Voltaire: Vom ewigen Frieden (De la Paix perpétuelle, par le docteur Goodheart, traduction de M. Chambon, 1769),
übersetzt und kommentiert von Rainer Neuhaus

auf der Basis der deutschen Erstübersetzung von W.Ch.S. Mylius. [1]

I. Frieden durch übernationale Institutionen ist eine Illusion

Der einzige ewige Frieden, der unter den Menschen geschaffen werden kann, ist der der Toleranz: Der Frieden, den sich ein Franzose namens Abbé de Saint-Pierre ausgedacht hat, ist ein Hirngespinst, das zwischen Fürsten ebenso wenig Bestand haben wird wie zwischen Elefanten und Nashörnern, zwischen Wölfen und Hunden. Die fleischfressenden Tiere werden sich immer bei der ersten Gelegenheit zerfleischen [2].

II. Die Wissenschaften haben die Sitten gemildert

Wenn es schon nicht gelungen ist, das Ungeheuer des Krieges aus der Welt zu verbannen, so ist es doch gelungen, es weniger barbarisch zu machen: Wir sehen heute nicht mehr, dass die Türken einem Bragadini [3], dem Gouverneur von Famagusta, die Kehle durchschneiden lassen, weil er seine Festung tapfer gegen sie verteidigt hat. Wenn man einen Fürsten gefangen nimmt, wird er nicht in Ketten gelegt oder in den Kerker geworfen, wie es Philipp, genannt Augustus, mit Ferrand, dem Grafen von Flandern, tat [4] und wie Leopold von Österreich noch nichtswürdiger mit unserem Richard Löwenherz verfuhr [5].

Die Folterungen Konradins, des rechtmäßigen Königs von Neapel, und seines Vetters, die von einem tyrannischen Vasallen angeordnet und von einem souveränen Priester genehmigt wurden [6], wiederholen sich nicht mehr: Es gibt keinen Ludwig XI. mehr, genannt der Allerchristlichste oder Phalaris, der Verliese bauen lässt, ein Taurobolus in den Markthallen aufstellt und junge souveräne Prinzen [7] mit dem Blut ihrer Väter übergießt: Wir sehen nicht mehr die Schrecken der roten und der weißen Rose [8], noch fallen auf unserer Insel gekrönte Häupter unter dem Beil der Henker; die Humanität scheint endlich der Grausamkeit der christlichen Fürsten zu folgen; sie haben nicht mehr die Gewohnheit, Botschafter zu ermorden, wenn sie vermuten, dass diese gegen ihre Interessen intrigieren, so wie Karl V. die beiden Gesandten von Franz I., Rincon und Frégose, töten ließ [9]; niemand führt mehr so Krieg wie der berühmte Bastard von Papst Alexander VI, der Gift, Stilett und die Hand der Henker mehr als sein Schwert benutzte [10]: Die Wissenschaften haben haben endlich die Sitten gemildert.

Es gibt viel weniger Kannibalen in der Christenheit als früher; das ist immerhin ein Trost bei der schrecklichen Geißel des Krieges, die Europa niemals zwanzig Jahre lang in Ruhe atmen lässt [11].

III. Die Scheiterhaufen brennen seltener

Wenn der Krieg selbst weniger barbarisch geworden ist, scheinen auch die Regierungen der einzelnen Staaten weniger unmenschlich und weiser zu werden. Die guten Werke, die seit einigen Jahren geschrieben wurden, sind in ganz Europa vorgedrungen, ungeachtet der Trabanten des Fanatismus, die an allen Wegen Wache hielten. Die Vernunft und das Mitleid sind bis zu den Pforten der Inquisition vorgedrungen. Die Taten der Menschenfresser, die man Glaubenshandlungen nannte, preisen den Gott der Barmherzigkeit nicht mehr so oft im Licht der Scheiterhaufen und inmitten der Ströme von Blut, die von den Henkern vergossen werden. In Spanien beginnt man zu bereuen, dass man die Mauren, die das Land bebauten, vertrieben hat; und wenn es heute zur Debatte stünde, das Edikt von Nantes zu widerrufen, würde es niemand wagen, eine so verhängnisvolle Ungerechtigkeit vorzuschlagen [12].

IV. Die christliche Intoleranz als Ursache von Krieg

Wenn die Welt nur aus einer wilden Horde bestünde, die von Raubzügen lebt, so wäre ein ehrgeiziger Schlaukopf vielleicht zu entschuldigen, wenn er diese Horde betrügt, um sie zu zivilisieren, und sich dazu des Beistands der Priester bediente. Aber was würde dann geschehen? Bald würden die Priester den Ehrgeizigen selbst unterwerfen, und zwischen seinen Nachkommen und ihnen würde ein ewiger, teils versteckter, teils offener Hass entstehen: Diese Art, eine Nation zu zivilisieren, würde in kurzer Zeit schlimmer sein als das Leben in der Wildnis. Denn welcher Mensch würde nicht lieber mit den Hottentotten und Kaffern auf die Jagd gehen, als unter Päpsten wie Sergius III, Johannes X, Johannes XI, Johannes XII, Sixtus IV, Alexander VI. und vielen anderen Ungeheuern dieser Art zu leben? Welche wilde Nation hat sich jemals mit dem Blut von hunderttausend Manichäern befleckt, wie die Kaiserin Theodora [13]? Welche Irokesen oder Algonkin haben religiöse Massaker wie die Bartholomäusnacht [14], den heiligen Krieg in Irland [15], die heiligen Morde des Kreuzzugs von Montfort [16] und hundert ähnliche Gräuel zu verantworten, die das christliche Europa in ein großes, mit Priestern, Henkern und Geplagten bedecktes Schafott verwandelt haben? Die christliche Intoleranz allein hat diese schrecklichen Katastrophen verursacht; nun muss die Toleranz sie beseitigen.

V. Ohne das intolerante Christentum keine Religionskriege

Warum hauste das Monster der Intoleranz im Schlamm der Höhlen, die die ersten Christen bewohnten? Wie kommt es, dass es aus diesen Kloaken, in denen es sich ernährte, in die Schulen von Alexandria gelangte, wo jene Halbchristen und Halbjuden lehrten? Wie kommt es, dass es sich bald auf den Bischofsstühlen niederließ und schließlich auf dem Thron neben den Königen saß, die gezwungen waren, ihm Platz zu machen, und die oft von ihm von ihrem Thron gestürzt wurden? Bevor dieses Monster geboren wurde, gab es auf der Erde nie Religionskriege und nie einen Streit über den Gottesdienst. Nichts ist wahrer; und die entschlossensten Betrüger, die heute noch gegen die Toleranz schreiben, würden es nicht wagen, dieser Wahrheit zu widersprechen.

VI. Ägypten als Quelle der Intoleranz

Die Ägypter scheinen die ersten gewesen zu sein, die die Idee der Intoleranz hervorgebracht haben; jeder Fremde war bei ihnen unrein, es sei denn, er ließ sich in ihre Mysterien einbinden: Man war unrein, wenn man von einem Gericht aß, das er benutzt hatte, unrein, wenn man ihn berührte, und manchmal sogar unrein, wenn man mit ihm sprach. Dieses elende Volk, welches nur dafür berühmt war, dass es seine Armen dazu benutzte, die Pyramiden, Paläste und Tempel seiner Tyrannen zu bauen, und das von allen, die es angriffen, immer unterworfen wurde, zahlte einen hohen Preis für seine Intoleranz [17] und wurde nach den Juden das am meisten verachtete Volk aller Völker.

VII. Juden führten keine Kriege aus religiösen Gründen

Die Hebräer, die den Ägyptern benachbart waren und einen Großteil ihrer Riten übernahmen, ahmten auch deren Intoleranz nach und übertrafen sie sogar noch; in ihren Geschichtsbüchern wird jedoch nicht erzählt, dass das Ländchen Samaria jemals gegen das Ländchen Juda nur aus religiösen Gründen Krieg geführt hätte. Die judäischen Hebräer sagten zu den Samaritischen nicht: „Kommt und opfert auf dem Berg Moriah [18], oder ich werde euch töten“, und ebenso wenig die samaritanischen nicht zu jenen: „Kommt und opfert in Garizim [19], oder wir werden euch umbringen“. Die beiden Völker verabscheuten sich als Nachbarn, als Ketzer, als von Minikönigen mit gegensätzlichen Interessen regiert; aber trotz dieses grausamen Hasses ist nicht zu erkennen, dass jemals ein Einwohner Jerusalems einen Bürger Samarias zum Wechsel der Glaubensrichtung zwingen wollte: Ich bin damit einverstanden, dass mich ein Dummkopf hasst, aber ich will nicht, dass er mich unterwirft und tötet. Minister Louvois sagte zu den gelehrtesten Männern, die es in Frankreich gab: „Glaubt an die Transsubstantiation, über die ich mich selber in den Armen von Frau Du Fresnoy lustig mache, oder ich lasse euch rädern.“ [20] Bis zu diesem abscheulichen Despotismus haben es die Juden, so barbarisch sie auch waren, es doch niemals getrieben.

VIII. Das handeltreibende Holland und sein Sündenfall

Die Tyrer [21] gaben den Juden ein großes Beispiel, von dem diese Horde, die sich neu bei ihnen niedergelassen hatte, jedoch keinen Gewinn zog; sie brachten die Toleranz zusammen mit dem Handel und den Künsten unter alle Nationen. Die heutigen Holländer könnten mit ihnen verglichen werden, wenn sie sich nicht ihr Konzil von Dordrecht gegen die guten Werke und das Blut des ehrwürdigen Barneveldt, der im Alter von einundsiebzig Jahren verurteilt wurde, weil er die Kirche Gottes so sehr wie möglich verärgert hatte, vorwerfen lassen müssten [22]. O Menschen! O Ungeheuer! Calvinistische Kaufleute, die sich in Sümpfen niedergelassen haben, beleidigen den übrigen Teil des Universums! Es ist wahr, dass sie für dieses Verbrechen gesühnt haben, indem sie die christliche Religion in Japan verleugneten [23].

IX. Von der Toleranz in der Antike

Die alten Römer und Griechen, die so hoch über die anderen Menschen erhaben waren, wie ihre Nachfolger unter sie herabgesunken sind, zeichneten sich nicht nur durch ihre Kriegskunst, sondern ebenso durch Toleranz, durch die schönen Künste und durch die Rechtsprechung aus.

Die Athener errichteten Sokrates einen Tempel und verurteilten die ungerechten Richter, die diesen ehrwürdigen alten Mann, diesen Barneveldt von Athen, vergiftet hatten, zum Tode [24]. Es gibt kein einziges Beispiel für einen Römer, der wegen seiner Ansichten verfolgt wurde, bis zu der Zeit, als das Christentum kam, um die Götter des Reiches zu bekämpfen. Die Stoiker und die Epikureer lebten friedlich miteinander. Wiegt diese große Wahrheit ab, ihr armseligen Magistrate unserer barbarischen Länder, deren Eroberer und Gesetzgeber die Römer waren; errötet, ihr Sequaner, Septimaner, Kantabrer und Allobroger [25].

X. Rom verfolgte Christen als Aufrührer

Es steht fest, dass die Römer den schändlichen Aberglauben der Ägypter und Juden tolerierten; und zur selben Zeit, als Titus Jerusalem einnahm und Hadrian es zerstörte, hatten die Juden in Rom eine Synagoge, durften Lumpen verkaufen und ihr Passahfest, ihre Pfingsten und ihr Laubhüttenfest feiern: Man verachtete sie, aber man ertrug sie [26]. Warum vergaßen die Römer ihre übliche Nachsicht so weit, dass sie manchmal Christen, für die sie genauso viel Verachtung empfanden wie für die Juden, mit dem Tode bestraften? Es stimmt, dass nur sehr wenige von ihnen hingerichtet wurden. Origenes selbst gibt dies in seinem dritten Buch Gegen Celsus mit folgenden Worten zu: „Es gab nur sehr wenige Märtyrer, und auch das nur in großem zeitlichen Abständen; dennoch“, sagt er, „lassen die Christen nichts unversucht, um alle Menschen dazu zu bringen, ihre Religion anzunehmen; sie ziehen in die Städte, in die Dörfer und in die Dörfer.“ [27] Aber bei alldem ist es doch wahr, dass einige Christen mit dem Tod bestraft wurden; wir wollen also sehen, ob sie als Christen oder als Aufrührer bestraft wurden.

Einen Menschen unter Folter umzubringen, nur weil er nicht so denkt wie wir, ist eine Abscheulichkeit, zu der selbst Kannibalen nicht fähig sind. Wie hätten also die Römer, diese großen Gesetzgeber, ein solches Verbrechen zum Gesetz erheben können? Man könnte antworten, dass die Christen diesen Schrecken so oft begangen haben, dass auch die alten Römer sich damit befleckt haben könnten. Aber der Unterschied ist bemerkenswert. Die Christen, die eine unzählige Menge ihrer Brüder abgeschlachtet haben, waren von einem heftigen Glaubenswahn besessen; sie sagten: „Gott ist für uns gestorben, und die Ungläubigen kreuzigen ihn zum zweiten Mal; lasst uns mit ihrem Blut das Blut Jesu Christi rächen.“ Die Römer haben niemals eine solche Überheblichkeit an den Tag gelegt. Wenn es Verfolgungen gab, dann geschah dies offensichtlich, um eine Partei zu unterdrücken, und nicht, um eine Religion abzuschaffen.

XI. Kirchenväter als Hetzer und Fanatiker

Beziehen wir uns auf Tertullian selbst. Niemals hat ein Mensch mit mehr Heftigkeit geschrieben; Ciceros Philippika gegen Antonius sind Komplimente im Vergleich zu den Beleidigungen, die dieser Afrikaner gegen die Religion des Reiches ausstößt, und den Vorwürfen, die er gegen die Sitten seiner Herren erhebt. Man beschuldigte die Christen, sie tränken Blut, und in der Tat stellt der Wein, den sie beim Abendmahl trinken, das Blut Jesu Christi dar. Dies kontert er mit der Beschuldigung, die römischen Damen würden ein Likörchen trinken, das noch kostbarer ist als das Blut ihrer Liebhaber, ein Etwas, das ich nicht nennen kann und woraus dereinst Menschen hätten werden sollen: Quia futurum sanguinem lambunt.(Kap.IX). [28]

Tertullian beschränkt sich in seiner Apologetik nicht darauf, zu sagen, dass man die christliche Religion tolerieren soll, sondern er gibt an hundert Stellen zu verstehen, sie müsse allein herrschen, sie vertrage sich schlechterdings nicht mit den anderen.

Wer in mein Haus aufgenommen werden will, wird aufgenommen, wenn er klug und nützlich ist; wer es aber nur betritt, um mich zu vertreiben, ist ein Feind, den ich loswerden muss. Offensichtlich wollten die Christen die Kinder aus dem Haus vertreiben, daher war es nur recht und billig, sie zu unterdrücken: Man bestrafte nicht das Christentum, sondern deren intoleranten Teil von Unruhesiftern; und auch dies geschah so selten, dass Origenes und Tertullian, die beiden heftigsten Deklamatoren, in ihren Betten gestorben sind. Unter den ersten Cäsaren wurde keiner der sogenannten Päpste von Rom gefoltert. Sie waren in der Hauptstadt der Welt intolerant und wurden doch darin toleriert. Die armselige Zweideutigkeit des Wortes Märtyrer darf nicht zu der Annahme verleiten, der Papst Telesphorus sei wirklich hingerichtet worden [29]. Märtyrer bedeutete Zeuge, Bekenner.

XII. Der Geisterglaube der Kirchenväter

Um die Intoleranz der ersten Christen kennenzulernen, brauchen wir uns nur auf sie selbst zu beziehen. Wenn wir Tertullians berühmtes Apologetikum aufschlagen, sehen wir dort die Quelle des Hasses zwischen den beiden Parteien [30]. Beide glaubten fest an Zauberei; vom Euphrat und vom Nil bis zum Tiber war dies ein allgemeiner Irrtum des Altertums. Für die unbekannten Krankheiten, die die Menschen plagten, wurden unbekannte Wesen verantwortlich gemacht: Je mehr die Natur ignoriert wurde, desto mehr war das Übernatürliche in Mode. Jedes Volk glaubte an Dämonen und bösartige Geister; und überall gab es Scharlatane, die sich damit brüsteten, die Dämonen mit Worten austreiben zu können.  Ägypter, Chaldäer, Syrer, Juden, griechische und römische Priester – sie alle hatten ihre eigene Zauberformel. In Ägypten und Phönizien wurden Wunder bewirkt, indem man das Wort Jaha, Jehova, auf die gleiche Weise aussprach, wie es im Himmel ausgesprochen wird. Mit dem Wort Abraxas wurden verschiedene Beschwörungen vorgenommen. Durch dieses Wort wurden alle bösen Dämonen, die die Menschen quälten, vertrieben. Tertullian bestreitet die Macht der Dämonen nicht. In Kapitel xxii sagt er: „Apollon erriet, dass Krösus in seinem Palast in Lydien eine Schildkröte mit einem Lamm in einem ehernen Topf kochte. Warum war er so gut informiert? Weil er im Handumdrehen nach Lydien gereist und genauso schnell wieder zurückgekehrt war.“

Tertullian wusste nicht genug, um dieses lächerliche Orakel zu widerlegen; er war so unwissend, dass er es begründete und erklärte. Er fährt fort: „Die Dämonen halten sich in der Luft zwischen den Wolken und den Gestirnen auf. Sie kündigen den Regen an, wenn sie sehen, dass er bereit ist zu fallen, und sie verordnen Heilmittel für Krankheiten, die sie selbst den Menschen gesandt haben.“

Weder er noch ein anderer Kirchenvater bestreitet die Macht der Zauberei, aber alle behaupten, sie könnten durch eine höhere Macht die Dämonen austreiben. Tertullian drückt sich folgendermaßen aus: „Man führe einen vom Teufel Besessenen vor euer Gericht; wenn ein Christ dem Dämon befiehlt zu sprechen, wird er gestehen, dass er nur ein Teufel ist, obwohl er sonst ein Gott ist. Lasst eure himmlische Jungfrau, die den Regen verspricht, und Äskulap, der die Menschen heilt, vor einem Christen erscheinen; wenn er sie nicht im selben Augenblick zwingt zu gestehen, dass sie Teufel sind, dann vergießt das Blut dieses verwegenen Christen.“

Welcher vernünftige Mensch wird beim Lesen dieser Worte nicht davon überzeugt sein, dass Tertullian ein Narr war, der andere Narren übertrumpfen wollte und das Privileg des Fanatismus für sich alleine beanspruchte?

XIII. Der christliche Kampf gegen Rom

Die römischen Magistrate waren in den Augen der Menschen zweifellos entschuldbar, wenn sie das Christentum als für das Reich gefährliche Unruhestifter betrachteten. Sie sahen, wie sich undurchsichtige Leute heimlich versammelten, und dann hörte man, wie sie lautstark gegen alle in Rom üblichen Bräuche deklamierten. Sie hatten eine unglaubliche Menge an falschen Legenden erfunden. Was sollte ein Magistrat denken, wenn er so viele fingierte Schriften sah, so viele Betrügereien, welche die Christen selbst als Betrügereien bezeichneten und mit frommen, betrügerischen Titeln schmückten? Da gab es Briefe von Pilatus an Tiberius über die Person Jesu; Pilatus Lebensgeschichte; Briefe von Tiberius an den Senat und vom Senat an Tiberius über Jesus; Briefe von Paulus an Seneca und von Seneca an Paulus; Kampf des Petrus und des Simon vor Nero; angebliche Sibyllinische Verse; mehr als fünfzig Evangelien, die sich alle voneinander unterscheiden und von denen jedes für den Bezirk, in dem es verbreitet wurde, fabriziert wurde; ein halbes Dutzend Apokalypsen, die nur Vorhersagen gegen Rom enthielten, etc, etc. [31]

Welcher Senator, welcher Rechtsgelehrte hätte an diesen Merkmalen nicht eine Gruppe verderbliche  Unruhestifter erkannt? Die christliche Religion ist ohne Zweifel himmlisch, aber kein römischer Senator hätte das erraten können.

XIV. Beispiele christlicher Fanatiker

Ein gewisser Marcellus (der Soldat) in Afrika wirft seinen Waffengürtel auf den Boden, zerbricht an der Spitze seiner Truppe seinen Kommandostab und erklärt, dass er nur noch dem Gott der Christen dienen will; dieser Aufrührer wird zum Heiligen gemacht.

Ein Diakon namens Laurentius (von Rom), anstatt wie ein normaler Bürger zu den Bedürfnissen des Reiches beizutragen, übergibt er die dem Präfekten versprochenen Geldzahlungen an Einäugige und Lahme. Dieser Aufsässige wird zum Heiligen erklärt.

Polyeuktos, von einem höchst strafbaren Fanatismus mitgerissen, zerschlägt die heiligen Gefäße und Statuen eines Tempels, in dem man dem Himmel für den Sieg des Kaisers dankte; und man macht diesen Störenfried der öffentlichen Ruhe, der das Verbrechen der Majestätsbeleidigung verübte, zu einem Heiligen.

