Lausanne

Voltaire in Lausanne

Stadtansicht Lausanne um 1700, Museum d. Geschichte, Lausanne

Lausanne zählte 9000 Einwohner, als Voltaire 1755 hierher kam. Er miete ein Haus - 2 km unterhalb von der links im Stadtmodell noch zu sehenden Kirche, also außerhalb der Stadtmauer gelegen.

Lausanne stand irgendwie immer in Opposition: zur großen Stadt Genf und natürlich zur bis 1798 dauernden Herrschaft der Stadt Bern, die hier seit 1536 (Einführung der Reformation und Entmachtung der Kirche) das Sagen hatte. Das förderte Kultur und Geistesleben, weshalb Lausanne auch einige Jahre, mehr als Genf, Voltaires 'Lieblingsstadt' war. Hier fand er viele Bewunderer und Freunde der Aufklärung und viele von Ihnen teilten seine Leidenschaft: das Theater. 

Noch heute wird sein Andenken in Lausanne bewahrt. Schon in der Liste mit den berühmten Besuchern der Stadt im offiziellen Stadtführer steht sein Name ganz oben und an den Plätzen und Strassen seines Lebens und Wirkens - ganz anders als zum Beispiel in Potsdam oder Berlin - ist in Lausanne immer ein Hinweis auf Voltaire zu finden.

Voltaire in Lausanne: Mon Repos

Blick auf den Genfersee unweit vom früheren Theater

Aus Sicherheitsgründen baute sich Voltaire in Lausanne neben Genf einen zweiten Standort auf. Lausanne war damals nicht selbständig, die Stadt gehörte zum Herrschaftsgebiet des deutschsprachigen Bern, was im Notfall vorteilhaft sein konnte.
Außerdem war Lausanne damals eine ausgesprochene Hochburg der Aufklärung. Die eigene Wohnung in dieser Stadt sollte die Position Voltaires in seiner neuen Heimat, wo er ein geduldeter Fremder war, stärken. Was Voltaire aber in Lausanne nach seiner kräftezehrenden Irrfahrt auf der Flucht aus Berlin jetzt vor allem suchte, war Ruhe und Entspannung, un peu de repos.

1755
Voltaire mietet das Haus Grand Montriond.
Das Landhaus lag außerhalb der Stadtmauer am Fusse der Stadt, auf halbem Weg zum Genfer See (Lac Leman), mit herrlichem Blick auf See und Alpen, inmitten von Feldern und Weinbergen. Voltaire beschreibt das Haus als stattliches Anwesen von 40 m Breite mit 2 Seitenflügeln. Das Haus gehört einem Bankier namens Le Giez, mit dem er sich anfreundet. Voltaire beabsichtigt, hier jeweils den Winter zu verbringen, was am milderen Klima und am Theater liegt, denn es gibt in Lausanne - anders als im erzcalvinistischen Genf - einen Theatersaal und Freunde, die mit ihm seine Stücke einstudieren, die sie dann vor den interessierten Bürgern aufführen.

 An der Stelle des früheren Grand Montriond befindet sich heute ein Mietshaus. Die Architektur mit einem Haupthaus und zwei Seitenflügel um einen großen Innenhof herum mag sich erhalten haben.

Er schreibt am 16. Dezember 1755 an seine Nichte Mme de Fontaine:

Ich unterziehe mich derzeit einer Behandlung durch Ruhe, aber ich befürchte, dass mir das nichts bringt und ich gezwungen sein werde, sie abzubrechen. Mme Denis wirft sich derzeit ins Getümmel, um unseren Ruhesitz Monrion einzurichten. Heute war praktisch ganz Lausanne bei uns. Ich hoffe die nächsten Tage etwas mehr Zeit für mich zu haben, denn ich bin ja nicht hierhergekommen, um Leute zu treffen.

Doch Lausanne will ihn treffen: Ein Zeitgenosse berichtet:

Ich habe endlich den Gott Voltaire getroffen, dessen Heiligkeit wenigstens über die Hälfte der Lausanner gekommen ist....der Stadtvogt Tscharner hat ihn mit dem ganzen Schloss besucht, Mme. Denis, eine sympathische Frau, geht mit Mme Tscharner schon so vertraut um wie mit einer Busenfreundin".

Also nichts mit Ruhe! Voltaire fügt sich und tut das, was er am liebsten tut: er veranstaltet Theaterabende. Doch die Freude bleibt nicht ungetrübt, Voltaire hat Feinde, meist Parteigänger der Kirche, aber auch Gelehrte, wie von Haller. Sie werfen ihm unchristliche Passagen seines Versepos Das Erdbeben von Lissabon vor, das er als Reaktion auf die schwere Katastrophe vom 1. November 1755 (zehntausende von Toten) geschrieben hat.
Dabei geht es natürlich um die Frage, wie ein guter Gott solches zulassen könnte, würde er existieren.

Voltaire ändert einige Formulierungen, hält mit seinen Anhängern dagegen - und kann die Angreifer mit ziemlicher Mühe zurückdrängen.

1756 - 1757 Erste Voltaire-Theatersaison in Villa Monrepos

In Paris hat man aus der Hinrichtung des Attentäters Damiens ein grausames Theater gemacht, in Lausanne studiert man die Werke der Toleranz, Zaire und Zulime, ein und zeigt sie allabendlich, zusammen mit der komischen Oper La Serva Padrone im Theater Monrepos. Das Theater gehört dem mit Voltaire verbundenen Marquis de Langallerie (1710 - 1773). Es bietet immerhin 200 Personen Platz und ist immer ausverkauft ist. Der Weg zurück nach Montriond ist beschwerlich, trotzdem wandeln Voltaire und seine Theatertruppe nach der Vorstellung auf schmalen, vereisten Pfaden den Hang hinunter - die festlichen Gelage im Hause Voltaire will sich niemand entgehen lassen.

1758
Voltaire mietet ein Haus innerhalb der Stadt. Es liegt ziemlich exponiert am steilen Abhang etwas oberhalb der Stadtmauern, mit einem imposanten Blick auf den See. So muss die ganze Theatergesellschaft zu Voltaire nicht mehr zwei Kilometer den Berg hinunterklettern. Die Stelle des Maison du Grand Chène nimmt heute das Lausanne Palace ein, ein mondänes 5 Sternehotel unter amerikanischer Leitung. Am 21/22. August 1758 ist Voltaire noch einmal in Lausanne, um mit der Gräfin von Bentinck zusammenzutreffen, die sich hier als Gast Voltaires einige Zeit in Montriond aufhält. Damit endet Voltaires Zeit in Lausanne - er verkauft sein Haus in Genf und erwirbt die Grafschaft Tournay und das Schloss Ferney, denen er von da an seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit widmet.

Werke Voltaires - in Lausanne entstanden

  • L'Orphelin de la Chine, Paris: Lambert 1755, trotz eines verhängten Theaterverbots der Genfer Behörden führt Voltaire das Stück in Les Délices auf.

  • Essai sur les moeurs Genève: Cramer 1756, in seiner Universalgeschichte kritisiert Voltaire Calvin wegen der barbarischen Ermordung Servers. Die Genfer Theologen blasen daraufhin zum Angriff gegen den, wie sie finden, undankbaren Voltaire.

  • Poème sur la loi naturelle (begonnen in Potsdam 1752) dies ist ein Lehrgedicht, gegen den Materialismus, wie ihn La Mettrie vertritt (Der Mensch als Maschine), für den es keine an- oder eingeborenen, also universellen ethischen Grundprinzipien (wie etwa Gerechtigkeit oder Mitleid) geben kann.

  • Poème sur le désastre de Lisbonne 1756, auch in diesem Gedicht entdeckten die Calvinisten in Lausanne und Genf viel Störendes, denn Voltaire äußert Zweifel an ihrem eingreifenden Gott und an der für Calvinisten wichtigen Vorsehung.

  • mehrere Artikel für die Enzyklopädie Diderots, der im Voltaire zugeschriebenen Artikel Genf das Theaterverbot kritisiert, was Voltaire sehr viel Ärger und die endgültige Gegnerschaft Rousseaus eingebracht hat.

  • Gesänge für La Pucelle, 1755 bei Louvain in Paris erschienen, ein Stück, das die Genfer am allermeisten erboste und die Lage für Voltaire in Genf bedrohlich werden ließ.

  • L'Histoire de la guerre de 1755, Paris: Le Prieur 1756 über den Verlauf des siebenjährigen Krieges

und an anderen Werken, die wir auf der Seite zu Genf aufgelistet haben. 

Ein Besuch in Lausanne (2010)

Blick von Grand Chene auf den Lac Leman

Noch heute wird Voltaires Andenken in Lausanne wie in kaum einer zweiten Stadt bewahrt. Schon in der Liste mit den berühmten Besuchern der Stadt im offiziellen Stadtführer steht sein Name ganz oben und an den Plätzen und Strassen seines Lebens und Wirkens - ganz anders als zum Beispiel in Potsdam oder Berlin - ist in Lausanne immer ein Hinweis auf Voltaire zu finden.

Lausanne beherbergt und pflegt im übrigen einen der authentischsten Voltaire-Orte, es ist der Park Mon Repos (Avenue de Mon-Repos, Bushaltestelle direkt davor) mit seiner schönen Villa, der Stätte vieler Theateraufführungen unter Voltaires persönlicher Leitung. Heute beherbergt sie das Bundesgericht von Lausanne. Dort ist folgende Erinnerungstafel angebracht: 

Übersetzung: Dieses Gebäude gehörte früher dem Marquis de Langallerie.
Voltaire hat hier Theaterstücke spielen lassen. Der berühmte französische Schriftsteller hielt sich zwischen 1755 und 1759 mehrere Male in Lausanne auf. Er trat selbst auf, um eine Rolle in Zaire* zu übernehmen
*die Rolle des Lusignan

Besucht man bei schönem Wetter ganz in der Nähe das kleine Parkcafé, liegen für die Gäste zum Lesen einige Bücher aus, ganz oben aber liegt das Buch von René Pomeau über Voltaire in Ferney (Voltaire chez lui)- von welcher anderen Stadt, Ferney einmal ausgenommen, wäre dies zu berichten?

La Source

Voltaire in La Source

Das Schloss La Source liegt bei Orléans am Quell des Flusses Loiret. Es war der Wohnsitz von Lord Bolingbroke (1678-1753), der es 1707 gekauft hatte. Henry Saint John Bolingbroke war eine der zentralen Figuren der englischen Politik, 1710 Außenminister des Landes, bedeutender Kopf der Torries. Er wird nach der Thronbesteigung von George I. 1715 des Landes verwiesen. Der sehr gebildete Bolingbroke, der die französische Sprache perfekt beherrscht, wählt Frankreich als Exil. Er kehrt 1723  nach England zurück, ohne jedoch an frühere Erfolge anknüpfen zu können. Bolingbrokes Unterstützung und Empfehlung verdankt Voltaire die offene Aufnahme während seines Exils in England (1726 -1728).

