaterstücke spielen lassen. Der berühmte französische Schriftsteller hielt sich zwischen 1755 und 1759 mehrere Male in Lausanne auf. Er trat selbst auf, um eine Rolle in Zaire* zu übernehmen
*die Rolle des Lusignan

Besucht man bei schönem Wetter ganz in der Nähe das kleine Parkcafé, liegen für die Gäste zum Lesen einige Bücher aus, ganz oben aber liegt das Buch von René Pomeau über Voltaire in Ferney (Voltaire chez lui)- von welcher anderen Stadt, Ferney einmal ausgenommen, wäre dies zu berichten?

La Source

Voltaire in La Source

Das Schloss La Source liegt bei Orléans am Quell des Flusses Loiret. Es war der Wohnsitz von Lord Bolingbroke (1678-1753), der es 1707 gekauft hatte. Henry Saint John Bolingbroke war eine der zentralen Figuren der englischen Politik, 1710 Außenminister des Landes, bedeutender Kopf der Torries. Er wird nach der Thronbesteigung von George I. 1715 des Landes verwiesen. Der sehr gebildete Bolingbroke, der die französische Sprache perfekt beherrscht, wählt Frankreich als Exil. Er kehrt 1723  nach England zurück, ohne jedoch an frühere Erfolge anknüpfen zu können. Bolingbrokes Unterstützung und Empfehlung verdankt Voltaire die offene Aufnahme während seines Exils in England (1726 -1728).

Bolingbroke schreibt über La Source:

Ich habe schließlich eine Unterkunft gefunden, ein Zuhause, ... es ist ein Refugium an dem die Natur sehr mitgewirkt hat und es wird mir gefallen, ihr künstlerisch zur Seite zu stehen

und

Es macht mir sehr viel Freude, letzte Hand an mein hübsches Haus zu legen, ich werde hier leben und vielleicht auch sterben, wenn sich die Dinge anders gestalten, werden die Ausgaben nicht völlig verloren sein, dann werden sie Denkmal meines Exils sein.

An Swift schreibt er:

Ich habe hier in meinem Wald die klarste und schönste Quelle vielleicht von ganz Europa. Bevor sie den Park verlässt, wird sie zu einem kleinen Fluss, schöner als alle Flüsse der griechischen oder lateinischen Verse.

Voltaire in La Source

Blick vom Balkon des Schlosses auf den botanischen Garten

1722 Dezember Voltaire kommt von Schloss Bruel nach La Source, um Lord Bolingbroke zu besuchen. Er beschreibt das Zusammentreffen in seinem Brief vom 4.12.1722: 

"Ich habe in diesem berühmten Engländer die ganze Gelehrsamkeit seines und die ganze Höflichkeit unseres Landes gefunden. Ich habe niemals zuvor unsere Sprache mit mehr Kraft und Richtigkeit sprechen hören. Dieser Mann, der sein ganzes Leben mit Vergnügungen und Geschäften zubrachte, hat trotzdem die Mittel gefunden, alles zu lernen und alles zu behalten. Er kennt die Geschichte der alten Ägypter ebenso wie die von England. Er verfügt über Virgil wie über Milton, er liebt die englische, französische und italienische Poesie, aber er liebt sie unterschiedlich, weil er ihre unterschiedlichen Vorzüge perfekt zu unterscheiden vermag."

Voltaire liest Bolingbroke und dessen Lebensgefährtin, der Marquise de Villette, aus Henri IV vor. Die positive Aufnahme seines Werkes durch die beiden bedeutenden Intellektuellen ihrer Zeit gibt Voltaire mächtigen Auftrieb und bestärkt ihn darin, ein großes Kunstwerk verfasst zu haben. 

Ein Besuch in La Source (2005)

La Source ist heute Teil der Gebäude der Universität von Orléans, umgeben mit einem dazugehörigen Park, an den sich ein wunderschöner öffentlicher botanischer Garten mit seltenen Vögeln, Pflanzen und einem kleinen Restaurant anschließt, für den allein sich ein Besuch schon lohnt. Das Schloss wirkt zunächst klein, renovierungsbedürftig, aber auch sehr romantisch und hat sogar einen Voltairesaal, dort, vor dem Spiegel über dem offenen Kamin, thront seine Büste - die schöne von Houdon - und blickt ein wenig spöttisch in den Raum. Der Saal ist eher ein Zimmer, mit riesigem Tisch und blauem Tischtuch - wohl für die Sitzungen der Universitätsleitung hergerichtet  Auf alle Fälle hat man hier einen wunderschönen Blick - vorne heraus zur Allee mit den altehrwürdigen Bäumen und nach hinten zum Blumenpark mit einem prächtigen Springbrunnen. Es war eine gute Idee, den Park von La Source, in dem früher Lord Bolingbroke mit Voltaire spazieren ging, öffentlich zu machen. Auf diese Weise hat man ein wenig von der Liebe, mit der sich Lord Bolingbroke und die Marquise de Villette ihr 'kleines' Paradies geschaffen haben, gerettet.