Ein Theodor (Tiro), ein Nachahmer des Herostratus, brennt im Jahr 305 den Tempel der Kybele in Amasia (Amasya) nieder; und dieser Brandstifter wird zum Heiligen erklärt! Die Kaiser und der Senat, die nicht vom Glauben erleuchtet waren, konnten also nicht anders, als das Christentum als eine intolerante Sekte und eine Gruppe verwegener Unruhestifter zu betrachten, die früher oder später für die Menschheit schlimme Folgen haben würde. [32]


XV. Ein römischer Senator befragt einen Christen

Eines Tages erschienen ein Jude mit gesundem Menschenverstand und ein Christ vor einem aufgeklärten Senator, in Gegenwart des weisen Mark Aurel, der sich über ihre Dogmen informieren wollte. Der Senator befragte sie einen nach dem anderen.

Der Senator an den Christen: Warum stört ihr den Frieden des Reiches? Warum begnügt ihr euch nicht wie die Syrer, Ägypter und Juden damit, eure Riten ruhig zu praktizieren? Warum wollt ihr, dass eure Sekte alle anderen auslöscht?

Der Christ: Weil sie die einzig wahre ist. Wir beten einen Juden als Gott an, der in einem Dorf in Judäa unter Kaiser Augustus im Jahr 752 oder 756 des römischen Reiches geboren wurde. Sein Vater und seine Mutter wurden dem heiligen Lukas zufolge in diesem Dorf registriert, als der Kaiser das ganze Universum zählen ließ und Cyrenius zu dieser Zeit Statthalter von Syrien war.

Der Senator: Ihr Lukas hat Sie getäuscht. Cyrenius war erst zehn Jahre nach der Zeit, von der Sie sprechen, Statthalter von Syrien: Damals war Quintilius Varus; das geht aus unseren Annalen hervor, Prokonsul von Syrien. Augustus hatte nie die unsinnige Absicht, die ganze Welt zählen zu lassen, und es gab unter seiner Herrschaft nicht einmal eine vollständige Zählung der römischen Bürger. Selbst wenn eine solche durchgeführt worden wäre, so hätte sie sich nicht auf Judäa erstreckt, das von Herodes regiert wurde, der dem Reich tributpflichtig war, und nicht von Beamten des Kaisers. Der Vater und die Mutter eures Gottes [33] waren, wie ihr sagt, Bewohner eines jüdischen Dorfes; sie waren also keine römischen Bürger und konnten nicht in den Zensus einbezogen werden.

Der Christ: Unser Gott hatte keinen jüdischen Vater. Seine Mutter war eine Jungfrau. Es war Gott selbst, der sie durch die Wirkung eines Geistes, der auch Gott war, schwängerte, ohne dass die Mutter aufhörte, eine Jungfrau zu sein. Und das ist so wahr, dass drei Könige oder drei Philosophen aus dem Osten kamen, um ihn in dem Stall, in dem er geboren wurde, anzubeten, geleitet von einem neuen Stern, der mit ihnen reiste.

Der Senator: Ihr seht es wohl, mein armer Mann, dass man sich über euch lustig gemacht hat. Wenn damals ein neuer Stern erschienen wäre, hätten wir ihn gesehen; die ganze Erde hätte davon gesprochen; alle Astronomen hätten das Phänomen berechnet [34].

Der Christ: Aber doch steht das in unseren heiligen Büchern.

Der Senator: Zeigen Sie mir Ihre Bücher.

Der Christ: Wir zeigen sie keinem Profanen, keinem Gottlosen; Sie sind ein Profaner und ein Gottloser, weil Sie nicht zu unserer Sekte gehören. Wir haben nur sehr wenige Bücher. Sie bleiben in den Händen unserer Meister. Man muss eingeweiht sein, um sie zu lesen. Ich habe sie gelesen, und wenn Ihre Kaiserliche Majestät es gestattet, werde ich Ihnen in ihrer Gegenwart darüber berichten, und sie wird sehen, dass unsere Sekte die Vernunft selbst ist.

Der Senator: Sprechen Sie, der Kaiser befiehlt es Ihnen, und ich möchte gerne vergessen, dass Sie als Christ, der Sie würdiger Weise sind, mich als Gottlosen bezeichnet haben.

Der Christ: Oh, Herr, gottlos ist keine Beleidigung; es kann einen rechtschaffenen Mann bedeuten, der das Pech hat, nicht unserer Meinung zu sein. Aber um dem Kaiser zu gehorchen, werde ich alles sagen, was ich weiß.

Erstens: Unser Gott wurde von einer Jungfrau geboren, die von vier Prostituierten abstammte: Bathseba, die mit David hurt; Thamar, die mit Juda, dem Patriarchen, hurt; Ruth, die mit dem alten Boas hurt; und die Freudentochter Rahab, die mit jederman hurt. Das alles, um zu zeigen, dass die Wege Gottes nicht die Wege der Menschen sind [35].

Zweitens solltet ihr wissen, dass unser Gott durch die Todesstrafe starb, denn ihr habt ihn wie einen Sklaven und einen Dieb ans Kreuz schlagen lassen; denn die Juden hatten damals nicht das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden. Es war Pontius Pilatus, der Jerusalem im Namen des Kaisers Tiberius regierte: Sie werden nicht leugnen, dass dieser Gott, nachdem er öffentlich gehängt worden war, insgeheim wieder auferstand. Aber was Sie vielleicht nicht wissen, ist, dass seine Geburt, sein Leben und sein Tod von allen jüdischen Propheten vorhergesagt worden sind. So hell wie der Tag leuchtet es ein, dass, wenn Jesaja sieben [36] oder vierzehnhundert Jahre vor der Geburt unseres Gottes verkündet: „Ein Mädchen oder eine Frau wird ein Kind gebären, das Butter und Honig essen wird, und es wird Immanuel heißen“ [37], dies bedeutet, dass Jesus Gott sein wird.

In einer unserer Überlieferungen [38] heißt es, dass Juda wie ein junger Löwe sein würde, der sich auf seine Beute stürzt, und dass die Jungfrau nicht aus Judas Schenkeln hervorkommen würde, bis dass der Held (Schilo) komme. Die ganze Welt wird zugeben, dass jedes dieser Worte beweist, dass Jesus Gott ist. Jene anderen bemerkenswerten Worte: Er bindet sein Eselchen an den Weinstock, beweisen geradewegs und vollends, dass Jesus Gott ist.

Es ist wahr, dass er nicht plötzlich Gott war, sondern nur Sohn Gottes. Aber er wurde bald erhöht, als wir in Alexandria mit einigen Platonikern Bekanntschaft machten. Sie lehrten uns, was das Wort wäre, von dem wir noch nie etwas gehört hatten, und dass Gott alles durch sein Wort, durch seinen Logos, tue. So wurde Jesus zum Logos Gottes, und da der Mensch und das Wort ein und dasselbe sind, ist es klar, dass Jesus, der das Wort ist, offenkundig auch Gott ist.

Wenn Sie uns fragen, warum Gott nach Judäa gekommen ist, um sich dort hinrichten zu lassen, so steht fest, dass er gekommen ist, um die Sünde von der Erde tilgen; denn seit seiner Hinrichtung hat niemand unter seinen Auserwählten auch nur den geringsten Fehler begangen. Und seine Auserwählten, zu denen ich gehöre, machen die ganze Welt aus; der Rest ist ein Haufen von Verworfenen, der als Nichts gelten muss. Die Welt ist nur für die Auserwählten geschaffen. Unsere Religion geht auf den Ursprung der Welt zurück, denn sie beruht auf der jüdischen, die sie zerstört, und diese jüdische beruht auf der Religion eines Chaldäers namens Abraham; die Religion Abrahams hat die Religion Noahs, die ihr nicht kennt, weiterentwickelt, und die Religion Noahs ist eine Reform der Religion Adams und Evas, die die Römer noch weniger kennen. So hat Gott seine universelle Religion fünfmal verändert, ohne dass jemand davon wusste, außer den Juden damals und außer uns heute, die wir an die Stelle der Juden getreten sind. Diese Abstammung, die so alt ist wie die Erde, die Sünde des ersten Menschen, die durch das Blut des hebräischen Gottes erlöst wurde, die von allen Propheten vorhergesagte Menschwerdung dieses Gottes, sein Tod, der in allen Ereignissen der jüdischen Geschichte dargestellt wird, seine Wunder, die vor den Augen der ganzen Welt in einem Winkel Galiläas geschehen sind, sein Leben, das außerhalb Jerusalems geschrieben wurde, fünfzig Jahre nachdem er in Jerusalem hingerichtet wurde. Platons Logos, den wir mit Jesus identifiziert haben, entfacht die Feuer der Unterwelt, die wir jedem androhen, der nicht an ihn und an uns glaubt [39] – all dieses große Bild leuchtender Wahrheiten zeigt, dass das römische Reich uns unterworfen sein wird und dass der Thron der Cäsaren zum Thron der christlichen Religion wird.

Der Senator: Das könnte geschehen. Der Pöbel lässt sich gerne verführen; es gibt immer mindestens hundert dumme und fanatische Gesellen gegen einen klugen Bürger. Sie erzählen mir von den Wundern Ihres Gottes: Gewiss, wenn man sich von Prophezeiungen und Wundern betören lässt, sie mit Platos Logos verknüpft, und wenn man auf diese Weise die Augen, die Ohren und den Verstand der einfachen Leute fasziniert, wenn man mit Hilfe einer unsinnigen Metaphysik, die als göttlich angesehen wird, die Phantasie der Menschen, die immer das Wunderbare lieben, erhitzt, dann kann man es eines Tages schaffen, das Reich umzustürzen. Aber, sagen Sie uns, welche Wunder hat Ihr Judengott vollbracht?

Der Christ: Das erste ist, dass der Teufel ihn auf einen Berg führte [40]; das zweite, dass er auf einer Bauernhochzeit, wo alle betrunken waren [41] und der ganze Wein getrunken war, das Wasser in Wein verwandelte und in Krüge füllen ließ. Aber das schönste aller seiner Wunder ist: Er schickte obwohl es in dem Land keine Schweine gab, doch zweitausend solchen Tieren ein paar Teufel in den Leib, so dass sie sich in einen See stürzten und ertranken [42].

XVI. Marc Aurel bitten einen Juden, Stellung zu nehmen

Marc Aurel war gelangweilt von diesen göttlichen Dingen, die seinem verblendeten Geist nur wie ausgemachte Tollheiten vorkamen, und befahl dem Christen, der sonst noch lange fortgeschwatzt haben würde, zu schweigen. Dann verlangte er, der Jude solle sich erklären und ihm sagen, ob die christliche Sekte wirklich ein Zweig der jüdischen sei und was er von der einen wie von der anderen halte. Der Jude verbeugte sich tief, erhob die Augen gen Himmel und äußerte sich wie folgt:

„Heilige Majestät, zuerst will ich Euch sagen, dass die Juden weit davon entfernt sind, so herrschsüchtig wie die Christen zu sein. Wir sind nicht so verwegen, die ganze Welt unseren Ansichten unterwerfen zu wollen; sondern sind schon zufrieden, wenn man uns nur toleriert, und respektieren alle eure Gebräuche, allerdings ohne sie anzunehmen; man sieht uns in euren Städten und Lagern keinen Aufruhr stiften; wir haben noch keinem Römer die Vorhaut abgeschnitten, während die Christen sie taufen. Wir glauben an Moses, aber wir ermahnen keinen Römer, dies auch zu tun; wir sind (zumindest jetzt) so friedlich und ergeben, wie die Christen unruhig und aufrührerisch sind.

„Ihr habt erfahren, welch schöne Wunder unsere grausamen Feinde ihrem angeblichen Gott zuschreiben. Handelte es sich hier um Wunder, würden wir euch zuerst eine Schlange [43] zeigen, die mit unserer guten gemeinsamen Mutter spricht; eine Eselin, die sich mit einem götzendienerischen Propheten [44] unterhält, und diesen Propheten selbst, der gekommen ist, um uns zu verfluchen, und uns wider Willen segnete. Ich würde Euch einen Moses zeigen, der alle Zauberer des ägyptischen Königs an Wundern übertrifft, ein ganzes Land mit Fröschen und Läusen überzieht und nach dem Vorbild des alten Bacchus, zwei oder drei Millionen Juden trockenen Fußes durch das Rote Meer führt [45]. Ich würde Euch einen Josua zeigen, der um elf Uhr morgens einen Steinhagel auf die Bewohner eines feindlichen Dorfes niedergehen lässt und die Sonne und den Mond um zwölf Uhr mittags anhält, um Zeit zu haben, seine Feinde, die bereits tot waren, besser zu töten. Ihr werdet zugeben, Heilige Majestät, dass die zweitausend Schweine, in welche Jesus den Teufel schickt, eine Kleinigkeit sind im Vergleich zu Josuas Sonne und Mond und Moses‘ Rotem Meer; aber ich will nicht auf unseren alten Wundern herumreiten, sondern die Weisheit unseres Geschichtsschreibers Josephus Flavius aufgreifen, der, indem er diese Wunder so wiedergibt, wie sie von unseren Priestern aufgeschrieben wurden, dem Leser die Freiheit gibt, sich darüber lustig zu machen.

Ich komme zu dem Unterschied, der zwischen uns und den christlichen Sektierern besteht. Eure Heilige Majestät wird wissen, dass es zu allen Zeiten in Ägypten und Syrien Enthusiasten gab, die, ohne rechtlich dazu befugt zu sein, sich anmaßten, im Namen der Gottheit zu sprechen; wir haben viele von ihnen unter uns gehabt, besonders in unseren Unglückszeiten; aber gewiss hat keiner von ihnen einen Mann wie Jesus vorhergesagt und konnte es auch nicht. Hätten sie unmöglicherweise wirklich von diesem Mann prophezeit, so hätten sie zumindest seinen Namen bekannt gegeben, der aber in keiner ihrer Schriften zu finden ist; sie hätten gesagt, Jesus werde von einer Frau namens Mirja geboren, die von den Christen lächerlicherweise Maria genannt wird; ferner: Die Römer würden ihn auf Drängen des Hohen Rates aufhängen lassen. Die Christen antworten auf diesen starken Einwand, dass die Propheten dann zu deutlich gewesen wären und dass es notwendig gewesen wäre, Gott zu verbergen. Was für eine Antwort von Scharlatanen und Fanatikern! Wie, wenn Gott durch den Mund eines von ihm selbst inspirierten Propheten spricht,  soll er nicht deutlich sprechen? Wie, der Gott der Wahrheit soll sich nur durch Zweideutigkeiten erklären, die zur Lüge gehören? Dieser schwachsinnige Fanatiker, der vor mir sprach, zeigte die ganze Schändlichkeit seines Systems, indem er die angeblichen Prophezeiungen wiedergab, die die christliche Sekte durch absurde Interpretationen zu Gunsten von Jesus zu verfälschen versucht.

Die Christen suchen überall nach Prophezeiungen; sie treiben den Wahnsinn so weit, dass sie Jesus in einer Ekloge [46] von Vergil finden; sie wollten ihn in den Versen der Sibyllen finden; und als sie damit nicht fertig wurden, hatten sie die absurde Kühnheit, eine Prophezeiung in griechischen Akrostichen zu fälschen, die sogar gegen die Gesetze der Quantität sündigen: Ich führe sie Eurer Heiligen Majestät einmal vor Augen.

Der Jude griff daraufhin in seine schmutzige und fettige Tasche und holte die Vorhersage hervor, die der heilige Justinus und andere den Sibyllen zugeschrieben hatten: 

Mit fünf Broten und zwei Fischelein
Macht er in der Wüste fünftausend Menschen satt,
Die übrig gebliebenen Brocken sammelt er ein.
Und damit noch zwölf Körbe gefüllet hat. [47]

XVII. Der Jude kritisiert das Christentum

Mark Aurel zuckte mitleidig die Schultern, und der Jude fuhr fort: „Ich will nicht verhehlen, dass wir in unserer Notzeit auf einen Befreier gewartet haben. Damit trösten sich alle unglücklichen Nationen, besonders in Sklaverei geratene. Jeden, der uns Gutes erwies, nannten wir immer einen Messias, so wie die Bettler jeden, der ihnen ein Almosen gibt, domine, gnädiger Herr nennen; denn wir dürfen hier nicht die Stolzen spielen wollen: Non tanta superbia victis [48]. Wir können uns durchaus mit Bettlern vergleichen, ohne deshalb rot zu werden.

„Messias bedeutet gesalbt. Die jüdischen Könige waren gesalbt; Jesus war nie gesalbt, und wir sehen nicht, warum seine Jünger ihn als gesalbt, als Messias bezeichnen. Nur einer ihrer Geschichtsschreiber gibt ihm den Titel „Messias“, „Gesalbter“, nämlich Johannes oder derjenige, der eines der fünfzig Evangelien unter dem Namen Johannes geschrieben hat [49].

„Jesus war ein Mann aus dem gemeinen Volk, der den Propheten geben wollte wie viele andere, aber er hat nie behauptet, ein neues Gesetz aufstellen zu wollen. Diejenigen, die seine Lebensgeschichte unter den Namen Matthäus, Markus, Lukas und Johannes aufschrieben, sagen an hundert Stellen, er habe das Gesetz des Mose befolgt. Nach diesem Gesetz wurde er beschnitten, nach diesem Gesetz ging er in den Tempel. Er sagte: „Ich bin gekommen, das Gesetz zu erfüllen, das durch Mose gegeben ist; ihr habt das Gesetz und die Propheten. Das Gesetz des Mose darf nicht zerstört werden [50]“.

„Jesus war also wirklich nur einer unserer Juden, der das jüdische Gesetz predigte. In diesem jüdischen Gesetz steht, es solle ewig sein. „Fügt nicht ein einziges Wort hinzu und entfernt auch nicht ein einziges Wort [51].“

Und mehr noch: Wir finden in diesem Gesetz die folgenden Worte: „Wenn unter euch ein Prophet aufsteht oder einer, der sagt, er habe im Traum eine Vision gehabt, und er sagt Zeichen und Wunder voraus, und wenn diese Zeichen und Wunder geschehen und er zu euch sagt: Lasst uns neuen Göttern folgen, dann soll dieser Prophet mit dem Tod bestraft werden, weil er euch von dem Weg abbringen will, den Gott, der Herr, euch geboten hat. Wenn dein Bruder oder der Sohn deiner Mutter oder dein Sohn oder deine Tochter oder deine Frau oder dein Freund, den du wie deine Seele liebst, zu euch sagt: Lasst uns gehen und anderen Göttern dienen usw., dann tötet ihn sofort, und das ganze Volk soll ihn nach euch erschlagen [52]“.

„All diesen Geboten zufolge, von denen ich nicht behaupten will, dass sie gar zu mild sind, hätte Jesus hingerichtet werden müssen, wenn er wirklich am mosaischen Gesetz etwas hätte ändern wollen. Aber wenn wir dem eigenen Zeugnis derer glauben, die zu seinen Gunsten geschrieben haben, werden wir sehen, dass er nur deshalb vor den Römern angeklagt wurde, weil er stets die Obrigkeit beleidigt und die öffentliche Ordnung gestört hatte. Sie sagen [53], dass er die Obrigkeit ständig als „Ich frage aber, welchen Römer man nicht bestrafen würde, wenn er jeden Tag zum Fuß des Kapitols ginge und die Senatoren als Scheintote, als Schlangenbrut bezeichnete. Man beschuldigte ihn Gott gelästert [54], Händlern im Vorhof des Tempels geschlagen zu haben dass er behauptete, den Tempel zu zerstören und ihn in drei Tagen wieder aufzubauen; alles Unsinn, der nur die Peitsche verdiente.

„ Es wird gesagt, dass er auch deshalb beschuldigt wurde, weil er sich selbst als Sohn Gottes bezeichnet habe; aber die unwissenden Christen, die seine Geschichte geschrieben haben, wissen nicht, dass bei uns ‚Sohn Gottes‘ ‚Guter Mensch‘ bedeutet, so wie ‚Sohn Belials‘ einen bösen Menschen bezeichnet. Eine Äquivokation hat dies alles bewirkt, und es ist eine reine Wortklauberei, der Jesus seine Göttlichkeit verdankt. So kommt es, dass unter den Christen derjenige, der sich den Titel eines Bischofs von Rom anmaßt, behauptet, er stehe über den anderen Bischöfen, weil Jesus eines Tages zu ihm gesagt haben soll: „Du bist Petrus [55], und auf diesen Stein werde ich meine Gemeinde bauen.“

„ Gewiss dachte Jesus trotz der Doppeldeutigkeit jenes Ausdrucks niemals daran, sich im buchstäblichen Sinn für einen Sohn Gottes auszugeben, wie es Alexander, Bacchus, Perseus und Romulus getan hatten. Das Johannes zugeschriebene Evangelium sagt selbst ausdrücklich, dass ihn Philippus und Nathanael als den Sohn Josephs, des Zimmermanns aus dem Dorf Nazareth, ansahen [56]

Andere Christen haben unter den Namen Matthäus und Lukas lächerliche und widersprüchliche Genealogien von ihm zusammengestellt: Sie sagen, Mirja oder Maria sei von einem Geist schwanger geworden, und gleichzeitig bringen sie die Genealogie von Joseph, seinem mutmaßlichen Vater. Diese beiden Genealogien weichen jedoch sowohl in den Namen als auch in der Anzahl seiner angeblichen Vorfahren völlig voneinander ab: Es steht fest, Heilige Majestät, dass ein so gewaltiger und lächerlicher Schwindel für immer in dem Schlamm begraben worden wäre, in dem das Christentum geboren wurde, wenn die Christen in Alexandria nicht auf Platoniker gestoßen wären, denen sie einige Ideen entnommen haben, und wenn sie ihre Mysterien nicht durch diese vorherrschende Philosophie untermauert hätten. Das ist es, was sie bei denen erfolgreich gemacht hat, die sich mit großen Worten und philosophischen Hirngespinsten begnügen.