Bolingbroke schreibt über La Source:

Ich habe schließlich eine Unterkunft gefunden, ein Zuhause, ... es ist ein Refugium an dem die Natur sehr mitgewirkt hat und es wird mir gefallen, ihr künstlerisch zur Seite zu stehen

und

Es macht mir sehr viel Freude, letzte Hand an mein hübsches Haus zu legen, ich werde hier leben und vielleicht auch sterben, wenn sich die Dinge anders gestalten, werden die Ausgaben nicht völlig verloren sein, dann werden sie Denkmal meines Exils sein.

An Swift schreibt er:

Ich habe hier in meinem Wald die klarste und schönste Quelle vielleicht von ganz Europa. Bevor sie den Park verlässt, wird sie zu einem kleinen Fluss, schöner als alle Flüsse der griechischen oder lateinischen Verse.

Voltaire in La Source

Blick vom Balkon des Schlosses auf den botanischen Garten

1722 Dezember Voltaire kommt von Schloss Bruel nach La Source, um Lord Bolingbroke zu besuchen. Er beschreibt das Zusammentreffen in seinem Brief vom 4.12.1722: 

"Ich habe in diesem berühmten Engländer die ganze Gelehrsamkeit seines und die ganze Höflichkeit unseres Landes gefunden. Ich habe niemals zuvor unsere Sprache mit mehr Kraft und Richtigkeit sprechen hören. Dieser Mann, der sein ganzes Leben mit Vergnügungen und Geschäften zubrachte, hat trotzdem die Mittel gefunden, alles zu lernen und alles zu behalten. Er kennt die Geschichte der alten Ägypter ebenso wie die von England. Er verfügt über Virgil wie über Milton, er liebt die englische, französische und italienische Poesie, aber er liebt sie unterschiedlich, weil er ihre unterschiedlichen Vorzüge perfekt zu unterscheiden vermag."

Voltaire liest Bolingbroke und dessen Lebensgefährtin, der Marquise de Villette, aus Henri IV vor. Die positive Aufnahme seines Werkes durch die beiden bedeutenden Intellektuellen ihrer Zeit gibt Voltaire mächtigen Auftrieb und bestärkt ihn darin, ein großes Kunstwerk verfasst zu haben. 

Ein Besuch in La Source (2005)

La Source ist heute Teil der Gebäude der Universität von Orléans, umgeben mit einem dazugehörigen Park, an den sich ein wunderschöner öffentlicher botanischer Garten mit seltenen Vögeln, Pflanzen und einem kleinen Restaurant anschließt, für den allein sich ein Besuch schon lohnt. Das Schloss wirkt zunächst klein, renovierungsbedürftig, aber auch sehr romantisch und hat sogar einen Voltairesaal, dort, vor dem Spiegel über dem offenen Kamin, thront seine Büste - die schöne von Houdon - und blickt ein wenig spöttisch in den Raum. Der Saal ist eher ein Zimmer, mit riesigem Tisch und blauem Tischtuch - wohl für die Sitzungen der Universitätsleitung hergerichtet  Auf alle Fälle hat man hier einen wunderschönen Blick - vorne heraus zur Allee mit den altehrwürdigen Bäumen und nach hinten zum Blumenpark mit einem prächtigen Springbrunnen. Es war eine gute Idee, den Park von La Source, in dem früher Lord Bolingbroke mit Voltaire spazieren ging, öffentlich zu machen. Auf diese Weise hat man ein wenig von der Liebe, mit der sich Lord Bolingbroke und die Marquise de Villette ihr 'kleines' Paradies geschaffen haben, gerettet.

Bildergalerie

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Kleve – Reisebericht

Der Reisebericht Voltaires an seine Nichte, Madame Denis, vom 9.Juli 1750, den er allerdings erst im Nachhinein (1753-1754), also nach dem Bruch seiner Freundschaft mit Friedrich, verfasst hat, ist fast eine Liebeserklärung an Kleve, reizvoll genug, um die Orte, von denen er in seinem Bericht erzählt, in ihrer heutigen Gestalt zu zeigen. Wir versuchen sie mit unseren Photos aus dem Jahr 2010) zu zeigen (Übersetzung: Rainer Neuhaus, Voltaire-Stiftung)

Ich bin in Kleve angekommen in der Erwartung, daß ich dort die Relaispferde vorfinden würde, die alle Verwaltungsstellen auf Befehl des Königs von Preussen[1] zur Verfügung derer halten, die nach Sanssouci kommen, um dort bei demjenigen zu philosophieren, den ich den Salomon des Nordens genannt habe, welchen dieser reiche Salomon die Gunst gewährt, auf seine Kosten zu reisen. Aber der Befehl des Königs von Preussen war in Wesel bei einem Mann hängen geblieben, der ihn entgegengenommen hatte wie die Spanier die Bullen des Papstes, nämlich mit dem tiefsten Respekt, aber ohne irgendeine Tat folgen zu lassen. Ich habe mich also einige Tage auf dem Schloß jener Prinzessin aufgehalten, die durch Madame de Lafayette[2] so berühmt geworden ist,

Schwanenburg

Doch der Heldin und des Herzogs von Nemours
gar verliebtes Spiel in Kleve kennt man nicht
dies hier ist, ich sag’s frei Euch ins Gesicht
nicht das Land der Romane noch des Amor.

Das ist schade, denn die Gegend scheint wie geschaffen für Prinzessinnen. Hier liegt einer der schönsten von der Natur geschaffenen Orte, dessen Reize die Kunst noch erhöht hat. Seine schöne Aussicht ist der von Meudon[3] überlegen. Das Gelände ist angelegt wie die Champs Elysees und der Bois de Boulogne, Baumalleen bedecken den sanft abfallenden Hügel.

Baumalleen Voltaireweg

Das Wasser aus diesem Hügel wird von einem großen Becken aufgenommen, in dessen Mitte sich eine Statue der Minerva erhebt. Das Wasser dieses ersten Beckens empfängt ein zweites, das es einem dritten übergibt.

Amphitheater
Minerva

Den Abschluß bildet am Fuß des Hügels ein Wasserfall, der im Halbrund einer großen Grotte eingerichtet ist. Sein Wasser ergießt sich in einen Kanal, der eine weite Ebene bewässert und sich dann mit einem Rheinarm verbindet. 

Cascade
Cascade2

Mademoiselle de Scuderi und la Calprenède[4] hätten mit dieser Beschreibung einen ganzen Band ihrer Romane gefüllt. Aber ich als Geschichtsschreiber sage euch nur, daß ein gewisser Prinz Mauritz von Nassau[5], zu seinen Lebzeiten Gouverneur dieser schönen Einsiedelei, fast alle diese Wunder schuf. Er hat sich mitten im Wald bestatten lassen in einem monsterhaften eisernen Grabmal, umgeben von den allerprimtivsten Basreliefs aus der Zeit der Dekadenz des römischen Imperiums und von einigen noch plumperen gotischen Gebäuden. Aber für jene tiefsinnigen Geister, die beim Anblick jedes schlecht behauenen Steins in Ekstase geraten, sofern er nur aus der Antike und zweitausend Jahre alt ist, bedeutet das Ganze sicher etwas äußerst Wertvolles.

Grab Mauritz
Das Grabmal von Mauritz, wie es heute aussieht – von den Basreliefs ist nicht viel übrig

Ein anderes antikes Monument ist der Rest einer von den Römern angelegten, gepflasterten Fernstraße, die nach Frankfurt, Wien und Konstantinopel führte. Das heilige römische Reich hat, seit es auf Deutschland übergegangen ist, ein wenig von seiner Pracht verloren. Man bleibt im Dreck stecken im erhabenen Germanien von heute, sogar zur Sommerzeit. Von allen modernen Nationen sind Frankreich und das kleine Land der Belgier die einzigen, deren Wege der Antike würdig sind. Wir können uns rühmen, die alten Römer vor allem an Kneipen zu übertreffen. Und es gibt noch einige Punkte, in denen wir es sehr wohl mit ihnen aufnehmen können. Aber was schließlich die unvergänglichen, nützlichen und großartigen Monumente angeht, welches Volk kommt an sie heran? Welcher Monarch errichtet in seinem Königreich, was in Nîmes und in Arles ein Prokonsul geschaffen hat.

Vollendet im Kleinen, erhaben im Schmuck,
Große Erfinder von Nichtigkeiten, spielen wir die Eifersüchtigen.
Erheben wir unseren Geist zu der erhabenen Höhe
der stolzen Kinder des Romulus:
Sie taten hundert Mal mehr für die besiegten Völker,
als wir für uns selbst.

schwanenturm

 Ungeachtet der Schönheit von Kleves Lage, ungeachtet der Römerstraße, und trotz des Turms, von dem man sagt, er sei von Julius Cäsar oder zum wenigsten von Germanicus errichtet worden, trotz der Inschriften einer 26 ten Legion, die hier im Winterquartier war, trotz der schönen Alleen, die von Mauritz von Nassau gepflanzt sind, trotz seines großen eisernen Grabmals und schließlich trotz des ausgezeichneten Mineralwassers, das erst vor kurzer Zeit hier entdeckt worden ist[6], gibt es keinen nennenswerten Besucherzustrom in Kleve, obwohl das Wasser hier ebenso gut ist. wie das von Spaa und Forges, man kann die kleinen Eisenatome an keinem schöneren Ort hinunterschlürfen als hier. Aber es genügt nicht, wie Ihr wißt, daß man Verdienste hat, um auch Zulauf zu haben, Zwar findet sich hier das Nützliche und das Angenehme vereint; aber dieser köstliche Fleck wird nur von einigen Holländern frequentiert, die von der Nachbarschaft und dem niedrigen Preis der Lebensmittel und der Häuser angezogen werden und hierher kommen, um zu bewundern und zu trinken. Zu meiner großen Genugtuung habe ich hier einen berühmten holländischen Poeten wiedergesehen, der uns die Ehre hat widerfahren lassen, unsere guten oder auch schlechten Tragödien elegant ins Batavische, und zwar Vers für Vers, zu übersetzen, Vielleicht wird der Tag kommen, an dem wir darauf angewiesen sein werden, die Tragödien aus Amsterdam zu übersetzen. Jedes Volk zu seiner Zeit. Die römischen Damen, die ihre Liebhaber im Theater von Pompeji beäugten, ahnten, nicht, daß man eines Tages bei den Galliern in einem kleinen Weiler mit Namen Lutetia bessere Theaterstücke aufführen würde als in Rom, Der Befehl des Königs für die Relais-Stationen ist endlich angekommen. Damit enden meine zauberhaften Tage bei der Prinzessin von Kleve und ich breche auf nach Berlin.


[1] Damals durfte man nur mit besonderem Erlaubnisschein des Königs weiterreisen.

[2] La Princesse de Clèves von Marie Madelaine de Lafayette ist ein 1678 erschienener Roman, den Voltaire wegen seiner Abwendung von hölzerner höfischer Attitude und der Hinwendung zu wirklichen menschlichen Empfindungen schätzte. Zu diesem Roman (mit Bibliographie): Mme. De Lafayette, Die Prinzessin von Kleve, Frankfurt am Main: Rowohltverlag 1958, 173.S.

[3] Schloß Meudon liegt im Südwesten von Paris und war berühmt für seiner Fernsicht.