Bildergalerie

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Kleve – Reisebericht

Der Reisebericht Voltaires an seine Nichte, Madame Denis, vom 9.Juli 1750, den er allerdings erst im Nachhinein (1753-1754), also nach dem Bruch seiner Freundschaft mit Friedrich, verfasst hat, ist fast eine Liebeserklärung an Kleve, reizvoll genug, um die Orte, von denen er in seinem Bericht erzählt, in ihrer heutigen Gestalt zu zeigen. Wir versuchen sie mit unseren Photos aus dem Jahr 2010) zu zeigen (Übersetzung: Rainer Neuhaus, Voltaire-Stiftung)

Ich bin in Kleve angekommen in der Erwartung, daß ich dort die Relaispferde vorfinden würde, die alle Verwaltungsstellen auf Befehl des Königs von Preussen[1] zur Verfügung derer halten, die nach Sanssouci kommen, um dort bei demjenigen zu philosophieren, den ich den Salomon des Nordens genannt habe, welchen dieser reiche Salomon die Gunst gewährt, auf seine Kosten zu reisen. Aber der Befehl des Königs von Preussen war in Wesel bei einem Mann hängen geblieben, der ihn entgegengenommen hatte wie die Spanier die Bullen des Papstes, nämlich mit dem tiefsten Respekt, aber ohne irgendeine Tat folgen zu lassen. Ich habe mich also einige Tage auf dem Schloß jener Prinzessin aufgehalten, die durch Madame de Lafayette[2] so berühmt geworden ist,

Schwanenburg

Doch der Heldin und des Herzogs von Nemours
gar verliebtes Spiel in Kleve kennt man nicht
dies hier ist, ich sag’s frei Euch ins Gesicht
nicht das Land der Romane noch des Amor.

Das ist schade, denn die Gegend scheint wie geschaffen für Prinzessinnen. Hier liegt einer der schönsten von der Natur geschaffenen Orte, dessen Reize die Kunst noch erhöht hat. Seine schöne Aussicht ist der von Meudon[3] überlegen. Das Gelände ist angelegt wie die Champs Elysees und der Bois de Boulogne, Baumalleen bedecken den sanft abfallenden Hügel.

Baumalleen Voltaireweg

Das Wasser aus diesem Hügel wird von einem großen Becken aufgenommen, in dessen Mitte sich eine Statue der Minerva erhebt. Das Wasser dieses ersten Beckens empfängt ein zweites, das es einem dritten übergibt.

Amphitheater
Minerva

Den Abschluß bildet am Fuß des Hügels ein Wasserfall, der im Halbrund einer großen Grotte eingerichtet ist. Sein Wasser ergießt sich in einen Kanal, der eine weite Ebene bewässert und sich dann mit einem Rheinarm verbindet. 

Cascade
Cascade2

Mademoiselle de Scuderi und la Calprenède[4] hätten mit dieser Beschreibung einen ganzen Band ihrer Romane gefüllt. Aber ich als Geschichtsschreiber sage euch nur, daß ein gewisser Prinz Mauritz von Nassau[5], zu seinen Lebzeiten Gouverneur dieser schönen Einsiedelei, fast alle diese Wunder schuf. Er hat sich mitten im Wald bestatten lassen in einem monsterhaften eisernen Grabmal, umgeben von den allerprimtivsten Basreliefs aus der Zeit der Dekadenz des römischen Imperiums und von einigen noch plumperen gotischen Gebäuden. Aber für jene tiefsinnigen Geister, die beim Anblick jedes schlecht behauenen Steins in Ekstase geraten, sofern er nur aus der Antike und zweitausend Jahre alt ist, bedeutet das Ganze sicher etwas äußerst Wertvolles.

Grab Mauritz
Das Grabmal von Mauritz, wie es heute aussieht – von den Basreliefs ist nicht viel übrig

Ein anderes antikes Monument ist der Rest einer von den Römern angelegten, gepflasterten Fernstraße, die nach Frankfurt, Wien und Konstantinopel führte. Das heilige römische Reich hat, seit es auf Deutschland übergegangen ist, ein wenig von seiner Pracht verloren. Man bleibt im Dreck stecken im erhabenen Germanien von heute, sogar zur Sommerzeit. Von allen modernen Nationen sind Frankreich und das kleine Land der Belgier die einzigen, deren Wege der Antike würdig sind. Wir können uns rühmen, die alten Römer vor allem an Kneipen zu übertreffen. Und es gibt noch einige Punkte, in denen wir es sehr wohl mit ihnen aufnehmen können. Aber was schließlich die unvergänglichen, nützlichen und großartigen Monumente angeht, welches Volk kommt an sie heran? Welcher Monarch errichtet in seinem Königreich, was in Nîmes und in Arles ein Prokonsul geschaffen hat.

