Hintergrund:
Der Artikel ist ein Meisterstück Voltaires: Ohne das Christentum auch nur zu erwähnen, grenzt er sich vom ersten bis zum letzten Satz von diesem ab. Will man über die Liebe sprechen, muss man sich zunächst mit der ‚Amour physique“, mit den physischen, physikalischen, körperlichen Gegebenheiten der Liebe, also der Sexualität befassen. Kein Hauch von der ‚platonischen Liebe’, wie sie in das Christentum einging und dort zur höchsten Gottesliebe verfeinert (’sublimiert’) herauskam. Auch die Geschlechtskrankheiten, von der Kirche so oft als ‚Strafe Gottes’ willkommen geheißen, sprechen für Voltaire eher für einen Konstruktionsfehler in dieser besten aller möglichen Welten.
Die folgenden Kommentare zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020):
Anmerkung 1 (Seite 30, „Die Liebe brächte noch ein Land von Atheisten dahin, das Göttliche anzubeten“.): Voltaire zitiert mit dem Grafen von Rochester (1647 – 1680) eine sehr umstrittene Persönlichkeit des 17. Jahrhunderts. John Wilmot, Graf von Rochester, war hochtalentierter Poet, Autor zahlreicher erotischer Gedichte und einflussreicher Vertrauter von Charles II. Er starb wahrscheinlich an der Syphilis. Seine Biographie ist in einem Film von J. Malkovitch zu sehen (The Libertine). Das Zitat Voltaires geht auf das Gedicht: „A letter from Artemesia in the town to Chloe in the country“ zurück und lautet im Original:
Love, the most generous passion of the mind,
The softest refuge innocence can find,
The safe director of unguided youth,
Fraught with kind wishes, and secured by truth;
That cordial drop heaven in our cup has thrown
To make the nauseous draught of life go down;
On which one only blessing; God might raise
In lands of atheists, subsidies of praise,
For none did e’er so dull and stupid prove
But felt a god, and blessed his power in love –
This only joy for which poor we were made
Is grown, like play, to be an arrant trade
nach: http://www.ealasaid.com/fan/rochester/main.html
Anmerkung 2 (S. 31, 2. Absatz: Phryne, Lais, Flora, Messalina):
Syphillis ist gerade keine ‚Gottestrafe‘, sonst hätte sie die vier genannten für ihren ausschweifenden Lebenswandel die Krankheit ja unbedingt befallen:
Phryne, berühmte griechische Prostituierte (Hetäre), aus Thespiä gebürtig, hieß eigentlich Mnesarete und erhielt den Namen Phryne („Kröte“) wegen ihrer Blässe; sie war erst eine arme Kapernhändlerin, gelangte dann aber in Athen, wo sie ihre Reize feilbot, zu außerordentliche Reichtum, so daß sie anbieten konnte, die Mauern Thebens auf eigne Kosten wieder aufzubauen, wenn die Thebaner die Inschrift darauf setzten: „Alexander hat sie zerstört, die Hetäre P. wieder aufgebaut“. Ihrem Reiz konnte angeblich niemand widerstehen. Als Phryne wegen Gottlosigkeit vor Gericht gezogen wurde, enthüllte ihr Verteidiger Hypereides ihren schönen Busen und das beeindruckte die Richter dermaßen, daß sie nicht anders konnten, als Phryne freizusprechen.
Lais, Name zweier wegen ihrer Schönheit bewunderter griechischer Hetären, von denen die ältere, aus Korinth, zur Zeit des Peloponnesischen Kriegs lebte und die Vornehmsten und Reichsten des Staats, sogar Philosophen, wie Aristippos und den Cyniker Diogenes, bezaubert haben soll. Die jüngere L., Tochter der Timandra, der treuen Gefährtin des Alkibiades, geboren zu Hykkara in Sizilien, kam in einem Alter von sieben Jahren nach Korinth, der Sage. nach als Kriegsgefangene. Der Maler Apelles soll sie zur Hetäre herangebildet haben. Später folgte sie einem Hippostratos nach Thessalien, wo sie von Frauen im Heiligtum der Aphrodite gesteinigt worden sein soll.
Flora, die ludi Florales, dieser Göttin der Blumen zu Ehren gefeiert, waren ein fröhliches Fest (28.April – 1.Mai) mit Mimen und lasziven Spielen, bei dem sich die Schauspielerinnen am Ende der Darbietungen entkleideten.
Messalina (25 – 48) heiratete im Alter von 15 Jahren Claudius, der damals bereits 50 Jahre zählte und war eine der begehrtesten Frauen ihrer Zeit. Als sie nach Claudius Krönung im Jahre 41 Kaiserin geworden war, stand der Erfüllung all ihrer zahlreich vorhandenen Begierden nichts mehr im Wege. Und sie strebte danach, nicht eine davon unbefriedigt zu lassen…. (Lit Tacitus TACITE, Annalen, XI, 12, 26-27, 31-32, 37-38 Erich Heller, hrsg. P.C.Tacitus, Annalen, (Sammlung Tusculum), WBG Darmstadt 1982). Siehe zu ihrem Lebenswandel unsere Messalinaseite.
Anmerkung 3 (Seite 31, unten: Francois 1er): Francois I. soll sich die Syphillis von einer Geliebten zugezogen haben, deren Mann, um sich an ihm zu rächen, extra , mit dem Ziel, sich dort anzustecken, Pariser Bordelle besucht haben soll. Er infizierte dann seine Frau, die wiederum den König ansteckte (nach Bayle Dictionnaire, Francois I).