[4] Mme de Scudery (1607-1701) Autorin des 17. Jahrhunderts, die Voltaire wegen ihres gestelzten Stils wenig schätzte. Ihr Hauptwerk, Clélie, histoire romaine, umfasst zehn (!) Bände. Ähnlich: La Calprenède.

[5] Johann Mauritz von Nassau-Siegen (1604 – 1679) war in Kleve preussischer Statthalter seit 1647 und hat dort die bedeutende Bauwerke und Gartenanlagen initiiert. Als langjähriger Gouverneur der Niederländisch-Westindischen Kompagnie in Brasilien hatte er den Niederlanden (gegen Portugal) in Brasilien große Gebiete erobert, deshalb wird er auch der Brasilianer genannt. Er förderte in seinem Herrschaftbereich, ausgehend von Recife,  die Zuckerwirtschaft auf Grundlage der Sklavenarbeit.

[6] Schon 1742 hatte man am Springenberg eine eisen- und virtiolhaltige Mineralquelle entdeckt, aber erst 1752 begann ihr Entdecker, Dr. Schütte, die Heilkraft des Wassers zu loben und bekannt zu machen.


Kleve

Voltaire in Kleve

Kleve, Gartenanlagen

Kleve liegt am Niederrhein im äußersten nordwestlichen Zipfel Deutschlands. Hier begegnet man auf Schritt und Tritt Mauritz von Nassau Siegen (1604 - 1679), einem Rückkehrer aus den Kolonialkriegen in Brasilien, unter dem die Stadt eine kulturelle Blüte erlebte. Vielleicht wollte er die von ihm verantworteten Schandtaten in Übersee heilen, vielleicht auch nur sich unsterblich machen, jedenfalls entstanden unter seiner Regie die über der Stadt thronende Schwanenburg und der Prinzenhof als Sitz des Statthalters sowie die in ganz Europa berühmten Klever Gartenanlagen. Ab 1666 bis ins 18. Jahrhundert gehörte Kleve zu Brandenburg und war neben Berlin und Königsberg die dritte preußische Haupt- und Residenzstadt. Voltaire traf Friedrich II. erstmals 1740 im nahe bei Kleve auf preußischem Boden gelegenen Schloss Moyland, auch seine weiteren Aufenthalte in Kleve stehen in enger Verbindung zu seiner Freundschaft mit Friedrich.
Das Jahr 1741 vermerken die Geschichtsschreiber der Stadt als Geburtsstunde von Bad Kleve, denn am Springenberg wurde eine Mineralquelle entdeckt, die der Stadt wenigstens eine Zeitlang Bekanntheit als Heilbad sicherte, während sie in politische Bedeutungslosigkeit versank und ihre Burganlage zerfiel. Als Voltaire 1750 auf der Durchreise nach Berlin in die Stadt kommt, sind es vor allem die Gartenanlagen, die ihn faszinieren An den berühmten Gast erinnert heute der entlang einer alten Poststraße liebevoll angelegte Voltaireweg.

Die Schwanenburg und ihr barock gestalteter Innenhof, wie er sich 1745 präsentierte (Schautafel vor dem Schloss in Kleve).

 

 

Der Prinzenhof, unterhalb der Burg gelegen, rechts oben beginnen die berühmten Gartenanlagen - wurde im 2. Weltkrieg zerstört (Schautafel Kleve)

Voltaire in Kleve: von Friedrich gebannt

Kleve war für Voltaire der Ort, an dem er zum ersten Mal mit Friedrich zusammentraf, zu einem Zeitpunkt, den er selbst, aber auch alle seine Biographen, als Wendepunkt seines Lebens betrachtete, denn Kleve ist wie eine Brücke, die aus Voltaires französischem, Pariser Leben hinaus und hinein in ein europäisches Leben führt, das ihn zunächst nach Berlin in Friedrichs Arme führte. Kleve hat ihm aber auch als Ort gefallen, das zeigen seine Berichte ganz eindeutig, und zwar nicht nur, weil ihm der Roman Die Prinzessin von Kleve literarisch bedeutend erschien. 13. September 1740 Nachdem sich Voltaire und Friedrich am 11.9.1740 zum ersten Mal in dem bei Kleve gelegenen Schloß Moyland (dort findet sich auch der Bericht über die Begegnung) getroffen hatten, fährt Voltaire mit Maupertuis bis Kleve und dann alleine nach Den Haag zurück. Maupertuis folgt Friedrich nach Berlin, um dort die Stelle des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften anzutreten. Als Akademiepräsident wird Maupertuis dort am 12. 3. 1744 den in Europa Aufsehen erregenden Erlaß Friedrichs zur Abschaffung der Buchzensur verkünden. 12. Dezember 1740 Voltaire kommt auf der Rückreise seines ersten Berlinbesuchs, nach einem Zwischenaufenthalt in Bückeburg, wo er die Gräfin Bentinck getroffen hatte (9. - 11.12) wiederum einige Tage nach Kleve. In einem Brief an Friedrich vom 15. Dezember erwähnt er eine "grausame Erkältung", die er sich auf seiner Reise mitten im Winter zugezogen hatte, aber er lobt auch die heilende Wirkung des Wassers der Region: (Brief vom 22. Januar 1741 an d'Argental): "Trinken Sie genug Wasser? Ich habe mich mit dem Wasser der Weser, der Elbe, des Rheins und der Maas von der übelsten Entzündung, die je zwei Augen hatten, auskuriert und das, mein Lieber, als ich mit der Postkutsche mitten im Dezember unterwegs war" In Kleve kuriert er sich vollends aus und reist dann zurück nach Brüssel, wo er erst am 6 Januar 1741 ankommt und dort Emilie du Châtelet trifft. 2 Juli 1750  Nach dem unersetzlichen Verlust seiner Lebensgefährtin Emilie du Châtelet am 10 9. 1749 entscheidet sich Voltaire im Mai 1750 die Reise von Paris nach Potsdam anzutreten, um auf unbestimmte Zeit bei Friedrich zu bleiben. In Kleve wird er 14 Tage aufgehalten. Er schreibt einen langen Brief an seine Nichte M. Denis, der allerdings nur in einer sehr viel später redigierten Form erhalten ist und reist am 15. oder 16. Juli nach Potsdam ab. Es ist eine beschwerliche Reise durch unwirtliche Gegenden. Wenn er in einem Brief an Friedrich davon berichtet, klingt das so:

Sire, welch Hundeland ist dieses Westphalen und die Gegend um Hannover und Hessen! Hier schafft man an zwei Tagen gerade einmal 3 Meilen. ...  In großen Hütten, die sich Häuser nennen, sieht man Tiere, die man Menschen nennt, die hier aufs kollegialste der Welt bunt vermischt mit anderen Haustieren leben. Irgendeine harte Gesteinsart, schwarz und schimmernd, wie man erzählt, aus einer Art von Weizen zusammengesetzt, ist die Nahrung der Hauseigentümer. Man beklage nach solchem unsere Bauern, oder besser beklage man niemanden, denn unter diesen verrauchten Hüten und mit ihrer abscheulichen Nahrung sind diese Steinzeitmenschen gesund, stark und fröhlich. Sie haben gerade so viel Geist, wie es ihr Zustand verlangt.

Es ist nicht so, dass ich sie beneide, ich liebe unsere vergoldeten Stuckverkleidungen Ich segne die glücklichen Werkstätten die uns solche erzeugen Hundert Vergnügungen habe ich genossen bekrittelt durch die Frömmelei durch sie noch schmackhafter Aber über die Hütten der Wilden breitet die Natur ihre Wohltaten aus Man erkennt den Abdruck ihrer Spur In dem geringsten ihrer Werke Der gewaltige Vogel der Juno Das unreine Tier der Juden Haben Vergnügen auf ihre Weise Und alles ist aus gleichem Stoff in dieser Welt. 1766 Noch einmal spielt Kleve in Voltaires Leben eine Rolle. Als man im Juli 1766 den Chevalier de la Barre  in einem der letzten Inquisitionsprozesse Frankreichs in Abbéville wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt, gründet sich das Urteil auch auf die Tatsache (eine der wenigen in diesem Prozeß), daß man beim Chevalier das Dictionnaire Philosophique Voltaires gefunden hat. Voltaire befürchtet deshalb das Schlimmste auch für sich selbst und erwägt, nach Preussen zu emigrieren. In einem Briefwechsel, der sich über mehrere Monate hinzieht, erörtert Voltaire mit Friedrich die Möglichkeit, in Kleve oder auf Schloß Moyland eine Philosophenrepublik zu gründen. Moyland sei verkauft (was stimmte) und andere Unterkünfte zu finden, sei nicht einfach, behauptet Friedrich. Er verlangt außerdem, die Philosophen sollten "massvoll und friedlich" sein und fordert Unterordnung: "Bedingung ist jedoch, daß sie diejenigen schonen, die geschont werden müssen, und daß sie in ihren Druckschriften die Gesetze des Anstands beobachten". Schließlich gibt Voltaire die Idee selbst auf, seine Freunde D'Alembert und Diderot waren für das Vorhaben ohnehin nicht zu gewinnen.

Ein Besuch in Kleve (2011)

Die Stadt am Oberrhein (50.000 Einwohner) wirkt, als ob sie sich nicht richtig entscheiden könne, welche Identität sie annehmen soll und welches Bild sie dem Besucher von sich vermitteln will. Will sie eine Kulturstadt sein, ein Kleinod mit ihren bedeutenden Museen, den interessanten historischen Höhepunkten, mit ihren beeindruckenden Gartenanlagen? Will sie ein Einkaufszentrum für Gäste aus dem nahen Holland sein, worauf die riesigen Parkflächen am Fuße der Schwanenburg und die Gestaltung ihrer Fußgängerzone, die Art der öffentlichen Veranstaltungen (Bierfeste) hinweisen? Oder will sie ein Ort sein, an dem sich ältere Leute wohlfühlen, die Ruhe suchen und medizinischer Hilfe bedürfen? Diese Unentschiedenheit spiegelt sich ziemlich deutlich auf der Tourismusseite der Stadt www.kleve-tourismus.de wider und ist vielleicht eine Nachwirkung der schlimmen Zerstörungen, die die britischen Bombenangriffe am 7. 2. 1945 in der Stadt angerichtet haben, um den Widerstand der Deutschen bei der Verteidigung des Rheinübergangs zu brechen. Gleichwohl lohnt sich ein Besuch Kleves für Kulturinteressierte, die Stadt bietet sich für ein verlängertes Wochende an, um hier in Kunst und Kultur einzutauchen, vielleicht, wenn das Wetter mitmacht, auch für eine Woche. Und wenn es regnet, bieten sich die Museen an, oder - warum nicht ? - die Lektüre des Romans 'Die Prinzessin von Kleve'. Um Kleve zu erkunden, sollte man dem 10 km langen Wanderweg, der 2007 entlang der alten Poststrasse Cleve - Berlin-Königsberg fertiggestellt wurde, folgen, denn auf dieser Strecke liegen alle Sehenswürdigkeiten in und um Kleve. Er beginnt als Prinz Moritz Weg an der Schwanenburg in der Stadtmitte und wird dann zum Voltaireweg, der bis zum sehenswerten Schloß Moyland führt, das heute eine ständige Beuysausstellung beherbergt und seine Besucher mit seinem großzügigen Skulpturenpark bezaubert. Weitere Informationen zu Kleve findet man auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Kleve. Nicht nur die Gartenanlagen aus der Zeit Johann Moritz von Nassau-Siegens, dessen Grabanlage man in Hau besichtigen kann aber nicht muß, lohnen einen Klevebesuch, sondern auch die beiden Museen (Haus Koekkoek und die Sammlung Mataré im Kurhaus Kleve). Hier nochmals die Impression von den Gärten im März im Großformat:

Gotha

Voltaire in Gotha

Das Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg war Mitte des 18.Jahrhunderts einer jener Zwergstaaten, die sich nur durch Verkauf und Verleih ihrer Untertanen als Soldaten über Wasser halten konnten. Wenigstens um 1750 herum verprasste die aktuelle Herrscherfamilie (Friedrich III. und seine Frau Luise Dorothea) das seinen 15.000 Untertanen abgepresste Vermögen nicht voll und ganz, sondern verwendete einen erklecklichen Teil davon für den Schlossausbau, den Aufbau eines bis heute sehenswerten Museums und zur Förderung von Kunst und Wissenschaft. Zu verdanken war dies vor allem Herzogin Luise Dorothea, die gemeinsam mit ihrer Freundin Franziska von Buchwald aus ihrem vorher so lutherisch-bigotten Gotha eine Keimzelle der Aufklärung machte und dem örtlichen Klerus einige Lehren in religiöser Toleranz erteilte. So musste dieser hinnehmen, dass sich in unmittelbarer Nachbarschaft (im heutigen Neudietendorf) eine Kolonie der Herrnhuter Brüdergemeinen gründete.

Gotha entwickelte sich zu einem Zentrum des Buchdrucks (Ettinger und Perthes), der Porzellanmanufaktur (W.T. von Rotberg) und des Theaters (das Theater Ekhof und später Iffland), der Literatur (F.W. Gotter).
Luise Dorothea gründete auch eine Geheimgesellschaft, den 'Ordre des Hermites de bonne humeur', der sich dem Motto 'Vive la joie' verpflichtet fühlte und in seinen Sitzungen der freien Äußerung von Gedanken ein Forum bot. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Voltaire während seines einmonatigen Aufenthalts von 21. April bis 25. Mai 1753 an einem dieser Treffen teilnahm.

Gotha - Voltaire: im Zeichen der Freude

Voltaire kommt nach seiner Abreise aus Berlin  und einem Aufenthalt in Leipzig am 21.4.1753 nach Gotha und bleibt immerhin vier Wochen auf Schloß Friedenstein, das die Stadt weit überragt. Er genießt die zahlreichen Feste zu seinen Ehren. An Luise Dorothea schreibt er später (28.Mai 1753):

"Madame, meine leidende und umherwandernde Gestalt ist in Wabern bei Kassel beim Landgrafen und meine Seele ist in Gotha, sie liegt zu ihren Füssen, sie wird sich dort befinden so lange ich atme. Ich habe sogar Sorge, ob mich Eure ehrwürdige Hoheit nicht für den Rest meines Lebens unglücklich gemacht hat; ich werde es ihr von ganzem Herzen verzeihen. Es war ja nicht aus böser Absicht ihrerseits, aber, um   die Wahrheit zu sagen, sie hätte es berücksichtigen müssen, als sie mir so viel Schönes tat, als sie mir ein solch ergötzliches Leben ermöglichte, dass sie mich damit ewigem Bedauern überlieferte".

Prunksaal in Schloß Friedenstein

Und an Franziska von Buchwald am selben Tag :

Grande maîtresse de Gotha,
Et des coeurs plus grande maîtresse,
Quand mon étoile me porta
Dans votre cour enchanteresse,
Un trop grand bonheur me flatta;
Le destin jaloux me l’ôta.
J’ai tout perdu; mais ma tendresse
Avec les désirs me resta:
C’est bien assez dans ma vieillesse.
 
übersetzt:
Großhofmeisterin von Gotha,
Und noch größere Meisterin der Herzen,
Als mein Stern mich trug
An ihren zauberhaften Hof
Begünstigte mich ein zu großes Glück
Das mir ein eifersüchtiges Schicksal entwendete
Ich habe alles verloren, jedoch meine Zärtlichkeit,
dazu das Verlangen, bleiben mir erhalten:
Was reichlich genug ist in meinem Alter.
 
und:

"...Erlauben Sie mir, Madame, meine Grüße an Herrn Großhofmeister, an die ganze Familie zu richten, an alle die Ihnen nahestehen, an Fräulein Waldner1, an Herrn von Rothberg2, an Herrn Klupfel3. Meine Indiskretion hält hier ein. Ich würde sie zu weit treiben, wenn ich hier die Liste all derer einfügen würde, die ihre Güte für mich gewonnen hat".

*1: Friederike Eleonore von Waldner war Erzieherin der Prinzessin Friederike Luise und starb 1757.
*2: Wilhelm von Rotberg (1718 - 1795), Elsässer, Oberhofmeister, Gründer der ersten Gothaischen Porzellanfabrik und Herausgeber des Gothaer Almanachs
*3: Emmanuel-Christoph Klüpfel (1712 - 1776), ehemaliger Pastor aus Genf, Hauslehrer des Erbprinzen Friedrich, Vertrauter der Herzogin, Mitarbeiter und Herausgeber des Gothaer Almanachs. 

 
Es scheint, dass Voltaire hier auf die Mitglieder des "Orden der Einsiedler der Lebensfreude" in Gotha anspielt, deren Namen er nicht preisgeben will. Wenn dem so ist, nahm er möglicherweise an einer der Sitzungen selbst teil.
In den 14 Jahren bis zu ihrem Tod schrieb Voltaire der Herzogin 138 Briefe, diese Briefe und die Tatsache, dass er ihr ohne Sicherheiten größere Geldsummen lieh, zeigen, dass es sich bei dem oben zitierten Satz nicht um eine Höflichkeitsgeste handelte. Voltaire hat die Herzogin und ihre Freundin von Buchwald außerordentlich geschätzt.
Deshalb ist er wohl auch der Bitte der Herzogin nachgekommen, eine Geschichte Deutschlands zu schreiben. Er hat die Arbeit in der umfangreichen Schloßbibliothek zu Gotha begonnen und als  'Annales de l'Empire" bei Schoepflin in Colmar Ende 1753 mit einer Widmung an die Herzogin drucken und veröffentlichen lassen.
Am 25.Mai 1753 hat Voltaire Gotha in Richtung Kassel verlassen

 

Gotha heute (2014)

Auch heute wird die Stadt Gotha von ihrem Schloß Friedenstein dominiert, was aber keinesfalls als Mangel aufzufassen ist, denn es ist eine sehr erfreuliche Dominanz. Schloß Friedenstein ist eine wahre Schatzkammer und die Vielfalt seiner Sammlungen macht es, zusammen mit dem herzoglichen Palais, zu einem Klein-Louvre, einem Museum, das durch die Qualität seiner Exponate überrascht. Ein wirklicher Geheimtipp! Außer den barocken Räumen selbst und davon gibt es zahlreiche, gibt es in Gotha eine ägyptische Sammlung, die größte Sammlung von Werken des französischen Bildhauers Houdon (unter anderem mehrere Voltaire Büsten) außerhalb Frankreichs,
Eine wunderschöne Ausstellung zur Geschichte des barocken Ekhof-Theaters, das Ekhof Theater selbst, eines der wenigen noch bespielbaren Barocktheater mit Originalbühne und Kulissenwerk (jährlich gibt es ein Ekhof-Festival, bei dem Musikstücke des 18. Jahrhunderts aufgeführt werden, zum Beispiel die Oper von Herzogin Amalia nach Goethes Erwin und Elmire (man muss sich früh um Karten bemühen, das Theater fasst nicht mehr als 200 Personen).
Außerdem erwähnenswert ist die Sammlung v. Gemälden Lucas Cranachs, unter anderem das berühmte 'Liebespaar', die Porzellan- und Preziosensammlung (u.a. Bernsteinkabinett, Chinoiserien) und die zahlreichen Originalgemälde mit Schwerpunkt 18. Jahrhundert.
Auch Gotha als Stadt ist einen Besuch wert: liebevoll restaurierte Gebäude, nette Cafes und kleine Geschäfte laden zum Bummeln und Verweilen ein. Nähere Informationen erhält man auf den Internetseiten der Stadt

 

 

 

Erinnerungen Voltaires an Les Délices

(Übersetzung aus Mémoires, p. )

“ Ich kaufte durch ein einzigartiges Geschäft für das es in diesem Land noch kein Beispiel gab, einen kleinen Besitz von  ungefähr 60 Morgen*, den man mir für das doppelte von dem verkaufte, was er in der Nähe von Paris gekostet hätte: aber das Vergnügen ist niemals zu teuer; das Haus ist hübsch und bequem; das Äußere ist charmant, macht Eindruck und langweilt nie. Auf der einen Seite ist der Genfersee, auf der anderen die Stadt; die Rhône fließt hier mit großem Gebrodel heraus und mündet in einen Kanal am Fuße meines Gartens; der Fluß Arve, der aus der Savoie hinabfließt, ergießt sich in die Rhône; ein weiterer Fluß ist in der Ferne zu sehen. Hundert Bauernhäuser, hundert lächelnde Gärten schmücken die Ufer des Sees und der Flüsse; in der Ferne erheben sich die Alpen, und durch ihre Schluchten hindurch zeigen sich dutzende vom ewigen Schnee bedeckte Gipfel. Ich habe noch ein schöneres Haus mit einem weiteren Blick in Lausanne, aber mein Haus bei Genf ist sehr viel angenehmer. Ich habe in diesen beiden Wohnungen, was Könige kaum geben oder vielmehr, was sie einem nehmen: die Ruhe und die Freiheit und ich habe sogar, was sie einem manchmal geben und ich habe es nicht von ihren Gnaden erhalten.
Ich habe in die Tat umgesetzt, was ich in Le Mondain gesagt habe:

“Welch schöne Zeit ist das Jahrhundert des Eisens.”**Alle Bequemlichkeiten des Lebens an Möbeln, an Personal, alles, was man zum guten Leben braucht, befindet sich  in meinen beiden Häusern; eine freundliche Gesellschaft und Menschen mit Geist erfüllen die Augenblicke, die mir das Studium und die Sorge um meine Gesundheit lassen. Mehr als einer meiner teuren Schriftstellerkollegen krepierte leidvoll aus den verschiedensten Gründen. Wenn man wie ich nicht reich geboren wurde, muss man auf der Hut sein. Fragt man mich, durch welche Kunst ich es geschafft habe, wie ein Großgrundbesitzer zu leben, sei es gern gesagt, damit mein Beispiel anderen nutze. Ich habe so viele arme und verachtete Schriftsteller gesehen, dass ich schon vor langer Zeit beschlossen habe, ihre Zahl nicht auch noch zu erhöhen. Man muss in Frankreich Amboss oder Hammer sein, ich wurde als Amboss geboren. Ein kleines Erbe wird von Tag zu Tag kleiner, weil über die Zeit die Preise steigen und sich die Regierung oft genug an den Erträgen und den Geldmitteln vergreift. Man muss sehr aufmerksam alle Maßnahmen der stets überschuldeten und wetterwendischen Minister beachten,  die die Staatsfinanzen betreffen. Es gibt immer einige, von denen ein Privatmann profitieren kann, ohne irgendjemandem verpflichtet zu sein und nichts ist süßer als sein Glück durch sich selbst zu machen, die ersten Schritte kosten etwas Anstrengung, die weiteren sind einfach. Man muss in der Jugend gut wirtschaften und man wird im Alter ein Vermögen haben, über das man selbst überrascht ist. Dies ist die Zeit, wo der Wohlstand am wichtigsten ist, dessen ich mich trotz gewaltiger Verlusten erfreue. Nachdem ich bei Königen gelebt habe, habe ich mich selbst zum König gemacht.”