Mit irgendeiner Platonischen Dreieinigkeit, mit irgendwelchen emphatischen Mysterien wurde die unwissende, nach Neuem gierende Menge berührt und beeindruckt. Die Moral dieser Neulinge ist gewiss nicht besser als die Eure und unsere, ja sie ist sogar schädlich. Sie lassen diesen Jesus sagen [57]: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert [58]; Ihr sollt eure Freunde nicht zum Essen laden, wenn sie reich sind; wer nicht ein schönes Kleid zum Festmahl trägt, soll in den Kerker geworfen werden; ihr sollt die Vorübergehenden nötigen, zu eurem Festmahl hereinzukommen“, und hundert empörende Dummheiten der gleichen Art mehr.

„Da sich die christlichen Bücher auf jeder Seite widersprechen, lassen sie ihn auch sagen, man solle seinen Nächsten lieben, obwohl er an anderer Stelle sagt, man müsse Vater und Mutter hassen, um seiner würdig zu sein [59]; aber durch einen unfassbaren Irrtum finden wir in dem Johannes zugeschriebenen Evangelium seine eigenen Worte: „Ein neues Gebot gebe ich auf [60], nämlich dass ihr einander liebt.“ Wie kann er diesem Gebot das Epitheton „neu“ geben, da dieses Gebot zu allen Religionen gehört und in der unsrigen ausdrücklich mit unendlich stärkeren Worten ausgesprochen wird: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“? [61]

„‚Ihr seht also, großer Kaiser, wie die Christen in die vernünftigsten Dinge Betrug und Unvernunft einbauen. Sie verhüllen alle ihre Neuerungen mit den Schleiern des Geheimnisses und dem Anschein von Heiligkeit. Man sieht sie von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf laufen, Frauen und Mädchen aufhetzen und ihnen das Ende der Welt predigen. Sie sagen, dass die Welt untergehen wird. Ihr Jesus hat prophezeite, dass in seiner Generation [62], die Erde zerstört werden würde und dass er in einer Wolke mit großer Macht und Herrlichkeit kommen würde. Der Apostel Saulus prophezeite es ebenso; er schrieb den Fanatikern in Thessaloniki [63], dass sie mit ihm in der Luft Jesus entgegengehen würden.

“ Aber die Welt gibt es noch trotzdem erwarten die Christen noch immer ihr baldiges Ende; sie sehen schon einen neuen Himmel und eine neue Erde entstehen; zwei Narren, Justin und Tertullian genannt, haben schon vierzig Nächte lang [64] mit ihren eigenen Augen das neue Jerusalem gesehen, dessen Mauern, wie sie sagen, einen Umfang von fünfhundert Meilen haben, und in dem die Christen tausend Jahre lang wohnen und den köstlichen Wein eines Weinstocks trinken sollen, von dem jede Rebe zehntausend Rispen und jede Rispe zehntausend Trauben tragen wird.

“ Eure Majestät wundere sich nicht, wenn sie Rom und euer Reich hassen, da sie nur auf ihr neues Jerusalem setzen. Sie machen es sich zur Pflicht, niemals öffentlich über eure Siege zu jubeln; sie krönen ihre Säulenhallen nicht mit Blumen, sie sagen, das sei Götzendienst. Wir hingegen lassen es nie daran fehlen. Ihr habt sogar geruht, Geschenke von uns anzunehmen; wir sind treue Besiegte, sie aber sind aufrührerische Untertanen. Richtet nun selbst zwischen uns und ihnen.

Der Kaiser wandte sich an den Senator und sagte: „Ich halte sie für gleichermaßen nättisch; aber das Reich hat von den Juden nichts zu befürchten, wohl aber alles von den Christen.“ Mit dieser Vermutung irrte sich Mark Aurel keineswegs.

XVIII. Konstantin und das Konzil von Nicäa

Es ist hinlänglich bekannt, dass die Christen, nachdem sie fast dreihundert Jahre lang durch Handel enorm reich geworden waren, Constantius Chlorus und Constantius, dem Sohn dieses Constantius und seiner Konkubine Helena, Geld liehen. Frömmigkeit war sicherlich nicht der Grund, warum ein Monster wie Konstantin, der mit dem Blut seines Schwiegervaters, seines Schwagers, seines Neffen, seines Sohnes und seiner Frau befleckt war, das Christentum annahm. Das Reich steuerte von da an sichtbar auf seinen Untergang zu.

Konstantin begann zunächst damit, allen Religionen Freiheit zu gewähren, und sofort wurde diese Freiheit von den Christen auf bemerkenswerte Weise missbraucht. Jeder, der ein wenig gelesen hat, weiß, dass sie den jungen Candidius, den Sohn des Kaisers Galerius, und die Hoffnung der Römer ermordeten; dass sie den Sohn des Kaisers Maximin, fast noch in der Wiege, und seine siebenjährige Tochter abschlachteten; dass sie ihre Mutter im Orontes ertränkten; dass sie die Kaiserin Valeria, die Witwe des Galerius, von Antiochia bis Thessaloniki verfolgten; dass sie ihren Leib in Stücke hackten und ihre blutigen Glieder ins Meer warfen.

So bereiteten sich diese sanftmütigen Christen auf das große Konzil von Nizäa vor; durch diese heiligen Taten brachten sie den Heiligen Geist dazu, inmitten ihrer Streitigkeiten zu entscheiden, dass Jesus vom Wesen her Gott war aber nicht wesensgleich, was für das römische Reich sehr wichtig war. Im letzten Teil der Akten dieses Konzils der Zwietracht lesen wir von dem Wunder, das der Heilige Geist bewirkte, indem er die kanonischen Schriften von den Büchern, die Apokryphen genannt werden, unterschied. Man legte sie alle auf einen Tisch, und die apokryphischen fielen samt und sonders auf den Boden.

Ich wünschte, Gott hätte nur die Bücher auf dem Tisch gelassen, die Frieden, allgemeine Nächstenliebe, Toleranz und Abneigung gegen all die absurden und grausamen Streitigkeiten empfehlen, die den Osten und den Westen verwüstet haben. Aber solche Bücher gab es nicht.

XIX. Die Kirche: blutig und verheerend

Der Geist der Zwietracht, der Unentschlossenheit, der Spaltung und des Streits hatte an der Wiege der Kirche Pate gestanden. Paulus, jener Verfolger der ersten Christen, den sein Zorn über seinen Lehrer Gamaliel selbst zum Christen gemacht hatte, dieser ungestüme Paulus, Stephans Mörder, ließ seinen rücksichtslosen Charakter auch gegen Simon Barjonas ausbrechen. Unmittelbar nach diesem Streit spalteten sich die Jünger Jesu, die sich noch nicht Christen nannten, in zwei Parteien, von denen die eine die Armen und die andere die Nazarener genannt wurde. Die Armen, d. h. die Ebioniten, waren Halbjuden wie ihre Gegner und wollten das mosaische Gesetz beibehalten; die man Nazarener, nach Nazareth, Jesus Herkunftsort, nannte, wollten nichts vom Alten Testament wissen und betrachteten es nur als Vorläufer des Neuen, als eine fortlaufende Prophezeiung im Hinblick auf Jesus, als ein Mysterium, das ein neues Mysterium ankündigte; diese Lehre war viel wunderbarer als die andere und gewann am Ende die Oberhand; und die Ebioniten verschmolzen mit den Nazarenern.

Unter diesen Christen entstand in jeder syrischen, ägyptischen, griechischen und römischen Stadt eine eigene Sekte, die sich von den anderen unterschied. Diese Spaltung hielt bis Konstantin an, und zur Zeit des großen Konzils von Nizäa wurden alle diese kleinen Parteien von den beiden großen Sekten der Omoiousianer und Omousianer unterdrückt, wobei die ersten für Arius und Eusebius, die zweiten für Alexander und Athanasius standen; es wie im Prozess um des Esels Schattens [65]: Niemand verstand etwas davon. Selbst Konstantin hatte die Lächerlichkeit des Streits gespürt und beiden Parteien geschrieben, „dass es eine Schande sei, sich wegen eines so unbedeutenden Themas zu streiten.“ Je absurder der Streit, desto blutiger wurde er; ein Diphthong mehr oder weniger verwüstete das Römische Reich dreihundert Jahre lang.

XX. Das tyrannische Christentum

Seit dem 4. Jahrhundert begann sich die Kirche des Ostens von der Kirche des Westens zu trennen. 342 versammelten sich die Bischöfe des Ostens in Philippopoli und exkommunizierten den Bischof von Rom, Julius. Und der Hass, der seither unversöhnlich zwischen den christlichen Priestern, die Griechisch sprechen, und den christlichen Priestern, die Latein sprechen, war, brach aus. Überall stellt man Konzil gegen Konzil, und der Heilige Geist, der sie inspirierte, vermochte nicht zu verhindern, dass sich die Väter manchmal mit Stöcken bekämpften. Das Blut floss unter den Kindern Konstantins, die wie ihr Vater Ungeheuer der Grausamkeit waren, auf allen Seiten. Kaiser Julian, der Philosoph, konnte der Wut der Christen keinen Einhalt gebieten. Man sollte sich immer den 52. Brief dieses großen Kaisers vor Augen halten.

„Unter meinem Vorgänger wurden viele Christen vertrieben, eingekerkert und verfolgt; eine große Menge der sogenannten Häretiker wurde in Samosata, Paphlagonien, Bithynien, Galatien und vielen anderen Provinzen ermordet; Städte wurden geplündert und verwüstet. Unter meiner Herrschaft wurden die Verbannten zurückgerufen und die beschlagnahmten Güter zurückgegeben. Dennoch ist ihre Wut so ausgeartet, dass sie sich darüber beschweren, weil es ihnen nicht mehr erlaubt ist, grausam zu sein und sich gegenseitig zu tyrannisieren.“

XXI. Das grausame Christentum und Theodosius

Man weiß zur Genüge, dass der unbarmherzige Theodosius, ein Emporkömmling, der es vom spanischen Soldat zum Kaiser gebracht hatte, grausam wie Sylla und verschlagen wie Tiberius, dem Volk von Thessaloniki, der Stadt, in der er die Taufe empfangen hatte, zunächst vorspielte, ihm zu vergeben, dass es im Jahr 390 bei den Zirkusspielen einen Aufruhr veranstaltet hatte. Doch sechs Monate nachdem er versprochen hatte, alles zu vergessen, lud er das Volk zu neuen Spielen ein, und sobald der Zirkus voll war, ließ er ihn von Soldaten umstellen und befahl, alle Zuschauer abzuschlachten, ohne einem einzigen zu vergeben. Es ist kaum zu glauben, dass es jemals auf der Erde eine so abscheuliche Tat gegeben hat. Dieser kaltblütige Horror, der nur allzu wahr ist, scheint nicht in der menschlichen Natur zu liegen, aber was noch mehr gegen die Natur verstößt, ist, dass die Soldaten gehorchten und dass diese Ungeheuer für einen geringen Sold fünfzehntausend wehrlosen Menschen, Greisen, Frauen und Kindern, ermordeten.

Um Theodosius zu entschuldigen, sagen einige Autoren, es seien nur siebentausend Menschen niedergemetzelt worden; aber es ist ebenso statthaft, zwanzigtausend aufzuzählen, wie die Zahl auf sieben zu reduzieren. Es wäre besser gewesen, wenn diese Soldaten Kaiser Theodosius getötet hätten, wie sie so viele andere getötet haben, als fünfzehntausend ihrer eigenen Landsleute zu ermorden. Das römische Volk hatte den Spanier nicht gewählt, damit er es nach seinem Belieben abschlachtete. Das ganze Reich war empört über ihn und seinen Minister Rufinus, der das Hauptwerkzeug dieses Gemetzels war. Er befürchtete, dass ein neuer Konkurrent diese Gelegenheit nutzen würde, um ihm die Krone zu entreißen; so reiste er rasch nach Italien, wo das Entsetzen über sein Verbrechen alle gegen ihn aufbrachte; und er verzichtete, um das Volk zu besänftigen, eine Weile darauf, in die Kirche in Mailand zu gehen. Was für eine allerliebste Wiedergutmachung! Sühnt man das Blut seiner Untertanen, indem man nicht zur Messe geht? Alle Kirchengeschichten, alle von der Kirche autorisierten Erklärungen feiern die Buße des Theodosius, und alle Lehrer katholischer Prinzen stellen ihren Schülern noch heute die Kaiser Theodosius und Konstantin als Vorbilder vor. Zwei der bluttrünstigsten Tyrannen, die den Thron der Titus, Trajan, Mark Aurel, Alexander Severus und des Philosophen Julian besudelt haben, der stets kämpfte und vergeben konnte.

XXII. Ketzerverfolgung

Unter der Herrschaft dieses Theodosius bewilligte im Jahr 383 ein anderer Tyrann namens Maximus den spanischen Bischöfen, um sie auf seine Seite zu ziehen, das Blut des Priscillianus und seiner Anhänger, die von diesen als Ketzer verfolgt wurden. Was die Ketzerei dieser armen Leute war, wissen wir nur aus den Anschuldigungen, die ihre Feinde gegen sie erhoben. Sie waren nicht der Meinung der anderen Bischöfe, und allein deswegen gingen zwei von den anderen delegierte Prälaten nach Trier, wo Kaiser Maximus weilte, und ließen Priscillian und sieben Priester in ihrer Gegenwart foltern und durch die Hand der Henker hinrichten.

Seit dieser Zeit war es in der christlichen Kirche ein Grundgesetz, dass das schreckliche Verbrechen, nicht die Meinung der mächtigsten Bischöfe zu teilen, mit dem Tod bestraft werden müsse; und da die Ketzerei als das größte aller Verbrechen angesehen wurde, übergab die Kirche, die Blut verabscheut, bald alle Schuldigen den Flammen. Der Grund dafür ist offensichtlich: Es ist gewiss, dass ein Mensch, der nicht mit dem Bischof von Rom übereinstimmt, in der anderen Welt auf ewig verbrannt wird; Gott ist gerecht, die Kirche Gottes muss gerecht sein wie er; sie muss also in dieser Welt die Körper verbrennen, die Gott dann in der anderen Welt verbrennt.

XXIII. Die Ermordung der Philosophin Hypatia

Noch unter der Herrschaft von Theodosius, im Jahre 415, wurden fünfhundert von göttlichem Eifer erfüllte Mönche vom heiligen Cyrillus dazu aufgefordert, in Alexandria jeden zu ermorden, der nicht an unseren Herrn Jesus glaubte. Sie wiegelten das Volk auf und verletzten den Statthalter mit Steinen, weil er so unverschämt war, ihren heiligen Zorn dämpfen zu wollen. Zu jener Zeit lebte in Alexandria ein Mädchen namens Hypatia, das als Wunder der Natur angesehen wurde. Ihr Vater, der Philosoph Theon, hatte sie in den Wissenschaften unterrichtet. Sie war achtundzwanzig Jahre alt als sie diese lehrte. Die Historiker, selbst die christlichen, berichten, dass ihre seltenen Talente durch ihre außergewöhnliche Schönheit, verbunden mit der größten Bescheidenheit, noch verstärkt wurden. Aber sie gehörte der alten ägyptischen Religion an und Orestes, der Gouverneur von Alexandria, beschützte sie; das war schon genug. Der Heilige Cyrillus schickte einen seiner Subdiakone namens Petrus an der Spitze der Mönche und anderer Aufrührer zu Hypatias Haus; sie brachen die Türen auf, suchten sie in jedem Winkel, in dem sie sich verstecken konnte, und als sie sie nicht fanden, steckten sie das Haus in Brand: Sie entkommt, wird ergriffen, in eine Kirche namens Caesarea geschleppt und nackt ausgezogen. Die Reize ihres Körpers rühren einige dieser Tiger; doch die anderen sehen, dass sie nicht an Jesus Christus glaubt, steinigen sie zu Tode, reißen sie in Stücke und schleifen ihren Leichnam in der Stadt umher.

Welch ein Kontrast bietet sich dem aufmerksamen Leser hier! Diese Hypatia hatte einen reichen Mann namens Synesius  in Geometrie und platonischer Philosophie unterrichtet, der noch nicht getauft war. Die ägyptischen Bischöfe wollten Synesius, den Reichen, unbedingt als Kollegen haben und ließen ihm das Bistum Ptolemaida verleihen.

Er erklärte ihnen, dass er sich, wenn er Bischof wäre, nie von seiner Frau trennen würde, obwohl den Prälaten die Trennung seit einiger Zeit befohlen worden war; dass er nicht auf das Vergnügen der Jagd verzichten wolle, das man ebenfalls verboten hatte; dass er nie Mysterien lehren würde, die den gesunden Menschenverstand beleidigen würden; er könne nicht glauben, dass die Seele erst nach dem Körper geschaffen worden sei; die Auferstehung und viele andere Lehren der Christen seien für ihn Hirngespinste; er werde sich nicht öffentlich dagegen aussprechen, aber er werde sie niemals lehren; wenn man ihn um diesen Preis zum Bischof machen wolle, sei er sich noch nicht einmal sicher, ob er einwilligen würde.

Die Bischöfe blieben hartnäckig: Er wurde getauft, zum Diakon, Priester und Bischof gemacht; er brachte seine Tugend mit seinem Amt in Einklang; dies ist eine der am besten belegten Tatsachen der Kirchengeschichte.

So wurde also ein Platoniker, ein Deist, ein Feind der christlichen Dogmen mit der Zustimmung aller seiner Kollegen Bischof, und er war der beste aller Bischöfe, während Hypatia auf Befehl oder zumindest mit dem Einverständnis eines Bischofs von Alexandria, der als Heiliger geehrt wurde, in der Kirche frommerweise ermordet wurde. Leser, denke nach und urteile; und ihr, Bischöfe, versucht, Synesius nachzuahmen.

XXIV. Der blutige Streit um Bilder

Wenn man nur ein wenig in der Geschichte liest, wird man feststellen, dass es keinen einzigen Tag gibt, an dem die christlichen Dogmen nicht zu Blutvergießen geführt haben, sei es in Afrika, Kleinasien, Syrien, Griechenland oder in den anderen Provinzen des Kaiserreichs. Und die Christen hörten in Afrika und Asien erst dann auf, sich gegenseitig umzubringen, als die Muslime, ihre Sieger, sie entwaffneten und ihrer Raserei Einhalt geboten.

Doch in Konstantinopel und in den übrigen christlichen Staaten gewann die alte Wüterei neue Kraft. Jederman weiß, was der Streit um die Bilderverehrung das Römische Reich gekostet hat. Wer ist nicht entrüstet, wessen Herz empört sich nicht, wenn man zwei Jahrhunderte lang unzählige Mordtaten geschehen sieht, bloß um einen Kult für die Bilder der heiligen Potamiana und der heiligen Ursula zu etablieren? Wer weiß nicht, dass die Christen in den ersten drei Jahrhunderten es sich zur Pflicht machten, gar keine Bilder zu besitzen? Hätte es damals ein Christ gewagt, ein Bild oder eine Statue in einer Kirche aufzustellen, wäre er wie ein Götzendiener aus der Gemeinde vertrieben worden. Diejenigen, die an diese frühen Zeiten erinnern wollten, wurden lange Zeit als schändliche Ketzer angesehen: Sie wurden Ikonoklasten genannt, und über diese blutigen Streitereien haben die Kaiser von Konstantinopel den Occident verloren.

XXV. Die Kirche: Eine Verbrecherorganisation

Wir wollen hier nicht wiederholen, auf welchen Stufen voll Blut die Bischöfe von Rom aufgestiegen sind, wie sie es geschafft haben, Könige dazu zu bringen, sich ihnen vor die Füße zu werfen, bis hin zu der lächerlichen Vorstellung, unfehlbar zu sein. Wir wollen nicht wiederholen, wie sie alle Throne des Abendlandes verschenkten und allen Völkern das Geld aus der Tasche zogen; auch nicht, wie in siebenundzwanzig blutigen Schismen Päpste und Gegenpäpste sich um uns als ihre Beute stritten. Diese Zeiten des Schreckens und der Schmach sind nur allzu bekannt. Es wurde schon oft genug gesagt, dass die Geschichte der Kirche die Geschichte der Torheiten und Verbrechen ist.

XXVI. Dass man die Greueltaten nicht vergessen soll

„Omnia,jam vulgata“.

              Virgil, Georg, III, v. 4.