Vollendet im Kleinen, erhaben im Schmuck,
Große Erfinder von Nichtigkeiten, spielen wir die Eifersüchtigen.
Erheben wir unseren Geist zu der erhabenen Höhe
der stolzen Kinder des Romulus:
Sie taten hundert Mal mehr für die besiegten Völker,
als wir für uns selbst.

schwanenturm

 Ungeachtet der Schönheit von Kleves Lage, ungeachtet der Römerstraße, und trotz des Turms, von dem man sagt, er sei von Julius Cäsar oder zum wenigsten von Germanicus errichtet worden, trotz der Inschriften einer 26 ten Legion, die hier im Winterquartier war, trotz der schönen Alleen, die von Mauritz von Nassau gepflanzt sind, trotz seines großen eisernen Grabmals und schließlich trotz des ausgezeichneten Mineralwassers, das erst vor kurzer Zeit hier entdeckt worden ist[6], gibt es keinen nennenswerten Besucherzustrom in Kleve, obwohl das Wasser hier ebenso gut ist. wie das von Spaa und Forges, man kann die kleinen Eisenatome an keinem schöneren Ort hinunterschlürfen als hier. Aber es genügt nicht, wie Ihr wißt, daß man Verdienste hat, um auch Zulauf zu haben, Zwar findet sich hier das Nützliche und das Angenehme vereint; aber dieser köstliche Fleck wird nur von einigen Holländern frequentiert, die von der Nachbarschaft und dem niedrigen Preis der Lebensmittel und der Häuser angezogen werden und hierher kommen, um zu bewundern und zu trinken. Zu meiner großen Genugtuung habe ich hier einen berühmten holländischen Poeten wiedergesehen, der uns die Ehre hat widerfahren lassen, unsere guten oder auch schlechten Tragödien elegant ins Batavische, und zwar Vers für Vers, zu übersetzen, Vielleicht wird der Tag kommen, an dem wir darauf angewiesen sein werden, die Tragödien aus Amsterdam zu übersetzen. Jedes Volk zu seiner Zeit. Die römischen Damen, die ihre Liebhaber im Theater von Pompeji beäugten, ahnten, nicht, daß man eines Tages bei den Galliern in einem kleinen Weiler mit Namen Lutetia bessere Theaterstücke aufführen würde als in Rom, Der Befehl des Königs für die Relais-Stationen ist endlich angekommen. Damit enden meine zauberhaften Tage bei der Prinzessin von Kleve und ich breche auf nach Berlin.


[1] Damals durfte man nur mit besonderem Erlaubnisschein des Königs weiterreisen.

[2] La Princesse de Clèves von Marie Madelaine de Lafayette ist ein 1678 erschienener Roman, den Voltaire wegen seiner Abwendung von hölzerner höfischer Attitude und der Hinwendung zu wirklichen menschlichen Empfindungen schätzte. Zu diesem Roman (mit Bibliographie): Mme. De Lafayette, Die Prinzessin von Kleve, Frankfurt am Main: Rowohltverlag 1958, 173.S.

[3] Schloß Meudon liegt im Südwesten von Paris und war berühmt für seiner Fernsicht.

[4] Mme de Scudery (1607-1701) Autorin des 17. Jahrhunderts, die Voltaire wegen ihres gestelzten Stils wenig schätzte. Ihr Hauptwerk, Clélie, histoire romaine, umfasst zehn (!) Bände. Ähnlich: La Calprenède.

[5] Johann Mauritz von Nassau-Siegen (1604 – 1679) war in Kleve preussischer Statthalter seit 1647 und hat dort die bedeutende Bauwerke und Gartenanlagen initiiert. Als langjähriger Gouverneur der Niederländisch-Westindischen Kompagnie in Brasilien hatte er den Niederlanden (gegen Portugal) in Brasilien große Gebiete erobert, deshalb wird er auch der Brasilianer genannt. Er förderte in seinem Herrschaftbereich, ausgehend von Recife,  die Zuckerwirtschaft auf Grundlage der Sklavenarbeit.