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* Ein Hektar = 4 Morgen, d.h. Les Délices war mit 15 Hektar nicht gerade klein
** Voltaire meint, dass ein Zeitalter beginnender handwerklicher Fertigkeiten, die es dem Menschen zunehmend erlauben, von der Natur unabhängig zu werden, sich das Leben angenehm zu machen, einem Zeitalter vollkommener Abhängigkeit von Naturzwängen bei weitem vorzuziehen ist.

Genf

Voltaire in Genf - Les Délices

Voltaire suchte in Genf Schutz vor französischer und preußischer Verfolgung, vor allem aber vor der der katholischen Kirche. Dabei unterschätzte er jedoch die andauernde Bösartigkeit des calvinistischen Klerus, der 200 Jahre früher - Voltaire hat darauf immer wieder hingewiesen -, am 27.10.1553 auf direkten Befehl Calvins den spanischen Arzt und Theologen Michel Servet auf dem Scheiterhaufen lebendig verbrennen ließ, weil er die Dreieinigkeit von Gott-Vater, Gott-Sohn und Heiligem Geist ablehnte.

"In dem Wunsch, die Kirche Gottes von solcher Ansteckung zu reinigen und von ihr dieses verfaulte Glied abzuschneiden, ...gebunden zu werden und an den Ort Champel geführt zu werden, und ebendort an einen Pfahl gebunden und lebendig verbrannt zu werden, zusammen mit deinem von deiner Hand geschriebenen und dem gedruckten Buch, solange bis dein Körper in Asche verwandelt ist."

Nur 3 Exemplare seines Hauptwerkes Christianismi restitutio blieben erhalten. So dauerte es nicht lange, und Voltaire sah sich auch vom bigotten calvinistischen Klerus verfolgt, der nicht locker ließ, bis er Voltaire aus Genf vertrieben hatte.
Ihm wurde verboten, Theaterstücke aufzuführen, denn Schauspielerei fiel unter die Todsünden der Hoffart und des Luxus, man hetzte den Pöbel gegen ihn auf, weil er es gewagt hatte, das Theaterverbot in dem Artikel Genf der Enzyklopädie öffentlich zu machen und 1760 verjagte man ihn endgültig aus Les Délices. Voltaire bekam nicht einmal die Hälfte des ursprünglichen Kaufpreises zurück.
Bei all dem tat sich Jean Jacques Rousseau sehr unrühmlich hervor. Der Verrat an Voltaire wird seiner Lebensgeschichte für immer als Makel anhaften.

Les Délices, Seitenansicht - das Anwesen  wurde erst von Voltaire 1757 so genannt, früher hieß es "Saint-Jean" und lag außerhalb der Stadtmauern. Damals konnte Voltaire noch den Genfer-See und die Alpen sehen.

Les-Délices - endlich ein Zuhause?

1754 Voltaire kommt am 12. Dez. aus Lyon nach Genf und wohnt zunächst beim Magistrat Francois Tronchin, dann, ab 14.12. in Prangins, dem Schloss der mit ihm befreundeten Bankiersfamilie Guiguer.

1755 Am 8. Februar 1755 erwirbt Voltaire Les Delices für 87.000 livres vom Genfer Rat Mallet. Seine Freude, endlich einen Ort gefunden zu haben, an dem er sich niederlassen kann kommt noch in seinen Erinnerungen deutlich zum Ausdruck.

Der berühmte Schauspieler Lekain kommt und übernimmt die Rolle des Dschingis Khan in Voltaires Tragödie L`Orphelin de la Chine, die schon im August in “Les Délices“ aufgeführt wird.
Die Nichte Voltaires (und auch seine Geliebte), Madame Dénis kommt aus Paris. 
Die Theatertätigkeit Voltaires wird von den Genfer Bürgern begeistert aufgenommen. Das veranlasst wiederum den kalvinistischen Klerus, leider unterstützt von J.J. Rousseau, den Mob gegen Voltaire aufzuhetzen und am 31. Juli ein Theaterverbot gegen Voltaire zu verhängen.

Auch Casanova besucht Voltaire in Les Délices. Über seine Treffen (und über den durchaus doppelten Boden der wohlanständigen Bürger Genfs) mit Voltaire erzählt er in:
Geschichte meines Lebens, Band VI, Kapitel X (S. 240-268)

1756 Admiral John Byng wird in England wegen Feigheit im Kampf gegen die Franzosen vor ein Kriegsgericht gestellt. Voltaire interveniert zu seinen Gunsten, ohne Erfolg: Byng wird am 14. 3. 1757 zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Veröffentlichung der Essay sur les moeurs.
D'Alembert kommt zu Besuch in Les Délices.

1757 Der von Voltaire inspirierte Artikel Genf erscheint in der Enzyklopädie und verteidigt das Theaterspielen, was den Genfer Klerus noch stärker erbost.
Mme de Epinay, Freundin Grimms, besucht Les Délices.
Reise nach Mannheim.
Anmietung eines Stadthauses in Lausanne.

1758 Voltaire wird bedroht, man will ihm das Haus anzünden, er plant, Les Délices aufzugeben.
Juli und August: Reise nach Schwetzingen

Voltaire schreibt an Candide.
Voltaire kauft auf der französischen Seite der Grenze, die Grafschaft Tournay und richtet dort ein Theater ein.

1759 Tancrède wird im Oktober in Tournay  aufgeführt

1760 Voltaire verläßt Les Delices und erst 1765 erhält er 38.000 livres für das von  ihm hergerichtete Gebäude. Später wird es die Familie Tronchin kaufen.

Werke - in Les Délices entstanden

Les Délices - Eingang Strassenseite

die antiklerikalen und gesellschaftskritischen Schriften:

- Artikel “Genf” in der Enzyklopädie 1756
- Jusqu’à quel point on doit tromper le peuple.(Bis zu welchem Ausmaß man das Volk täuschen soll) 1756   Hier nur der erste Satz:
“C’est une très grande question, mais peu agitée, de savoir jusqu’à quel degré le peuple, c’est-à-dire neuf parts du genre humain sur dix, doit être traité comme des singes.” (Es ist eine sehr gewichtige, aber wenig behandelte Frage, bis zu welchem Ausmaß das Volk, das heißt neun von zehn Teilen der Menschheit, wie Affen behandelt werden soll).
 

die Romane und Erzählungen:

- Les deux consolés. (Die beiden Getrösteten) 1756
- Histoire des voyages de Scarmentado, écrite par lui-même
(Geschichte der Reisen Scarmentados) 1756
- Le Songe de Platon ( Platons Traum) 1756

 

die Tragödien:

- L'Orphelin de la Chine 1755
- Tancrède 1759
 

die Versdichtungen:

Poème sur le désastre de Lisbonne ou examen de cet axiom: tout est bon(Gedicht über das Erdbeben von Lissabon oder Untersuchung über das Axiom: Alles ist gut) 1755
La pucelle d`Orleans (Die Jungfrau von Orleans) 1755
die historischen Schriften:
Essai sur les moeurs (Essai über die Sitten und den Geist der Völker) 1756,das Werk war schon beim Studienaufenthalt in Senones weitgehend fertiggestellt.
-Artikel Histoire für die Enzyklopädie 1756
-Histoire de la Russie (Geschichte Rußlands unter Peter dem Großen) 1759
die philosophischen Schriften:
- Dialogue entre un brachmane et un jésuite sur la nécessité et l’enchaînement des choses (Dialog zwischen einem Brahmanen und einem Jesuiten über die Notwendigkeit und den Zusammenhang der Dinge) 1756
- Dialogues entre Lucrèce et Posidonius.(Dialoge zwischen Lukrez und Poseidonius) 1756

Genf und Voltaire heute

Les Délices: Das Nachbargrundstück - Le Clos Voltaire, mit Veranstaltungsräumen

Les Delices liegt heute mitten in Genf, nur wenige Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, man geht einen kleinen Hügel hinauf und, je näher man kommt, desto häufiger mehren sich die Anzeichen, dass hier früher das Reich Voltaires begann: es gibt ein Restaurant, ein Café, eine Wäscherei Voltaire, alles heißt hier nach Voltaire, natürlich auch die große Hauptverkehrsstraße selbst, von der man seitlich in die Rue Les Délices einbiegt - und plötzlich steht man vor dem ansehnlichen, sehr hübsch restaurierten, von einem kleinen Grünstreifen umgebenen Gebäude Les Délices. Heute beherbergt es das Institut Voltaire, eine Forschungseinrichtung, und ein Voltaire-Museum mit zahlreichen, bedeutenden Handschriften Voltaires. Mit Voranmeldung werden Führungen durch die Ausstellung angeboten. In der Umgebung sind große Wohnblocks und ein älteres, etwas baufälliges Haus (2017:renoviert) mit Park ist ein Begegnungszentrum des Viertels, wo man sich im Garten mit Skulpturen beschäftigt hat, die sich mittlerweile in ihre Bestandteile auflösen. Macht Les Délices seinem Namen alle Ehre und zeigt, was man in einem Land mit dem in 600 Jahren ohne Krieg gesparten Geld erreichen kann, ist die Umgebung eher weniger délicieux und verweist auf die Kehrseite der Medaille: das Geld wandert nicht in alle Taschen.

Institut et Musée Voltaire. Les Délices, Rue des Délices 25, 1203 Genève, Tel.0041 223447133 institut.voltaire@ville-ge.ch Öffnungszeiten: Mo - Fr 14 - 17.00, und am ersten Samstag eines jeden Monats, sonst Voranmeldung, Führungen werden organisiert.

Über die Bibliothek, den Katalog, die Bibliotheksordnung informiert die Seite: Genef Bibliothek Musee Voltaire/

Fontainebleau

Voltaire in Fontainebleau

fontainebleau
Fontainebleau, Schauseite

Das Chateau de Fontainebleau wurde im 16.Jahrhundert unter Francois I. als Kunsttempel der Renaissance erbaut und gilt als Zentralbau der italienischen Renaissance in Frankreich.