Alles sank schon verbraucht, Vergil, Vom Landbau

Jeder sollte am Kopfende seines Bettes eine Tafel haben, auf der in großen Buchstaben steht: „Blutige Kreuzzüge gegen die Einwohner Preußens und des Languedoc; Massaker in Merindol; Blutbäder in Deutschland und Frankreich wegen der Reformation; Bartholomäus-Blutbad; Blutbäder in Irland; Massaker in den Tälern Savoyens; Justiz-Blutbäder; Inquisitions-Blutbäder; unzählige Einkerkerungen und Verbannungen wegen Streitigkeiten über des Esels Schatten“.

Man würde jeden Morgen mit Abscheu auf dieses Verzeichnis religiöser Verbrechen blicken und beten: „Mein Gott, befreie uns vom Fanatismus.“

XXVII. Vom Unheil der Dogmen

Um die Gnade göttlicher Barmherzigkeit zu erlangen, ist es nötig, unter allen Menschen, die Redlichkeit und einige Aufklärung besitzen, die absurden und verhängnisvollen Dogmen zu zerstören, die so viele Grausamkeiten hervorgebracht haben. Ja, unter diesen Dogmen gibt es womöglich solche, die Gott ebenso beleidigen wie sie die Menschheit verderben.

Um vernünftig darüber zu urteilen, versetze sich jeder, der dem gesunden Menschenverstand nicht abgeschworen hat, nur in die Lage der Theologen, die diese Dogmen bestritten, noch bevor sie angenommen waren; denn es gibt nicht eine einzige theologische Meinung, die nicht lange Zeit ihre Gegner hatte und noch ha. Wägen wir die Gründe dieser Gegner ab und sehen wir, wie das, was man früher für eine Gotteslästerung hielt, zu einem Glaubensartikel geworden ist. Wie, der Heilige Geist waltete gestern nicht, und heute tut er es? Wie? Vorgestern hatte Jesus nur eine Natur und einen Willen, und heute hat er zwei. Wie? Das Abendmahl war eine Gedenkfeier, und heute….? Fahren wir nicht fort, damit wir nicht mehrere Provinzen Europas mit unseren Worten erschrecken. Ach, meine Freunde, was macht es schon, ob all diese Mysterien wahr oder falsch sind? Was haben sie mit dem Menschengeschlecht, mit der Tugend zu tun? Ist man in Rom ein ehrlicherer Mensch als in Kopenhagen? Erweist man den Menschen mehr Gutes, wenn man glaubt, man esse Gott leibhaftig, als wenn man denkt, ihn kraft seines Glaubens zu essen?

XXVIII. Dogma und Tugend: Ein Gegensatz

Wir bitten Dich, aufmerksamer Leser, weiser und guter Mensch, den unendlichen Unterschied zwischen Dogmen und Tugend zu bedenken. Es ist erwiesen, dass, wenn ein Dogma nicht an jedem Ort und zu jeder Zeit notwendigerweise gilt, es weder zu irgendeiner Zeit noch an irgendeinem Ort notwendig ist. Nun wurden die Dogmen, die lehren, dass der Geist vom Vater und Sohn ausgeht, von der lateinischen Kirche erst im achten Jahrhundert und niemals von der griechischen angenommen. Jesus wurde erst im Jahr 325 für konsubstantiell mit Gott erklärt; die Höllenfahrt Jesu stammt erst aus dem fünften Jahrhundert; erst im sechsten Jahrhundert hat man entschieden, dass Jesus zwei Naturen, einen zweifachen Willen und eine Person gehabt habe; die Transsubstantiation nahm man sogar erst im zwölften Jahrhundert an.

Jede Kirche hat auch heute noch unterschiedliche Meinungen zu all diesen grundlegenden metaphysischen Dogmen: Sie sind also nicht absolut notwendig für den Menschen. Wo ist das Ungeheuer, das es wagt, kaltblütig zu sagen, dass man auf ewig verbrannt wird, wenn man in Moskau auf eine Weise denkt, die der in Rom entgegengesetzt ist? Welcher Narr würde es wagen zu behaupten, dass diejenigen, die unsere Dogmen vor 1600 Jahren nicht kannten, auf ewig bestraft werden, weil sie früher geboren wurden als wir?

Mit der Anbetung eines Gottes und der Erfüllung unserer Pflichten verhält es sich ganz anders. Diese Dinge sind überall und zu jeder Zeit notwendig. Zwischen dem Dogma und der Tugend liegt also ein unendlicher Unterschied.

Einen Gott, mit Herz und Mund anbeten und alle seine Pflichten erfüllen, das macht das Universum zu einem Tempel und aus allen Menschen Brüder. Dogmen machen die Welt zu einer Höhle der Zankerei und zu einem Schauplatz von Bluttaten. Dogmen wurden nur von Fanatikern und Betrügern erfunden: Die Moral kommt von Gott.

XXIX. Kirchengold und Wohltätigkeit

Die unermesslichen Güter, die die Kirche der menschlichen Gesellschaft geraubt hat, sind die Ernte des Dogmenstreits; jeder Glaubensartikel hat Schätze eingebracht, und um sie zu bewahren, wurde Blut vergossen. Das Fegefeuer allein hat hunderttausend Tote gefordert; man zeige mir in der ganzen Geschichte der Welt einen einzigen Streit über dieses Glaubensbekenntnis: „Ich bete Gott an, und ich muss wohltätig sein.

XXX. Zurück zur Urreligion

Jedermann spürt die Kraft dieser Wahrheiten. Man muss sie also laut verkünden; und die Menschen, so weit wie möglich zur Urreligion zurückführen, zu der Religion, von der die Christen selbst behaupten, dass sie die Religion der Menschheit zur Zeit ihres Chaldäers oder Inders Abraham war; zur Zeit ihres angeblichen Noahs, von dem außer den Juden keine Nation je etwas gehört hat; zur Zeit ihres noch unbekannteren angeblichen Henochs. Wenn die Religion in diesen Zeiten die wahre war, dann ist sie es auch heute. Gott kann sich nicht ändern; das Gegenteil ist Blasphemie.

XXXI. Die christliche Religion ist ein Betrug

Es ist offensichtlich, dass die christliche Religion ein Netz ist, mit dem Betrüger über siebzehn Jahrhunderte lang die Dummen eingefangen, und ein Dolch, mit dem Fanatiker über vierzehn Jahrhunderte lang ihren Brüdern die Kehle durchgeschnitten haben.

XXXII. Den Fanatismus zerschlagen – heißt Frieden herstellen

Der einzige Weg, den Menschen Frieden wiederzugeben, besteht also darin, alle Dogmen, die sie trennen, zu zerstören und die Wahrheit, die sie vereint, wiederherzustellen; das ist also in der Tat der ewige Frieden. Dieser Friede ist kein Hirngespinst; er wird von allen ehrlichen Menschen von China bis Quebec gehalten; zwanzig Fürsten Europas bekennen sich öffentlich zu ihm.

Nur Dummköpfe bilden sich ein, an Dogmen zu glauben; diese Dummköpfe sind zwar in großer Zahl vorhanden, aber die wenigen, die denken, werden mit der Zeit die vielen anführen. Der Götze fällt, und die allgemeine Toleranz erhebt sich täglich mehr auf seinen Trümmern; die Verfolger sind dem Menschengeschlecht ein Gräuel.

Jeder rechtschaffene Mensch sollte daher, jeder nach seinen Kräften, daran arbeiten, den Fanatismus zu zerschlagen und den Frieden wiederherzustellen, den dieses Ungeheuer aus den Königreichen, den Familien und den Herzen der unglücklichen Sterblichen verbannt hatte. Jeder Familienvater ermahne seine Kinder, nur den Gesetzen zu gehorchen und nur Gott zu verehren.


Anmerkungen

[1] Bibliographischer Hinweis: Das Werk De la Paix perpétuelle, par le docteur Goodheart erschien zuerst 1769 in Genf, mit den Instruktionen des Oberhaupts der Kapuziner von Ragusa an Bruder Pediculoso, der ins Heilige Land aufbricht (pp 56-74).

Eine weitere Ausgabe erschien 1770 (L’Evangile du Jour), sie enthält außer den Instruktionen auch noch Tout en Dieu (Alles über Gott), und Dieu et les Hommes (Gott und die Menschen). 

Auf Deutsch übersetzte den Text erstmals W.Ch.S.Mylius 1788 und fügte ihn in Band 13 (S. 445-514) seiner 29 bändigen Werkausgabe (Voltaire’s sämmtliche Schriften, Berlin:Wever,1786-1794) ein. Seither wurde der Text nicht mehr auf Deutsch publiziert.

De la Paix perpétuelle kam durch Dekret des römischen Gerichtshofs vom 3. Dezember 1770 auf den Index der verbotenen Bücher (Index librorum prohibitorum, Modaetiae, 1850, S. 135).

[2] Der französische Theologe und Diplomat Charles-Irénée Castel, Abbé de Saint-Pierre (1658–1743), fordert (Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe (1712 und 1717)) als Basis für eine europäische Friedensordnung die Gründung eines internationalen Zusammenschlusses der Staaten Europas, um Konflikte zu verhindern und diplomatische Lösungen für Streitigkeiten zu erarbeiten. J.J. Rousseau bezog sich positiv auf ihn, veröffentlichte einen Auszug aus dem Werk und verfasste eine eigene Stellungnahme, die die Gedanken des Abbé erweiterten. Siehe dazu unsere Studie Die andauernde Debatte um den ewigen Frieden

[3] Marco Antonio Bragadino (1523-1571), ein venezianischer Offizier verteidigte die letzte zypriotische Festung Famagusta gegen  gegen die osmanischen Truppen unter Mustafa Pasha. Nach fast einjährigem Widerstand ließ Mustapha Pascha Bragadin foltern. Er wurde er bei lebendigem Leib gehäutet. -> Artikel in Wikipedia

Essay sur les moeurs Kap. 159 und 160 [dt. in:  Geschichte der Völker, übers. v. K.A.F.Schnitzer 1827 Bd. 12, S.110 ff

[4] Philipp II. (1165-1223), König von Frankreich, siegte in der Schlacht von Bouvines (1214). Ferrand von Portugal, Graf von Flandern und eigentlich ein Vasall Philipps, hatte die Seiten gewechselt und sich mit England und dem Deutschen Reich verbündet, wurde gefangen genommen, im Festungsturm des Louvre inhaftiert und erst 1227 wieder freigelassen

[5] Leopold V. von Österreich (1157-1194) und Richard Löwenherz (1157-1199), König von England, waren Teilnehmer des Dritten Kreuzzugs (1189–1192), bei dem sie Jerusalem von den Muslimen zurückerobern wollten. In dessen Verlaufkam es zum Streit um die Oberherrschaft im „Heiligen Land“ Auf dem Rückweg ließ Leopold Richard am 21. Dezember 1192 im Wien gefangennehmen. Erst nach Zahlung eines Lösegeldes von 150.000 Silbermark, was etwa dem jährlichen Einkommen der englischen Krone entsprach, wurde Richard 1194 freigelassen.
Essay sur les moeurs Kap. 49, [dt. in: Versuch einer allgemeinen Weltgeschichte, übersetzt von K.F.Romanus (1760-1762), dort Kapitel 39 ]

[6] Konradin von Hohenstaufen (1252–1268), erhob Anspruch auf das Königreich Sizilien, zu dem auch Neapel gehörte, das trug ihm die Gegnerschaft des Papstes Clemens IV. ein. 1268, in der Schlacht bei Tagliacozzo wurde Konradin von Karl von Anjou (1226–1285), Verbündeter des Papstes, gefangen genommen, zum Tode verurteilt und am 29. Oktober 1268 auf dem Marktplatz in Neapel öffentlich enthauptet.

Essay sur les moeurs Kap. 61 [dt. in: Versuch einer allgemeinen Weltgeschichte, übersetzt von K.F.Romanus (1760-1762), dort Kapitel 49]

[7] Louis XI. (1423-1483), König von Frankreich, baute regelrechte Folterverliese, oft mit Metallkäfigen versehen, in die er seine Gegner einsperren ließ. Im Pariser Stadtzentrum ließ er einen monumentalen Stierkopf aufstellen, mit dem er in Anlehnung an die römischen Stieropfer (als „Taurobolus“ bezeichnet), seine Macht demonstrierte. Der mächtign Adlige Jean V. d‘ Armagnac (1420-1473) war ein Gegner der Krone, den er beseitigen wollte. Jean V. verschanzte sich 1473 mit seinen Truppen in der Stadt Lectoure. Ludwig XI. entsandte Kardinal Jean Jouffroy zur Belagerung der Stadt. Jean V. kapitulierte, ließ die Stadttore öffnen, es kam zu einem Massaker, dem auch Jean V. zum Opfer fiel.

[8] Die Schrecken der roten und der weißen Rose beziehen sich auf die brutalen Kämpfe und das Leid während der Rosenkriege (engl. Wars of the Roses), die von 1455 bis 1487 in England stattfanden. Dieser dynastische Konflikt wurde zwischen den Adelshäusern Lancaster und York ausgetragen, die jeweils durch die Symbole einer roten Rose (Lancaster) und einer weißen Rose (York) repräsentiert wurden. Zahlreiche Gräueltaten, Schlachten und Verwüstungen weiter Landstriche Englands prägten diese Zeit

Essay sur les moeurs Kap. 115 [dt. in: Versuch einer allgemeinen Weltgeschichte, übersetzt von K.F.Romanus (1760-1762), dort Kapitel 94]

[9] In den Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in Italien wurde in der Schlacht bei Padua 1525 der französische König Francois I. von  Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches geschlagen und festgenommen. Francois I. entsandte César Frégose und Antoine de Rincon als Botschafter, um über seine Freilassung zu verhandeln. Karl V. ließ die beiden Gesandten hinrichten.

Annales de l’Empire vol. 13 p. 481

[10] Cesare Borgia (1475-1507), unehelicher Sohn des späteren Papstes Alexander VI., Herzog von Valentinois, Kardinal und Erzbischof von Valencia, gilt als besonders gewissenlos, weil er, um seine politischen Gegner zu beseitigen, auf Gift, Stilett und die Hand des Henkers zurückgriff.

Essay sur les moeurs Kap. 111 [dt. in: Versuch einer allgemeinen Weltgeschichte, übersetzt von K.F.Romanus (1760-1762), dort Kapitel 89]

[11] Pierre-Ange Goudar (1720-1791) schlug in seinem Werk „La Paix en Europe“  (1757) vor, in Europa einen zwanzigjährigen Frieden einzuhalten, damit sich die Nationen erholen und entwickeln könnten.

[12] Im Jahr 1685 hob Louis XIV das Edikt von Nantes auf, das den Protestanten Frankreichs (den Hugenotten) gewisse Rechte einräumte. Die Auflösung löste eine starke Emigrationswelle aus. Die verbliebenen Protestanten überzog man mit Repressalien.

[13] Die Religion der Manichäer (nach Mani, ihrem Stifter benannt), verstand das Weltgeschehen als Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen Licht und Dunkel. Von der byzantinischen Kirche wurde er als Konkurrenzreligion mit Hilfe des Staates bekämpft. Kaiser Justinian, dessen Ehefrau Theodora war, erließ 567 ein Gesetz, das den Manichäismus als staatsfeindlich und schädlich für die öffentliche Ordnung verdammte.

[14] In der Nacht vom 23. auf den 24. August 1572, der Nacht zum Heiligen Bartholomäus,  ließ Katharina von Medici tausende führende Hugenotten in Paris abschlachten.

[15] Im heiligen Krieg in Irland erhoben sich 1641 die katholischen Iren gegen die protestantischen englischen Besatzer. England schlug den Aufstand militärisch nieder. 1649 ließ Oliver Cromwell, der englische General, die Stadt Drogheda belagern und nach ihrer Einnahme tausende der katholischen Einwohner niedermetzeln.

[16] Simon de Montfort führte die papsttreue Armee an, um den Widerstand der protestantíschen Katharer in Südfrankreich zu brechen. Als die Stadt Bezier 1209 eingenommen wurde, fragte er den Abt von Cîteaux, wie er Katharer von Katholiken unterscheiden könne, der ihm antwortete: „Tötet sie alle, Gott wird die Seinen erkennen.“ 20.000 Einwohner wurden abgeschlachtet

[17] Siehe dazu den Artikel Apis im Philosophisches Taschenwörterbuch

[18] Der Berg Moriah  wird im Alten Testament als der Ort erwähnt, an dem Abraham seinen Sohn Isaak opferte (Genesis 22,2) und später auch als der Ort, an dem der Tempel von Jerusalem gebaut wurde (2. Chronik 3,1)

[19] Der Berg Garizim war der heiligste Ort für die Samariter, er leigt bei Nablus (früher Sichem), siehe dazu Johannesevangelium 4,20

[20] François-Michel Le Tellier de Louvois (1639–1691), Kriegsminister unter Louis XIV, wurde eine Liebesbeziehung zu der einflußreichen Kunstmäzenin Marie-Françoise du Fresnoy (1641-1729) nachgesagt.

[21] Die Tyrer waren ein Volk in Phönizien, das zwischen 1500 und 300 v.u.Z. an der Küste des heutigen Libanon lebte und nach ihrem Zentrum, der Stadt Tyros benannt wurden. Sie bauten eine mächtige Handelsflotte auf.  s. Wikipedia zu Tyros.

[22] Das Konzil von Dordrecht (1618 . 1619) war eine Veranstaltung der Calvinisten. Vordergründig ging es um die Frage, ob der Mensch einen freien Willen hat, oder ob sein Schicksal göttlicherseits vorherbestimmt ist. Über diesen Streit ließ der Statthalter Wilhelm von Oranien  seinen Widersacher Johan van Oldenbarnevelt verhaften und am 12. Mai 1619 hinrichten (Wikipedia zu Oldenbarnevelt). Mit ihm wurde auch der berühmte Rechtsgelehrte Hugo Grotius (De Jure Belli et Pacis) festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt (Wikipedia zu Grotius).

[23] Ab 1614 wurde das Christentum in Japan verboten. Um ihre Handelsvorteile nicht zu verlieren, hielten die holländischen Kaufleute keinen Gottesdienst ab und enthielten sich missionarischer Aktivitäten.

[24] Voltaire könnte sich auf Diogenes Laertios(3. Jdt.) und sein Werk Über Leben und Lehren berühmter Philosophen bezogen haben, S.82.

[25] Sequaner, Septimaner, Kantabrer und Allobroger: Gallische Stämme, die sich im 1. Jhdt. v.u.Z. gegen die ihnen militärisch und kulturell überlegenen römischen Eroberer hartnäckig zur Wehr setzten.

[26] Im antiken Rom gab es mehrere jüdische Gemeinden von denen jede ihre Synagoge hatte, so etwa in Trastevere, wo auch heute eine bedeutende Synagoge steht (um 1900 erbaut). Folgt man Cicero (in seiner Verteidigungsrede Für Flaccus ), arbeiteten Juden in den verschiedensten Berufen, denn es gab seitens der römischen Gesetzgebung keinerlei Einschränkungen.

[27] Contra Celsum –  Gegen Celsus (Kap. III, 9, s.158 – eine Word Datei der dt. Übersetzung v. P. Koetschau), S.158,  ist eine christliche Kampfschrift gegen den „Antichristen“ Celsus.

[28]Tertulian, Apologeticus IX, [dt.1797, übers. v. J.F.Kleuker: Des Quintus Septimius Florens Tertullianus Vertheidigung der christlichen Sache gegen die Heiden]. Tertullian ist von dem Thema der Fellatio so entrüstet, dass er sich damit an verschiedenen Stellen befasst. ]der Herder-Verlag apostrophiert das Pamphlet als „als Meisterwerk der christlichen Apologetik“.

[29]Telesphorus (lebte um 100 u.Z.) in vielen Heiligenbüchern als Märtyrer aufgenommen, ohne Belege für seinen unnatürlichen Tod anzugeben. Diese wurden dann im Nachhinein erfunden.

[30] Tertullian (150-220), Jurist, wandelte sich nach seiner Konversion zum Christentum zu einem religiösen Fanatiker. Alles körperlich-Sinnliche hält er für verderblich, das Schminken der Frauen, das Theater… Siehe zu Tertullian die Dissertation von Paul Wolf (1897)
 
[31] Voltaire bezieht sich auf J. A. Fabricius (16668-1738), dt. Philologe und Theologe, , Codex apocryphus Novi Testamenti 3 Bd.

[32] Voltaire bezieht sich bei diesen Märtyrergeschichten auf Claude Fleurys  mehrbändige Histoire ecclésiastique (dt. Allgemeine Kirchengeschichte).

[33](Anmerkung Voltaire) Hist. Romaine, d.i. Tacitus, Historiae Buch V.9

[34]In seinem Artikel Christianisme – Christentum, Historische Untersuchungen über das Christentum im Philosophischen Taschenwörterbuch beschäftigt sich Voltaire ausführlich mit dieem Thema des aufgehenden Sternes, der zur Geburt Jesus alles erleuchtet haben soll.

