Die Arbeit Lepapes, eines Journalisten der renommierten Zeitung Le Monde, will keine Biographie sein – der deutsche Titel zeigt die wirkliche Absicht schon eher – , ist aber dennoch biographisch im besten Sinne des Wortes: das Werk folgt den Spuren, die Voltaire, auch um zu täuschen, gelegt hat, gewissenhaft und zuverlässig, in der Absicht, die richtige Fährte nicht aus dem Blick zu verlieren – und, je weiter sein Text voranschreitet, gelingt ihm sein anspruchsvolles Vorhaben immer besser.
Während man zu Beginn noch abgestossen ist von dem Korsett eines strukturalistischen Ansatzes, das mit Voltaire soviel gemein hat wie die chemische Zusammensetzung der Farben eines Gemäldes mit dem Dargestellten, präsentiert sich dem Leser am Ende des Buches ein von seinem Gegenstand restlos begeisterter Autor, Voltaire hat nicht nur Frankreich, sondern auch ihn selbst erobert, so, wie es im Titel der französsichen Ausgabe heißt: Voltaire, le Conquérant.
Der strukturalistische Ansatz ist schnell beschrieben: man messe Voltaire mit der Elle unseres modernen Marketing, wo es ja bekanntlich nicht auf den Inhalt, sondern nur auf die richtige, geschickte Vermarktung einer beliebigen Sache ankommt. Ganz egal, ob sich ein geschickter Marketingfachmann für die Interessen der kriegführenden USA einspannen lässt, oder für die Werbekampagne einer Umweltorganisation, jedesmal geht es ausschliesslich darum, in möglichst kurzer Zeit die Gehirne möglichst vieler Menschen zu infiltrieren, wozu man Schlagwörter braucht, ein oder zwei Merksätze, die Beherrschung der Kommunikationsmedien und die nötigen Finanzmittel. Mit dieser Elle gemessen, schneidet Voltaire nicht einmal schlecht ab, er hat in seiner Zeit, in der die Kirche die Kommunikationskanäle fast vollständig beherrschte, Lücken gefunden, Schlupflöcher entdeckt und zu wirklichen Geheimgängen erweitert, schließlich mit seinen Verbündeten einen ‚Gang durch die Institutionen‘ angetreten, von dem die berühmten ’68er nur träumen konnten – denn sie hatten nicht, was eben Voltaire besaß: feste Übererzeugungen und ein ebenso festes Rückgrat, Mut, taktisches Geschick, verbunden mit der nötigen Zähigkeit und Glück.
Und gerade diesen Voltaire scheint Lepape selbst im Verlaufe seiner Spurensuche zu entdecken. Und weil das Buch gut geschrieben und auch hervorragend übersetzt wurde, gewinnt es zunehmend an Fahrt und an Spannung – dabei entwickelt es sich zu einer besseren Voltaire-Biographie als viele bereits verfasste und als wahrscheinlich viele, die noch geschrieben werden. Das liegt daran, daß Lepape sich nicht, wie ein Biograph, mit allen Einzelheiten befassen muß, die man nicht auslassen darf, wenn man die Geschichte eines Lebens erzählt, dafür kann er sich umso mehr den Verbindungen, den Beziehungen widmen, kann Vermutungen über Voltaires Strategien anstellen, versuchen, für seine Annahmen Belege zu finden und er bindet damit einen so brillianten Strauss, daß er in keinem Haushalt, in dem die Aufklärung eine Rolle spielt, fehlen sollte.
Gerade deutschen Lesern sei das Buch besonders empfohlen, denn so viel man über das 18. Jahrhundert und Voltaire auch gelesen haben mag, nie kann man so vollständig in die Zeitumstände eindringen wie ein französischer Bürger in Paris, der tagtäglich mit den Gebäuden, Palästen und Namen aus der damaligen Zeit zusammenlebt. Dieses Manko verringert zu haben, ist nicht die geringste Leistung von ‚Voltaire, le conquérant‘, so ganz nebenbei wird der Leser für Voltaire als den Begründer einer bürgerlichen Öffentlichkeit gewonnen, mit ihrer Wahrheitsliebe, ihrem Verlangen nach freier Meinungsäußerung und ihrem Hunger nach Wissen – all der Dinge, die heute, im 21. Jahrhundert, leider verblassen und in einem Meer von Lüge und perfektem Marketing unterzugehen drohen.