Unter Henri IV entwickelte sich hier die von ihm geförderte (zweite) Schule von Fontainebleau mit Malern wie Ambroise Dubois und Martin Fréminet, die sich von den religiösen Themen abwandten und stattdessen Szenen aus der antiken Mythologie malten. Sie ist heute vor allem durch ihre erotischen Gemälde bekannt, besonders durch das rätselhafte Porträt der Duchesse de Villars und Gabrielle d'Estrées, das heute im Louvre hängt:

Bis in unsere Zeit diente das Schloß mit seinem riesigen Park der jeweiligen Herrscherfamilie/Regierung als Jagdschloss, Regierungssitz und als Festsaal. Ludwig XIV bevorzugte zwar Versailles, ließ aber immerhin in Fontainebleau ein Theater einbauen. Am 16.10.1685 verkündete er von hier aus sein unheilvolles Edikt von Fontainebleau, das den Hugenotten in Frankreich die Ausübung ihrer Religion verbot. 200.000 Menschen, unter ihnen viele Handwerker und auch Wissenschaftler, verliessen daraufhin Frankreich. Der preußische Hof ergriff die günstige Gelegenheit und nahm viele von ihnen auf. Sie siedelten sich in Potsdam, aber auch in Berlin an, wo die französische Kirche auf dem Gendarmenmarkt eine kleine, sehenswerte Ausstellung zu ihrer Geschichte zeigt.

Ludwig XV. heiratete im September 1725 in Fontainebleau Marie-Sophie-Félicité Leszczynski, Tochter des nur kurze Zeit amtierenden Königs von Polen, Stansilas. Die Hochzeitsfeierlichkeiten, zu denen auch Voltaire beitrug, dauerten bis in den November hinein.

Für Voltaire war das Schloß Fontainebleau eher ein unangenehmer Ort: Seine mit ihm verbundenen Bemühungen, vom Hof Ludwig XV unterstützt zu werden, hatten wenig Erfolg und auch in der Zeit seiner Freundschaft mit Emilie du Chatelet war er dort eher geduldet als erwünscht.

Voltaire in Fontainebleau

park fontainebleau1725 September
Für Ludwig XV. pompöse Hochzeit verfasst Voltaire ein Hochzeitsgedicht, widmet der Königin seine Tragödien Ödipus und Mariamne. Als große Gunst spielt man hier Mariamne und Voltaires Komödie L'Indiscret vor erlauchtem Publikum. Man darf das getrost als Marketingaktion verstehen, die genauso nötig war wie 'Ehrenbezeugungen' (um sie nicht anders zu nennen) an heutige Mächtige auch. In einem Brief an seine (kranke) Freundin Madame de Bernières schreibt Voltaire:

"Was man so fälschlich die Vergnügungen des Hofes nennt, wiegt nichts gegenüber der Befriedigung, die es verschafft, Freunde zu trösten, Seien Sie mir gewiss, dass es mir viel süßer wäre, ihre Leiden zu teilen als hier unserer neuen Königin den Hof zu machen".

Die Hof-Aktion lohnt sich scheinbar, denn die Königin schreibt ihm eine Leibrente in Höhe von 1500 Livres jährlich aus - die ihm allerdings zunächst nicht ausbezahlt wird - wie heute hat auch damals das Postgeheimnis nicht viel gegolten. Erst 1728 gelingt es Voltaire durch geschicktes Taktieren an das Geld heranzukommen.

Ab 1744
Madame de Pompadour wird in diesem Jahr die bevorzugte Geliebte des Königs. Voltaire hält sich jetzt öfter in Fontainebleau auf, wenn im Herbst der Königshof Fontainebleau zum Mittelpunkt seiner Veranstaltungen macht, so im Oktober 1745,1746 und 1747, meist als Begleiter seiner Lebensgefährtin Emilie du Châtelet. Diese, eine leidenschaftliche Spielerin, verliert 1747 am Kartentisch die enorme Summe von 84.000 Pfund. Voltaire warnt sie auf Englisch: "Hören Sie auf, sehen Sie denn nicht, dass Sie mit Schurken spielen?" Das wird der Königin hinterbracht, Voltaire entzieht sich einer Verhaftung durch blitzartige Flucht nach Sceaux, um sich dort zu verstecken und erst einmal Gras über die Sache wachsen zu lassen. Die Angelegenheit kann wirklich begraben werden (84.000 Livres nicht, sie müssen bezahlt werden) und 1749 sieht man Voltaire wieder - ein letztes Mal - in Fontainebleau. 

1768
Für Christian, den König von Dänemark, wird im Schloß Voltaires Tragödie Tancrède aufgeführt, er macht in Frankreich während einer Europareise im Herbst 1768 in Fontainbleau Station. Sein Begleiter, der Arzt Johann Friedrich Struensee (1737 - 1772), ein Anhänger der Aufklärung, ist auf dieser Reise zum Freund des Königs geworden und wird im Anschluß in Dänemark sein Leibarzt, Ratgeber und Minister.

Der in Halle geborene Dr. Struensee fiel einer Adelsintrige zum Opfer und starb am 28 April 1772 auf dem Schafott.

Ein Besuch in Fontainebleau (2006)

Das Schloss Fontainebleau ist ruhiger als Versailles, nicht so überlaufen und sein schöner Park lädt wirklich zum Entspannen ein. Das Schloss enthält als eines der wenigen in Frankreich noch originale Einrichtungsgegenstände aus dem 16. Jahrhundert und ist seit 1982 Weltkulturerbe der UNESCO. Verschiedene Ausstellungsräume und Gemälde erinnern an die glorreiche Vergangenheit des Schlosses: An François I, Henri IV, Louis XV.

Napoleon I, der sich hier von Papst Pius krönen ließ, ist eine ganze Ausstellung gewidmet, hier steht noch der Krönungsstuhl - und das Bett von Joséphine.

Und natürlich findet man, vor allem in der Galerie François I., Werke der Schule von Fontainebleau, die, unter François I. und Henri IV stark gefördert,  maßgeblichen Einfluss auf die europäische Malerei ausübte und gründlich mit der religiösen Malerei abschloss.

Zu den Ausstellungen und Öffnungszeiten informiert: www.musee-chateau-fontainebleau.fr
Der Artikel in Wikipedia (nur im französischsprachigen!) erzählt sehr detailreich alles zur Geschichte und zu den einzelnen Räumen des Schlosses.

Bildergalerie

schloss

Schloss

pavillon

Pavillon

park

Park 1

park

Park 2

park

Skulptur 1

statue

Skulptur 2

 

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Ferney

Ferney - Voltaire

Ferney, am Fuße des französischen Juragebirges, im Tal des Genfersee gelegen, kaum 30 Minuten von Genf entfernt, war Voltaires Alterssitz von 1759 bis 1778. Hier war er sicher vor den Nachstellungen der Genfer und auch nah genug an der Grenze Frankreichs, so dass ihm Fluchtmöglichkeiten jederzeit offen standen. Als Voltaire das Schloss kaufte, nahm er umfangreiche Renovierungs- und Umbauarbeiten vor und hob in den folgenden Jahrzehnten das Leben der ganzen Dorfgemeinde auf ein höheres wirtschaftliches und kulturelles Niveau. Nicht umsonst heißt Ferney seit 1793 offiziell Ferney-Voltaire. Aber selbst in Ferney, das ihm so viel zu verdanken hatte, war er vor der Infamen, der niederträchtigen Kirche, nie ganz sicher. So durfte es Voltaire nicht wagen, das kleine Kirchlein in seinem Park, das einer geplanten zentralen Zufahrtstasse im Wege stand, abreißen oder versetzen zu lassen. Voltaire renovierte die Kirche und widmete sie Gott selbst - die einzige Kirche in ganz Frankreich, die Gott - es muss nicht der christliche sein - direkt gewidmet wurde und nicht einem später ernannten menschlichen Stellvertreter. In Ferney entstanden die zentralen religionskritischen Arbeiten Voltaires. 

Die kleine Kirche im Park von Schloss Ferney, auf deren Portal geschrieben steht: "Deo erexit Voltaire".

 

Ferney, Grundbesitz und Kirchenkampf

1758 am 11. Dezember: Voltaire erwirbt das lebenslange Nutzungsrecht der Grafschaft Tournay von Charles de Brosses, Baron de Monfalcon und kurz danach, 1759, die an Tournay anschließende Grafschaft und Schloss Ferney.

1759 nimmt Voltaire im baufälligen, doch dem Genfer Zugriff entzogenen Schloss Tournay  mit Tancrède den Theaterbetrieb auf und lässt Schloss Ferney nach seinen Wünschen als Wohnsitz herrichten. 

1760 Voltaire zieht mit Mme Denis in Ferney ein. Kaum ist Voltaire Herr von Ferney, versucht die Infame, ihm das Leben schwer zu machen. Der Pfarrer des benachbarten Moen fordert jetzt den jahrelang nicht erhobenen Zehnten von der Bauernschaft Ferneys, wohlwissend, dass diese die Schuld niemals bezahlen können. Voltaire muss die Summe übernehmen, kann sich jedoch kurze Zeit später revanchieren. Der Pfarrer will sich die Gunst einer schönen Witwe mit Gewalt versichern und lässt einen seiner Nebenbuhler halb totschlagen. Voltaire erreicht seine Verurteilung und die Rückzahlung des eingetriebenen Zehnten.

Voltaire nimmt die verarmte Tochter eines Neffen des großen Klassikers der französischen Tragödie, Corneille, in sein Haus auf  und gibt ihr zur Hochzeit eine ansehnliche Mitgift in die Ehe.

1761 Voltaire erreicht die Rückgabe der Ländereien, die sich ein Jesuitenkloster unrechtmässig von einer verarmten Familie unter den Nagel gerissen hatte. Als die Jesuiten 1764 aus Frankreich vertrieben werden, fällt sogar deren Besitz an die betrogene Familie zurück.
Für die Bewohner von Gex kämpft Voltaire für die Möglichkeit, die hohe Steuerlast durch eine Einmalzahlung abzulösen, was erst 1776, nach langem Prozess, zum Erfolg führt. Voltaire schreibt:
“Es ist ein schönes Gefühl, mein kleines Vaterland von der Habgier jener achtundsiebzig Häscher (die Steuerpächter) befreit zu haben, die nichts anderes waren als achtundsiebzig Strassenräuber, die im Namen des Königs wüteten”

1762 9. März Der Hugenotte Jean Calas aus Toulouse wird gegen alle Indizien, nur um ihn als Hugenotten abzuurteilen, wegen angeblicher Ermordung seines Sohnes zum Tode verurteilt und gerädert. ...mehr. Voltaire lädt die Söhne von Jean Calas nach Ferney ein

1763 Voltaire schreibt, entsetzt über die Ermordung von Jean Calas, seine berühmte Schrift Traité sur la Tolerance

1764 Am 4. Juni 1764 wird das Todesurteil gegen Jean Calas nachträglich aufgehoben.
Am 29. März  werden Pierre Paul Sirven, Hugenotte aus Castres bei Toulouse und seine Frau nach einem klassischen Inquisitionsprozess trotz klaren Alibis zum Tode verurteilt , sie sollen ihre zum Religionswechsel bereite Tochter getötet haben. Die Sirvens fliehen zu Voltaire, der sie aufnimmt. Voltaire: “Man schämt sich, ein Mensch zu sein, wen man sieht, dass in demselben Land komische Opern aufgeführt werden, an einem anderen Ort der Fanatismus dem Henker das Schwert in die Hand drückt.” Er unterstützt die Familie finanziell während vieler Jahre. Erst 1771 kann ein völliger Freispruch für die Sirvens erreicht werden.