[35]Matthäus, i, 3-6;https://www.bibleserver.com/EU/Matth%C3%A4us1, was die Bibel über den Lebenswandel dieser 4 Frauen erzählt, qualifiziert Tamar (Genesis 38 https://www.bibleserver.com/EU/1.Mose38) und Bathseba  (2. Samuel 11–12 https://www.bibleserver.com/EU/2.Samuel11), anders als Rahab (Josua 2 https://www.bibleserver.com/search/EU/josua%202), nicht unbedingt als Prostituierte. Ruth (Buch Ruthhttps://www.bibleserver.com/EU/Rut1 ) keinesfalls. 

[36] (Anmerkung von Voltaire) Die Chronologien der Bibel unterscheiden sich derartig. 

[37] Jesaia, xvii,12 – 14

[38] Genesis, xlix 9, 10 in der Vulgata heisst die Stelle: „non auferetur sceptrum de Iuda et dux de femoribus eius donec veniat qui mittendus est et ipse erit expectatio gentium”, vgl. die verschiedenen Übersetzungsvarianten hier

[39] Petrus, ii 

[40] Matthäus, iv, 8;

[41] Johannes, ii, 9.

[42] Matthäus, viii, 32

[43] Genesis, iii, 1.

[44] Numeri, xxii, 28 ; und xxiii, 11

[45] Exodus, xiv, 15 https://www.die-bibel.de/bibel/EUE/EXO.14; zur Bacchus/Mose Parallele siehe die gute Synopse bei Hmolpedia. Voltaire bezog sich auf Pierre Daniel Huet, Demonstratio evangelica (1680).

[46] Es ist die vierte Ekloge Vergils in der er die Geburt eines göttlichen Knaben besingt.

[47] Voltaire könnte diese Verse bei Conveyors Middleton gefunden haben, in: A free inquiry into the miracoulous powers (1749), S.36

[48] Virgil, Aeneis, i, 533.

[49] S. dazu den Artikel Messias im Philosophischen Taschenwörterbuch.

[50] Johannes, Kap. xxiii. (Anmerkung Voltaire)  Es sind die Kapitel vii, 19, oder Matthäus v,17

[51] Deuteronium, iv, 2.

[52] Deuteronomium, Kap. xiii.

[53] Matthäus, xxiii.

[54] Johannes, ii, 15, 20.

[55] Matthäus, xvi, 18.

[56] Johannes, Kap. i, Vers 45.

[57] Matthäus, Kapitel x, V. 34.

[58] Lukas, Kap. xiv, V. 12.

[59] Lukas, Kap. xiv, V. 26.

[60] Johannes, Kap. xiii, Vers 34.

[61] Lévit., chap. xix.

[62] Lukas, Kap. xxi, Vers 27.

[63] Thessal., iv, 17.

[64] Siehe Irenäus.

[65] Der griechische Redner Demosthenes beschämte seine Zuhörer, in dem er Ihnen zeigte, dass sie eher an dem Fortgang eines Prozesses um des Esels Schatten interessiert waren, als an seiner Rede. 

Anselm Breuers Voltaire Oper Samson in Mainz uraufgeführt

Dem Mainzer Komponisten Anselm Breuer kommt das Verdienst zu, nach fast 300 Jahren das Libretto von Voltaire (in französischer Sprache mit deutschen Untertiteln), mit seiner in der Tradition des Barock stehenden Vertonung zu neuem Leben erweckt zu haben. Am 7.9.2024 kam die Oper in der Augustinerkirche unter der Schirmherrschaft des dortigen Bischofs (!) in Mainz zur Uraufführung.
Die Oper Samson, zu der Voltaire 1733 das Libretto verfasste und Rameau die Musik komponierte, kam nie öffentlich zur Aufführung, weil die königliche Zensur ein Aufführungsverbot wegen Gotteslästerung verhängte. Voltaire hatte den biblischen Text (siehe Richter, 16) ausgewählt, weil er an ihm ohne große Veränderungen den ihm verhassten religiösen Fanatismus vorführen konnte.
Der Text erschien erstmals 1745 in Amsterdam, die Partitur Rameaus blieb nicht erhalten. Allerdings nutzte Rameau seine Samson-Kompositionen in diversen seiner späteren Stücke.

Tagung zu Voltaire im Schloss Schwetzingen

Die Tagung, die vom 19. bis 21. September 2024 im Rahmen des Carl-Theodor Jahres im Schloss Schwetzingen stattfindet, soll die Voltaire-Rezeption in den deutschsprachigen Wissenschaften und Künsten herausarbeiten. Zu den Veranstaltern zählen Professor Dr. Susan Richter, Historisches Seminar, Universität Kiel, PD Dr. Björn Spiekermann, Germanistisches Seminar, Universität Heidelberg, Professor Dr. Dieter Hüning, Universität Trier und Professor Dr. Gideon Stiening, Universität München. Die Veranstaltung ist öffentlich. Eine Anmeldung ist per E-Mail an srichter@histosem.uni-kiel.de notwendig.

Die Titel der Vorträge (Man kann sich den Veranstaltungsflyer als pdf herunterladen) versprechen nicht sehr viel Gutes, jedenfalls nicht im Sinne derer, die sich in der Tradition der Aufklärung sehen. Aber sicherlich wird es später eine Veröffentlichung der Vorträge geben, die wir dann vorstellen werden.

Die Voltaire-Stiftung erhielt Anfragen, warum sie als einzige Stiftung in Deutschland, die sich, in der Tradition Voltaires stehend, seinem Leben und Werk widmet, an der Veranstaltung nicht teilnimmt. Wir können nur antworten: weil sie nicht eingeladen wurde.

Philosophisches Taschenwörterbuch: Égalité – Gleichheit (Kommentare)

Dieser Kommentar gibt Hintergrundinformationen zu dem Artikel Égalité aus dem Philosophischen Wörterbuch (1764) von Voltaire, das wir 2020 erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt und im reclam Verlag herausgegeben haben. Zu jedem der 73 Artikel wird es eine Kommentarseite geben, die die Vorteile des Internets mit der soliden Basis eines gedruckten Buches verbindet (ungefähr die Hälfte der Artikel haben wir bisher kommentiert, siehe dazu unsere Übersichtsseite) , außerdem eine kurze Inhaltsgabe und zu jedem Artikel den französischen Originaltext. Das Buch gibt es gebunden und seit 2023 auch als Taschenbuch. Die exklusive Vorzugsausgabe in 300 Exemplaren ist ausverkauft.

A. Gleichheit als Naturrecht – Ungleichheit als Schicksal?

Um die Gleichheit in einer Gesellschaft zu messen, verfügen wir heute über verschiedene statistische Verfahren. Sie zeigen, dass in vielen Staaten die Vermögen mehr noch als die Einkommen sehr ungleich verteilt sind, dass die Chance, in der sozialen Stufenleiter aufzusteigen, meist nicht all zu hoch ist und dass die höheren Bildungseinrichtungen dem ärmeren Teil der Bevölkerung nahezu verschlossen bleiben . Wenn also die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass die Kinder der ärmeren Bevölkerung ebenso arm bleiben wie ihre Eltern, sie ihrer Lage nur äußerst selten entkommen können, fragt es sich, ob es etwa an ihren defizitären Erbanlagen liegt, oder aber an der Art und Weise wie die Gesellschaft organisiert ist, in der sie leben. Die Antwort ist einfach. Wenn die DDR auch der Vergangenheit angehört, so hat sie doch lange genug existiert, um  eines zu beweisen: Dass Kinder aus den sogenannten unteren Gesellschaftsschichten ebenso „bildsam“ sind wie die der oberen.

Seit der Aufklärung hängen wir ohnehin der Vorstellung an, dass alle Menschen von Natur aus gleich sind und zumindest bei der Geburt die gleichen Erbanlagen und theoretischen Fähigkeiten besitzen (das versteht man unter naturrechtliche Gleichheit), und wir wissen, dass die spätere Ungleichheit, also ob man Erntehelfer oder Professor, selbständiger Unternehmer wird, stark von der Art und Weise abhängt, wie eine Gesellschaft organisiert ist: ob ihre Verfassung verhindert, dass enorme Vermögen auf Kosten der Mehrheit entstehen, ob Bildungseinrichtungen so organisiert sind, dass sie es jedem ermöglichen, seine Fähigkeiten – unabhängig vom Einkommen der Eltern – zu entfalten u.v.a. mehr.

Die Beziehungen, die zwischen den beiden Polen Gleichheit von Natur aus und materieller, sozialer Gleichheit bestehen, versuchte Christoph Menke, ein Professor für Philosophie, in Spiegelungen der Gleichheit (2014) herauszudestillieren. Das Werk ist leider äußerst spitzfindig, doch sein Kapitel über Babeuf „Die Verschwörung für die Gleichheit“ ist wirklich lesenswert und auch für Nichtphilosophen verständlich. Um was es dabei geht, kann man an einem einfachen Beispiel aufzeigen: Wenn in einer Gesellschaft allen Bürgern Diebstahl per Gesetz verboten ist (Gleichheit vor dem Gesetz) so macht es doch einen Unterschied, ob sich ein Besitzloser an fremdem Eigentum vergreift, oder aber ein wohlsituierter Bürger, der – zumindest, was einfache Diebstähle angeht – es nie nötig hätte, solche zu begehen. Ein Urteil über den Dieb kann somit niemals gerecht sein, wenn es die materielle Situation des Diebes unberücksichtigt lässt. Wenn er aus extremer Armut stiehlt, hat sich eine Gesellschaft, die ihm keine bessere Perspektive bot, mitschuldig gemacht.

B. Hintergrund: Die Diskussion um die Frage nach der sozialen Gleichheit im 18. Jahrhundert

Hobbes, Locke, Bayle, Montesquieu, Hume, Condillac, Rousseau und schließlich auch Voltaire: Sie alle stimmen darin überein, dass die Menschen von Natur aus gleich sind. Was die materielle Ungleichheit betrifft, lehnen sie zumindest die kirchliche Lehre ab, dass die Stellung, die jeder Einzelne in der Gesellschaft einnimmt, eine göttliche Fügung sei. Eine Lehre, nach der jeder, der für sich mehr einfordert, als ihm nach seiner Klassenzugehörigkeit – ein ebenso wie „Gleichheit“ unbeliebter Begriff – gesetzlich zusteht, oder sich gar gegen die herrschenden Zustände (damals gegen die Adelsherrschaft) wehrt, ein blasphemischer Aufrührer ist, weil er sich in seinem Verlangen nach Glück nicht mit dem Jenseitsversprechen der Religion begnügte.

In Voltaires 1738 erschienenem Gedicht De l’égalité des conditions heißt es:

Les mortels sont égaux ; leur masque est différent.
Nos cinq sens imparfaits, donnés par la nature,
De nos biens, de nos maux sont la seule mesure.
Les rois en ont-ils six ? Et leur âme et leur corps
Sont-ils d’une autre espèce, ont-ils d’autres ressorts ?
C’est du même limon que tous ont pris naissance ;
Dans la même faiblesse ils traînent leur enfance ;
Et le riche et le pauvre, et le faible et le fort,
Vont tous également des douleurs à la mort.
[Die Sterblichen sind gleich; ihre Masken sind verschieden./Unsere fünf unvollkommenen Sinne, von der Natur gegeben,/sind das einzige Maß für das, was gut ist und was von Übel./Haben Könige sechs davon? Und ihre Seele und ihr Körper/Sind sie von anderer Art, haben sie andere Quellen?/Aus demselben Lehm sind sie alle geboren;/In derselben Schwäche verbringen sie ihre Kindheit;/Der Reiche und der Arme, der Schwache und der Starke,/Gleichermaßen durchleben sie Schmerzen bis zum Tod.]

Wenn aber alle Menschen von Natur aus gleich und frei sind, warum „leben sie dann überall in Sklaverei“ (Rousseau, 1762 in seinem Contrat social)?

Rousseaus Antwort in seiner bereits 1755 erschienen Preisschrift Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, die Voltaire als „Schrift gegen die Menschheit“ titulierte, ist, dass in dem Augenblick, wo jemand eines anderen Hilfe bedarf, die Ungleichheit entsteht, denn er wird nun von dessen Hilfe abhängig. „l’égalité disparut, la propriété s’introduisit, le travail devint nécessaire et les vastes forêts se changèrent en des campagnes riantes qu’il fallut arroser de la sueur des hommes, et dans lesquelles on vit bientôt l’esclavage et la misère germer et croître avec les moissons“ (p. 118)
[„Die Gleichheit verschwand, das Eigentum stellte sich ein, die Arbeit wurde etwas notwendiges, die dichten Waldungen verwandelten sich in lachende Felder, die mit dem Schweiße der Menschen getränkt werden mussten und bald sah man Sklaverei und Elend zugleich mit den Ernten hervorkeimen und groß werden“. (S. 66)]
Je weiter sich die Menschen von der Natur entfernen, desto größer wird ihre Ungleichheit.

Voltaire antwortete auf diese kulturskeptische Position Rousseaus in seinem Brief vom 30.8.1755 und meinte:
„Man hat noch nie so viel Geist aufgewendet, um uns zurück zu den Tieren zu schicken, man bekommt Lust, auf allen Vieren zu laufen, wenn man Ihr Werk liest“ (Zur Rolle von Rousseau siehe Rousseau und Voltaire – Ein Verräter im inneren Kreis der Aufklärer).

In seinem Gedicht Le Mondain (1736) hob Voltaire ganz im Gegenteil die Fortschritte der Zivilisation hervor: Zur Zeit von Adam und Eva lebte man noch im Dreck, während in späteren Zeiten das Leben deutlich angenehmer wurde. Wenn dieses Angenehme auch nicht allen zugute kommt, trägt es doch, zum Beispiel, was den Luxus betrifft, zur Höherentwicklung der ganzen Gesellschaft bei (Siehe dazu Was die Kirchen ärgert – Die Verteidigung des Luxus bei Voltaire) .

Zuviel Gleichheit schien den meisten Aufklärern des 18. Jhdts. wohl eher gefährlich und verderblich. Zum Beispiel meinte Montesquieu in seinem Geist der Gesetze (Ésprit des Lois, Kap. 8):
„Le principe de la démocratie se corrompt, non seulement lorsqu’on perd l’esprit d’égalité, mais encore quand on prend l’esprit d’égalité extrême, et que chacun veut être égal à ceux qu’il choisit pour lui commander ».
[Das Prinzip der Demokratie kann nicht nur zugrunde gehen, wenn der Geist zur Gleichheit schwindet, sondern auch, wenn man ihn aufs Äußerste treibt, und jeder gleich sein will mit denen, die er ausgewählt hat, um über sich zu regieren.“]

Zu der ausgebildeten Adelsgesellschaft seiner Zeit meinte 1755 Louis de Jaucourt, von dem viele der Artikel in der berühmten Enzyklopädie (ab 1768 war er als Diderots Nachfolger deren Herausgeber) stammen: „Ich möchte nur noch bemerken, dass gerade die Verletzung dieses Prinzips [der natürlichen Gleichheit] zur politischen & bürgerlichen Sklaverei geführt hat. Daher kommt es, dass in den der Willkürherrschaft unterworfenen Ländern, die Fürsten, die Höflinge, die ersten Minister & die, welche die Finanzen verwalten, alle Reichtümer der Nation besitzen, während die übrigen Bürger nur das Notwendige haben & der größte Teil des Volkes in der Armut verkümmert“ (Artikel „Ègalité naturelle“). Im Anschluss beeilte er sich aber zu verkünden, dass dies nicht als Aufruf zum Umsturz zu verstehen sei.

Was sagten aber Mesliers, Diderot, d’Holbach und Hélvétius, de La Mettrie, also die Atheisten unter den französischen Aufklärern, zu der Forderung nach sozialer Gleichheit?
Deutlich erhob sie der Abbé Mesliers, der die Armut seiner Gemeindemitglieder hautnah erlebte, in seinem sogenannten Testament, das ab 1729 nur als Manuskript zirkulieren durfte (Die Ausgabe von Voltaire war eine deistisch entschärfte Kurzfassung). Diderot stellte für seine Gönnerin Katherina II. ein Programm für die allgemeine Schulbildung zusammen, ein Konzept, dem Hélvétius folgte. d’Holbach ging die Ungleichheit in seinem Buch Système social (1773) an, in dem er versuchte, gesellschaftliche Pflichten und Eigeninteresse ins Gleichgewicht zu bringen.

De La Mettrie (Philosophie und Politik) nimmt eine Sonderstellung unter den Atheisten ein, er scheint die Gesellschaft als das Reich der Interessen anzusehen, das sie zweifellos auch ist und die Hoffnung, dass sie durch vernünftige Regelungen für mehr Gleichheit oder Gerechtigkeit besser würde, hält er für eine Illusion. Die Mächtigen haben die Gesellschaft für ihre Interessen aufgebaut und die Religion benutzt, um ihrem System eine höhere Weihe zu verleihen, sie werden es nicht freiwillig aufgeben. La Mettrie setzt auf die Zerstörung der Religion, damit sich die Erkenntnis durchsetzt, dass es kein prinzipielles gut und böse, keine absolute Moral gibt, sondern nur die eingefärbte ihrer jeweiligen Profiteure. Setzte sich diese Erkenntnis nämlich durch, würde sich die Herrschaft der Wenigen über die Vielen nicht mehr mit lügenhaften Jenseitsgespinsten rechtfertigen lassen, sie müsste ihren Nutzen für die Allgemeinheit darlegen, um weiterhin anerkannt zu werden. Es ist erstaunlich, wie nahe Voltaire dieser Position ist.

Von einiger Bedeutung für die revolutionäre Entwicklung in Frankreich war die 1755 erschienene, heute nur wenigen bekannte Schrift, der Code de la Nature von Étienne-Gabriel Morelly (1717-1778), die man lange Diderot zuschrieb und die für das Denken von Gracchus Babeuf außerordentlich wichtig war. In diesem Grundgesetz der Natur, so heißt der Titel in der deutschen Übersetzung von Ernst Moritz Arndt (1846), leitet Morelly aus der naturrechtlichen Gleichheit aller Menschen das Gemeineigentum als Voraussetzung für die materielle, soziale Gleichheit in der Gesellschaft ab.

Schließlich sollte man die Maxime von Jeremy Bentham „the greatest happiness for the greatest number“ [Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl] erwähnen, sein Werk kann als aufrichtiger Versuch angesehen werden, die ungerechte Eigentumsverteilung einer rationalen Lösung zuzuführen.
Und selbstverständlich traten die französischen Revolutionäre in ihren Schriften für die soziale, materielle Gleichheit ein, herausragend sicherlich Marat, Hébert und mit Einschränkung auch Robespierre.

Die Gleichheit litt nach 1789 in Europa unter einem sehr schlechten Ruf. Unzählige Schriften und Bücher versuchten zu beweisen, dass die Forderung nach Gleichheit, würde sie umgesetzt, in ihr Gegenteil umschlagen und geradewegs in der schlimmsten Tyrannei enden müsse. Eine Auffassung, die im Übrigen auch schon Pierre Bayle in seinem Artikel Perikles vertrat und Voltaire in seinem Artikel Démocratie seiner Questions sur l’Encyclopédie diskutierte und bestritt.

Mit seinem Todesurteil gegen Gracchus Babeuf und Augustin Alexandre Darthé reagierte 1797 das Direktorium auf das letzte Aufflackern der revolutionären Forderung nach sozialer Gleichheit, die Babeuf mit seinen Verschwörern für die Gleichheit vehement vertrat, um sie ein für allemal niederzuschlagen. Babeufs Verteidigungsrede vor Gericht ist gleichermaßen ein bestürzendes Dokument und ein beeindruckendes Denkmal der Menschheitsgeschichte.

C. Quellen
– Buonarotti, Phillipp, Histoire de la Conspiration pour l’Égalité dite de Babeuf (1828), dt.: Babeuf und die Verschwörung für die Gleichheit, übers. v. Anna u. Wilhelm Blos, Stuttgart: Dietz Nachf. 1909
– Bentham, Jeremy , Fragment on Government (1776) [pdf digitalisat]
– Jaucourt, Louis de, Égalité Naturelle, Encyclopédie, 1755 , dt : Natürliche Gleichheit, in Die Welt der Enzyklopädie, Frankfurt: Eichborn, 2001, S.273-274
– Mesliers, Jean, Testament, (1864), dt.: Das Testament des Abbé Meslier, übers. v. Angelika Oppenheimer, Frankfurt: Suhrkamp, 1976
– Montesquieu, l’Ésprit des Lois, 1758, dt. : Vom Geist der Gesetze, 1760
– Rousseau, Jean Jacques, Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, 1755, dt.: Abhandlung über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, übers. v. H. G. Heusinger 1829
– Rousseau, Jean Jacques, Du Contrat social ou Principes du Droit politique,  Amsterdam: Rey, 1762. , dt.: Über den Gesellschaftsvertrag, Leipzig: Wigand, übers. v. A. Marx, 1843
– Voltaire, De l’égalité des conditions, erschien erstmals 1738 in den Epîtres sur le bonheur [Rede über das Glück]
– Voltaire, Le Mondain, 1736 (dt.: Die Verteidigung des Luxus)
– Voltaire, Brief an Rousseau vom 30.8.1755 (D6451), dt.: An Jean Jacques Rousseau in: Voltaire in seinen schönsten Briefen, übers., hrsg. v. H. Missenharter, Stuttgart: Port, 1958, 400 S.

