Schuchter, Bernd, Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie, Braumüller: Wien, 2018, 176 S.
– ein Buch gegen Voltaire und die engagierte Aufklärung.

Wer sich über La Mettrie informieren will, sollte nicht zu diesem Buch greifen, in dem man weder zusammenhängend erfährt, wie La Mettrie gelebt, noch was er gelehrt hat. Er sei ein ‚Meister der vorläufigen Meinung‘, ein Holist, und habe die These vertreten, dass es zum Glück des Menschen keine Theologie braucht, die seit Menschengedenken immer nur missbraucht (sic) worden sei, um Menschen zu unterjochen (160). Wieviel mehr wäre über La Mettries Lehre zu sagen, wie etwa, dass er der erste war, der in dem durch die Erziehung eingepflanzten Schuldgefühl eine der schlimmsten Geißeln der Menschheit sah, oder dass er mit seinem Probedenken, eben gerade kein ‚Meister der vorläufigen Meinung‘ war, sondern vielmehr ein Meister freiheitlichen Denkens, der Phantasie, ein Vorläufer des Surrealismus gar. Und nicht zuletzt wäre er als vehementer Verteidiger der Sinnesfreuden, der Wollust, der Sexualität zu entdecken gewesen. Gerade um letzteres aber macht Schuchter einen riesigen Bogen.

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– ein Buch gegen Voltaire und die engagierte Aufklärung.“
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„Warum malt ihr Gott mit einem langen Bart?“ Rezension des Philosophischen Taschenwörterbuchs von Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 22.1.2021

Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung erschien von dem bekannten Literaturkritiker Gustav Seibt die erste ausführliche Besprechung zum Philosophischen Taschenwörterbuch in gedruckter Form. Er hat es mit Vergnügen gelesen und meint, man solle es nicht allzu häppchenweise zu sich nehmen. Auch als Pflichtlektüre für Schulen würde es sich gut eignen. Die Übersetzung empfand er manchmal als etwas schwerfällig und ausführlichere Kommentare wären nötig gewesen. Dass wir diese im Internet anbieten wollen, hat er vielleicht nicht realisiert. Eine alles in allem äußerst positive Rezension.
Zum Artikel in der Süddeutschen

Matthias Wulfmeyer, Die Akte Voltaire, independently published, 2020, 200 S.

Akte Voltaire

Dass Voltaire wohlhabend, ja reich war, wissen viele. Woher er seinen Reichtum hatte, weiß – zumindest in Deutschland – fast niemand. Zwar gibt es dazu Fachliteratur*, aber wer liest schon Fachliteratur – und dazu noch auf Französisch! Diesen weißen Fleck zu schließen, ist die Idee hinter „Die Akte Voltaire“, einer ‚Abenteuergeschichte‘ von Matthias Wulfmeyer, die Ende 2020 erschienen ist. Die Geschichte geht so: Voltaire kommt 1729 von England aus der Verbannung genau in dem Jahr zurück, in dem der französische Staat in einer miserablen Finanzlage ist und zur Aufbesserung der Staatskasse eine große Lotterie ausruft.

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„Leerer Sockel in Paris: Schutzhaft für Voltaire“, Jürg Altwegg, FAZ, 11.01.2021

Im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen erzählt Altwegg die Ereignisse um die Voltaire Statue in Paris, die einzige, die dort noch unter freiem Himmel zu besichtigen war und angeblich unter dem Druck von ‚Black Live Matters‘ beschädigt und dann vom Bürgermeisteramt entfernt wurde. In ‚Schutzhaft‘ genommen: aha! Die richtigen Worte findet Altwegg zwar nicht, er gibt insbesondere keinerlei Informationen über die Haltung Voltaires zum Kolonialismus oder zum Sklavenhandel. Und warum Voltaire nach dem geplanten, restriktiven Pressegesetz ‚wieder‘ aktuell sein soll, wie er schreibt, ist und bleibt unklar. Altwegg eiert herum.

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Philosophisches Taschenwörterbuch:
Amitié – Freundschaft (Kommentare)

Hintergrund:
Voltaire war dem Kult der Freundschaft, wie er in der griechischen Antike zelebriert wurde, durchaus zugeneigt, wenn auch mit der ihm eigenen Skepsis.
Für den Artikel Amitié (Freundschaft) hat Voltaire, anders als bei vielen anderen Artikeln des Philosophischen Taschenwörterbuchs, seine Autorschaft nie verleugnen müssen. Der Artikel ist in erweiterter Form auch in seinem 440 Artikel umfassenden Werk Questions sur l’Encyclopédie (1770 -1774) enthalten.