1765 Voltaire unterstützt die Aufständischen “Natifs”, das heisst die Zugewanderten Handwerker Genfs gegen die eingesessene Bürgerschaft und den Rat, verstärkt seine Uhrenfabrikation durch Ansiedlung der Genfer Uhrmacher. Die Fabrikation wird durch Voltaires gute Kontakte zu den herrschenden Kreisen seiner Zeit ein Erfolg Wichtiges Bindeglied sind dabei der Graf von Choiseul, damaliger französischer Premierminister und seine Frau, sowie Katharina II von Russland. Sie machen die Uhren aus Ferney zu einem Verkaufsschlager. Es stellt sich die Frage, warum Voltaire nicht nach Paris zurückkehren konnte wenn er doch so mächtige Freunde wie die Choiseuls hatte? Die Antwort ist einfach: er hatte die mächtige Kirche gegen sich, eine Organisation, in jedem Dorf  Frankreichs vertreten und in einer Zeit, wo die Masse des Volkes Analphabeten waren, jederzeit in der Lage, ihre Schäfchen gegen unliebsame Gruppierungen, seien es Adlige oder Bürger, unter Ausnutzung des  Hasses gegen die Unterdrücker, aufzuhetzen. Ihr kam eine Stellung zu, die den heutigen Massenmedien entspricht, denen ebenfalls, mangels Überprüfungsmöglichkeiten, dank Obrigkeitsglauben und grassierender Dummheit das Allermeiste geglaubt wird.

1766 28. Februar: In Abbéville Todesurteil gegen den Chevalier de la Barre und M. d'Etallonde, weil sie sich gegenüber dem katholischen Glauben respektlos gezeigt haben sollen. Die Zeugenaussagen waren erzwungen, gefälscht und gekauft. Am 1 Juli wird der Chevalier de la Barre hingerichtet. Voltaire schreibt die  Relation de la mort du Chevalier de la Barre . D'Etallonde flüchtet nach Preussen. Voltaire kommt selbst in Gefahr, weil man bei de la Barre sein philosophisches Wörterbuch gefunden hatte. Er flüchtet eine kurze Zeit in den Bäderort  Rolle im Vaud und spielt mit dem Gedanken, nach Deutschland auszuwandern und in Kleve eine Art Exil-Philosophenkolonie zu gründen. 

1768 Voltaire trennt sich am 3. März von seiner Nichte Mme Denis, die ihn bei seiner Auseinandersetzung mit dem Dichter La Harpe im Stich gelassen hatte. La Harpe, obwohl Gast Voltaires, hatte heimlich eine Abschrift des Spottgedichts Guerre de Genève verfasst und nach Paris geschickt. Um der katholischen Partei den Wind aus den Segeln zu nehmen, die jetzt durch den Beweis für Voltaires Autorenschaft an dem Gedicht in der Gestalt des Pariser Parlamentsrates Pasquiers vermehrt gegen ihn zu hetzen beginnt, besucht Voltaire aus taktischen Gründen die Ostermesse und nimmt am Abendmahl teil.
Voltaire plant mit der Neugründung von Versoix am Genfersee, der Stadt Genf eine französische Konkurrenzstadt entgegenzusetzen. Der Plan scheitert an mangelnder Unterstützung aus Paris.
Er veranlasst die Trockenlegung der Sümpfe um Ferney.

1770 Voltaire sitzt Modell für den Bildhauer Pigalle, der beauftragt ist, eine Voltairestatue herzustellen. Die Statue ist heute in der Académie Francaise zu sehen.
Unterdessen ernennt der Kapuzinergeneral in Rom Voltaire zum Père temporel, also zum lebenslangen Mitglied des Kapuzinerordens als Dank für Voltaires Unterstützung des Ordens in Gex.
Voltaire spricht sich in seiner Schrift Dieu gegen den Atheismus und Materialismus d'Holbachs und dessen Aufsehen erregende Schrift “Système de la Nature” aus.

Dass die französische Justiz nicht nur gegen Hugenotten wütet, sondern auch in anderen Fällen untaugliche und an Menschenleben komplett uninteressierte Richter Unrecht sprechen, zeigt sich 1770 im Prozess Montbailli. Am 19.November 1770 werden Montbailli und seine Frau des Mordes an der Mutter schuldig befunden, die jedoch, für jeden neutralen Beobachter offensichtlich, eines natürlichen Todes gestorben war. Das Urteil an Montbailli wird vollzogen,  seine schwangere Frau verdankt dem Engagement Voltaires (La Méprise d'Arras) ihr Leben: 1772 wird als richtig erkannt, dass die Mutter eines natürlichen Todes gestorben war.
Mit einem anderen Fall von weit größerer Dimension beginnt sich Voltaire in diesem Jahr zu beschäftigen, es ist der Fall der Hörigen von Saint-Claude. Saint-Claude im Jura, nahe bei Ferney gelegen, ächzte unter dem Joch des dort herrschenden Benediktinerordens, der sich durch gefälschte Urkunden das Recht der toten Hand und der Leibeigenschaft über die 12.000 Bewohner seiner umfangreichen Ländereien verschafft hatte. Das bedeutet, dass niemand ohne Bewilligung das Land verlassen darf, jeder 2-3 Tage pro Woche Frondienste abzuleisten hat. Beim Ableben eines Untertanen fällt dessen gesamtes Hab und Gut an die Mönche, wohnt ein Fremder länger als ein Jahr und einen Tag in dem Gebiet, wird er ein Höriger der Mönche. Eheschließungen bedürfen der Zustimmung der Mönche - kurz, die Leute werden wie Tiere gehalten. Voltaires Anstrengungen bleiben zwar ohne Erfolg, aber das Unrechtsgefühl der Bevölkerung wird kräftig gestärkt. Die Früchte ernten die Leute von Saint Claude. erst 1789, als die französische Revolution sie von ihren Unterdrückern befreit. Ob sich heute in Saint-Claude noch Manche der Unterstützung Voltaires erinnern?
Rückkehr von Madame Denis nach Ferney, Versöhnung mit Voltaire.

1771 Sirven (s. o. 1764) wird freigesprochen, Der berühmte Le Kain ist  in Ferney

1772 Le Kain spielt im Theater von Chatelaine, das Voltaire eigens für ihn, auf halbem Wege nach Genf, erbauen lassen hatte. Die Vorstellungen sind ein riesiger Erfolg, selbst Genfer Pastoren sitzen im Saal. Voltaire genießt den Triumph über die bigotten Genfer.

1773 Graf de Lally, Sohn des hingerichteten Generals Lally-Tollendal in Ferney. Der General sollte sich Verfehlungen bei der Verteidigung der Ostindischen Kolonie zuschulden kommen lassen haben, war aber Opfer eines Komplotts. Obwohl er angesichts fehlender finanzieller Unterstützung aus Paris sein ganzes Privatvermögen in die Verteidigung der französischen Besitzungen  gegen England investiert hatte, wird ihm der Verlust der Kolonie angelastet. Voltaire unterstützt den Versuch, de Lally zu rehabilitieren, mit seiner Schrift “Fragments sur l'Inde et sur le General Lally”  mit Erfolg: 1778, kurz vor Voltaires Tod, wird das Fehlurteil aufgehoben.

1774 Ludwig XVI. verfügt, kaum auf dem Thron, dass Voltaires Bibliothek sofort nach dessen Tod zu versiegeln sei. Die Bibliothek wird jedoch unmittelbar nach Voltaires Tod von Mme Denis an Katharina II von Russland gegen gutes Geld und Diamanten verkauft. Der ebenfalls stark interessierte Landgraf Friedrich II von Hessen-Kassel geht leer aus. Katharina lässt ein maßstabsgetreues Modell von Schloß Ferney erstellen, um es mitsamt der Bibliothek in St Petersburg wieder aufzubauen. Dieses Projekt wird zwar nicht realisiert, Voltaires Bibliothek ist jedoch wohlerhalten und kann in St. Petersburg besichtigt werden.

1775 D'Etallonde, der gemeinsam mit dem Chevalier de la Barre angeklagt und zum Tode verurteilt worden war, besucht Voltaire in Ferney. Mit der Schrift Cri du sang innocent (Schrei des unschuldigen Blutes) setzt sich Voltaire für die Wiederaufnahme des Prozesses ein, jedoch ohne Erfolg. Es findet sich kein Anwalt bereit, die Verteidigung zu übernehmen!
1776 Steuerablösung in Gex wird gewährt.

1778 Der Bildhauer Jean-Antoine Houdon ist in Ferney, um verschiedene Büsten Voltaires anzufertigen. (Eine davon kann man im Deutschen Historischen Museum , Berlin, besichtigen) 
Abreise nach Paris

Werke Voltaires - in Ferney entstanden

Die Romane und Erzählungen:

Candide où l'optimisme (Candide oder der Optimismus) 1759  “Optimismus, das ist der Wahn, der behauptet, alles sei gut, auch wenn es einem schlecht geht”
L'Ingenu (Das Naturkind) 1767
- Le Crocheteur borgne (Der einäugige Lastträger) 1774, geschrieben 1747
- Le taureau blanc (Der weiße Stier) 1774
- Histoire de Jennie ou l'athée et le sage (Jennis Geschichte oder der Atheist und der Weise) 1775 

Die Tragödien:

Tancrède (1759)
- L'Ecossaises (Die Schottin) (1760)
- Olympie 1764
- Triumphirat 1764
- Les lois de Minos 1772
- Irène 1777

Die Komödie:

Le Dépositaire (Der Treuhänder) 1767

Die Versdichtungen:

- La guerre civile de Genève (Der Bürgerkrieg von Genf) Genève 1768
- L'Anniversaire La Saint-Barthélemy (Ode zur 200. Wiederkehr der Bartholomäusnacht) 1772 

Die historischen Schriften:

Histoire de l'empire de Russie sous Pierre le Grand (Geschichte Russlands unter Peter dem Großen) 1759 (I) und 1763 (II)
Mémoires pour servir à la vie de M. de Voltaire (Memoiren über das Lebens des Herrn Voltaire) 1760
La philosophie de l'histoire (Philosophie der Geschichte)
- Précis du siècle de Louis XV 1768
- Histoire du parlament de Paris  1769
- Fragments historiques sur l'Inde  (Historisches Fragment über Indien) 1773

Die philosophischen Schriften:

Dictionnaire philosophique portatif (Phiosophisches Taschenwörterbuch) 1764
- Le sentiment des citoyens (gegen Rousseau) 1764
- La Raison par Alphabet (Die Vernunft nach dem Alphabet) 1768
- Questions sur L'Encyclopédie (Fragen über die Enzyklopädie) 1770
- Eloge historique de la raison (Lobrede auf die Vernunft) 1775

Die antiklerikalen und gesellschaftskritischen Schriften:

- Relation de la maladie ..du jésuite Berthier (1959)
Sermon du Rabbi Akkib (Predigt des Rabbi Akkib) 1761
Testament de L'Abbé Meslier 1762
Le sermon des cinquante (Predigt der Fünfzig) 1762 geschrieben 1749
Traité sur la tolérance à l'occasion de la mort de Jean Calas 1763
Relation de la mort du Chevalier de la Barre 1766
Kommentar zu Beccarias Buch der Vergehen und Strafen 1766
Le Philosophe Ignorant (Der unwissende Philosoph) 1766
Le Diner du compte de Boulainviller (Das Diner beim Grafen Boulainviller) 1767
L'Homme aux quarante ecus (Der Vierzigtalermann) 1768
La princesse de Babylone 1768
- Dieu et les hommes (Gott und die Menschen) 1768
- Le cri du sang innocent (Schrei des unschuldigen Blutes) 1775 Verteidigungsschrift für M. d'Etallonde
- La Bible enfin expliquée 1776
- Preis der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit 1777

Ferney und Voltaire heute

Keine andere Stadt ist Voltaire so verbunden wie Ferney-Voltaire. Im Zentrum der Stadt blickt der “Patriarch von Ferney” von seiner Statue gütig auf den Verkehr hinab, der ihn links und rechts, vorne und hinten umfließt und bietet auf seiner Insel Zuflucht für eilige Fußgänger. Die Inschrift auf dem Sockel erinnert an die Wohltaten, die Voltaire der Gemeinde zukommen ließ: “Er ließ mehr als 100 Häuser erbauen, er gab der Stadt eine Kirche, eine Schule, ein Krankenhaus und einen Brunnen. Er lieh den umliegenden Gemeinden Geld, ohne Zinsen zu nehmen, er ließ Sümpfe trocken legen, er gründete Messen und Märkte, er ernährte die Bürger während der Hungersnot von 1771”

Und doch: Das Schloß war bis 1998 in Privatbesitz, nur an den wenigen Samstagen im Sommer für Besucher geöffnet. Erst danach ist es unter staatlicher Verwaltung gekommen. Ein Voltaire Museum soll nun (2017) ganzjährig geöffnet sein. Sehenswert war die kleine Ausstellung schon früher. Liebevoll hatte man das Schlafzimmer Voltaires rekonstruiert und den Schulklassen, die man durchs Museum schleuste, wurde von seinem Kampf gegen die Kirche berichtet, während die Schülerinnen heimlich ihre Liebesbriefe studierten. Voltaire als Schulstoff? Offenbar - und nicht zum Schaden der Schüler.

Am Fuße des Schloßberges befindet sich eine besuchenswerte Buchhandlung und Druckerei, die Voltaire ganz besonders verpflichtet ist.  Man findet hier thematische Ausstellungen und Texte Voltaires, auf handgeschöpftem Büttenpapier gedruckt und - nicht zu vergessen - die Cahiers Voltaire, eine populärwissenschaftliche Zeitschrift in voltairscher Tradition. Die Buchhandlung ist gleichzeitig Sitz der “Societé Voltaire”  mit Andrew Brown an der Spitze, der sich als Voltairespezialist internationalen Ruf erworben hat. Er begann seine Laufbahn 1967 am Institut und Museum Voltaire in Genf unter Théodore Besterman und leitete 20 Jahre lang die Voltaire Foundation an der Universität Oxford. Ganz besonders beschäftigte er sich mit der wissenschaftlichen Erschließung der Voltaire-Bibliothek in Sankt-Petersburg.

Den Haag

Voltaire in Den Haag

Den Haag war im 18. Jahrhundert, was es noch in unserer Zeit ist: eine Verwaltungs- und Diplomatenstadt, ein Zentrum für Leute, die, wohlsituiert, Empfänge, Konzerte, Kunst und gutes, teures Essen lieben. Die Stadt ist seit 1648 Regierungssitz der Niederlande und aufgrund ihrer Lage direkt am Meer ein begehrter Wohnort, heute durch den Zuzug zahlreicher Immigranten mit 'Problemvierteln' behaftet. Als Besucher merkt man das daran, daß es in den populären Gegenden quirliger, bunter, lebendiger zugeht - mit Basaren und Märkten und Menschen aller Hautfarben.

Für Voltaire war 'La Haye', wie den Haag auf französisch heißt, die Stätte seiner ersten Liebe und die Stadt, in der seine erste Zusammenarbeit mit Friedrich II. scheiterte, für den er den Anti-Machiavell redigieren und herausgeben wollte, ein Werk, das Friedrich nach seiner Thronbesteigung am liebsten einstampfen lassen wollte.

Den Haag (La Haye) Voltaire als Diplomat

1713 

Voltaire kommt als Privatsekretär des französischen Botschafters nach Den Haag. Er verliebt sich in Olympe Dunoyer, genannt 'Pimpette', deren Mutter eine Zeitschrift 'La Quintessence' herausgibt, in der sie Ludwig XIV. wegen seiner repressiven Religionspolitik angreift. Die Zeitschrift wird in den Kreisen der hugenottischen Flüchtlinge gelesen. Voltaires Briefe an Pimpette werden später in dieser Zeitschrift ebenfalls veröffentlicht - jedenfalls unternimmt Madame Dunoyer im Jahr 1713 alles, um die Liaison ihrer Tochter mit einem dichtenden Jüngling ungewisser Zukunft zu unterbinden. Sie beschwert sich beim Botschafter über dessen 'Privatsekretär' und Voltaire wird am 18. Dezember nach Paris zurückgeschickt, wo er am 24. ankommt. 

Die französische Botschaft in Den Haag heute, nicht gerade ein Prachtstück

 

 

 

 

 
 
1722 

22 September(?) Ankunft aus Brüssel mit Madame de Rupelmonde, die beiden bleiben 3 Wochen in den Haag, mit kleinen Abstechern nach Amsterdam. Voltaire sucht einen Drucker für sein Epos 'die Henriade',  für die er in Frankreich keine Druckerlaubnis erhalten hat und auch nicht erhoffen darf. Man wirft ihm vor, er habe die Königin von England zu positiv dargestellt. Deshalb beauftragt Voltaire jetzt den holländischen Verleger Le Viers, das Buch in einer sehr aufwendigen, mit zahlreichen Kupferstichen versehenen Ausgabe zu drucken. Die Subskription schlägt jedoch fehl, das Projekt muss aufgegeben werden. Trotzdem gefällt es Voltaire in Holland sehr gut, er bezeichnet es - im Vergleich mit Frankreich, als 'Paradies auf Erden' und lobt vor allem die bürgerlichen Tugenden und die Religionsfreiheit des Landes ( Brief an Mme de Bernières), er ist rundum glücklich.
Erst Ende Oktober fährt er nach Paris zurück.

 
1740 

20. Juli Anreise aus Brüssel. Voltaire wohnt im Oude Hof Palais, damals preußischer Besitz, heute Sitz des niederländischen Königshauses. Er hat von Friedrich II den Auftrag, die Auslieferung des 'Anti-Machiavell' zu verhindern. 
Friedrich steht nicht mehr zu seinen im Anti-Machivell geäußerten Ansichten - nachdem er am 6. Juni König von Preußen geworden ist. Voltaire versucht die Auslieferung durch umfangreiche Korrekturen zu verzögern. doch der Verleger van Düren besteht auf seinem Vertrag und der 'Anti Macchiavell', von Voltaire verbessert (was Friedrich allerdings gar nicht findet), wird .gedruckt und ausgeliefert. 3. August reist Voltaire wieder nach Brüssel, um dort Friedrich zu treffen.

 
Der 'Alte Hof', ein Königspalast, repräsentativ, wie er sein soll! So beschreibt ihn Voltaire: 

"Die Fassade des Gebäudes liegt im Hintergrund eines ungefähr quadratischen Hofes dessen beiden Längsseiten rechts und links von zwei Galerien begrenzt sind, die auf hohen Arkadengängen, die ungefähr das Niveau der umliegenden Häuser erreichen, liegen. Von einer Galerie zur anderen führt eine Eisenballustrade die den Passanten volle Sicht auf dieses schöne Anwesen gewährt. Hinter dem Gebäude befinden sich weite Gärten, die noch nicht all zu lange der Öffentlichkeit zugänglich sind. Heute dient dieses große Anwesen das so oft schon gekrönte Häupter beherbergt hat, den Ministern seiner preussischen Majestät, dem es jetzt gehört, zur Unterkunft."

 
 
16. September Voltaire arbeitet nach dem Kurzbesuch in Moyland an einer zweiten, verbesserten Ausgabe des 'Anti-Machiavell', er bezieht wieder sein Appartement im Alten Palais beim preussischen Botschafter von Raesfeld. Er schreibt über sein Domizil, den offenbar vernachlässigten Alten Hof in gereimten Versen (Brief an Friedrich vom 7.10.1740):

Ihr Palais in den Haag ist ein Sinnbild menschlicher Größe: Auf morschen Böden unter zerfallenden Dächern liegen Appartments, die unseres Herren würdig sind...hier gibt es Bücher, die seit fünfzig Jahren einzig von Ratten gelesen wurden und unter den größten Spinnweben Europas verdeckt sind, aus Furcht, daß sich Normalsterbliche ihnen nähern könnten. Wenn die Hausgeister dieses Palais sprechen könnten, so würden sie ohne Zweifel sagen: Kann es ein, daß dieser König, den ale Welt bewundert,uns für ewig aufgibt und er sein Palais so sehr vernachlässigt, während er sein Reich wieder aufbaut? "

Friedrich nutzt die Gelegenheit, um Voltaire zu einer Reise nach Preußen zu bewegen. Voltaire willigt schließlich ein und verlässt Den Haag am 6. November, um Friedrich in Berlin zutreffen. 

 
1743 

20. Juni Anreise aus Brüssel. Voltaire wohnt erneut im Oude Hof, wo jetzt der preußische Botschafter Podewils residiert. Am 22. August verlässt er Den Haag in Richtung Berlin

 22. Oktober Anreise aus Bückeburg. Voltaire hält sich mehrere Tage in Den Haag auf und reist erst Anfang November nach Brüssel weiter.

Werke - in Den Haag entstanden

- L'Antimachiavel ou Essai de critique sur le Prince de Machiavel, publié par M. de Voltaire, den Haag:Paupie 1740, XIV, 191 p.
von Friedrich vor seiner Thronbesteigung als eine Art Bekenntnis zur Staatsführung imSinne der Aufklärung verfasst, war ihm nach dem 31. Juni 1740 nicht mehr opportun. Voltaire hat sich sehr viel von dem Werk versprochen, soll dann aber im Auftrag Friedrichs den Verleger van Düren in Den Haag überzeugen, von einer Veröffentlichung abzusehen. Es kam anders: erstens wollte van Düren das Buch veröffentlichen und zweitens veränderte Voltaire den Text so stark, daß man das dann 1743 herausgegeben Buch eher als einen Text Voltaires und nicht Friedrichs ansehen darf - eine Position, der Friedrich nicht widersprechen würde - ...mehr zur turbulenten Editionsgeschichte.

- Le Fanatisme ou Mahomet le prophète, Tragédie en cinq actes , 1739 konzipiert, aber 1740, zum großen Teil während des Aufenthalts in den Haag, geschrieben. Erstaufführung 1741 in Lille, veröffentlicht 1742. ...mehr zu Mahomet