[6] Schon 1742 hatte man am Springenberg eine eisen- und virtiolhaltige Mineralquelle entdeckt, aber erst 1752 begann ihr Entdecker, Dr. Schütte, die Heilkraft des Wassers zu loben und bekannt zu machen.


Kleve

Voltaire in Kleve

Kleve, Gartenanlagen

Kleve liegt am Niederrhein im äußersten nordwestlichen Zipfel Deutschlands. Hier begegnet man auf Schritt und Tritt Mauritz von Nassau Siegen (1604 - 1679), einem Rückkehrer aus den Kolonialkriegen in Brasilien, unter dem die Stadt eine kulturelle Blüte erlebte. Vielleicht wollte er die von ihm verantworteten Schandtaten in Übersee heilen, vielleicht auch nur sich unsterblich machen, jedenfalls entstanden unter seiner Regie die über der Stadt thronende Schwanenburg und der Prinzenhof als Sitz des Statthalters sowie die in ganz Europa berühmten Klever Gartenanlagen. Ab 1666 bis ins 18. Jahrhundert gehörte Kleve zu Brandenburg und war neben Berlin und Königsberg die dritte preußische Haupt- und Residenzstadt. Voltaire traf Friedrich II. erstmals 1740 im nahe bei Kleve auf preußischem Boden gelegenen Schloss Moyland, auch seine weiteren Aufenthalte in Kleve stehen in enger Verbindung zu seiner Freundschaft mit Friedrich.
Das Jahr 1741 vermerken die Geschichtsschreiber der Stadt als Geburtsstunde von Bad Kleve, denn am Springenberg wurde eine Mineralquelle entdeckt, die der Stadt wenigstens eine Zeitlang Bekanntheit als Heilbad sicherte, während sie in politische Bedeutungslosigkeit versank und ihre Burganlage zerfiel. Als Voltaire 1750 auf der Durchreise nach Berlin in die Stadt kommt, sind es vor allem die Gartenanlagen, die ihn faszinieren An den berühmten Gast erinnert heute der entlang einer alten Poststraße liebevoll angelegte Voltaireweg.

Die Schwanenburg und ihr barock gestalteter Innenhof, wie er sich 1745 präsentierte (Schautafel vor dem Schloss in Kleve).

 

 

Der Prinzenhof, unterhalb der Burg gelegen, rechts oben beginnen die berühmten Gartenanlagen - wurde im 2. Weltkrieg zerstört (Schautafel Kleve)

Voltaire in Kleve: von Friedrich gebannt

Kleve war für Voltaire der Ort, an dem er zum ersten Mal mit Friedrich zusammentraf, zu einem Zeitpunkt, den er selbst, aber auch alle seine Biographen, als Wendepunkt seines Lebens betrachtete, denn Kleve ist wie eine Brücke, die aus Voltaires französischem, Pariser Leben hinaus und hinein in ein europäisches Leben führt, das ihn zunächst nach Berlin in Friedrichs Arme führte. Kleve hat ihm aber auch als Ort gefallen, das zeigen seine Berichte ganz eindeutig, und zwar nicht nur, weil ihm der Roman Die Prinzessin von Kleve literarisch bedeutend erschien. 13. September 1740 Nachdem sich Voltaire und Friedrich am 11.9.1740 zum ersten Mal in dem bei Kleve gelegenen Schloß Moyland (dort findet sich auch der Bericht über die Begegnung) getroffen hatten, fährt Voltaire mit Maupertuis bis Kleve und dann alleine nach Den Haag zurück. Maupertuis folgt Friedrich nach Berlin, um dort die Stelle des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften anzutreten. Als Akademiepräsident wird Maupertuis dort am 12. 3. 1744 den in Europa Aufsehen erregenden Erlaß Friedrichs zur Abschaffung der Buchzensur verkünden. 12. Dezember 1740 Voltaire kommt auf der Rückreise seines ersten Berlinbesuchs, nach einem Zwischenaufenthalt in Bückeburg, wo er die Gräfin Bentinck getroffen hatte (9. - 11.12) wiederum einige Tage nach Kleve. In einem Brief an Friedrich vom 15. Dezember erwähnt er eine "grausame Erkältung", die er sich auf seiner Reise mitten im Winter zugezogen hatte, aber er lobt auch die heilende Wirkung des Wassers der Region: (Brief vom 22. Januar 1741 an d'Argental): "Trinken Sie genug Wasser? Ich habe mich mit dem Wasser der Weser, der Elbe, des Rheins und der Maas von der übelsten Entzündung, die je zwei Augen hatten, auskuriert und das, mein Lieber, als ich mit der Postkutsche mitten im Dezember unterwegs war" In Kleve kuriert er sich vollends aus und reist dann zurück nach Brüssel, wo er erst am 6 Januar 1741 ankommt und dort Emilie du Châtelet trifft. 2 Juli 1750  Nach dem unersetzlichen Verlust seiner Lebensgefährtin Emilie du Châtelet am 10 9. 1749 entscheidet sich Voltaire im Mai 1750 die Reise von Paris nach Potsdam anzutreten, um auf unbestimmte Zeit bei Friedrich zu bleiben. In Kleve wird er 14 Tage aufgehalten. Er schreibt einen langen Brief an seine Nichte M. Denis, der allerdings nur in einer sehr viel später redigierten Form erhalten ist und reist am 15. oder 16. Juli nach Potsdam ab. Es ist eine beschwerliche Reise durch unwirtliche Gegenden. Wenn er in einem Brief an Friedrich davon berichtet, klingt das so:

