Abraham

Abraham ist einer der berühmten Namen Kleinasiens und Arabiens, wie Thot bei den Ägyptern, der ältere Zarathustra bei den Persern, Herkules in Griechenland, Orpheus in Thrazien, Odin bei den Völkern des Nordens, und vielen anderen, die man mehr dem berühmten Namen nach kennt, als durch eine gesicherte Geschichtsschreibung. Ich spreche hier nur von weltlicher Geschichtsschreibung, denn was die der Juden, unsere Herren und unsere Feinde, betrifft, an die wir glauben und die wir verachten,  so wurde die Geschichte dieses Volkes offensichtlich durch den heiligen Geist selbst geschrieben und wir haben für sie die Empfindungen, die uns zu haben befohlen wurde.

Wir beschäftigen uns hier nur mit den Arabern, sie rühmen sich, durch Ismael von Abraham abzustammen, sie glauben, dass dieser Patriarch Mekka erbaut hat und in dieser Stadt gestorben ist. Tatsache ist, dass der Stamm Ismaels unendlich stärker durch Gott begünstigt wurde als der Stamm Jakobs. Um die Wahrheit zu sagen, hat der eine wie der andere Stamm Diebe hervorgebracht, aber die arabischen Diebe sind den jüdischen deutlich überlegen gewesen. Die Nachfahren Jakobs eroberten nur ein sehr kleines Land und haben es verloren; die Nachfahren Isamels haben einen Teil Asiens, Europas und Afrikas erobert, ein Imperium aufgebaut, das größer war als Rom und verjagten die Juden aus ihren Höhlen, die diese das gelobte Land nannten.
Wenn man die Angelegenheit nur nach dem Vorbild unserer modernen Geschichtsschreibung beurteilt, erscheint es schwer möglich, dass Abraham der Vater zweier so unterschiedlichen Völker gewesen sein soll. Man sagt uns, er sei in Chaldäa geboren und Sohn eines armen Töpfers gewesen, der sein Leben damit verdiente, kleine tönerne Götterfiguren herzustellen. Es ist kaum wahrscheinlich, dass der Sohn dieses Töpfers losgegangen ist, um Mekka zu gründen, das 400 Meilen von dort am südlichen Wendekreis liegt, indem er unpassierbare Wüsten durchquerte. Wenn er ein Eroberer war, hätte er sich gewiss gegen das schöne Land der Assyrer gewandt und wenn er nichts als der arme Mann war, als den man ihn uns beschreibt, gründete er außerhalb seines eigenen Hauses keine Königreiche.
Die Genesis1 berichtet, er sei 75 Jahre alt gewesen, als er nach dem Tod seines Vaters Tharah, dem Töpfer, das Land Haran verließ, aber dieselbe Genesis sagt auch, dass Tharah Abraham mit 70 Jahren zeugte, also lebte Tharah bis zum Alter von zweihundertfünf Jahren, denn Abraham verließ Haran erst nach dem Tode seines Vaters. Folgt man der Genesis weiter, ist es nach dieser Rechnung ganz klar, dass Abraham, als er Mesopotamien verließ, hundertfünfunddreißig Jahre alt war, . Er ging von einem Land, das man als götzendienerisch bezeichnete, in ein anderes götzendienerisches Land namens Sichem in Palästina. Warum ging er dorthin? Warum verließ er die fruchtbaren Ufer des Euphrat für eine solch entfernte, ebenso unfruchtbare und steinige Gegend wie Sichem? Das Chaldäische muss von der Sprache Sichems sehr stark verschieden gewesen sein, dort war kein Handelsplatz; Sichem ist von Chaldäa mehr als hundert Meilen entfernt und man muss Wüsten durchqueren, um dort zu hinzukommen; aber Gott wollte, dass er diese Reise antrat, er wollte ihm den Landstrich zeigen, den einige Jahrhunderte später seine Nachkommen bewohnen würden. Schwerlich begreift der menschliche Geist den Sinn einer derartigen Reise.

Kaum war er in dem kleinen bergigen Sichem angekommen, zwang ihn eine Hungersnot, es zu verlassen. Er ging mit seiner Frau nach Ägypten, um dort eine Lebensgrundlage zu finden. Von Sichem nach Memphis sind es zweihundert Meilen. Ist es natürlich, dass man, um nach Korn zu fragen, einen so weiten Weg in ein Land geht, dessen Sprache man nicht versteht? Dies sind wahrhaft seltsamen Reisen, unternommen im Alter von fast einhundertvierzig Jahren. 
Nach Memphis nahm er seine Frau Sara mit, sie war extrem jung, verglichen mit ihm fast noch Kind, den sie war nur fünfundsechzig. Da sie sehr schön war, suchte er daraus seinen Vorteil zu ziehen: „Tut, als wärst du meine Schwester“, sprach er zu ihr, „damit mir durch Dich Gutes geschehe“. Er hätte ihr vielmehr sagen sollen: „Tu, als wärst du meine Tochter“. Der König verliebte sich in die junge Sarah und gab dem angeblichen Bruder viele Schafe, Rinder und Esel, Eselinnen, Kamele, Diener, Dienerinnen: was beweist, dass Ägypten damals ein sehr mächtiges und geordnetes Land war, demnach also schon lange bestand und dass man die Brüder, die nach Memphis kamen um ihre Schwestern dem König anzubieten, großartig belohnte. Die junge Sara war neunzig Jahre alt, als Gott ihr versprach, dass Abraham, mittlerweile hundertsechzig, ihr im Laufe des Jahres ein Kind machen würde. Abraham, der das Reisen liebte, ging mit seiner immer noch schönen schwangeren Frau in die schreckliche Wüste Kadesch. Es blieb nicht aus, dass sich ein König dieser Wüste wie der König Ägyptens in Sara verliebte. Der Vater aller Gläubigen griff zur selben Lüge wie in Ägypten: er gab seine Frau als seine Schwester aus und erhielt aus diesem Geschäft wiederum Schafe, Rinder Diener und, Dienerinnen. Man kann sagen, dass Abraham durch seine Frau sehr reich wurde. Die Kommentatoren haben eine beachtliche Anzahl Bände verfasst um das Verhalten Abrahams zu rechtfertigen und um die Chronologie zu bereinigen. Wir müssen also den Leser an diese Kommentare verweisen. Sie sind von erlesenen und feinfühligen Geistern verfasst, von exzellenten Metaphysikern, vorurteilslosen Leuten und überhaupt keinen Pedanten.