Die folgenden Kommentare zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020):

Anmerkung 1 (S. 28, dritter Absatz: „Die Begeisterung für die Freundschaft war bei den Griechen und den Arabern stärker als bei uns“): Bereits in seinem 1734 erschienenen Gedichtzyklus Discours en vers sur l’homme (IV) sucht Voltaire Anschluss an die antike Begeisterung für die Freundschaft: „Oh göttliche Freundschaft, vollkommene Glückseligkeit/Einzige Empfindung, die Maßlosigkeit erlaubt“ (O divine amitié, félicité parfaite/Seul mouvement de l’âme où l’excès soit permis).

Offener Brief (25.11.2020) an Mark Zuckerberg wegen der Sperre unserer Facebook Seite ‚Voltaire Stiftung‘.

Nach der Sperre im Oktober 2020 haben wir, da sich die Rechtsprechung geändert hatte, im August 2021 einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Nach etlichen Anschreiben, kurz bevor die Sache vor ein Gericht gegangen wäre, lenkte Facebook im November ein und gab unsere Seite wieder frei. Im Übrigen ohne jeden Kommentar! Überflüssig zu sagen, dass unser unten abgedruckter Brief von Facebook niemals beantwortet wurde. Und schließlich, genau ein Jahr später, war unsere Seite wieder gesperrt! Einen weiteren Versuch, juristisch und mit viel Geld wenigstens eine Begründung zu erzwingen, haben wir nicht mehr unternommen.

Voltaire ist nicht Facebook, Facebook ist nicht Voltaire, Facebook ist nicht Charlie, Facebook ist nicht Freiheit….soviel zu diesem Thema!

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„Gegen Fanatismus hilft nur die Aufklärung“ Zur erstmals vollständigen Übersetzung des Philosophischen Taschenwörterbuchs, Nachdenkseiten, 1.11.2021

Der Herausgeber des Philosophischen Taschenwörterbuchs Voltaires und Gründer der Voltaire-Stiftung, Rainer Bauer, hat ein Interview zur Frage, inwieweit Voltaires Positionen heute noch von Bedeutung sind, gegeben. Es ist auf großes Interesse gestoßen. Das Interview führte Rüdiger Göbel.

16.10.2020: Islamist enthauptet Lehrer Samuel Paty in Conflans-Sainte-Honorine bei Paris

Während die Zeugen zum Charlie Hebdo Attentat vernommen werden, unter Ihnen die Angehörigen der 12 Ermordeten von 2015, ermächtigt sich am 16.10.2020 ein 18 jähriger Islamist (das ist ein Mensch, der den Koran über die bürgerliche Gesetze stellt), mit einem Fleischermesser sein eigenes Blutgericht aufzuführen. Er erstach den Lehrer für Geschichte und Geographie Samuel Paty auf offener Straße. Anschließend trennte er den Kopf vom Rumpf des ermordeten Lehrers. Paty hatte im Unterricht mit seinen Schülern Mohamedkarrikaturen aus Charlie Hebdo gezeigt, um sie in der Klasse zur Diskussion zu stellen.

Voltaire (Artikel Fanatismus in seinem Philosophischen Taschenwörterbuch): „Es sind gewöhnlich Schurken, die die Fanatiker anführen und ihnen den Dolch in die Hand geben“.

Der Täter Abdoullakh A., ein in Frankreich anerkannter Asylant aus Tscheteschenien, spricht nicht Französisch und sehr schlecht Englisch.

Voltaire: Philosophisches Taschenwörterbuch, nach der Erstausgabe von 1764 erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt von Angelika Oppenheimer […], Ditzingen: Reclam 2020, 444 Seiten.

Voltaire Philosophisches Taschenwörterbuch

Erstmals ist in deutscher Sprache das vollständige Philosophische Taschenwörterbuch Voltaires, eines der bedeutendsten Werke der Aufklärung, herausgegeben von unserer Voltaire-Stiftung, bei Reclam erschienen!

Als Voltaire 1764 sein Philosophisches Taschenwörterbuch anonym veröffentlichte, kam dieses Ereignis in der damals stark klerikal dominierten Welt einem Erdbeben gleich. Niemand hatte es bisher gewagt, die Kirche derart frontal auf allen wesentlichen Gebieten anzugreifen. Die Infame reagierte prompt, das Buch wurde ein Jahr später öffentlich in Paris verbrannt. Wer es besaß, lebte gefährlich, der Chevalier de La Barre zum Beispiel wurde nicht zuletzt deshalb 1769 in Abbéville auf dem Scheiterhaufen verbrannt; mit ihm verbrannte das Philosophische Wörterbuch, das die Schergen der Inquisition in seiner Bibliothek entdeckt hatten.