Sire, welch Hundeland ist dieses Westphalen und die Gegend um Hannover und Hessen! Hier schafft man an zwei Tagen gerade einmal 3 Meilen. ...  In großen Hütten, die sich Häuser nennen, sieht man Tiere, die man Menschen nennt, die hier aufs kollegialste der Welt bunt vermischt mit anderen Haustieren leben. Irgendeine harte Gesteinsart, schwarz und schimmernd, wie man erzählt, aus einer Art von Weizen zusammengesetzt, ist die Nahrung der Hauseigentümer. Man beklage nach solchem unsere Bauern, oder besser beklage man niemanden, denn unter diesen verrauchten Hüten und mit ihrer abscheulichen Nahrung sind diese Steinzeitmenschen gesund, stark und fröhlich. Sie haben gerade so viel Geist, wie es ihr Zustand verlangt.

Es ist nicht so, dass ich sie beneide, ich liebe unsere vergoldeten Stuckverkleidungen Ich segne die glücklichen Werkstätten die uns solche erzeugen Hundert Vergnügungen habe ich genossen bekrittelt durch die Frömmelei durch sie noch schmackhafter Aber über die Hütten der Wilden breitet die Natur ihre Wohltaten aus Man erkennt den Abdruck ihrer Spur In dem geringsten ihrer Werke Der gewaltige Vogel der Juno Das unreine Tier der Juden Haben Vergnügen auf ihre Weise Und alles ist aus gleichem Stoff in dieser Welt. 1766 Noch einmal spielt Kleve in Voltaires Leben eine Rolle. Als man im Juli 1766 den Chevalier de la Barre  in einem der letzten Inquisitionsprozesse Frankreichs in Abbéville wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt, gründet sich das Urteil auch auf die Tatsache (eine der wenigen in diesem Prozeß), daß man beim Chevalier das Dictionnaire Philosophique Voltaires gefunden hat. Voltaire befürchtet deshalb das Schlimmste auch für sich selbst und erwägt, nach Preussen zu emigrieren. In einem Briefwechsel, der sich über mehrere Monate hinzieht, erörtert Voltaire mit Friedrich die Möglichkeit, in Kleve oder auf Schloß Moyland eine Philosophenrepublik zu gründen. Moyland sei verkauft (was stimmte) und andere Unterkünfte zu finden, sei nicht einfach, behauptet Friedrich. Er verlangt außerdem, die Philosophen sollten "massvoll und friedlich" sein und fordert Unterordnung: "Bedingung ist jedoch, daß sie diejenigen schonen, die geschont werden müssen, und daß sie in ihren Druckschriften die Gesetze des Anstands beobachten". Schließlich gibt Voltaire die Idee selbst auf, seine Freunde D'Alembert und Diderot waren für das Vorhaben ohnehin nicht zu gewinnen.

Ein Besuch in Kleve (2011)

