Charlotte Sophie von Bentinck war eine bemerkenswerte Frau, deren unkonventionellen Lebensstil man in ganz Europa beachtet und gefürchtet hat. Mit Voltaire war sie seit 1740 befreundet, als er auf der Rückreise von seinem ersten Berlinbesuch in Bückeburg Station machte. Die wie ein Mann reitende, lebendige und selbstbewußte Frau faszinierte ihn, außerdem war sie der Aufklärung zugetan. Auch Katherina die Grosse beschreibt die 28 jährige Charlotte Sophie, der sie als 14 jährige begegnet war, mit Bewunderung. Sie erzählt, wie ihre Eltern alles taten, um sie von dem Einfluss der freiheitsliebenden Comtesse abzuschotten, allerdings, wie fast immer in solchen Fällen, ohne Erfolg.
Vor allem in seiner Zeit als ‚Eremit‘ im Marquisat am Potsdamer Havelufer – Charlotte Sophie von Bentinck hat sich von 1750 bis 1753 in Berlin aufgehalten und sich dort oft mit ihm getroffen – setzte sich Voltaire bei Friedrich sehr für die Comtesse ein. Es ging darum, ihr nach der Trennung von ihrem Mann Willem wenigstens einen Teil des elterlichen Besitzes in Varel und Knipphausen zu sichern. Die beiden verbündeten sich gegen die Intrigen am preussischen Hof und bildeten, wie man heute sagen würde, „ein Team“. Ihr Projekt scheitert am Ende daran, dass Friedrich plötzlich politische Rücksichten nahm, denen er das Anliegen der Comtesse Bentinck opferte. Im Gegenzug für seine Hilfe unterstützte Charlotte Sophie von Bentinck Voltaire 1752 dabei, seine Fluchtvorbereitungen in Berlin zu verschleiern. Sie schrieb ihm kurz nach seiner Abreise einen sehr bewegenden Brief. Hier die ersten Zeilen:
“ Ihre Abreise ist so plötzlich gekommen und der Augenblick, Ihnen Adieu zu sagen war so kurz, daß mir erst als ich wieder zuhause war klar geworden ist, daß das Adieu, das ich Ihnen sagte, ein absolutes und endgültiges Adieu war. Ich bilde mir ein, daß Sie meine freundschaftlichen Gefühle Ihnen gegenüber kennen, denn ich habe Ihnen durch meine Handlungen genügend Beweise dafür gegeben, sodaß ich Ihnen immer aufrichtig sagen kann, was mir richtig erscheint, auch wenn ich Gefahr laufen sollte, daß es Ihnen mißfällt….“
Die beiden, von denen bis heute unklar ist, ob sie auch ein Liebespaar waren, trafen sich noch einmal 1758 in der Schweiz, wo die Comtesse in Voltaires Lausanner Haus ‚Montriond‘ wohnte. Sie haben sich auch später immer wieder geschrieben. Der letzte bekannte Brief Voltaires an Charlotte Sophie von Bentinck datiert vom 6. November 1777, wenige Monate vor seinem Tod: ein Abschiedsbrief.
Lebenslauf
- 1715 Charlotte Sophie wird am 5.August 1715 geboren. Sie ist das einzige Kind des Grafen Anton II. von Aldenburg, Edler Herr zu Varel und Kniphausen im Nordwesten Deutschlands.
- 1733 Als junges Mädchen wird sie verheiratet mit Willem Bentinck, einem vielversprechenden holländischen Staatsmann aus einer einflussreichen Familie. Bentinck hätte eher eine vermögende Frau heiraten sollen. Die Aldenburger scheinen zwar reich zu sein. Aber Länder und Schlösser des Grafen von A. sind mit Hypotheken belastet und er selbst ist schwer verschuldet. Bentincks Interesse gilt aber vor allem dem mit Aldenburg verbundenen Titel eines Reichsgrafen, der ihm Zugang zum deutschen Hochadel verschafft. Im übrigen heiratet Charlotte Sophie gegen ihren Willen, unter dem Druck ihrer Eltern, denn sie liebt ihren Cousin, Albrecht Wolfgang zu Schaumburg-Lippe.
- 1740 Nach 7 Ehejahren flieht sie, ihre beiden Kinder zurücklassend, nach Bückeburg, der Residenz ihres Geliebten. Zwischen ihr und Bentinck kommt es daraufhin zu einer sogenannten Trennung von Tisch und Bett. Sie muss sich vertraglich verpflichten, allen Aufenthaltsorten der Bentincks fernzubleiben. Die Comtesse hat ihre Kinder erst zwanzig Jahre später noch einmal, und zwar heimlich, wiedergesehen.
- 1748 Albrecht Wolfgang zu Schaumburg-Lippe stirbt und Charlotte Sophie befindet sich in einer verzweifelten Lage. Willem Bentinck, der allerdings auch die Schulden übernehmen muss, wird offiziell als Herr der Aldenburgischen Güter anerkannt.
- 1750.53 In Berlin erbittet Sie mit Voltaires Unterstützung die Hilfe Friedrichs, um einen Teil des Aldenburgischen Landes wiederzubekommen. Sie verliert alle Ländereien, erhält aber eine auskömmliche Leibrente.
- 1757 – 1761 In Wien am Hofe Maria Theresias, 1758 Besuch bei Voltaire in Lausanne.
- 1768 Umzug nach Hamburg. Sie unterhält dort am Jungfernstieg einen einflussreichen literarisch-politischen Salon.
- 1800 Charlotte Sophie von Bentinck stirbt im Alter von 85 Jahren am 4. Februar 1800. Sie war eine glühende Anhängerin der französischen Revolution. Ihr Leichnam wird in der Familiengruft zu Varel bestattet.
Links/Sekundärliteratur
- Roman Hella Haasse, Ich widerspreche stets, Das unbändige Leben der Gräfin Bentinck, Frankfurt/M., Rowohlt 1997. Der Roman wurde 1996 von Ben Verbong verfilmt. Leider vernachlässigt der Roman die Zeit nach 1753.
- Voltaire et sa „grande amie“. Correspondance complète de Voltaire et de Mme Bentinck (1740-1778), éd. Frédéric Deloffre, Oxford: Voltaire Foundation, 2003, 364 S.
- Une femme des lumières, Écrits et lettres de la comtesse de Bentinck 1715 – 1800. Textes présentés par Anne Soprani et André Magnan, Paris: Editions CNRS, 1997