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Voltaires Antwortbrief an den Juden Isaac de Pinto vom 21.7.1762

Hintergrund:
Isaac de Pinto, 1717 in einer der wohlhabendsten jüdischen Familien Amsterdams geboren, war philosophisch gebildet und hatte von sich aus persönlichen Kontakt zu den Aufklärern in Paris (La Condamine, Diderot) aufgenommen. In einem Brief und in einem Artikel ‚Réflexions critiques..“ beschäftigt er sich mit dem Essay ‚Des Juifs‘, in dem Voltaire die Juden als Vorläufer des Christentums negativ darstellt. Pinto fordert Voltaire auf, mehr zu differenzieren und sich nicht darauf zu beschränken, gegen die Scheiterhaufen und Judenpogrome zu schreiben. Man könne auch mit der Feder töten. Das sei um so fataler, als das geschriebene Wort Generationen später noch fortwirke. Siehe auch unsere Seite zum Thema ‚Voltaire, Juden, Antisemitismus‘. Eine Gegenposition dazu nimmt ein: Sutcliffe, A., Can a Jew be a philosophe? Isaac de Pinto, Voltaire and Jewish Participation in the Eurpean Enligthenment. Jewish Social Studies, vol 6, no.3, 2000 S. 31-51.

Monsieur,
die Zeilen, über die Sie sich beschweren, sind grob und ungerecht. Es gibt unter Euch [den Juden, R.N] sehr gebildete und sehr respektable Menschen, Ihr Brief zeigt mir das hinreichend genug. Ich werde dafür sorgen, dass in der neuen Ausgabe eine Korrektur vorgenommen wird. Wenn man falsch liegt, muss man es reparieren; und ich habe mich geirrt, indem ich die Fehler mehrerer Individuen einer ganzen Nation zugeschrieben habe.
Ich werde Ihnen mit der gleichen Offenheit sagen, dass viele Menschen weder Ihre Gesetze noch Ihre Bücher noch Ihren Aberglauben leiden können. Sie sagen, dass Ihre Nation zu allen Zeiten ebenso sich selbst wie auch der Menschheit insgesamt Leid zugefügt hat. Wenn Sie aufgeklärt sind, wie Sie es zu sein scheinen, werden Sie wie diese Leute denken, es aber nicht aussprechen. Der Aberglaube ist die abscheulichste Geißel der Welt; er ist es, der zu allen Zeiten viele Juden und viele Christen erdrosselt hat; er ist es, der Euch selbst bei ansonsten hochgeschätzen Völkern noch immer auf den Scheiterhaufen befördert. Es gibt Blickwinkel, unter denen betrachtet die menschliche Natur eine teuflische Natur ist.
Man würden vor Entsetzen verdorren, wenn wir sie immer von diesen Seiten betrachten würden; aber die ehrenwerten Leute, die an dem Platz La Grève vorbeikommen, wo man gerade jemanden rädert, befehlen ihrem Kutscher, schneller zu fahren, und werden sich in der Oper von dem schrecklichen Schauspiel ablenken, das sie auf ihrem Weg gesehen haben.

Ich könnte mit Ihnen über die Wissenschaften streiten, die Sie den alten Juden zuschreiben, und Ihnen zeigen, dass sie in der Zeit von Chilperich nicht mehr als die Franzosen wussten; ich könnte Ihre Zustimmung dazu erlangen, dass der Jargon einer kleinen Provinz, gemischt mit Chaldäisch, Phönizisch und Arabisch, eine Sprache war, die so dürftig und rau war wie unser altes Gallisch; aber ich würde Sie vielleicht ärgern, und Sie scheinen mir ein zu höflicher Mann zu sein, als dass ich Ihren Missfallen eregen möchte. Bleiben Sie Jude, so wie es sind; Sie sollten nicht zweiundvierzigtausend Männer töten, weil sie Shiboleth nicht richtig ausgesprochen haben, noch vierundzwanzigtausend, weil sie mit Midianitern geschlafen haben; aber seien Sie ein Aufklärer, das ist alles, was ich Ihnen in diesem kurzen Leben Gutes wünschen kann.

Ich habe die Ehre, mit all den Gefühlen, die Ihnen zustehen, Ihr sehr ergebener usw. zu sein,
Voltaire, Christ und gewöhnlicher Kammerherr
der sehr christlichen Königskammer