Die Stadt am Oberrhein (50.000 Einwohner) wirkt, als ob sie sich nicht richtig entscheiden könne, welche Identität sie annehmen soll und welches Bild sie dem Besucher von sich vermitteln will. Will sie eine Kulturstadt sein, ein Kleinod mit ihren bedeutenden Museen, den interessanten historischen Höhepunkten, mit ihren beeindruckenden Gartenanlagen? Will sie ein Einkaufszentrum für Gäste aus dem nahen Holland sein, worauf die riesigen Parkflächen am Fuße der Schwanenburg und die Gestaltung ihrer Fußgängerzone, die Art der öffentlichen Veranstaltungen (Bierfeste) hinweisen? Oder will sie ein Ort sein, an dem sich ältere Leute wohlfühlen, die Ruhe suchen und medizinischer Hilfe bedürfen? Diese Unentschiedenheit spiegelt sich ziemlich deutlich auf der Tourismusseite der Stadt www.kleve-tourismus.de wider und ist vielleicht eine Nachwirkung der schlimmen Zerstörungen, die die britischen Bombenangriffe am 7. 2. 1945 in der Stadt angerichtet haben, um den Widerstand der Deutschen bei der Verteidigung des Rheinübergangs zu brechen. Gleichwohl lohnt sich ein Besuch Kleves für Kulturinteressierte, die Stadt bietet sich für ein verlängertes Wochende an, um hier in Kunst und Kultur einzutauchen, vielleicht, wenn das Wetter mitmacht, auch für eine Woche. Und wenn es regnet, bieten sich die Museen an, oder - warum nicht ? - die Lektüre des Romans 'Die Prinzessin von Kleve'. Um Kleve zu erkunden, sollte man dem 10 km langen Wanderweg, der 2007 entlang der alten Poststrasse Cleve - Berlin-Königsberg fertiggestellt wurde, folgen, denn auf dieser Strecke liegen alle Sehenswürdigkeiten in und um Kleve. Er beginnt als Prinz Moritz Weg an der Schwanenburg in der Stadtmitte und wird dann zum Voltaireweg, der bis zum sehenswerten Schloß Moyland führt, das heute eine ständige Beuysausstellung beherbergt und seine Besucher mit seinem großzügigen Skulpturenpark bezaubert. Weitere Informationen zu Kleve findet man auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Kleve. Nicht nur die Gartenanlagen aus der Zeit Johann Moritz von Nassau-Siegens, dessen Grabanlage man in Hau besichtigen kann aber nicht muß, lohnen einen Klevebesuch, sondern auch die beiden Museen (Haus Koekkoek und die Sammlung Mataré im Kurhaus Kleve). Hier nochmals die Impression von den Gärten im März im Großformat:

Gotha

Voltaire in Gotha

Das Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg war Mitte des 18.Jahrhunderts einer jener Zwergstaaten, die sich nur durch Verkauf und Verleih ihrer Untertanen als Soldaten über Wasser halten konnten. Wenigstens um 1750 herum verprasste die aktuelle Herrscherfamilie (Friedrich III. und seine Frau Luise Dorothea) das seinen 15.000 Untertanen abgepresste Vermögen nicht voll und ganz, sondern verwendete einen erklecklichen Teil davon für den Schlossausbau, den Aufbau eines bis heute sehenswerten Museums und zur Förderung von Kunst und Wissenschaft. Zu verdanken war dies vor allem Herzogin Luise Dorothea, die gemeinsam mit ihrer Freundin Franziska von Buchwald aus ihrem vorher so lutherisch-bigotten Gotha eine Keimzelle der Aufklärung machte und dem örtlichen Klerus einige Lehren in religiöser Toleranz erteilte. So musste dieser hinnehmen, dass sich in unmittelbarer Nachbarschaft (im heutigen Neudietendorf) eine Kolonie der Herrnhuter Brüdergemeinen gründete.

Gotha entwickelte sich zu einem Zentrum des Buchdrucks (Ettinger und Perthes), der Porzellanmanufaktur (W.T. von Rotberg) und des Theaters (das Theater Ekhof und später Iffland), der Literatur (F.W. Gotter).
Luise Dorothea gründete auch eine Geheimgesellschaft, den 'Ordre des Hermites de bonne humeur', der sich dem Motto 'Vive la joie' verpflichtet fühlte und in seinen Sitzungen der freien Äußerung von Gedanken ein Forum bot. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Voltaire während seines einmonatigen Aufenthalts von 21. April bis 25. Mai 1753 an einem dieser Treffen teilnahm.

Gotha - Voltaire: im Zeichen der Freude

Voltaire kommt nach seiner Abreise aus Berlin  und einem Aufenthalt in Leipzig am 21.4.1753 nach Gotha und bleibt immerhin vier Wochen auf Schloß Friedenstein, das die Stadt weit überragt. Er genießt die zahlreichen Feste zu seinen Ehren. An Luise Dorothea schreibt er später (28.Mai 1753):

"Madame, meine leidende und umherwandernde Gestalt ist in Wabern bei Kassel beim Landgrafen und meine Seele ist in Gotha, sie liegt zu ihren Füssen, sie wird sich dort befinden so lange ich atme. Ich habe sogar Sorge, ob mich Eure ehrwürdige Hoheit nicht für den Rest meines Lebens unglücklich gemacht hat; ich werde es ihr von ganzem Herzen verzeihen. Es war ja nicht aus böser Absicht ihrerseits, aber, um   die Wahrheit zu sagen, sie hätte es berücksichtigen müssen, als sie mir so viel Schönes tat, als sie mir ein solch ergötzliches Leben ermöglichte, dass sie mich damit ewigem Bedauern überlieferte".