D. Literaturhinweise
– Babeuf, Die Verschwörung für die Gleichheit, Rede über die Legitimät des Widerstands, mit Essays von H. Marcuse und A. Soboul, Hamburg: Junius, 1988, 168 S.
– Menant, Sylvain, Voltaire-Rousseau : deux conceptions modernes de l’égalité, Vortrag aus d. Jahr 2010
– Christoph Menke, Spiegelungen der Gleichheit, Beck, 2014. Menke versucht das Spannungsverhältnis zwischen natürlicher und materieller Gleichheit auszuloten. Am Beispiel Babeufs Verteidigungsrede vor Gericht zeigt er, dass es dabei um eine der wesentlichen Fragen der Menschheitsgeschichte geht.
– Gregor Ritschel, Bentham und Marx, Bielefeld: transcript, 2018 [pdf-digitalisat]

Die folgenden Anmerkungen zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020):

Anmerkung 1 (S.194, 1. Absatz): In seinen Questions sur l’Encyclopédie (1770-1772), eine Art Kompendium interessanter Artikel zu den verschiedensten Themen, nahm Voltaire auch den Artikel Égalité auf, veränderte aber den ersten Absatz, wohl wegen der Ähnlichkeit mit Rousseaus Contrat Social, folgendermaßen:
«Il est clair que les hommes jouissant des facultés attachées à leur nature, sont égaux; ils le sont quand ils s’acquittent des fonctions animales, et quand ils exercent leur entendement. Le roi de la Chine, le Grand Mogol, le padicha de Turquie, ne peut dire au dernier des hommes, Je te défends de digérer, d’aller à la garde-robe et de penser. Tous les animaux de chaque espèce sont égaux entre eux».
[dt.: Es ist offensichtlich, dass die Menschen, wenn sie die ihrer naturbedingten Fähigkeiten ausüben, gleich sind; sie sind es, wenn sie ihre animalischen Fähigkeiten ausüben und wenn sie von ihrer Vernunft Gebrauch machen.
Kein König von China, kein Großmogul, kein Padischah kann dem Geringsten seiner Untertanen verbieten, zu verdauen, auf die Toilette zu gehen und zu denken. Alle Tiere, ganz gleich welcher Art, sind untereinander gleich].

Anmerkung 2 (S. 195, 2. Absatz: „Nicht die Ungleichheit ist das wirkliche Übel, sondern die Abhängigkeit… Es ist hart, dem einem oder anderen dienen zu müssen.“):
In den Questions sur l’Encyclopédie führt Voltaire diesen Punkt weiter aus und erklärt, dass die Ungleichheit eine Folge der sozialen Veranlagung des Menschen und der daraus entstehenden Bedürfnisse sei. Ganz anders hier, wo er an dem Beispiel der türkischen Herrscher zeigt, dass sie dem Machthunger des Menschen entspringt.

Anmerkung 3 (S.195, 3. Absatz: „Aus der Familie…gehen die Knechte hervor“): Das ist ein weiterer Hinweis auf die Gewalt als Quelle der Ungleichheit, so wie auch im darauf folgenden Absatz.

Anmerkung 4 (S.195, unten: „Nicht alle Armen sind ganz und gar unglücklich“): Zu diesem Satz gibt es bei verschiedenen Übersetzern interessante Alternativen. Siehe dazu unsere Themenseite
Égalité – Gleichheit Übersetzungsvarianten im Diskussionsform „Traumdenken“.

Anmerkung 5 (S.196: Wenn die Armen ihre Lage erkennen, „kommt es zu Kriegen“):
– so wie in Rom dem der Volkspartei gegen die Senatspartei:
Am Ende des 2. Jahrhunderts v.u.Z. wollten die Gracchen eine Bodenreform einführen, um den Graben, der sich zwischen den „Optimaten“, den Adligen und den „Popularen“, dem Volk aufgetan hatte, zu verringern. Es kam zu Aufständen, in denen Tiberius Gracchus 133 v.u.Z. von Handlangern des Senats ermordet wurde. Er wollte, dass ein Gesetz erlassen wird, das den Adligen die Aneignung des sogenannten Publicus, also der von Allen gemeinsam benutzen Anbauflächen untersagt. Zehn Jahre später wurde auch sein Bruder Gaius umgebracht.  Erst Marius ab 107 v.u.Z gelang es, indem er die Proletarier in das Heer integrierte, dem Ziel näherzukommen.
– oder die Bauernkriege in Deutschland, England und Frankreich:
In seinem Essai sur les moeurs erwähnt Voltaire (chap. 76) die  sogenannten Jacqueries unter Jean le Bon um 1360, die Bauernaufstände in England unter Richard II um 1381 (chap 78) und die Bauernkriege um 1525 in Deutschland (chap 131). Diese seien durch die Anabaptisten, die Wiedertäufer, zum Aufstand gebracht worden, indem sie ihnen die gefährliche Wahrheit in die Herzen eingepflanzt hätten, dass „zwar alle Menschen von Geburt an gleich sind, aber wenn der Papst die Adligen wie Untertanen behandelt, so behandeln diese die Bauern wie Tiere“ [„Ils développèrent cette vérité dangereuse qui est dans tous les cœurs, c’est que les hommes sont nés égaux, et que si les papes avaient traité les princes en sujets, les seigneurs traitaient les paysans en bêtes“]…

Anmerkung 6 (S. 196, 3.Absatz: „Die Gleichheit ist also zugleich die natürlichste Sache von der Welt und zugleich die illusorischste):
Auch hier: Die Ungleichheit ist nicht gottgegegeben, sie ist Ergebnis ungleicher Macht- und Eigentumsverteilung, die menschlich, aber nicht unabänderlich ist. Rousseau sah die Gleichheit als ein machbares Ziel einer durch die Vernunft regierten Gesellschaft. Voltaires glaubte daran ganz offensichtlich nicht. 

Anmerkung 7 (S.196 unten: ..dass es einem Bürger nicht erlaubt sei, das Land zu verlassen):
In seinem Essai sur les moeurs (chap. 196) erwähnt Voltaire, dass es in Japan unter dem Herrscher Jemitz einen Erlass, gab,  nachdem „kein Japaner bei Todesstrafe das Land verlassen durfte“.
Aber auch jeder Normalbürger in den Fürstentümern des 18. Jahrhunderts benötigte eine Erlaubnis des Herrschers, wenn er das Land verlassen wollte.

Anmerkung 8 (S.197, 2. Absatz: „Wenn sich die Türken Roms bemächtigten…“): Obwohl also der Koch und der Kardinal in ganz verschieden Klassen leben, sind sie doch als Menschen gleich, so gleich, dass sie, änderten sich die Gesellschaftsverhältnisse, jederzeit herrschen, Gehorsam fordern und ihren Nächsten unterjochen würden.  

Anmerkung 9 (S.197 unten: Ein Privatmann,..der sich darüber ärgert, „dass er überall mit gönnerhafter oder verächtlicher Miene empfangen wird“,…)
Voltaire spricht hier ganz aus seiner eigen Erfahrung am Hofe von Versailles, aber auch bei Friedrich II in Berlin. Und er fasste selbst genau den Entschluss und hat getan, was er hier empfiehlt: nämlich wegzugehen.

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Philosophisches Taschenwörterbuch: Corps – Körper (Kommentare)

Die Frage, ob es außerhalb unserer Wahrnehmung eine unabhängig von uns existierende Materie gibt, um die es in Voltaires Artikel geht, beschäftigte die Menschheit mindestens seit der Antike. Auch heute ist diese Debatte noch in Gang, Filme wie „Inception“ oder „Matrix“ besitzen Kultstatus und erfassen weite Kreise, oft Jugendliche, die aus den geschickt gemachten Streifen großes Misstrauen der objektiven Wirklichkeit gegenüber ableiten und gleichzeitig eine Haltung rechtfertigen, die sich vor allem mit den eigenen subjektiven Phantasien und Innenwelten beschäftigt. Würden sie ihn kennen, wäre Bischof Berkeley ihr geistiger Urvater und Voltaire, was in dem Artikel klar zum Ausdruck kommt, ihr intellektueller Gegner.

A. Hintergrund:
George Berkeleys (1685-1753) Lehre ist seine christliche Antwort auf die Philosophie der Aufklärung, er verneint die Existenz einer objektiven Realität und behauptet, alle Dinge würden nur in Beziehung zu unserer Wahrnehmung existieren. Diese Position wurde verschiedentlich als sensualistischer Idealismus bezeichnet und ist noch extremer als die von Immanuel Kant, der wenigstens mit seinem „Ding an sich“ Dogma (dass man das eigentliche Wesen eines Objekts nicht erkennen kann, da wir es ja nur durch die Brille unserer Sinnesorgane wahrnehmen) die prinzipielle Existenz der Objekte nicht in Frage stellt.
Sicher erscheint es jedem Nichttheologen grotesk, dass der Schreiner die Existenz seines von ihm selbst hergestellten Stuhls auf dem er sitzt, nur als ‚Könnte sein‘-Objekt annehmen dürfen soll, dessen eigentliches „Ding an sich“ Wesen er nach Kant nicht zu erkennen vermag. Berkeley ging aber noch einen Schritt weiter: die gesamte außer uns existierende Welt ist nach ihm nur deshalb existent, weil wir sie wahrnehmen.
John Locke, dem Voltaire folgt, geht dagegen davon aus, dass nichts in unserem Kopf ist, was nicht zuvor durch unsere Sinne empfangen wurde und unterscheidet primäre Qualitäten wie Ausdehnung, Gestalt, Bewegung, Undurchdringlichkeit und Zahl, die der Materie ursprünglich eigen sind, von sekundären Qualitäten wie Gerüche, Farben, Töne, Geschmacksempfindungen usw., die wir von den Körpern zwar sinnlich empfangen, aber subjektiv in uns ausgestalten und benennen.
Demgegenüber huldigt Berkeley einem radikalen Immaterialismus: „Sein ist Wahrgenommenwerden oder Wahrnehmen“. Das Wahrgenommene besitzt keine eigene selbständige Existenz. Worin liegt nun der christliche Clou in Berkeleys Argumentation? Wenn es Objekte gibt, die eine eigene Existenz haben, so wären sie auch von Gott unabhängig und widersprächen der universalen Abhängigkeit der Schöpfung vom Schöpfer! Darauf muss man erst einmal kommen. Der hochgläubige Mann schrieb gegen die Freigeisterei eines Mandeville und Shaftesbury , er betätigte sich als christlicher Missionar in Übersee und war überzeugt, mit seiner Lehre das Christentum gegen die Aufklärung retten zu müssen.


B. Die Diskussion um die Frage nach der äußeren Realität im 18. Jahrhundert
Im Frankreich des 18. Jahrhunderts stand das akademische Personal ganz im Banne Descartes und seines Körper-Geist/Seele Dualismus. Das ist eine Haltung, die den Geist (die Seele) als eine eigenständige Seinsform oder Substanz ansieht und diese von der Materie, der körperlichen Welt, trennt. Die materielle Substanz sei „ausgedehnt“ und teilbar, die geistige dagegen unteilbar und unendlich. Der Geist (die Seele) sei dem Menschen eigen, Tiere hätten ihn nicht und seien Maschinen ähnlich, erklärte Descartes und bestritt Voltaire (s. Artikel im Philosophischen Taschenwörterbuch Âme-Seele).
Aus diesem Körper/Geist Dualismus erst ergab sich das erkenntnistheoretische „Problem“, wie dieser Geist in seinem Gehäuse die Außenwelt wohl erkennen könnte. Berkeley löste das Problem, wie bereits gesagt, indem er der objektiven Außenwelt eine Existenz überhaupt absprach. Bis heute beschäftigt sich die Philosophie und auch die Naturwissenschaft mit diesem Thema. Eine Rezension des Buches zweier Hirnforscher, Haynes/Eckholdt „Fenster ins Gehirn“ aus dem Jahr 2021, zeigt das sehr gut, / und sie zeigt insbesondere, wie eng die Annahme des Dualismus an die Religion gekoppelt ist. Über zweihundert Kommentare geben einen guten Einblick in die Verwirrung, die dieser Dualismus bis heute anstiftet.
Es ist offensichtlich, dass es vor allem die nicht überwundene Religion war, die die Intellektuellen im 18. Jahrhundert daran hinderte, zu erkennen, dass der Geist und das Denken durchaus körperlich sind und dass der behauptete Dualismus überhaupt nicht existiert.
Man bezeichnet diese Gegenposition zum Dualismus heute als Monismus (bekannter Vertreter: Ernst Häckel) oder einfach als Materialismus, da sie die Vorstellung, es gäbe zwei Grundprinzipien, zwei Substanzen in der Welt ablehnt, und die Auffassung vertritt, dass alles Materie ist, auch der Geist.
Im 18. Jahrhundert war es vor allem der verfemte La Mettrie, Demokrit wieder aufnehmend, der diese Position vertrat und es gebührt ihm die Ehre, mit seinem Werk „Der Mensch als Maschine“, diesen Weg als erster im 18. Jahrhundert wieder beschritten zu haben, einen Weg, den nach ihm unter anderem Diderot, Helvetius und d’Holbach beschreiten sollten.

Leibniz‘ Monadologie, Voltaire erwähnt sie in seinem Artikel, stellt einen weiteren, allerdings mystisch-religiös eingefärbten Versuch dar, den Leib-Seele, Körper-Geist Dualismus mit Hilfe der Mathematik aufzulösen und ein einheitliches Prinzip, eben die Monade, Geist und Materie in einem, einzuführen. Zu diesem Thema existiert ein Wikipedia-Artikel, der Leibiz Monadenlehre hinreichend und verständlich erklärt.

In seiner vor über 100 Jahre erschienenen, aber noch immer lesenswerten Geschichte der Philosophie gibt Windelband (im Kapitel V, Die Philosophie der Aufklärung, S.358 ff ) einen guten Überblick über die Winkelzüge, die das Körper-Geist Dualismus Problem im 18. Jahrhundert hervorrief und welche Lösungsansätze dafür angeboten wurde. Berkley steht auf der einen Seite des Extrems (Verneinen der materiellen Welt zugunsten der geistigen), La Mettrie auf der anderen.

Und Voltaire? Er hielt es mit John Locke und hielt sich selbst vornehm – oder vorsichtig – zurück, gab aber immer wieder zu erkennen, dass er den Dualismus ablehnte und er verbannte die göttlich-geistige Sphäre in die Ecke des Ungewissen.

C. Quellen
– Breidert, Wolfgang, George Berkeley: Wahrnehmung und Wirklichkeit, in: Grundprobleme der großen Philosophen, Göttingen: Vandenhoek, 1979, S.211 – 240
Berkeley, Georges, Three dialogues between Hylas and Philonous, Amsterdam,1750, [dt.: Berkeley, Drei Dialoge…übers. und eingeleitet v. Dr. Raoul Richter Leipzig: Dürr, 1901]

Die folgenden Anmerkungen zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020):

Anmerkung 1 (S.100 unten: „Es gibt nur Körper, sagen Demokrit und Epikur):  Leukipp und Demokrit (ca. 460-370 v. Chr.) entwickelten materialistisch- mechanistische und atomistische Theorien, die man bei Epikur wiederfindet, während Zenon von Elea die Unmöglichkeit von Materie und Bewegung zu beweisen versuchte.

Anmerkung 2 (S.101, 2. Absatz: „Er glaubt zu beweisen, dass es keinerlei Ausdehnung gibt“):  In Berkeleys Three Dialogues 170-172 dt. Drei Dialoge S.39,

Anmerkung 3 (S. 102: 2. Absatz: „Ich habe mich vor langer Zeit mehrfach mit ihm unterhalten…“): Das Treffen mit Berkeley muss zwischen 1726 und 1728  während Voltaires Exil in London stattgefunden haben.

Anmerkung 4 (S.176: „wenn er Hylas fragt…“):
Voltaire vertauscht hier die Namen der beiden Gesprächspartner.

Anmerkung 5 (S.176: „… dass die Körper aus unendlich vielen kleinen Wesen bestehen, die keine Körper sind“): Voltaire setzte sich mit  Leibniz‘ Monadologie in seinen Élements de la philosophie de Newton auseinander: Kapitel 8 (frz).

Philosophisches Taschenwörterbuch: Convulsions – Zuckungen (Kommentare)

Zu dem Thema der Zuckenden/Convulsionisten gibt es auf Französisch einen ausführlichen Wikipedia-Artikel, der diese Bewegung religiösen Wahns und ihre Protagonisten lang und breit vorstellt; jedoch, wie leider oft bei solchen Artikeln zu religiösen Themen, ohne wirklich Licht ins Dunkel zu bringen.

In Voltaires Artikel geht es nur vordergründig um die Zuckenden, die Convulsionistes, eine jansenistische Wunderheiler-Bewegung ähnlich der Wallfahrtsbewegung nach Lourdes, oder der Wundersage vom Heiligen Rock von Trier, die sich bis zum heutigen Tage immer wieder erneuern. Im Wesentlichen geht es bei Voltaire aber um den Konflikt zwischen den beiden innerkatholischen Fraktionen der Jansenisten und der Jesuiten, beide Gegner der Aufklärer. Es würde hier zu weit führen, diesen Konflikt auszuleuchten, der es wohl wert wäre, einmal wissenschaftlich aufgearbeitet zu werden. Es wird im Folgenden nur möglich sein, einige kurze Hinweise zu den wichtigsten Konfliktlinien zu geben.
Voltaire schildert den scheinbaren Glaubensstreit belustigt, ist sich aber sehr bewusst, dass sich die Fraktionen im Kampf gegen die Aufklärung jederzeit verbünden können.

Hintergrund:
A
. Zum Jansenismus-Jesuitenstreit um 1700
Voltaire hatte in seiner Familie mit dem Jansenismus direkt zu tun: Sein Vater und mehr noch sein Bruder Armand waren dessen überzeugte Anhänger und Armand diente sogar als Zeuge für das Wunder bei Marie Sonnet, die sich dem Feuer aussetzte, ohne Verbrennungen zu erleiden. Voltaire setzte sich auch mit Blaise Pascal, dem bedeutenden Philosophen des Jansenismus, der die Prädestination, die Gnadenlehre und die menschliche Verworfenheit lehrte, philosophisch auseinander. Der Jansenismus (einen kurzen Abriss zu seiner Geschichte gibt Ulrich Rudnick), da kirchenkritisch und subjektbezogen und um die gleiche Anhängerschaft werbend, war eine gefährliche Konkurrenz zur Aufklärung, die, wäre sie erfolgreich gewesen, mit dem ihr eigenen Fanatismus das Licht der Aufklärung ausgeschaltet hätte.

In dieser Bewegung steckte auch das Potential, so etwas wie das französische Pendant der anglikanischen Kirche zu werden, daher erreichten sie ihr Ziel, innerhalb der katholischen Kirche anerkannt zu werden, zu keiner Zeit. So verlegten sich die Jansenisten mehr und mehr auf die Beeinflussung des Volkes. Und weil das Volk für Wundergeschichten empfänglich war, bekam es Wunder: die Convulsionisten-Heilungen auf dem Pariser Friedhof von St. Médard, eine Bewegung, die seit ihren Anfängen im Jahr 1727 trotz einem königlichen Verbot 1733 immerhin 30 Jahre andauerte.

Die Agitation im Volk erwies sich allerdings als zwiespältig – war der Jansenismus zunächst die Ideologie der Nobles de Robe, also des absolutistischen Amtsadels und seiner großbürgerlichen Anhänger, verlor er mit der Vernichtung der Hugenotten Ende des 17. Jahrhunderts seine wichtigste politische Funktion (nämlich das Bürgertum der katholischen Kirche und der absolutistischen Zentrale zu verpflichten) und war für die absolutistische Macht nicht mehr notwendig. Sie bekämpfte und unterdrückte den Jansenismus zunächst mit Hilfe der Jesuiten, um anschließend diese selbst verbieten zu lassen. Die nach dem Tode Ludwig XIV (1715) wieder bedrohte Zentralmacht spielte ihre Widersacher geschickt gegeneinander aus, bis sie schließlich alle in die Schranken verwiesen hatte.


B. Quellen
– Barbier, Edmond-Jean-Francois, Chronique de la régence et du règne de Louis XV (1718-1783), Paris, 1857-1885 Barbier in seinem Journal der Jahre 1732 ff berichtet als Zeitgenosse von den Convulsionisten, die nach dem Verbot trotzdem in Privatwohnungen weiter zuckten.
– Garinet, Jules, Histoire des convulsionnaires du dix-huitième siècle, et des miracles du diacre Pâris, Paris 1821 in: Dictionnaire Critique Des Reliques Et Des Images Miraculeuses de M. Collin de Plancy, S. 373-389. Der Autor kann sich nicht entscheiden: Wunder sind es zwar nicht, aber erstaunliche Vorkommnisse, die er nicht erklären kann, schon...
-Borel, Adrien, Les convulsionnaires du cimetière de la Saint-Médard et le diacre Pâris. 1935 (online Resource). Borel ist Psychiater und erzählt/interpretiert die Geschichte der Convulsionisten aus dieser Sicht als neurotische/hypnotische Zustände.