Prunksaal in Schloß Friedenstein

Und an Franziska von Buchwald am selben Tag :

Grande maîtresse de Gotha,
Et des coeurs plus grande maîtresse,
Quand mon étoile me porta
Dans votre cour enchanteresse,
Un trop grand bonheur me flatta;
Le destin jaloux me l’ôta.
J’ai tout perdu; mais ma tendresse
Avec les désirs me resta:
C’est bien assez dans ma vieillesse.
 
übersetzt:
Großhofmeisterin von Gotha,
Und noch größere Meisterin der Herzen,
Als mein Stern mich trug
An ihren zauberhaften Hof
Begünstigte mich ein zu großes Glück
Das mir ein eifersüchtiges Schicksal entwendete
Ich habe alles verloren, jedoch meine Zärtlichkeit,
dazu das Verlangen, bleiben mir erhalten:
Was reichlich genug ist in meinem Alter.
 
und:

"...Erlauben Sie mir, Madame, meine Grüße an Herrn Großhofmeister, an die ganze Familie zu richten, an alle die Ihnen nahestehen, an Fräulein Waldner1, an Herrn von Rothberg2, an Herrn Klupfel3. Meine Indiskretion hält hier ein. Ich würde sie zu weit treiben, wenn ich hier die Liste all derer einfügen würde, die ihre Güte für mich gewonnen hat".

*1: Friederike Eleonore von Waldner war Erzieherin der Prinzessin Friederike Luise und starb 1757.
*2: Wilhelm von Rotberg (1718 - 1795), Elsässer, Oberhofmeister, Gründer der ersten Gothaischen Porzellanfabrik und Herausgeber des Gothaer Almanachs
*3: Emmanuel-Christoph Klüpfel (1712 - 1776), ehemaliger Pastor aus Genf, Hauslehrer des Erbprinzen Friedrich, Vertrauter der Herzogin, Mitarbeiter und Herausgeber des Gothaer Almanachs. 

 
Es scheint, dass Voltaire hier auf die Mitglieder des "Orden der Einsiedler der Lebensfreude" in Gotha anspielt, deren Namen er nicht preisgeben will. Wenn dem so ist, nahm er möglicherweise an einer der Sitzungen selbst teil.
In den 14 Jahren bis zu ihrem Tod schrieb Voltaire der Herzogin 138 Briefe, diese Briefe und die Tatsache, dass er ihr ohne Sicherheiten größere Geldsummen lieh, zeigen, dass es sich bei dem oben zitierten Satz nicht um eine Höflichkeitsgeste handelte. Voltaire hat die Herzogin und ihre Freundin von Buchwald außerordentlich geschätzt.
Deshalb ist er wohl auch der Bitte der Herzogin nachgekommen, eine Geschichte Deutschlands zu schreiben. Er hat die Arbeit in der umfangreichen Schloßbibliothek zu Gotha begonnen und als  'Annales de l'Empire" bei Schoepflin in Colmar Ende 1753 mit einer Widmung an die Herzogin drucken und veröffentlichen lassen.
Am 25.Mai 1753 hat Voltaire Gotha in Richtung Kassel verlassen

 

Gotha heute (2014)

Auch heute wird die Stadt Gotha von ihrem Schloß Friedenstein dominiert, was aber keinesfalls als Mangel aufzufassen ist, denn es ist eine sehr erfreuliche Dominanz. Schloß Friedenstein ist eine wahre Schatzkammer und die Vielfalt seiner Sammlungen macht es, zusammen mit dem herzoglichen Palais, zu einem Klein-Louvre, einem Museum, das durch die Qualität seiner Exponate überrascht. Ein wirklicher Geheimtipp! Außer den barocken Räumen selbst und davon gibt es zahlreiche, gibt es in Gotha eine ägyptische Sammlung, die größte Sammlung von Werken des französischen Bildhauers Houdon (unter anderem mehrere Voltaire Büsten) außerhalb Frankreichs,
Eine wunderschöne Ausstellung zur Geschichte des barocken Ekhof-Theaters, das Ekhof Theater selbst, eines der wenigen noch bespielbaren Barocktheater mit Originalbühne und Kulissenwerk (jährlich gibt es ein Ekhof-Festival, bei dem Musikstücke des 18. Jahrhunderts aufgeführt werden, zum Beispiel die Oper von Herzogin Amalia nach Goethes Erwin und Elmire (man muss sich früh um Karten bemühen, das Theater fasst nicht mehr als 200 Personen).
Außerdem erwähnenswert ist die Sammlung v. Gemälden Lucas Cranachs, unter anderem das berühmte 'Liebespaar', die Porzellan- und Preziosensammlung (u.a. Bernsteinkabinett, Chinoiserien) und die zahlreichen Originalgemälde mit Schwerpunkt 18. Jahrhundert.
Auch Gotha als Stadt ist einen Besuch wert: liebevoll restaurierte Gebäude, nette Cafes und kleine Geschäfte laden zum Bummeln und Verweilen ein. Nähere Informationen erhält man auf den Internetseiten der Stadt