Die folgenden Anmerkungen zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020):

Anmerkung 1 S.174:  Da Pâris erst 1727 starb, dürften die Zuckenden/Convulsionisten erst in diesem Jahr in Erscheinung getreten sein.

Anmerkung 2 (S.175, Mitte: „seitdem ihr Xavier…neun Tote auf einmal auferweckte“):  Francois de Xavier (1506-1552), jesuitischer Missionar. Seine Wundertaten malte Rubens um 1620 für die Jesuitenkirche in Antwerpen.

Anmerkung 3 (S. 176: Soeur Rose, soeur Illuminé): Über ein Wunderheilungs-Séance in der Nachfolge der Convulsionisten aus dem Jahr 1759 berichtet als Augenzeuge ausführlich Charles Marie de La Condamine, in: Correspondance de Grimm, etc., Édition Maurice Tourneux; Paris, Garnier frères, 1878, tome iv, pages 379ff.

Anmerkung 4 (S.176: „Ein berühmter Theologe genoss den Vorzug gekreuzigt zu werden“):
Gemeint ist Abraham Chaumeix (1725-1773). Chaumeix denunzierte die Enzyklopädie gegenüber dem Pariser Gerichtshof in seiner Schrift Préjugés légitimes contre l’Encyclopédie 1758. Voltaire widmete ihm eines seiner gefürchteten Gedichte:  Le Pauvre Diable (1758).
In seiner Erwiderung gegen Chamonix zeigt ihn Diderot wie Jesus am Kreuz hängend (Mémoire pour Abraham Chaumeix contre les prétendus philosophes Diderot et d’Alembert. ; Amsterdam, 1759). Die Bemerkung ist also eine tagespolitische Spitze Voltaires und steht in keinem Zusammenhang mit den eigentlichen Convulsionisten.

Anmerkung 5 (S.176: Parlamentsrat Montgeron legte dem König einen Sammelband über alle Wunder von St. Médard vor): Louis-Basile de Mongeron (1686-1754)  war seit 1711 Parlamentsrat am höchsten Gerichtshof Frankreichs. Er hatte sein Buch ohne Erlaubnis der königlichen Zensur drucken lassen und wurde daher in die Bastille gesteckt, später in diversen Gefängnissen inhaftiert.

Anmerkung 6 (S.176 unten: gegen den Geist der Gesetze): Voltaire hatte Montesquieus Schrift verteidigt. Er äußert sich zu dem Konflikt in einem Abschnitt seiner Briefe über Rabelais an den Herzog von Braunschweig-Lüneburg.

Anmerkung 7 (S.177 oben: Die Samojeden): S. sind ein Volk in Sibirien. Vielleicht kannte Voltaire den Reisebericht von Jean-Baptiste Chappe d’Auteroche, der 1761 – 1763 eine Forschungsreise nach Sibirien unternommen hatte und dieses Volk als zurückgeblieben darstellte.
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Philosophisches Taschenwörterbuch: Circoncision – Beschneidung (Kommentare)

Wenn auch im Judentum die Beschneidung als ureigenes jüdisches Zeichen der Verbindung Gottes mit Abraham und dessen Nachfahren gesehen wird und die Beschneidungszeremonie, die bereits am 8. Tage nach der Geburt vorgenommen wird, den Bund besiegelt, steht doch infrage, woher dieser Brauch ursprünglich stammt und wie man auf die seltsame Idee kommen konnte bzw. kann, in der Beseitigung der Vorhaut einen heiligen Akt zu erblicken. Allein diese Frage zu stellen, wird im Judentum als Sakrileg und im Islam als Grund angesehen, eine heilige Todesstrafe, die Fatwa, auszusprechen. Wie schwer sich auch angeblich zivilisierte Gesellschaften mit der Beschneidung tun, zeigte sich 2012 in Deutschland bei der öffentlichen Debatte um ein Beschneidungsgesetz Sicher ist, dass die Beschneidung schon lange vor dem Judentum existierte. Psychologisch gesehen besiegelt die Beschneidung die Unterwerfung des Sohnes unter die väterliche Gewalt, der ihm auch das Leben nehmen könnte, sich großzügigerweise aber mit einem kleinen, wenn auch schmerzhaften Opfer begnügt. Näheres zur Geschichte, Praxis der Beschneidung und zum Streit um deren Vor- bzw. Nachteile bringt der Medizinhistoriker David Gollaher, Circumcision, New York: basic books, 2000 [dt: Das verletzte Geschlecht, Berlin: Aufbau 2002]

Hintergrund:
A
. Zur Beschneidung im 18. JhdT:
Eine eigentliche Debatte um die Beschneidung gab es im 18. Jahrhundert nicht. Voltaires Artikel führte allerdings zu einer scharfen Entgegnung des kath. Theologen Nonnotte (s.u.)

B. Veröffentlichungen im 18. Jahrhundert
– Nonnnotte, Claude Adrien,  Dictionnaire philosophique de la réligion, 1772 (4 vols.). Der kath. Theologe Nonnotte läßt an dem Artikel kein gutes Haar. Nicht zu Unrecht sieht er in Voltaires Zweifeln an der  Ursprünglichkeit des Beschneidungsrituals im Judentum die Erzählung der Bibel vom exklusiven Bund infrage gestellt.
– Calmet, Augustin, Art. Circoncision, in: Dictionnaire Historique, Critique, Chronologique, Geographique Et Litteral De La Bible, Genf 1730 vol. 2
Der Benediktiner-Abt Calmet aus Senones in den Vogesen, einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit, sieht, unter Verweis auf Celcius, Herodot,  dass die B. bereits in Ägypten gebräuchlich war, meint aber, sie sei eher symbolisch vorgenommen und nicht, wie bei den Juden, als verpflichtende Maßnahme für alle, die dem gemeinsamen Glauben folgen, vorgeschrieben worden.

Die folgenden Anmerkungen zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020):

Anmerkung 1: (S.97,oben, Die Juden sagen, sie seien in Ägypten aus Barmherzigkeit aufgenommen worden): s. Genesis, 47, zu Josephs Hilfeleistung für seine Familie, die unter einer Hungersnot litt.

Anmerkung 2: (S.97, oben, „wem kann man nun den Ursprung dieses Brauchs zuschreiben…?): Ein Basrelief aus Sakkara zeigt, dass die Beschneidung in Ägypten schon 2400 v.u.Z praktiziert wurde, s. Gollahar S. 13 ff., und den Wikipedia Artikel Beschneidung im Alten Ägypten.

Anmerkung 3: (S.97, man musste beschnitten sein, um der Priesterschaft Ägyptens anzugehören): Es liegt nahe, dass die Juden einen Brauch, der unter Ägyptern für die Priesterkaste vorgeschrieben war, für sich als eine Art nachträgliche Genugtuung übernahmen. Vor allem, wenn man der Annahme folgt, dass sie ursprünglich Anhänger von Echnaton und seiner in Ägypten verfolgten monotheistischen Lehre waren (Sigmund Freud, Der Mann Moses und die monotheistische Religion und auch div. Studien v. Jan Assmann).

Anmerkung 4: (S.98, „All das belegt, dass das kleine jüdische Volk trotz seiner Abneigung gegen die große ägyptische Nation…“): Diese Abneigung erinnert an den bekannten Spruch: Die größten Feinde der Elche – waren früher selber welche, einen Gedanken, dem Voltaire allerdings nicht folgt. Die historische Herleitung der jüdischen Bräuche deutet dies zwar an, im 18. Jahrhundert gab es jedoch niemanden, der das Judentum religionsgeschichtlich an die Lehre Echnatons anschloss, wie auch: Da man das Ägyptische vor Champollions Entdeckung des Steins von Rosetta 1822 noch nicht lesen konnte und die Archäologie noch in den Kinderschuhen steckte, waren die Kenntnisse über die ägyptische Geschichte auf die Berichte Herodots (5. Jhdt. v.u.Z.) und anderer Reisender angewiesen. Amarna, die Hauptstadt Echnatons wurde erst im Jahr 1820 entdeckt.

Anmerkung 5: (S.98, 2. Absatz, Die Genesis sagt, dass Abraham schon vorher beschnitten worden war…): So sagt die Genesis es nicht, wohl aber, dass Abraham Ägypten bereiste, bevor er die göttliche Anweisung zur Entfernung der Vorhaut erhielt. Siehe dazu Genesis 17 .

Anmerkung 6: (S. 98 2.Absatz, nicht beschnitten bis zur Zeit Josuas): Josua, Nachfolger Moses und legendärer Heerführer Israels, führte sein Volk ins gelobte Land. Dass die Beschneidung bereits zu Moses Zeiten praktiziert wurde, zeigt Exodus 14.

Anmerkung 7: (S. 100, der Phalluskult bei den Ägyptern): Darüber berichtet Herodot, Historien, II, 44
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Philosophisches Taschenwörterbuch:
Le Ciel des anciens – Der Himmel in der Antike (Kommentare)

Man vergleiche den Artikel von Voltaire, 260 Jahre alt, mit einem neueren zum gleichen Thema, etwa mit dem der Sternwarte der Universität Innsbruck. Er ist ebenso kurz, umfasst eine ähnliche Zeitspanne; sogar die gleichen Personen kommen in dem Artikel vor – aber wie tief ist unsere Zeit gesunken, dass man den Studenten/Schülern mit solchem Gedankenschleim das Gehirn füllt: Zur Geschichte der Astronomie. Wenn es darin um die Frage geht, warum sich die Menschen für die „Sterne“ interessierten, fühlt man sich an Pangloss (Candide) erinnert: „Merken Sie wohl! Alle Nasen wurden gemacht, Brillen zu tragen, darum haben wir Brillen.“ Dass die besten Wissenschaftler existentiell bedroht waren, wenn sie die Sonne ins Zentrum stellten, oder eine Drehbewegung der Erde für wahrscheinlich ansahen, erfährt man nicht, nicht einmal bei Galilei , auch nicht bei Kepler, dessen Mutter einem ekelerregenden Hexenprozess ausgesetzt war.

Dies ist eine nur erste Bemerkung zum Thema, ausgelöst durch das Erschrecken bei der Lektüre des genannten Innsbrucker Sternwartenartikels.

So kurz Voltaires Artikel ist, hat er es doch in sich: er streift die Entwicklung der menschlichen Beobachtungsgabe hin zur Wissenschaft, enthält die Verfolgung ihrer Protagonisten durch die Kirche und führt hin zu den für die Astronomie im 18. Jahrhundert grundlegenden Erkenntnissen Newtons.

Hintergrund:
A
. Die Astronomie im 18. Jahrhundert:
In seiner allgemeinverständlichen Geschichte der Astronomie (Die Himmelskunde, Düsseldorf: Econ, 1965) bezeichnet der Autor Willy Ley das 18. Jahrhundert als das „Himmlische Jahrhundert“, weil jetzt die Erkenntnisse Newtons zu einem Aufblühen der Astronomie als Wissenschaft führte. In Frankreich waren die wichtigsten Protagnisten Charles Messier, Joseph Nicolas Delisle, Alexandre-Gui Pingré und der einflussreiche Bovier de Fontenelle.
Von den 9 Planeten unserer Hemsiphäre kannte man fünf: Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn.

B. Veröffentlichungen im 18. Jahrhundert
– Voltaire, Questions sur L’Encyclopédie, Le ciel matériel (1770). In dieser Schrift fasst Voltaire die astronomischen Kenntnisse seiner Zeit zusammen.
– De Fontenelle, Bernard le Bovier,  Entretiens sur la pluralité des mondes, Paris: Blageart, 1686, 359 p. [dt.: Dialogen über die Mehrheit der Welten, übersetzt von J. Chr. Gottsched, Berlin: Himburg, 1780, 355 S.). F. stellt die astronomischen Lehren von Kopernikus, Galilei, Kepler und Descartes vor, die allesamt der christlichen Annahme von der Erde als Mittelpunkt der Welt widersprechen. Es kam sofort auf die Liste der verbotenen Bücher
– Newton, Isaac, Philosophiae Naturalis Principia Mathematica, 1687 [frz.:]
– ders. De motu corporum in gyrum, 1684
– Pluche, Noël-Antoine, [dt.: Schau-Platz der Natur. Oder: Unterredungen von der Beschaffenheit und den Absichten der Natürlichen Dinge, 8 Bde. Monath, Wien und Nürnberg 1750–1754]
– ders., Histoire du ciel, 2 Bde. Paris: Veuve Estienne, 1739–1741. [dt.: Historie des Himmels darinnen vom Ursprunge der Abgötterey und von den philosophischen Irrthümern über die Entstehung des Weltgebäudes und der ganzen Natur gehandelt wird. 3 Bde. Hekel, Dresden und Leipzig 1740–1742.]

Die folgenden Anmerkungen zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020):

Anmerkung 1: (S.90, „wie Fontenelle sehr gut…bemerkt hat“): De Fontenelle, Bernard le Bovier (1657-1757), in seinen Entretiens bringt er die Seidenraupen-Analogie im ersten Gespräch (Dass die Erde ein Planet ist, der sich sowohl um sich selbst, als auch um die Sonne drehet, Dialogen, S.45,46).

Anmerkung 2: (S.92, 1. Absatz, ..dass die Erde und die Planeten um die Sonne kreisen. „Das jedenfalls lehrt uns Aristarchos von Samos“): Plutarch, der in seiner Schrift De facie in orbe lunaeÜber das Gesicht im Monde (Moralia, XII, engl – p 52 ) Aristarchs Lehre vorstellt, lässt einen seiner Streitenden folgende Worte aussprechen: „Nur gehe nicht hin, mein guter Freund, und strenge einen Prozeß gegen mich an wegen Gottlosigkeit…“ (Ley, Die Himmelskunde, S.47).

Anmerkung 3: (S.93, unten, „Ein Schriftsteller, den man, glaube ich, Pluche nennt“): Noël-Antoine Pluche war im 18. Jhdt ein außerordentlich erfolgreiche Schriftsteller. Sein Spectacle de la nature (8 vols) und seine Histoire du ciel (3 vols) wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Voltaire besaß sie alle beide und hatte sie vielfach angemerkt. Pluche popularisierte die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse und versuchte sie mit der christliche Religion zu „harmonisieren“.

Anmerkung 4: (S.94, zweiter Absatz, „Calmet…spricht vom System der Hebräer“): In der Tat waren die astronomischen Kenntnisse Israels im Vergleich zu Babylon, Assyrien und Ägypten sehr bescheiden. In einigen Bibelstellen wird die Himmelskunde als fremden, feindlichen Völkern zugehörig dargestellt und in die Nähe einer Gotteslästerung gerückt (etwa Zephania 1,5, Jesaja 47,13-14). In Sonnen oder Mondfinsternissen sah man Zeichen einer drohenden Bestrafung.

Anmerkung 5: (S.94, letzter Absatz, „Ausgenommen die Chaldäer“): Im Alten Testament werden die Babylonier „Chaldäer“ genannt, evtl. weil Nebukadnezar, ab 625 v u. Z. König v. Babylon war, aus dem chaldäischen Volk stammte, das im übrigen mit den Assyrern eng verwandt war. Im engeren Sinne versteht man unter Chaldäer die Priesterastronomen Babylons. Sie waren in der Lage, bestimmte Planetenkonstellationen ziemlich genau vorherzusagen.

Anmerkung 6: (S.95. erster Absatz, „es ist leicht einzusehen, dass nach dieser Auffassung Antipoden unmöglich waren“): Bis in das frühe Mittelalter glaubte man, dass der untere Teil der Erde nicht bewohnt sei. Die Menschen würden dort ja schließlich hinunterfallen. Erst mit Newtons Entdeckung der Gravitationsgesetze konnte man diesem Irrglauben wissenschaftlich begegnen, wenn auch schon durch die frühen Seefahrer mehr und mehr klar wurde, dass diese Behauptung falsch ist.

Voltaire-Übersetzer: Johann Albrecht Philippi (1721 – 1791), Polizeipräsident und Bürgermeister Berlins

Johann Albrecht Philippi, (* 16.4.1721 – † 9.11.1791 in Berlin). Philippi machte sich unsterblich durch eine Petitesse: Er übersetzte als erster Voltaires Candide ins Deutsche. Er war Jurist und unter Friedrich II. mit mehreren hohen Staatsämtern betraut, u.a Polizeidirektor (1767), Geheimer Kriegsrat und von 1771 bis zu seinem Tode 1791 Stadtpräsident (Bürgermeister) von Berlin. Philippi baute nach einem Aufenthalt in Paris, dem dortigen Vorbild entsprechend, die Polizei in Preußen auf. Er versuchte, die Machtbefugnisse des Adels einzuschränken und war bei diesen nicht sonderlich beliebt. Von ihm existiert ein Kupferstich-Portrait aus der Feder Chodowieckis:

aus Johann Georg Krünitz, Oeconomische Encyclopädie, Bd3 1774



sowie eine kleine Notiz in der Bayreuther Zeitung vom 18.11.1791, die aus der Berliner Zeitung (10.11.1771) vom Ableben Philippis berichtet und der wir einige Angaben zu seinem Leben verdanken (s.u., Lebenslauf).

Johann A. Philippi als Übersetzer Candides

Die erste Übersetzung von Voltaires Candide (mehr Informationen zu Candide) lieferte Johann Albrecht Philippi bereits im Jahre 1761, zwei Jahre nach der Veröffentlichung des französischen Originals mit dem Titel:

Die beste Welt. Eine Theologische, Philosophische, Praktische Abhandlung.
aus dem Spanischen Grund-Text des Don Ranudo Maria Elisabeth Francisco Carlos Immanuel de Collibradoz, Beysitzer der heiligen Inquisition, übersetzet; und mit einer Vorrede, auch Zuschrift und Register begleitet von Johann Albrecht Ralph, der beyden Rechte Doctor und öffentlichen Lehrer zu W .., 176
1

Dass diese Übersetzung von Philippi ist, war Eingeweihten sicher bekannt und ist in der großen Bibliographie Deutscher Übersetzungen aus dem Französischen (1952) von Fromm auch richtig vermerkt (Fromm 26940), jedoch mit einem falschen Titel („Candide, oder die beste Welt“) und dem Erscheinungsjahr 1751, als Candide noch gar nicht erschienen war.
Helmut Knufmann in einem erhellenden und sehr lesenswerten Artikel Das deutsche Übersetzungswesen des 18. Jahhrhunderts (1967) fand heraus:

  • Der Übersetzer ist wirklich Philippi, nur erschien das Werk 1761 in Leipzig bei Hartknoch.
  • Der angebliche Verfasser Ranudo ist ein Anagramm und bedeutet von hinten gelesen „O Du Narr“
  • Weil Voltaire im Originaltitel behauptet, Candide sei der ins Französische übersetzte Roman eines deutschen MR. le Docteur RALPH, nutzt Philippi den Namen des angeblichen deutschen Verfassers, um sich selbst als Übersetzer dahinter zu verstecken und verleiht ihm seine eigenen Vornamen: Johann Albrecht Ralph.

Wir ergänzen (was herauszufinden nur mit Hilfe des Internets möglich war):

  • Der akademischen Titel: „der beyden Rechte Doctor“, entsprachen sehr wahrscheinlich ebenfalls denen Philippis, denn er war Jurist.
  • Zur Zeit der Übersetzung befand sich Philippi in österr. Kriegsgefangenschaft zu Wien. Sein „und öffentlichen Lehrer zu W ..“ wird somit den Tatsachen entsprechen.
  • Es stimmt, „Ranudo“ steht für „O Du Narr“, aber der Name verweist auf ein damals ziemlich bekanntes Lustspiel Ludwig v. Holbergs aus dem Jahre 1755, mit dem Titel Don Ranudo de Colibrados oder Armut und Hoffart, von dem ihn Philippi entlieh.
  • Seine Widmungsschrift „Liebwerthester Bruder“ darf durchaus ernst genommen werden und passt zur Situation des in Kriegsgefangenschaft festsitzenden Philippi.
  • Das angebliche Register, das er im Titel erwähnt, stellt sich als Aphorismensammlung heraus, in der Philippi Sinnsprüche u. a. von Gellert, Horaz und seine eigenen mitteilt, die zeigen, wie stark er der Aufklärung verbunden war.
  • Der in einer weiteren Ausgabe von 1762 angebundene zweite Teil ist Philippis Zutat. Er enthält so etwas wie sein Credo, sein Blick auf die Welt nach einem verheerenden siebenjährigen Krieg, an dem er beteiligt war.
  • Eine weitere Ausgabe von 1773, also zur Zeit, wo Philippi bereits Bürgermeister von Berlin war – er stand also zu seiner Candide Publikation! – entspricht, soweit wir es überprüfen konnten, der von 1762 (mit dem angebundenen zweiten Teil).

Nun zur Übsetzung selbst, es war gewiss nicht die schlechteste der fast unendlichen Reihe weiterer Übertragungungen ins Deutsche. Wir verwenden auch hier unsere beiden Referenzstellen aus Candide, um Philippis Übersetzungsstil kurz vorzustellen:

1. Voltaire: Remarquez bien que les nez ont été fait pour porter des lunettesaussi avons-nous des lunettes.
Philippi: „Merken Sie wohl! Alle Nasen wurden gemacht, Brillen zu tragen, darum haben wir Brillen.“

Der lockere Schwatzton ist sehr gut getroffen, knapp, ohne irgendeine umständliche Zutat, genau im Begriff (z.B. „haben wir Brillen“ und nicht, wie heute meist übsersetzt wird. „tragen wir Brillen“.

2. Den dritten Satz des Candide: Il avait le jugement assez droit, avec l’esprit le plus simple; c’est, je crois, pour cette raison qu’on le nommait Candide, übersetzt Philippi wiederum, ganz anders als später Mylius, sehr eng am Original, nur mit einer kleinen Ergänzung zur Wortbedeutung von Candide für seine deutschen Leser:
„Er hatte eine ziemliche Urteilungs Kraft, sein Herz war ohne Falsch und ich glaube, dass ihm disfalls [deshalb] der Nahme Candide, welcher soviel als redlich heißt, beygelegt worden“

Lebenslauf

  • 16.4.1721 wird Johann Albrecht Philippi geboren
  • 26.5.1742 Auditeur im Kleistschen Infanterieregiment, d.h. er fungierte als Ankläger in Kriegsgerichtssachen, eine Funktion, die Juristen vorbehalten war.
  • 1753 Philippi veröffentlicht: Die wahren Mittel zur Vergrößerung eines Staates, Berlin: Haude & Spener, 1753, 185 S., das er 1759 in erweiterter Form erneut herausgibt. Eine launige Besprechung dieses Werkes findet man in: Göttingische Anzeiger von gelehrten Sachen (1760, Nr.80)
  • 1759 -1763 Im Siebenjährigen Krieg geriet er in der Schlacht von Maxen in Österreichische Gefangenschaft. In dieser Zeit muss er auch den Candide übersetzt und 1761 bis zur Veröffentlichung gebracht haben.
  • 1765 Philippi veröffentlicht Der vertheidigte Korn-Jude, Berlin 1765
  • 1766 erscheint Philippis Übersetzung von Ange Goudar (eines französischen Abenteurers und Freundes von Casanova) Les Intérêts de la France mal entendus, dans les branches de l’agriculture, de la population, des finances, du commerce, de la marine et de l’industrie, 1759, in der Goudar gegen die Verschwendungssucht des Adels zur Sparsamkeit aufruft [dt.: Staatsfehler der mehresten Höfe (Übersetzung von Philippi), 1766], eine Rezension findet man in der Allgemeinen Bibliothek von 1768
  • 1766 reist Philippi im Auftrag des Königs nach Paris, um das dortige Polizeiwesen zu studieren und nach diesem Vorbild die Polizei in Preußen aufzubauen.
  • 1767 Rückkehr nach Berlin, Ernennung „zum Polizeidirector hiesiger Residenzien,.. zum Geheimen Kriegsrath und Stadpräsidenten Berlins“.
  • 1769 wohnt Philippi in der Heiliggeiststrasse, einer der vornehmsten Straßen Berlins in unmittelbarer Nähe des Schlosses (Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, Nicolai 1769).
  • 1771 erscheint Der vergrößerte Staat, Berlin 1771, in dem er, ganz Physiokrat, Bevölkerungsreichtum, Ausbau der Landwirtschaft, aber keine arbeitseinsparende Maschinen empfiehlt. Siehe dazu: Ergang, Carl F. H.: Untersuchungen zum Maschinenproblem in der Volkswirtschaftslehre, 1911
  • Johann Albrecht Philippi stirbt in Berlin am 9.11.1791.

Quellen

Philosophisches Taschenwörterbuch:
Christianisme – Christentum (Kommentare)

Die Geschichte des Christentums zeugt von der beispiellosen, weltweiten Ausbreitung einer Glaubenslehre und ihrer Organisation. Keine andere Religion war jemals, weder vorher noch nachher, in ähnlichem Maße erfolgreich. Wie konnte ihr das gelingen?
In Voltaires Wörterbuchartikel ist nicht davon die Rede, dass das Christentum den anderen Religionen intellektuell überlegen gewesen wäre, noch, dass es ein höheres Bildungsniveau repräsentierte, oder dass es gar eine humanere Lebensart predigte; es geht in dieser Geschichte, wie sie Voltaire erzählt, auch nicht um Liebe, um Menschlichkeit, und schon gar nicht um Freiheit.
Voltaire führt die Erfolgsgeschichte des Christentums stattdessen auf eine Mischung aus Täuschung, Betrug, falschen Versprechungen zurück, auf die teilweise Aneignung von Glaubensinhalten anderer Religionen, insbesondere der jüdischen, auf die Anwendung von Zauberlehren und mystischen Angstritualen. Vor allem aber, zumindest ab dem 2. Jahrhundert, kennzeichnet das Christentum ein unaufhaltsamer Wille zur Macht, als dessen Ausgeburt die weltweit zur Herrschaft drängende katholische Kirche anzusehen ist.

Der heutige Forschungsstand ist davon nicht allzu verschieden. Über David Friedrich Strauss Leben Jesu (1835) bis hin zu Deschners voluminöser Kriminalgeschichte des Christentums (1986 ff) haben sich die Belege zur unaufhaltsamen Machentfaltung des Christentums vermehrt und immer weiter verdichtet.

Hintergrund:
1. Frankreich im 18. Jahrhundert
Durch den Machtverlust der katholischen Kirche konnte in Frankreich die Philosophie der Aufklärung entstehen, die zwar dem Absolutismus positiv, der Kirche und auch dem Calvinismus aber negativ gegenüberstand. Pierre Bayle, der Verfasser eines berühmten kirchenkritischen Wörterbuchs und viele der ersten Aufklärer waren im 17. Jahrhundert noch gezwungen, ins protestantische Ausland zu fliehen (siehe dazu ausführlicher unsere beiden Kommentare: Das Christentum und die Macht , sowie Die Religion im 18. Jahrhundert). Auch Voltaire musste sich noch vor Verfolgung schützen und siedelte sich deshalb nahe der schweizerischen Grenze in Ferney an, von wo aus er ab 1760 einen erbitterten Kampf gegen Kirche und Christentum führte. Seine Strategie, die man mit: „Kämpft gegen die Kirche, aber nicht gegen den Glauben selbst!“  beschreiben könnte, kam Mitte des 18. Jahrhunderts durch eine ganze Reihe atheistischer Schriften unter Druck.
Insbesondere d’Holbach mit seinem Le Christianisme dévoilée (1756) [dt.: Das entschleierte Christentum] und Hélvetius mit seinem Hauptwerk De l`Ésprit (1759)  [dt.: Vom Geist] veröffentlichten aufsehenerregende Schriften, die Voltaire bei seinen Anhängern defensiv aussehen ließen, aber auch gefährdeten, denn seine Gegner brachten ihn mit diesen Werken in Verbindung und die Glut der Scheiterhaufen war schließlich noch nicht ausgetreten. Das Philosophische Taschenwörterbuch war in dieser Hinsicht auch einen Antwort auf die atheistische, sehr viel radikalere Kritik am Christentum, war ein Aufruf zur Vorsicht und zur Mäßigung.

2. Veröffentlichungen gegen das Christentum im Europa des 18. Jahrhunderts
Voltaire gibt selbst eine Übersicht zu den antichristlichen, meist deistisch (d.i.: Es gibt einen Schöpfer, der aber nicht in das weitere Weltgeschehen eingreift) , manchmal auch atheistisch orientierten Autoren in: Lettres à S. A. MGR LE PRINCE de ***** sur RABELAIS et sur d’autres auteurs accusés d’avoir mal parlé de la réligion chrétienne (1767) [dt.: Briefe …. über Rabelais und andere Autoren, die man beschuldigt, schlecht über die christliche Religion zu sprechen].
Wir haben die entscheidenden Kapitel ins Deutsche übersetzt (Deutsche Erstübersetzung von Rainer Neuhaus, 2024) und ausführlich kommentiert, denn der Text wäre für heutige Leser teilweise unverständlich – auch das ist ein Ergebnis der fehlenden Überlieferung: Man schweigt über die Kritiker, damit sie vergessen werden.

3. Quellen, die Voltaire für seinen Artikel verwendete
Die Quellen, die Voltaire anführt, waren ihm oft durch die Veröffentlichungen der englischen Deisten, insbesondere Warburton und dessen Divine legation of Moses, bekannt geworden, aber auch durch Firmin Abauxit oder Coyers Middleton. Wir nennen sie hier, damit wir in den Anmerkungen darauf nicht en detail einzugehen brauchen – die Voltaire Foundation in ihrer Ausgabe hat sich dieser Mühe unterzogen, darüber jedoch das Wesentliche, die Argumentation, aus den Augen verloren):
3.1. Middleton, Conyers (183-1750), Miscellaneous works
Reflections on the variation…found among the four evangelists (1752)
A Free Enquiry into the Miraculous Powers, which are Supposed to Have Subsisted in the Christian
Church from the earliest ages (1749), in Miscellaneous works
Some cursery reflections on the dispute which happened…between Peter and Paul, in Miscellaneous works (1747)
Letter from Rome, showing an Exact Conformity between Popery and Paganism (1729).
3.2. Abauzit, Firmin ( (1679 – 1767): Oeuvres diverses, es. Moultou 1770
Sur la connaissance du Christ, in Oeuvres

► Voltaires Artikel Christentum war Gegenstand einer ausführlichen Kritik im Journal hélvetique von 1766, wo in 5 Ausgaben die „Fehler“ Voltaires erörtert wurden, mit dem Ziel, das Christentum und die Bibel zu verteidigen. Voltaire reagierte darauf mit Ergänzungen in der Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs von 1769.

Die folgenden Kommentare zu einzelnen Textstellen beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf die von uns bei Reclam herausgegebene Ausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs (2020).
Mit Karlheinz Deschners Abermals krähte der Hahn, Eine kritische Kirchengeschichte (1962) liegt eine fast ideale Ergänzung zu Voltaires Artikel vor. Das Buch ist ein Glücksfall, fast selbst wie ein 722 s. umfassender Kommentar zu Voltaires Text anzusehen, angereichert mit allen neueren Forschungsergebnissen, akribisch sondiert und belegt. Deshalb beziehen wir uns in den Anmerkungen fast ausschließlich auf dieses Werk.

1. Kritische Sichtung der Belege, die Existenz und Person Jesu betreffend.

Anmerkung 1 (S. 149, erster Absatz: „…dass die kleine Passage. … später eingefügt wurde.”): Warburton, auf dessen Divine legation (1755, ii, S.57) sich Voltaire mehrfach bezieht, schreibt:“We conclude, therefore, that the passage of Josephus.. which acknowledges Jesus to be the Christ, is a rank forgery, and a very stupid one too“ (Siehe zu Warburton dessen Vorstellung in Voltaires Lettres sur Rabelais (1767)). Deschner, Abermals krähte der Hahn, S.15: „Die Stelle ist fast allgemein als Fälschung anerkannt“; dazu auch seine Zusammenfassung der neueren Studien und Position zur Frage der Geschichtlichkeit Jesu im 1. Kapitel.

Anmerkung 2 (S. 150, zweiter Absatz: bei Jesus Tod um die Mittagsstunde soll sich weltweit eine große Dunkelheit verbreitet haben): Davon erfährt man bei Tertullian: „Er hauchte nämlich, der Dienstleistung des Scharfrichters zuvorkommend, freiwillig den Geist mit einem Ausrufe aus. In demselben Augenblick verschwand das Tageslicht, obwohl die Sonne Mittags-höhe zeigte. Das hielten die, welche nicht wußten, daß auch dies in betreff Christi vorhergesagt war, natürlich für eine bloße Sonnenfinsternis. Und doch findet sich auch dieser Zwischenfall im Weltall in euren geheimen Archiven berichtet.“ Tertullian, Apologetikum oder Verteidigung der christl. Religion und ihrer Anhänger, 198, übers. von Dr. K. A. Heinrich Kellner, BKV 24, Bd. II, Bibl. der Kirchenvä-ter. Neu bei Herder, Übers. Tobias Georges, 2011.

Anmerkung 3 (S.151 2. Absatz: Unterschied der Genealogien Jesus): Viel Tinte ist über die Frage, warum sich Matthäus und Lukas bzgl. der familiären Herkunft Jesu unterscheiden, vergossen worden. Eine Erklärung für die unterschiedlichen Angaben war, dass der eine die rechtliche Ahnenreihe, der andere die natürliche wiedergibt. In einem verwickelten Artikel versucht bei Wikipedia eine ganze Autorenschar, die diversen Erklärungen zu verstehen: https://de.wikipedia.org/wiki/Vorfahren_Jesu 5

Anmerkung 4 (S.151 3. Absatz: Das Aus-Wasser-wird-Wein-Wunder): Das Wunder wird in Johannes 2, 1-10 erzählt und von Woolston in seinem A Discourse On the Miracles of Our Saviour (1729) rational erklärt. Voltaire stellt Woolston und seine Erklärung in seinen Lettres sur Rabelais vor.

2. Das Christentum als jüdische Sekte, Jesus kein Gott (152)

Anmerkung 5 (S. 152, 2. Absatz: „Josephus spricht … von einer rigoristischen Sekte der Juden“): Wie man sich die Abspaltung der „christlichen“ Urgemeinde vom Judentum vorzustellen hat, erzählt Deschner, Abermals krähte der Hahn, S.151ff

Anmerkung 6 (S. 153, unten: … die Essener, Judaiten, Therapeuten,…): In den Kapiteln 13 und 14 des 1. Kapitels behandelt Deschner die vielen Vorchristlichen Sekten (Christentum vor Christus).

Anmerkung 7 (S. 155 unten: Dieser Apostel spricht…..keineswegs von der Wesensgleichheit Jesus mit Gott…): Er vertritt also nicht die Lehre des Konzils von Nicäa (325 v.u.Z.), s. Anmerkung…. Dazu auch Deschner, Abermals krähte der Hahn: „Bis weit ins 3. Jahrhundert wurde Jesus meist nicht mit Gott identifiziert“ (Abermals krähte der Hahn, S.382).

4. Die entstehende Kirche (156)

Anmerkung 8 (S. 157 oben: „Der Streit erreichte Antiochia.”): s. zu dieser Auseinandersetzung Deschner, Abermals krähte der Hahn, Die Anfänge des Heidenchristentums S. 161 ff, der die Geschichte als Machtkampf der Paulianer gegen die Judenchristen darstellt, den Paulus gewann, wobei es auch an den Überlieferungen zur Person Paulus viele Zweifel gibt.

Anmerkung 9 (S.156 2. Absatz: „in einem Brief, der im Jahr 117 geschrieben wurde“ ): Der Kommentar der Voltaire Foundation weist darauf hin, dass es „im Jahr 177“ heißen müsste. Voltaire gibt in dieser Passage einen Text (Sur la connaissance du Christ) von Firmin Abauzit (1679 – 1767) wieder, in dem es um die Zweifel an der Person Jesu geht.

5. Die ersten Kirchengemeinden (158)

Anmerkung 10 (S.159, 3. Absatz: „Man hat dem heiligen Justinus..vorgeworfen..“): Diese Passage ist interessant, weil sie einen Fehler (Der Ausspruch des Justinius erscheint in seinen Dialogen, nicht in dem Kommentar zu Jesaja) enthält, der aber Voltaires – nicht genannte – Quelle aufdeckt, nämlich A Free Enquiry into the Miraculous Powers, which are Supposed to Have Subsisted in the Christian Church von Conyers Middleton (1683-1750). Das belegt Norman L. Torrey in seiner umfangreichen Studie: Voltaire and the English Deists (Oxford 1963).

Anmerkung 11 (S. 161, 3. Absatz: „…was die Christen am meisten auszeichnete, ist…dass sie die Macht besaßen, die Teufel mit dem Kreuzeszeichen auszutreiben”): vgl. Deschner, Abermals krähte der Hahn, S. 485, Der Geisterglaube der Kirche.

6. Verfolgung, die Märtyrer (163)

Anmerkung 12 (S. 163, 3. Absatz: „…da sich die Christen aber zu Feinden aller dieser Kulte machten….”): Im Kapitel 43, Der Blutstrom der Kirche, zeigt Deschner, (Abermals krähte der Hahn, S. 343ff), wie die Christen ihre Verfolgung mächtig aufbauschten, z.B. wurde bis 250 kein einziger römischer Bischof getötet (S.344).

Anmerkung 13 (S. 163, 3. Absatz: Ignatius als Märtyrer”): zu Ignatius Bedeutung vgl. Deschner, Abermals krähte der Hahn, S. 230, Ignatius von Antiochien.

Anmerkung 14 (S. 166, 4. Absatz: „…es gab zu verschiedenen Zeiten eine so große Anzahl von Märtyrern): vgl. Deschner, Abermals krähte der Hahn, S. 346, Kapitel Die Märtyrer. Er berichtet, dass man eine Zahl von 1500 Märtyren nennt, jedoch nur einige Dutzend namentlich belegt werden können.

7. Konstantin, die Kirche an der Macht (168)

Anmerkung 15 (S. 169, 2. Absatz: „Damit nahm die Kirche eine herrschaftliche Form an“): Zu den Lebensumständen unter Konstantin und dem Christentum sagt Deschner, sie hätten sich für das normale Volk verschlechtert. „Dafür hatte man jetzt einen neuen Herrenstand, den Klerus, dessen große Mehrheit dem Volk Bedürfnislosigkeit, Dämpfung des politischen Aufbegehrens und pünkliches Steuerzahlen an den Kaiser predigte und um so eher zum Entgegenkommen bereit war, als es den Geistlichen, besonders den Bischöfen, auch persönlich immer besser ging“ (Abermals krähte der Hahn, S.380).

8. Das Konzil von Nicäa, gegen Arius (170)

Anmerkung 16 (S. 170, 1. Absatz: „..Jesus als reinste Emanation des höchsten Wesens, ..aber nicht Gott gleichgestellt”): Das Konzil von Nicäa (325) beschloss die sog. nicäaische Formel, nach der zwischen Gott und seinem Sohn eine sog. Homousie herrsche, eine Wesensgleichheit. Eine Lehre, die bis dahin völlig unbekannt war; niemand wusste, was das bedeuten sollte. Aber Kontantin entschied: „Was 300 Bischöfe bschlossen haben, ist nichts anderes als ein Urteil Gottes“. (n. Deschner, Abermals krähte der Hahn, S.394)

Anmerkung 17 (S. 171, 1. Absatz: „…die Auffassung von Arius…”): Bischof Arius und seine Anhänger waren strike Gegner der nicäischen Wesensgleichheitsbehauptung, die für sie den Monotheismus aushebelte.

9. Konzil von Ephesus, Maria als Mutter Jesu/Gottes (172)

Anmerkung 18 (S.172, 2. Absatz: „Das dritte allgemeine Konzil…entschied, dass Maria wirklich die Mutter Gottes war): Deschner, S.362: „Bis zum 3. Jahrhundert wußte die Christentum nichts von einer immerwährenden Jungfrauschaft Mariens“ und zum Konzil von Ephesus (S.366) weist er auf den auffälligen Übergang des Isis-Kultes auf den Mariakult hin. Über den Marienkult und die Trinitätslehre wurde heftig gestritten: „Es kam vor, wie auf der Synode von Ephesus, dass die Bischöfe mit Stöchken aufeinander einschlugen, bis endlich, nachdem die eine Fraktion das Feld geräumt hatte, der Heilige Geist sprach und das gottgewollte Resultat zustandekam“.(Deschner, Abermals krähte der Hahn, S.381).

10. Die weitere Entwicklung, Ost- und Westkirche, Reformation, Ausbreitung und Vertreibung in Asien (172/3)

Anmerkung 19 (S. 172 unten): „Die römisch-katholische Kirche verlor …die Hälfte..“ siehe zu den Ereignissen im Vorfeld des 30 jährigen Krieges: Deschner: Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums, Bd. 9, Kap. 9: Die Schlammschlacht vor dem großen Krieg. Vom publizistischen Schlachtfeld zum militärischen, S.287 ff

Anmerkung 20 (S. 173, 2. Absatz: „Francisco de Xavier, der das Evangelium nach Ostindien und nach Japan brachte, als die Portugiesen auf der Suche nach Handelsware dorthin gingen“): James Clavell übernahm für seinen Roman Shogun (1975) einige der Aufzeichnungen Xaviers über die Jesuitenmission in Japan. Der Roman wurde vielfach (zuletzt 2024) verfilmt.

Anmerkung 21 (S.173, 3. Absatz – über die Jesuitenmission in China): siehe dazu unsere Kommentarseite zum Artikel China des Philosophischen Taschenwörterbuchs.

Anmerkung 22 (S.174, 2. Absatz, Die weiteren Ausdehnung des Christentums in Afrika, Amerika, bis zu einem Anteil von 32% der Weltbevölkerung): Heute besitzt das Christentum einen Anteil von 32,2%, wie die Internetseite www.katholisch.de berichtet. Zur Expanisonsgeschichte siehe Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums, Bd. 9 (MITTE DES 1 6 . BIS ANFANG DES 18. JAHRHUNDERTS), Vom Völkermord in der Neuen Welt bis zum Beginn der Aufklärung (2008).