 

 

 

Erinnerungen Voltaires an Les Délices

(Übersetzung aus Mémoires, p. )

“ Ich kaufte durch ein einzigartiges Geschäft für das es in diesem Land noch kein Beispiel gab, einen kleinen Besitz von  ungefähr 60 Morgen*, den man mir für das doppelte von dem verkaufte, was er in der Nähe von Paris gekostet hätte: aber das Vergnügen ist niemals zu teuer; das Haus ist hübsch und bequem; das Äußere ist charmant, macht Eindruck und langweilt nie. Auf der einen Seite ist der Genfersee, auf der anderen die Stadt; die Rhône fließt hier mit großem Gebrodel heraus und mündet in einen Kanal am Fuße meines Gartens; der Fluß Arve, der aus der Savoie hinabfließt, ergießt sich in die Rhône; ein weiterer Fluß ist in der Ferne zu sehen. Hundert Bauernhäuser, hundert lächelnde Gärten schmücken die Ufer des Sees und der Flüsse; in der Ferne erheben sich die Alpen, und durch ihre Schluchten hindurch zeigen sich dutzende vom ewigen Schnee bedeckte Gipfel. Ich habe noch ein schöneres Haus mit einem weiteren Blick in Lausanne, aber mein Haus bei Genf ist sehr viel angenehmer. Ich habe in diesen beiden Wohnungen, was Könige kaum geben oder vielmehr, was sie einem nehmen: die Ruhe und die Freiheit und ich habe sogar, was sie einem manchmal geben und ich habe es nicht von ihren Gnaden erhalten.
Ich habe in die Tat umgesetzt, was ich in Le Mondain gesagt habe:

“Welch schöne Zeit ist das Jahrhundert des Eisens.”**Alle Bequemlichkeiten des Lebens an Möbeln, an Personal, alles, was man zum guten Leben braucht, befindet sich  in meinen beiden Häusern; eine freundliche Gesellschaft und Menschen mit Geist erfüllen die Augenblicke, die mir das Studium und die Sorge um meine Gesundheit lassen. Mehr als einer meiner teuren Schriftstellerkollegen krepierte leidvoll aus den verschiedensten Gründen. Wenn man wie ich nicht reich geboren wurde, muss man auf der Hut sein. Fragt man mich, durch welche Kunst ich es geschafft habe, wie ein Großgrundbesitzer zu leben, sei es gern gesagt, damit mein Beispiel anderen nutze. Ich habe so viele arme und verachtete Schriftsteller gesehen, dass ich schon vor langer Zeit beschlossen habe, ihre Zahl nicht auch noch zu erhöhen. Man muss in Frankreich Amboss oder Hammer sein, ich wurde als Amboss geboren. Ein kleines Erbe wird von Tag zu Tag kleiner, weil über die Zeit die Preise steigen und sich die Regierung oft genug an den Erträgen und den Geldmitteln vergreift. Man muss sehr aufmerksam alle Maßnahmen der stets überschuldeten und wetterwendischen Minister beachten,  die die Staatsfinanzen betreffen. Es gibt immer einige, von denen ein Privatmann profitieren kann, ohne irgendjemandem verpflichtet zu sein und nichts ist süßer als sein Glück durch sich selbst zu machen, die ersten Schritte kosten etwas Anstrengung, die weiteren sind einfach. Man muss in der Jugend gut wirtschaften und man wird im Alter ein Vermögen haben, über das man selbst überrascht ist. Dies ist die Zeit, wo der Wohlstand am wichtigsten ist, dessen ich mich trotz gewaltiger Verlusten erfreue. Nachdem ich bei Königen gelebt habe, habe ich mich selbst zum König gemacht.”

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* Ein Hektar = 4 Morgen, d.h. Les Délices war mit 15 Hektar nicht gerade klein
** Voltaire meint, dass ein Zeitalter beginnender handwerklicher Fertigkeiten, die es dem Menschen zunehmend erlauben, von der Natur unabhängig zu werden, sich das Leben angenehm zu machen, einem Zeitalter vollkommener Abhängigkeit von Naturzwängen bei weitem vorzuziehen ist.